DER STANDARD
Mittwoch, 5. März 2003, Seite 8

Heftige Reaktion auf Gehrer-Plan

Kritiker vermuten Budgetsanierung auf Kosten des Unterrichts
Wien - "Ein Täuschungsmanöver" nennt die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ) den am Montag präsentierten Plan von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP), zwei Unterrichtsstunden pro Woche zu streichen. Es gehe dabei nicht um pädagogischen Fortschritt, sondern lediglich um Kürzungen, meinte
Brandsteidl: "Die einzige Überlegung der Bundesregierung lautet: Wie kann man Bildung billiger machen?" Unbestritten sei, dass die österreichischen Kinder im internationalen Vergleich lange in der Klasse sitzen müssten und eine Diskussion darüber sinnvoll wäre. Aber bei dieser Reduzierung gehe es um "Budgetkürzungspolitik in Reinkultur", so Brandsteidl. Die Arbeiterkammer wiederum kann sich eine Kürzung zwar in höheren Schulen, nicht aber in der Volksschule vorstellen. Kritik kommt auch von den SP-LehrerInnen. Sie konterten mit einem
Gegenvorschlag: Der Religionsunterricht könnte gekürzt werden. Nach Ansicht des Grünen-Bildungssprechers Dieter Brosz ist es "schlicht und einfach die Unwahrheit", wenn Gehrer als Auswirkung der Stundenreduktion nur vom Abbau einiger Überstunden spreche. Im Unterrichtsbereich solle, wie im Koalitionspapier fixiert, der Struktureffekt kompensiert werden, also die Steigerung der Personalkosten durch die Biennal-Sprünge. Dies bedeutet nach Berechnungen Brosz' bis 2006 einen Abbau von annähernd 4000 Lehrerdienstposten. Während Schülervertreter jubeln und Lehrervertreter protestieren, zeigt sich die Elternvertretung eher abwartend. Eine mögliche Stundenreduktion müsse man sich je nach Schultyp ansehen, betonte der Vorsitzende des Österreichischen Verbands der Elternvereine an Pflichtschulen, Kurt Kremzar. Vor allem stelle sich die Frage, bei welchen Fächern man kürzen wolle und auf welche Weise dies geschehe. Am ehesten hält Kremzar eine Kürzung der Unterrichtsstunden an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen für sinnvoll. Laut Pisa-Zentrum Österreich hat die Zahl der Unterrichtsstunden keine Auswirkungen auf die Schulleistungen (siehe Interview und Grafik). Der Vergleich zeigt, dass etwa Länder wie Finnland und Schweden, wo die
Zwölf- bis 14-Jährigen im EU-Vergleich am kürzesten in der Klasse sitzen, Spitzenleistungen sowohl bei der Lesefertigkeit als auch in Mathematik erzielen. (red)

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