Frankfurter Rundschau 16 01 03

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Türkisch können

Diese Schule gab es noch nie

Von Dietmar Süß (kna)

HAMBURG. In den zurückliegenden Tagen hat Kerim Barcins Telefon beinahe ununterbrochen geklingelt. Doch genervt war der Erziehungsattaché des Türkischen Generalkonsulats von den vielen Nachfragen seiner Landsleute nicht. Im Gegenteil: Schließlich ist ihm die Sache - das Modellprojekt einer zweisprachigen deutsch-türkischen Grundschule - eine Herzensangelegenheit. Als bundesweit einmalige Kooperation zwischen dem deutschen und türkischen Staat startet das Generalkonsulat am 1. August das Projekt gemeinsam mit der Hamburger Behörde für Bildung und Sport.

160 000 Schüler gibt es in Hamburg, davon stammen etwa 13 000 aus der Türkei. Barcin kennt ihre Probleme: "Viele Kinder können weder ihre türkische Muttersprache noch richtig Deutsch. Sie wachsen in zwei oder drei Kulturen gleichzeitig auf." Zusammen mit der Senatsbehörde hat er ein Modell entwickelt, für das er deutsche und türkische Eltern begeistern will: An zwei Grundschulen in der Hansestadt werden im nächsten Schuljahr zusätzliche Klassen eingerichtet, in denen von Schulbeginn an 14 Stunden wöchentlich die Fächer Deutsch und Türkisch erteilt werden.

Türkisch für alle

Unterrichtet werden die 26 Schülerinnen und Schüler von zwei deutschen und einem türkischen Lehrer. Das Besondere: Die Türkei übernimmt die Finanzierung der türkischen Lehrer, die aber der deutschen Schulbehörde unterstellt sind. Die Lehrer sind zweisprachig, haben in der Türkei studiert und dort mindestens fünf Jahre unterrichtet.

Der Unterrichtsplan sieht vor, dass im ersten Schuljahr alle Kinder unabhängig von ihrer Muttersprache zusätzlich Türkisch-Unterricht erhalten. Im zweiten Jahr stehen dann Buchstaben und Laute der Partnersprache auf dem Lehrplan. Am Ende des zweiten Jahres soll der Schriftspracherwerb in beiden Sprachen "weitgehend abgeschlossen" sein. So jedenfalls die Hoffnung.

Ob das klappt, weiß Helga Büchel vom Hamburger Schulamt noch nicht genau. Aber sie ist fest davon überzeugt, dass die bilinguale Schule ein wichtiger Schritt für ein besseres Verständnis von Deutschen und Ausländern ist. Denn nicht nur die türkischen Kindern profitieren von dem Angebot; auch für die deutschen sei die "interkulturelle Kompetenz", die sie in jungen Jahren erwerben, ein großer Schatz. Schließlich erlernten sie nicht nur eine zusätzliche Sprache. "Sie erfahren auch, was es heißen kann, wenn man sich nicht richtig verständlich machen kann." Das kann helfen, die "Angst vor dem Fremden" zu überwinden, glaubt Büchel.

Dazu gehört auch die "Form eines interreligiösen Dialogs". In den ersten beiden Klassen, für die das Projekt angelegt ist, gibt es noch keine starren Fächer - und damit auch noch keinen getrennten Religionsunterricht. Der Islam werde also "eine wichtige Rolle spielen". Unterschiedliche Feste könnten den Kindern erklärt und die Kultur der anderen Religion näher gebracht werden. Allerdings betrete das Projekt gerade in dieser Hinsicht Neuland, so dass es auch noch kein "ausgefeiltes Konzept" dafür gebe.

Wissenschaftliche Begleitung

Das Hamburger Modell, das auf eine Initiative des rot-grünen Senats aus dem Jahre 1997 zurückgeht, könnte durchaus Schule machen. Anfragen aus anderen Städten gibt es bereits. Manche deutsche Eltern, erzählt Barcin, hätten allerdings noch Vorbehalte. Einige fürchteten sogar, künftig sei es für deutsche Kinder Pflicht, Türkisch zu lernen.

Dementsprechend heftig waren die Reaktionen in den Leserbriefspalten. "Alles ist freiwillig und wird zugleich wissenschaftlich begleitet", versucht der türkische Erziehungsattaché die Gemüter zu beruhigen. Einige Überzeugungsarbeit, das wissen Barcin und seine Kollegin Büchel, steht ihnen noch bevor. Aber bis August ist ja noch Zeit.


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