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Hoffnung für das deutsche Schulsystem - Schüler sollen besser gefördert werden

Gymnasium, Real- oder Hauptschule - was ist der richtige Schultyp für mein Kind, und wie biete ich ihm die besten Zukunftschancen? Spätestens nach der vierten Klasse müssen sich deutsche Schüler entscheiden, auf welche Schule sie gehen wollen. Eine folgenschwere Entscheidung, die langfristig den gesamten Ausbildungsweg vorzeichnet und damit auch über Qualifikation und eventuelle Verdienstmöglichkeiten in der Zukunft entscheidet. Ob dies jedoch der richtige Weg ist, um unseren Nachwuchs für die internationale Konkurrenz fit zu machen, wird in Zeiten des PISA-Schocks immer zweifelhafter. Denn nach Veröffentlichung der besagten OECD-Studie wurde deutlich, dass Deutschland, das Land der Dichter und Denker, im europäischen Bildungsvergleich hinterherhinkt.

Dem Reformbedarf an deutschen Schulen ist jetzt die Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie nachgegangen: Im Mittelpunkt steht die Kernfrage, wie sich aus den PISA-Ergebnissen objektive Verbesserungsansätze ableiten lassen.

Bildungsschlusslicht Deutschland
Die Studie identifiziert gravierende Defizite, die Deutschland im internationalen Vergleich aufweist. Das Beratungsinstitut kritisieren insbesondere die zu geringe individuelle Förderung der Schüler. Daneben werden die mangelhaften Qualitätskontrollen des Gesamtsystems Schule angemahnt sowie die fehlende Ausrichtungen an Leistungen im deutschen Bildungswesen. Der größte Handlungsbedarf wird jedoch in der zu frühen Aufteilung deutscher Schüler auf die verschiedenen Schultypen ermittelt. Die grundsätzliche Empfehlung lautet daher, eine spätere Trennung in Schultypen zu vollziehen.

Spätere Trennung der Schüler in Bildungswege
Laut Studie hätten bei den internationalen Schulstudien besonders diejenigen Länder gut abgeschnitten, die im Gegensatz zu Deutschland Schüler erst später auf die verschiedenen Schultypen aufteilen. Auch Lehrverbände fordern, Schüler nicht schon im Alter von zehn Jahren nach Leistungen zu trennen.

Stärkere individuelle Förderung
Außerdem müsse mit der späteren Schultrennung eine stärkere individuelle Förderung jedes einzelnen Schülers einhergehen. Dies bedeute aber nicht zwangsläufig die allgemeine Einführung der Gesamtschule. Sowohl schwächere als auch besonders begabte Kinder müssten gleichermaßen gefördert werden. Notwenig sind daher Konzepte und Lehrmethoden, die dem einzelnen Schüler helfen, seine Stärken besser zu entfalten und an seinen individuellen Schwächen zu arbeiten.

Schwerpunkt frühe Bildungsphase
McKinsey schlägt vor, ein größeres Gewicht auf die frühe Bildungsphase zu legen. Besonders bei der für den späteren Bildungserfolg wichtigen Primarstufe würde finanziell zu sehr gespart werden, lautet der Vorwurf. Denn gerade bei der frühkindlichen Bildung hinkt Deutschland sowohl in Qualität als auch in Quantität hinterher. Zwar gehen 89 Prozent der Kinder ab drei Jahren in den Kindergarten. Aber nur jedes vierte Kind kommt in den Genuss einer ganztägigen Betreuung. Zu wenig, sagen die Unternehmensberater. Krippenplätze etwa stehen nur für sieben Prozent der unter Dreijährigen zur Verfügung. Die Empfehlung lautet daher, Krippen- und Ganztagsplätze in Deutschland auszubauen, um somit die Qualität der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu verbessern. Trotz knapper Kassen könne die Primarstufe finanziell dadurch gestärkt werden, dass Mittel aus der wesentlich besser ausgestatteten Sekundarstufe umgeschichtet würden.

Bessere Qualitätskontrollen
Besonders beim Thema Qualitätsmanagement zeigt Deutschland laut Studie erhebliche Mängel. Die Modellrechnung der Unternehmensberatung errechnet anhand von Qualitätsindikatoren, dass Deutschland auffällig von den PISA-Spitzenländern abweicht. Denn während diese Länder regelmäßig Leistungen ihrer Schulen und Schüler messen, findet eine Qualitätskontrolle in Deutschland so gut wie nicht statt. Außerdem werden die Qualitätsuntersuchungen bei unseren Nachbarn regelmäßig veröffentlicht und sorgen so für konkrete Verbesserungen.

Mehr Leistungsorientierung
Handlungsbedarf gibt es auch bei der Leistungsorientierung und Eigenverantwortlichkeit deutscher Schulen. Die einzelne Schule genießt in europäischen Nachbarländern oft deutlich mehr Freiheiten und schafft es dadurch, größere Bildungserfolge zu erzielen. Die Reformempfehlung lautet daher, deutschen Schulen mehr Autonomie zu gewähren, damit sie eigenverantwortlich ihr Personal einstellen und über ihren Etat verfügen können. Zu dem müssten deutschen Lehrern größere Anreize geboten werden, ihre Lehrleistungen zu steigern. Helfen sollen variable Gehälter oder befristete Arbeitsverträge.

Mit den Originaldaten der PISA-Studie sowie zusätzlichen Daten der OECD sind insgesamt Informationen aus 27 Ländern, von knapp 6.000 Schulen und über 155.00 Schülern in die Analyse eingeflossen.

Nicole Bockstaller



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