Rheinischer Merkur 23 01 03

http://www.merkur.de/aktuell/mp/bi_030401.html

UNTERRICHTSREFORM / Das Methodentraining à la Heinz Klippert hat Hochkonjunktur Spickzettel erwünscht

Ob eine Schule gut oder schlecht ist, entscheidet sich im Klassenraum. Um gut zu sein, müssen die Schüler mehr, die Lehrer weniger arbeiten. Das Methodentraining à la Heinz Klippert hat Hochkonjunktur

RHEINISCHER MERKUR: Herr Klippert, nicht erst die Pisa-Studie hat den Blick auf das Kerngeschäft der Lehrer gelenkt: den Unterricht. Was läuft da falsch? HEINZ KLIPPERT: Im Klassenzimmer entscheidet sich, ob eine Schule gut oder schlecht ist. Unser Unterricht krankt daran, dass die Schüler zu wenig und die Lehrer zu viel arbeiten. Viele Lehrer sind hyperaktiv. Sie fragen und antworten, halten Vorträge, schreiben das Tafelbild, organisieren und planen, interpretieren, analysieren, kontrollieren, lösen Probleme, managen das Lernen – und nehmen damit dem Schüler die Chance, Ähnliches zu tun. Wir stellen zu stark auf schematisches Lernen ab, auf Tafelbild und Hefteintrag. Der Unterricht geht zu oft linear vom Lehrer zum Schüler und zurück. Das heißt, er ist zu wenig auf das selbstständige Schülerlernen, aber auch zu wenig auf Teambereitschaft und Teamfähigkeit ausgerichtet. Gerade schwächere Schüler haben beim herkömmlichen Frontalunterricht Nachteile. Sie begreifen wenig oder gar nichts und kultivieren ihre Minderwertigkeitskomplexe.

Welche Verbesserungen verspricht Ihr PSE-Konzept, also die „Pädagogische Schulentwicklung“?

Durch die systematische Förderung von Teamentwicklung und die Zusammenführung von Schülern bei der Aufgabenlösung werden Helfersysteme aufgebaut, von denen letztlich alle Schüler profitieren („organisierte Nachhilfe“). Durch die Betonung des tätigen Lernens und die kleinschrittige Förderung elementarer methodischer Routinen wie Markieren, Strukturieren, Visualisieren und Präsentieren werden die Begabungen der einzelnen Kinder gezielt mobilisiert. Das neue Lernen stellt auf die selbstständige Beschaffu ng, Verarbeitung und Anwendung von Informationen durch die Schüler ab und begünstigt damit deren Lesekompetenz, also die laut Pisa entscheidende Kompetenz für die persönliche Entwicklung des Kindes und für sein Hineinwachsen in die Gesellschaft.

Sie wollen den Unterricht entscheidend verändern. Wie?

Lehrer und Schüler brauchen ein alltagstaugliches, reichhaltiges Methodenrepertoire. Das geht nicht theoretisch über Buch oder Vortrag, sondern nur in Workshops und Trainings. Wir müssen den Schülern verstärkt experimentelle Aufgaben übertragen. Bei uns wird alles im Unterricht unternommen, damit Schüler keinen Fehler machen. Der Lehrer nimmt das Heft in die Hand, aber wenn er alles richtig macht, bedeutet das noch lange kein Themenverständnis und keine Klärung des Sachverhalts beim Schüler. Nur wenn Schüler Probleme selbst lösen, auch über Fehler und auf Umwegen, lernen sie, eigenverantwortlich zu arbeiten.

Das hat Konsequenzen für die Lehrerausbildung . . .

Wir brauchen insgesamt eine Qualitätsoffensive, die das Methodenlernen verstärkt. Es kommt bislang in der Ausbildung vor lauter Theorie in Didaktik, Fachwissenschaft und Lernpsychologie zu kurz. Diese Trainingsarbeit ist eine zentrale Aufgabe und Herausforderung für die Lehrerausbildung und ein essenzielles Merkmal der pädagogischen Schulentwicklung. Es gibt alte Routinen wie Tafelbild, Vortrag, das lehrergelenkte Unterrichtsgespräch. Nötig sind neue Routinen im Sinne der Lernorganisation und Lernmoderation: Wie bringe ich Schüler dazu, einen Text zu markieren und zu strukturieren? Ein Lernplakat herzustellen, einen Spickzettel zu schreiben und damit einen kleinen Vortrag zu halten, im Team kompetent und regelgebunden zu arbeiten? Wie bringe ich Schülern bei, ein unbekanntes Wort im Lexikon nachzuschlagen, statt nach seiner Bedeutung zu fragen?

Aber viele Lehrer arbeiten bereits so. Reicht es nicht, den Prozess zu stärken?

