Liebe Kolleginnen und Kollegen!
> Helmut Handler-Kunze schrieb:
>
> In der benachbarten Schweiz sind 45 min Stunden durchaus üblich. Und
> die Koll. verdienen dennoch das Zwei - bis Dreifache. ...
Machen wir uns nichts vor:
Wenn bei uns 45-min-Stunden eingeführt würden, würde man gleichzeitig unsere Lehrverpflichtung um 10% hinaufschnalzen - und zwar ohne dafür unsere Gehälter zu erhöhen (vom Schweizer Niveau gar nicht zu reden).
Dadurch würde unsere Unterrichtszeit zwar gleich bleiben, aber die anderen Tätigkeiten würden entweder gleich bleiben (z.B. Konferenzen, andere administrative Tätigkeiten) oder sogar steigen (Hefte korrigieren, Unterrichtsvorbereitung), weil wir ja dann mehr Klassen unterrichten müssten.
Gleichzeitig würde das bei "optimistischer" Schätzung (also unter der Annahme, dass ein Teil durch Abbau der restlichen Mehrdienstleistungen aufgefangen würde) zur Vernichtung von vielen hundert Dienstposten in der AHS bzw. etlichen tausend Dienstposten in der Pflichtschule führen - ein Ausmaß, das zweifellos nicht durch Pensionierungen allein zu erreichen wäre.
Von der sinnvoll nutzbaren Unterrichtszeit würden deutlich mehr als 10% verloren gehen: Ein paar Minuten brauche ich für den Weg zur Klasse (der in der Realität meistens nicht in der Pause zurückgelegt werden kann, besonders dann nicht, wenn die Pausen wie an meiner Schule meistens nur 5 min dauern; außerdem muss man irgendwann auch noch ein paar Worte mit Kolleginnen und Kollegen wechseln können, z.B. über pädagogische Fragen, die eine gemeinsam unterrichtete Klasse betreffen). Die Ermittlung, welche Schüler fehlen, und deren Eintragung ins Klassenbuch gehen zwar meistens schnell, dürfen aber trotzdem nicht vergessen werden. Dann ist manchmal noch Organisatorisches zu erledigen, insbesondere als Klassenvorstand. Schließlich braucht man auch Aufzeichnungen über die Leistungen, also geht ein Teil der Stunde für "Prüfen" drauf (ich meine natürlich nicht nur "mündliche Prüfungen", sondern Wiederholungen, also "Beobachtung der Mitarbeit" beim "Sichern des Unterrichtsertrages"). Von den weit weniger als 50 min würden dann 5 min weggenommen, also weit mehr als 10%. Eigentlich müsste man dann, wenn das Niveau unserer Maturanten nicht sinken soll, die AHS und die BHS um mindestens ein Jahr verlängern - das kommt aber nicht nur aus finanziellen Gründen (die Lehrer wären zu bezahlen) nicht in Frage, sondern würde auch andere Probleme verursachen.
Wollen wir uns diese Nachteile (mehr Arbeitsbelastung pro Lehrer, arbeitslose Lehrer und weniger Unterricht für die Schüler) wirklich antun? Haben wir es wirklich notwendig, solche Ideen in einem "Lehrerforum" so lange zu diskutieren, bis sie vielleicht jemand aufgreift? Es lesen nämlich nicht nur Lehrer mit. Oder sollten wir nicht eher hoffen, dass eine dumme Äußerung eines Landesrats möglichst rasch in Vergessenheit gerät, dem es offensichtlich nicht um Bildungspolitik (von der er wenig Ahnung haben dürfte) geht, sondern nur darum, dass die armen Kinder in der Früh länger schlafen können (und die Wohnung erst nach ihren berufstätigen Eltern verlassen - wie angenehm das besonders bei kleineren Kindern für die Eltern ist, hat sich der Herr Landesrat wahrscheinlich nicht überlegt). Von unseren Standesvertretern erwarte ich natürlich, dass sie innerhalb der ihnen nahestehenden politischen Parteien Lobbying gegen diesen Unfug machen - aber diplomatisch, nicht laut in der Öffentlichkeit (sonst bekommen wir nur wieder von Unwissenden vorgehalten, dass wir ohnehin einen Halbtagsjob hätten)!
> ... Allerdings sind dort (Anm.: in der Schweiz)
> auch Vorbereitungsstunden in der Schule inkludiert. ...
Bei uns sind Vorbereitungsstunden auch inkludiert - nur mit dem Unterschied, dass wir unsere Vorbereitung zu Hause machen müssen, also die Infrastruktur dafür (Schreibtisch, Arbeitszimmer, Bibliothek, ...) selbst bezahlen müssen, noch dazu ohne Möglichkeit, das Arbeitszimmer als Werbungskosten steuerlich geltend zu machen. Alle, die von Zeit zu Zeit fordern, dass wir unsere Arbeit in der Schule machen sollen (damit auch für Nicht-Lehrer nachvollziehbar ist, wer die 40-Stunden-Woche um wie viel überzieht), mögen auch durchsetzen, dass wir die dafür nötige Infrastruktur in der Schule bekommen. Ich meine damit nicht (wie an meiner Schule, deren Ausstattung sicher nicht unterdurchschnittlich ist) 4 Computer im Konferenzzimmer gemeinsam für über 70 Lehrer, einen winzigen Tisch für die meisten von uns (nicht für alle, denn die Schule war ursprünglich für wesentlich weniger Kolleginnen und Kollegen konzipiert) und ein winziges Kastl pro Person, sondern einen eigenen Computer für jeden Lehrer, annähernd so viele Regale für diverse Unterlagen und Bücher, wie ich mir zu Hause selbst finanziert habe, ausreichend Fachliteratur und natürlich einen Schreibtisch, der so groß ist, dass man darauf wirklich arbeiten kann (also etwa so groß wie der Schreibtisch, der derzeit im Büro eines Direktors oder eines Administrators steht).
