Sehr geehrter Kollege Till!
Herbert Till schrieb:
> ... So lese ich sehr wenig bis nichts über die sozialen
> Errungenschaften im Schulbereich, die auch dazu geführt haben, dass
> seit Kreiskys Zeiten der Zugang zur Bildung für jedermann - unabhängig
> von seiter finanziellen Situation - möglich gemacht worden ist.
> Schulbuch- Schülerfreifahrten, Keine Studiengeühren...
Ich habe von Veränderungen geschrieben, die sich ereignet haben, seitdem ich selbst Schüler war - die ich also als Veränderungen erlebt habe. Gratisschulbücher und das Nichtvorhandensein von Studiengebühren waren zu meiner Zeit als Schüler bzw. Student bereits selbstverständlich, deshalb habe ich sie nicht als Veränderungen erlebt. Aber Sie haben natürlich Recht: Wenn man nicht die letzten 21 Jahre betrachtet, wie ich das getan habe, sondern einen längeren Zeitraum, dann sind auch diese positiven Veränderungen zu erwähnen. Ich stimme Ihnen zu, dass nicht alles schlecht war, was Kreisky eingeführt hat.
> Als Mathematiker könnten sie gerne einmal die Schüler- und
> Lehrerzahlen für diesen Zeitraum gegenüberstellen. Vielleicht liegt
> darin auch eine Erklärung von "30 jähriger katastr.
> Finanzpoilitik......".(könnte aus einem Leserbrief der Kronenzeitung
> entnommen sein) ...
Ich stimme Ihnen auch zu, dass sich die Relation der Schüler- und Lehrerzahlen verbessert hat - und zwar nicht nur unter Kreisky, sondern auch vorher (als meine Eltern in die Schule gingen, waren die Klassen noch viel größer als 1970) und nachher (als ich Schüler war, galt noch die Klassenschülerhöchstzahl 36) bis etwa Mitte der 90er-Jahre. Seit Mitte der 90er-Jahre, also sowohl während der letzten Jahre der rot-schwarzen Koalition als auch während der schwarz-blauen Koalition, wurden zwar nicht die Gesetze, die die Klassenschülerzahlen regeln, verschlechtert, sie wurden aber leider unter dem Druck eines riesigen, staatlichen Schuldenbergs restriktiver angewandt.
Meine Überzeugung, dass die Finanzpolitik der Jahre 1970 bis 2000 eine Katastrophe war, stammt nicht aus einem Leserbrief der Kronenzeitung, sondern stützt sich auf Fakten: Kreisky und Androsch behaupteten, bei ihrer Finanzpolitik den Thesen des Wirtschaftswissenschaftlers Keynes zu folgen. Während aber Keynes dafür eintrat, in Zeiten schlechter Konjunktur ein Defizit in Kauf zu nehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, und in Zeiten guter Konjunktur weniger Geld auszugeben, was über einen Konjunkturzyklus hinweg im Mittel ein ausgeglichenes Budget ergeben hätte, explodierten unsere Budgetdefizite ab 1970 trotz Hochkonjunktur. Damals wurde einfach mehr ausgegeben, als vorhanden war, ohne daran zu denken, dass Schulden mit Zinsen und Zinseszinsen zurückgezahlt werden müssen. Als 1973 durch den Ölpreisschock die Konjunktur einbrach, wurde das Defizit natürlich noch höher. Auch als die Konjunktur ein paar Jahre später wieder besser wurde, wurde nicht gespart. Als 1986 eine rot-schwarze Koalition kam, waren die Schulden bereits so hoch, dass ein ausgeglichenes Budget nicht mehr so einfach zu erreichen war. Obwohl in manchen Jahren gespart wurde und die Staatsschulden deshalb langsamer zunahmen als bei einer unveränderten Fortsetzung der Politik der 70er- und früher 80er-Jahre, kam es zu keiner Sanierung des Budgets, vor allem weil jeweils vor Wahlen teure Wahlzuckerl verteilt wurden. Erst seit 2000 gibt es ernsthafte Bemühungen, ein ausgeglichenes Budget zu erreichen. Das Budget ist zwar bei weitem noch nicht saniert, aber es sieht besser aus als noch vor ein paar Jahren. Derzeit zahlen wir pro Jahr über 7 Milliarden Euro (über 100 Milliarden
Schilling) Zinsen für unsere Schulden - und ich meine wirklich Zinsen, d.h. in diesem Betrag sind keine Kapitalrückzahlungen enthalten. Der Schuldenberg wird also trotz dieser Zahlungen nicht kleiner. Unter solchen Bedingungen ist eine Budgetsanierung schwierig, aber je länger man damit wartet, desto schlimmer wird die Situation.