Es hat immer engagierte Lehrerinnen und Lehrer gegeben. Aber nach unseren Erfahrungen schafft es ein einzelner Lehrer nicht, ein alltagstaugliches Methodenrepertoire bei den Schülern aufzubauen – allein schon, weil er mit vielleicht drei oder fünf Wochenstunden in seiner Klasse zu wenig präsent ist. Außerdem reagieren die Schüler in der Regel nicht sehr erfreut, weil es sehr anstrengend ist, wenn nur ein Lehrer versucht, sie sowohl methodisch als auch beim Lernen und Arbeiten zu fordern. Er wird kritisch befragt und blockiert. Deshalb brauchen wir ein breites Kollegium. Und wir brauchen eine „Steuerungsgruppe“, also zumindest Schulleiter und Stundenplanmacher, die den systematischen Prozess unterstützt.

An klugen Reden und Empfehlungen zu Schule und Unterricht herrscht nach Pisa kein Mangel. Ist brauchbar, was unsere Bildungspolitiker so sagen?

Das Problem ist, dass sie nicht konkret beim Unterricht ansetzen, obgleich die Pisa-Studie deutlich macht, dass das Handwerkszeug der Lehrkräfte und die Lernorganisation erneuert werden müssen. Wir lösen das Problem nicht, wenn wir die Anwesenheitszeit der Schüler in der Schule verlängern, doch die Gestaltung des Unterrichts so lassen wie früher. Wir lösen das Problem auch nicht durch neue Lehrpläne oder neue Handreichungen, wenn wir nicht das Know-how der Lehrkräfte verändern. Wir brauchen aber auch deshalb einen anderen Unterricht, weil sich die Schüler verändert haben; sie können nicht mehr so rezeptiv arbeiten wie in früheren Zeiten. Auch das soziale Lernen muss verstärkt organisiert werden. Außerdem gibt es neue Anforderungen der Eltern und der Wirtschaft wie Team- und Kommunikationsfähigkeit, Problemlösungsdenken, mehr Selbstständigkeit und Methodenbeherrschung.


Die Belastung der Lehrkräfte wächst. Es gibt zu wenig junge Lehrer, die mit der neuen Schülergeneration leichter zurechtkommen. Soziale Probleme und Schulgewalt nehmen zu. Wie kann da ein Kollegium für Schul- und Unterrichtsentwicklung gewonnen werden?

Das Gros eines Kollegiums lässt sich auf schulinterne Innovationsprozesse erfahrungsgemäß nur dann ein, wenn sie überschaubar sind, nicht zu viel Arbeit machen und möglichst bald greifbare Erfolge versprechen. Schule und Unterricht müssen systematisch und nachhaltig verändert werden. Das ist etwas anderes als die Reförmchen mal hier und mal da, die rasch wieder verglühen. Wir haben in einigen Bundesländern bereits Erfahrungen mit der „Pädagogischen Schulentwicklung“ und diese auch evaluiert. Stets zeigt sich: Wo die neuen Lernformen kultiviert werden, werden die Lehrer entlastet; sie erleben mehr Unterrichtserfolg und eine größere Berufszufriedenheit. Je selbstständiger, zielstrebiger, kreativer, verantwortungsbewusster, disziplinierter, methodenbewusster, kommunikations- und kooperationsfähiger die Schüler werden, desto mehr können sich die Lehrer im Unterricht zurücknehmen.

Das Interview führte Paul Schwarz.

Fortbildung nach Pisa
Derzeit wird sein Konzept der „Pädagogischen Schulentwicklung“ (PSE) an rund 500 Schulen umgesetzt. Heinz Klippert (54), Dozent am Erziehungswissenschaftlichen Fort- und Weiterbildungsinstitut der evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz (EFWI), bildet Lehrerinnen und Lehrer zu Trainern aus. Stichworte sind handlungsorientierter Unterricht, Methodentraining, Teamentwicklung, Kommunikationstraining. Die qualitative Verbesserung von Lehren und Lernen – das PSE-Programm wird seit 1992 erprobt und systematisch weiterentwickelt – führt zu einer deutlichen Entlastung der Lehrkräfte und einer größeren Selbstständigkeit der Schüler. Klippert-trainierte Schulen gibt es in München, Nürnberg und Wien, in der Steiermark und in Niederösterreich, in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen (Modellversuch „Schule & Co.“). Etliche Bundesländer machen das PSE-Programm zu einem Schwerpunkt ihrer landesweiten Schulentwicklungsarbeit, unter anderem Hessen und Niedersachsen; auch Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt wollen ihren Unterricht à la Klippert verändern. BM

Buchtipps: Heinz Klippert, MethodenTraining; ders., Kommunikations-Training; ders., Pädagogische Schulentwicklung. Beltz Verlag, Weinheim.



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