> ... Eine pädagogisch durchaus sinnvolle Diskussion aus Angst vor
> Gehaltsverlusten zu verweigern ist typisch für unseren Berufsstand.
> Natürlich, wenn die Töpfe (A,B,C) rauchen ist Vorsicht angebracht. ...
Ob die Kürzung der Unterrichtsstunden pädagogisch sinnvoll ist, bezweifle ich (siehe oben). Und dass eine Berufsgruppe, der in den letzten Jahren mehrmals das Gehalt deutlich gekürzt wurde, vor weiteren Verlusten Angst hat, dürfte eigentlich nicht überraschen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich gehöre sehr wohl zu den vielen Lehrern, die oft mehr machen als vom Dienstgeber bezahlt wird - vor allem dann, wenn ich mich selbst, also ohne Druck seitens des Dienstgebers, freiwillig dafür entscheiden kann, etwa weil ich die Tätigkeit interessant finde oder weil ich überzeugt bin, damit meinen Schülern oder meinen Kollegen zu helfen. Der Idealismus endet für mich aber, wenn Mehrarbeit vom Dienstgeber angeordnet, aber nicht abgegolten werden soll, oder wenn für gleich viel Arbeit die Bezahlung gekürzt werden soll.
> ... Alle wissenschaftlichen Untersuchungen und ich glaube auch unsere
> beruflichen Erfahrungen zeigen, dass Kinder in unserem System
> überfordert sind. ...
Ich habe beim Großteil meiner Schüler nicht den Eindruck, dass sie überfordert sind. Sonst würden sie nicht zahlreiche unverbindliche Übungen wählen, Wahlpflichtgegenstände überbuchen, freiwillig an Theaterfahrten oder an abendlichen Fahrten zu wissenschaftlichen Vorträgen teilnehmen, einen Schulball vorbildlich organisieren, Fachbereichsarbeiten schreiben und großteils vernünftig im Unterricht mitarbeiten.
> ... Maximal 20 min einiger Stunden sind wirklich nützlich. Der Rest
> dient dem Systemdrill. Und der "Denkbehinderung". ...
Ob ich in meinem Unterricht die Schüler beim Denken behindere oder fördere, liegt vor allem daran, wie ich unterrichte. Und der organisatorische Kram, der am Anfang der Stunde oft zu erledigen ist, wird nicht dadurch weniger, dass man die Stunde um 5 min verkürzt.
> ... Ein gewisser "von Bartenstein" hat die Stundenpläne der Kinder
> Maria Theresias gebaut. 30 min Einheiten. Und das vor 250 Jahren.
>
> Wem ist eigentlich diese kinderfeindliche Organisationsstruktur
> unserer Bildungseinrichtungen eingefallen? Schwachsinn zum Quadrat: 50
> min Geschichte, 50 min Mathe, 50 min Deutsch usw. Gegen jede
> wissenschaftliche Lerntheorie, gegen alle Grundsätze der
> Gesundheitserziehung (Haltungsturnen soll dann helfen?!), gegen alle
> Erkenntnisse der Gruppendynamik werden junge Menschen in unseren
> Schulen am Lernen gehindert. In der Entfaltung ihrer Persönlichkeit
> behindert. Die Ausbildung sozialer Kompetenzen verhindert. ...
Natürlich könnte man den Unterricht auch völlig anders organisieren. Wenn man z.B. kürzere Unterrichtseinheiten machen will, braucht man dafür mehr Einheiten. Ich glaube aber nicht, dass 50-min-Einheiten per se die Ausbildung sozialer Kompetenzen verhindern.
Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass eine Diskussion über alternative Möglichkeiten der Organisation des Unterrichts sinnvoll sein kann. Dann darf aber nicht bloß die Kürzung der Unterrichtsstunden um 5 min im Zentrum der Diskussion stehen, denn sonst nimmt der (nicht
gekürzte) nicht-produktive Teil der Stunde (Administration, prüfen etc.) einen noch größeren Prozentsatz der Stunde ein als derzeit. Außerdem sollten wir uns für eine solche Diskussion einen günstigeren Zeitpunkt suchen, also nicht einen Zeitpunkt, zu dem gerade eine neu zu bildende Regierung nach Wegen zur Bekämpfung des Budgetdefizits suchen muss und daher ein Sparpaket schnüren wird - sonst laufen wir nämlich Gefahr, dass der Unterricht nicht nach pädagogischen, sondern nach budgetpolitischen Gesichtspunkten neu geordnet wird - und die stehen häufig im Widerspruch zueinander.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Friebel
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