Betrifft: "Vorstoß für kürzere Unterrichtsstunde" von Martina Salomon
DER STANDARD, 19. 2. 2003

Über eine Verlagerung des Schulbeginns kann man sicher diskutieren - eine Verkürzung der Unterrichtseinheiten muss unter allen Umständen verhindert werden. Bereits heute werden im realen Schulalltag selten mehr als 40 Minuten für den Unterricht verwendet. Die restliche Zeit wird durch administrative Angelegenheiten (Anwesenheitskontrolle, Hausübung, Entschuldigungen, organisatorische Tätigkeiten usw.) in Anspruch genommen.
Des Weiteren ist es blauäugig zu glauben, dass man dadurch die Belastung der Schüler mindert - das gleiche Arbeitspensum in einer geringeren Zeit zu vollbringen kann sicher nicht als Entlastung gesehen werden. Zusätzlich verschärft wird diese Situation durch steigende Klassenschülerzahlen, die die ohnehin schon knappe Zeit, die einem Lehrer pro Schüler verbleibt, noch mehr einschränken.
Bernhard Winter
1210 Wien


Kommentar E.W.:

Dieser Leserbrief aus dem heutigen STANDARD greift ein Argument aus dem ausführlichen Kommentar auf, den Koll. Friebel gestern ins LF gestellt hat.
Das zweite Argument des Leserbriefschreibers - gleiches Arbeitspensum in weniger Zeit für die Schüler - würde sich etwa folgendermaßen auswirken:

Da bei Kürzung von 50 auf 45 Minuten die "eigentliche" Unterrichtszeit um deutlich mehr als 10% sinkt, hieße das etwa für das Fach Englisch an einer AHS, daß - über acht Jahre gerechnet - ein ganzes Jahr (!) an "produktivem" Unterricht verloren ginge.
Ich nenne Englisch deshalb, weil ich miterlebt habe, wie vor einigen Jahren dort die 5 Stunden in der ersten Klasse auf 4 reduziert wurden. Die Begründung damals klang erstaunlich vertraut: Die Lieben Kleinen müssen geschont werden. Sollte sich aber irgendwer eingebildet haben, bei 20% Reduktion der Zeit müsse doch wohl auch der Lehrplan angepaßt werden, dann sah er sich enttäuscht: Weder der Lehrplan noch die approbierten Lehrücher wurden verändert - die Bewältigung der Aufgabe (= dieselben Ziele in 4/5 der Zeit zu erreichen) wurde vertrauensvoll dem pädagogischen Genius der Lehrkraft überlassen.
Wenn also damals - wo der Einschnitt noch gravierender und demonstrabler war - kein Jota vom Lernziel abgegangen wurde, dann braucht niemand zu erwarten, daß bei einer 45-Minuten-Stunde und einem Verlust von einem ganzen Schuljahr über acht Jahre irgendwas an den Matura-Zielen geändert würde.


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