Um Missverständnisse zu vermeiden:
Ich behaupte weder, dass alle Reformen der Kreisky-Ära schlecht waren, noch, dass jede Reform schlecht ist, die Geld kostet. Eine vernünftige Finanzpolitik muss abwägen, welche Ausgaben wichtiger sind und welche Ausgaben nicht so wichtig sind und deshalb unterbleiben müssen, wenn das Geld nicht reicht. Wenn man dabei zum Ergebnis käme, dass Ausgaben für das Bildungssystem zu den wichtigeren gehören, weil eine gute Bildung der Jugend zur Sicherung der Zukunft einer Gesellschaft beiträgt, wäre das durchaus in Ordnung. Dafür müsste man aber an anderer Stelle sparen, und das ist jahrzehntelang nicht geschehen. Wenn man allein die riesigen Beträge betrachtet, die zur vorübergehenden Erhaltung der Arbeitsplätze in der VÖEST ausgegeben wurden (etliche Zig-Milliarden pro Jahr über viele Jahre hinweg), obwohl absehbar war, dass man damit diese Arbeitsplätze nicht auf Dauer halten konnte, dass das Geld also in einem Fass ohne Boden verschwand, ohne den angestrebten Effekt zu erzielen, dann werden die Ursachen für die Budgetprobleme, die uns heute auf den Kopf fallen, erkennbar.
> Ich weiß dass in den letzen 30 Jahren sehr viel geschehen ist,
> gewaltige (auch finanzielle)Anstrengungen, sind notwendig gewesen um
> das gute österr. Schulsystem aufzubauen. Erst in den letzten Jahren
> wurde hier - entgegen ständig anderslauternder Behauptungen - ein
> restriktiver Kurs gefahren. ...
Unser Schulsystem wurde nicht erst in den letzten 30 Jahren aufgebaut, sondern ein schon vorher bestehendes, ausgezeichnetes Schulsystem wurde weiter entwickelt. Reformen gab es immer, nicht nur in den letzten 30 Jahren, und zwar sowohl positive als auch negative.
> Die Gefahr dass unser öffentliches Schulwesen zu Gunsten eines
> privaten Ausbildungsmarktes (GATS) immer weiter "zurückgefahren" wird
> ist bei den derzeitigen politschen Akteuren größer denn je.
Das ist eine Unterstellung, die durch nichts gerechtfertigt ist. Von den derzeit in Österreich in der Bildungspolitik tätigen Akteuren habe ich von keinem gehört, dass er das öffentliche Schulwesen zugunsten eines privaten Ausbildungsmarktes zurückfahren will. US-amerikanische Zustände haben wir hier zum Glück nicht. Mich würde interessieren, warum diese Unterstellung von manchen immer wieder wiederholt wird. Liegt es daran, dass die Personen, die das behaupten, sich wegen ihrer unterschiedlichen Weltanschauung überhaupt nicht in die Denkweise eines "schwarzen" Bildungpolitikers versetzen können und deshalb annehmen, jeder Nicht-Sozialist würde wie Thatcher oder Bush denken? Oder wird diese Behauptung einfach nach dem Motto aufgestellt, dass man etwas nur oft genug behaupten muss, damit es geglaubt wird?
Mit freundlichen Grüßen
Peter Friebel
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