DER STANDARD
Mittwoch, 5. März 2003, Seite 32

Neuerfindung des Schulwesens

Arbeitszeitverkürzung für Schüler ist gut, aber nötig wären viel radikalere Reformen

Martina Salomon

Könnte man die Schule neu erfinden, müsste sie ganz anders aussehen. Doch das heimische System ist - unter anderem wegen der nötigen Zweidrittelmehrheit im Parlament - so starr, dass Reformen meist Jahrzehnte dauern. Budgetär schwierige Zeiten lassen außerdem keine großen Sprünge zu. So hat Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer zumindest einen kleinen gewagt. Sie will eine Arbeitszeitverkürzung für Schüler - was vernünftig ist (und übrigens auch von der jetzt recht kritischen SPÖ seit langem gefordert wird). Selbst wenn nun zwei Unterrichtsstunden pro Woche fallen, bleiben Österreichs Kinder bei der Stundenbelastung an der EU-Spitze! Ein wenig verdächtig ist nur der Zeitpunkt: In Sparzeiten bekommt ein derartiger Vorschlag leicht den Anhauch einer Bildungsbudgetkürzung. Die Ministerin hat tatsächlich ein finanzielles Dilemma: Da sich die Lehrerschaft nach der großen Einstellungswelle der 70er-Jahre durchschnittlich gerade im "teuersten" Alter befindet, wird das Schulbudget noch rund zehn Jahre stetig ansteigen. Gleichzeitig wacht die Lehrergewerkschaft mit Argusaugen darüber, dass sich im System nicht das Geringste ändert: Polemisch betrachtet, müssten Schüler am besten noch viel länger im Unterricht sitzen - damit alle Pädagogen beschäftigt sind. Wie aber könnte eine "neu erfundene" Schule aussehen? Sie wäre natürlich ein Ganztagsmodell wie bei Pisa-Sieger Finnland; der Samstag wäre
schulfrei; der Unterricht würde wie in fast allen westlichen Ländern üblich um halb neun beginnen, mit freiwilligen Förder- oder Betreuungsstunden am Morgen, selbstverständlich einem warmen Mittagessen und genügend Bewegungsraum für die Schüler. Eine Aufteilung der Kinder würde nicht so früh wie in Österreich und Deutschland geschehen. Wie kann man bei zehnjährigen Kindern zweifelsfrei wissen, in welche Richtung sie sich entwickeln werden? Schulerfolg würde nicht von der Bildung und der Zeit der Eltern abhängen. Und die böse alte Frage "Geht's Ihnen gut, oder haben Sie Kinder im Gymnasium?" würde sich endlich erübrigen. Das fantasielose und zu tödlicher Langeweile führende Aneinanderreihen unterschiedlichster Gegenstände (arme Lehrer, die in der sechsten Stunde unterrichten müssen!) sollte längst passé sein: Blockunterricht, fächerübergreifendes, praxisorientierteres Lehren sollte die Regel und nicht die Ausnahme sein. Schüler bekommen Feedbackbögen zur Lehrerbeurteilung, die beliebtesten und erfolgreichsten Pädagogen werden von der Schule speziell gewürdigt. Lehrer arbeiten im Team, Neueinsteiger werden nicht gleich in die schwierigste Klasse mit den schlimmsten Pubertätlingen gesteckt. Pädagogen erhalten einen vernünftigen Arbeitsplatz an der Schule. Der nach wie vor unerträgliche politische Einfluss auf Direktoren- und häufig auch Lehrerbestellungen wird beseitigt. Gleichzeitig gäbe es vernünftige Standards (an denen das Ministerium bereits arbeitet), mit deren Hilfe Schulen zumindest ihr Niveau messen können. Es muss ja nicht gleich eine Zentralmatura wie in Frankreich eingeführt werden. Und wie schaut die Realität aus? Im Regierungsprogramm gibt es nicht einmal eine winzige Willenserklärung für mehr ganztägige Schulformen, wofür die Länder endlich umfassend sorgen müssten. Wer so etwas braucht, muss seine Kinder in teure internationale oder konservative Privatschulen stecken.
In der Steiermark wiederum, wo arme Pflichtschüler absurderweise bereits ab halb acht die Schulbank drücken müssen, bricht gerade die Bildungskatastrophe aus, weil der zuständige Landesrat den Unterrichtsbeginn in ausgewählten Versuchsschulen um eine halbe Stunde nach hinten verlegen will. Wenn es eine Arbeitszeitverkürzung für Schüler gibt, schreit die Opposition auf. Weil Schulreformen des politischen Gegners - egal, wie vernünftig sie auch sein mögen - seit Jahrzehnten prinzipiell boykottiert werden. Willkommen in Österreich!


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