Presse 30 01 03

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Über Lehrerbildung: Berufswissen und Berufsethos

Neben dem nötigen Fachwissen muß unseren Lehrern ein Berufsethos mitgegeben werden.

GASTKOMMENTAR VON MARIAN HEITGER
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Der Autor ist emeritierter Universitätsprofessor für Erziehungswissenschaften.

Seit vielen Jahren machen sich Bildungspolitiker und Erziehungswissenschaftler Gedanken über eine angemessene Lehrerbildung. Auch die Pisa-Studie läßt bei allen Unwägbarkeiten den Schluß zu, daß wesentliche Gründe für pädagogischen Erfolg oder Mißerfolg Ansehen, Ausbildung und Bildung der Lehrer sind. Gerade aber damit sieht es in Österreich nicht besonders gut aus. Das Ministerium sucht diesen Zustand zu verbessern. In wenigen Jahren sollen aus den pädagogischen Akademien wissenschaftliche Hochschulen werden, die auch einen akademischen Titel verleihen können. Wenn das mehr als eine Augenauswischerei sein soll, dann wird man sich erneut Gedanken darüber zu machen haben, was denn Lehrerbildung zu sein habe, welche Ziele und Absichten ihr zugrunde gelegt sind, wie sie zu organisieren ist, welche Curricula entwickelt werden müssen.

Alle Einzelfragen werden sich darauf zu konzentrieren haben, wie Berufswissen und Können auf der einen Seite mit dem Berufsethos auf der anderen zu verbinden sind, bzw. ob diese beiden überhaupt zusammengehören. Das Problem ist in anderen Berufsfeldern nicht unbekannt. Die Medizin hilft sich mit Ethikkommissionen, ähnlich wird es bei der Biologie und anderen Naturwissenschaften sein müssen.

In der Pädagogik ist die Situation anders. Hier gehört das grundsätzliche Denken, die philosophische Reflexion zu ihrem Problemstand unmittelbar hinzu. Sie kann in ihrer Praxis weder mit kausalen Gesetzmäßigkeiten rechnen, die den sicheren Erfolg herbeiführen, noch kann sie sich mit wissenschaftlich angereicherten Beschreibungen, der Wirklichkeit von Gesellschaft und Kindheit, Jugend und Schule zufrieden geben, und auch die so beliebten-statistischen und dazu kostenintensiven Erhebungen lösen für den nachdenklichen Lehrer nicht die Frage nach Sinn und Zweck seines Tuns, seiner Praxis. Wo Lehrerbildung diese Frage als überflüssig abtut, wo Erziehungswissenschaft auf sie verzichtet bzw. als unwissenschaftlich diskriminiert, da wird pädagogische Praxis zur Routine, zur Ausübung einer von anderen befohlenen Tätigkeit. Pädagogisches Ethos, d. h. die im Lehrberuf geltende Verpflichtung auf Bildung und das Wohl des Kindes läßt sich nicht durch amtliche Reglementierungen, durch Erlässe ersetzen; sie machen den Lehrer zum gedankenlosen Funktionär.

Wenn man das Unbehagen der Lehrer an ihrem Beruf, das sehnsüchtige Erwarten der eigenen Pension, wenn man die weit verbreitete öffentliche Mißachtung des Lehrberufes nicht mit selbstgefälliger Schadenfreude begleitet, dann ist der Verlust der Gewißheit von Sinn des eigenen Tuns als Motiv wohl nicht ganz auszuschließen.

Diesem Elend des Lehrberufes und unserer Schulen gegenüber kann man nicht gleichgültig bleiben, denn jene Stimmung wird kaum zum pädagogischen Erfolg beitragen. Wenn es in der Lehrerbildung nicht gelingt, dem zukünftigen Lehrer jenes Ethos zu vermitteln, auf das sein Beruf unverzichtbar verwiesen ist, auf die pädagogische Liebe zu den Schülern, als Achtung vor ihrer Personalität, als Verpflichtung, ihnen zu helfen, sich zu bilden, als Auftrag, sie mit den hochwertigen Werken unserer Kultur vertraut zu machen, als ihr Anwalt gegenüber unangemessenen Ansprüchen ideologischer, wirtschaftlicher oder überhaupt herrschaftlicher Art, aber auch als Anwalt unbequemer Ansprüche an Wissen und Haltung, dann wird Schule eine freudlose, triste Angelegenheit sein.

Dieser Kommentar drückt die persönliche Meinung des Autors aus.





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