Ein Philosoph räumt auf (2)


Der Philosoph ist kein Rebell. Luc Ferry hat die politische Arena nicht betreten, um das Bildungswesen auf den Kopf zu stellen oder eine Reform an Haupt und Gliedern durchzuführen. Eher hält er es mit seinem Vorgänger Jack Lang, der auf behutsame Reformen setzte. Nur nicht das „Mammut“ reizen, wie es dessen Vorgänger Allègre tat, der dann sehr schnell die Urgewalt der Lehrergewerkschaften zu spüren bekam. „Man sollte endlich Schluss machen mit der Idee, jeder Minister müsse mit einem Masterplan aufwarten. Ich muss nicht Schulgeschichte schreiben“, erklärt Ferry, Autor eines guten Dutzends viel beachteter Bücher.

Schule machen will er dennoch. Dass die Beherrschung der Muttersprache oberste Priorität hat, versteht sich bei einem „ministre-philosophe“ von selbst. Um dem Übel des „Illettrisme“ beizukommen, werden in den fünf Grundschuljahren (Ecole primaire) zweieinhalb (Zeit-)Stunden täglich dem Schreiben und Lesen gewidmet. Dabei soll das „Vergnügen am Text“ auch durch die Lektüre von Kinder- und Jugendbüchern gesteigert werden. So will man auf zehn literarische Werke pro Jahr ab der dritten Klasse kommen.

Beleidigen kommt teuer

Wegen des unzivilisierten Verhaltens der Schüler – seit Jahren Dauerthema – wird die Position der Lehrer gestärkt. Sie können künftig Sanktionen verhängen, ohne vorher die Erlaubnis bei Schul- oder Elternräten einholen zu müssen. Justizminister Dominique Perben hat bereits Zeichen gesetzt: Die Beschimpfung einer Lehrkraft kann bis zu 7500 Euro kosten oder Freiheitsentzug bis zu einem halben Jahr. Um die soziale Verantwortung der zukünftigen Citoyens zu schärfen, soll das Engagement der Schüler in gemeinnützigen Diensten gefördert werden.

Das Collège, also die vierjährige obligatorische Einheitsschule für alle
Elf- bis Fünfzehnjährigen, soll gemäß Neigungen und Berufsvorstellungen der Schüler Schwerpunkte setzen, weshalb der Minister lieber vom „collège pour tous“ spricht statt vom „collège unique“. „Einem schlechten Schüler zu
sagen: ,Lies Madame de Sévigné!', bringt doch nichts“, erklärt Ferry – der im Übrigen fließend Deutsch spricht –, stattdessen solle man „die jeweiligen individuellen Stärken fördern“.

Dass Luc Ferry eher pragmatisch das Wohl der Schüler im Auge hat denn ehrgeizige Zielvorgaben, beweist er auch mit dem Grundsatz: „Mir geht es nicht darum, dass 80 Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife erlangen, sondern dass 100 Prozent der Schüler die Schule mit einer Qualifikation verlassen.“

Zum Verantwortungsbereich des Ministers für „Jugend, Erziehung und Forschung “ gehören nicht nur rund 12,5 Millionen Schüler, sondern auch anderthalb Millionen Studenten. Lediglich 45 Prozent der Hochschüler schaffen in den vorgesehenen zwei Jahren das Zwischendiplom Deug (Diplôme d’études universitaires générales), das zum Weiterstudium für die Licence berechtigt. Als Ursache dafür sieht Ferry eine zu frühe Spezialisierung auf Kosten der Allgemeinbildung.

Dem Minister, der selbst keine der renommierten Elite-Hochschulen besucht hat, ist es ein besonderes Anliegen, die Qualitätskluft zwischen Universitäten und Grandes Ecoles zu schließen. Deshalb sollen an den Universitäten die Studiengänge hinsichtlich einer fundierten Allgemeinbildung vertieft werden. Luc Ferry denkt beispielsweise daran, für alle geistes- und sprachwissenschaftlichen Erstsemester „einen großen Geschichtskursus von der Französischen Revolution bis heute“ einzurichten. Dem auffallend nachlassenden Interesse für naturwissenschaftliche und technologische Studiengänge soll mit deren Aufwertung bereits in der Schule begegnet werden.

Messbare Leistungen

So, wie der politische Philosoph einen liberalen Humanismus gegen die aus der 68er Bewegung hervorgegangenen Systemdenker und Ideologen vertritt, so verteidigt der Bildungsminister solide schulische Basisarbeit gegenüber pädagogischen Luftschlössern. „Die freie Entfaltung des Schülers ist ein hohes Gut“, erklärt Ferry, „aber sie ist nicht alles. Man kann nicht über alles diskutieren. Es gibt eine Logik des Wissenserwerbs, die erfordert mehr Auswendiglernen als Kreativität. Das Eintrittsbillett für den Erfolg ist und bleibt die Arbeit. Im Unterricht müssen einfach Leistungen erbracht werden.“

Klangen solche Sätze früher noch nach Konterrevolution im Bildungswesen, so befindet sich Luc Ferry heute im Einklang mit den meisten Pädagogen. Sie haben ihre Lektion aus einer falsch verstandenen Demokratisierung des Unterrichts gelernt, die zu einer allgemeinen Nivellierung des Anspruchs geführt hat.

Wer wüsste wohl besser als der Philosoph, dass die Gedanken frei sind? Doch für deren Höhenflug bedarf es der gründlichen elementaren Ausbildung. „Man wird nicht Künstler, Gelehrter oder Wissenschaftler ohne hartnäckige Anstrengungen“, erklärt Luc Ferry und versichert: „Das ist keine Moralpredigt, sondern ein ganz pragmatischer Rat, eine, wenn man so will, Anti-Peter-Pan-Botschaft.“



--
Diese Liste wird vom Personal Computer Club (http://www.pcc.ac) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.