Lieber Kollege Wallner,

Danke für Ihren Diskussionsbeitrag. Hier meine etwas andere Stellungnahme:

Auch Gesamtschulen gliederen sich in solche mit
a) innerer Differenzierung
b) äußerer Differenzierung (streaming , setting groups etc.), wobei die Gruppenbildung auch aufgrund von Interessen und nicht nur der Leistung gebildet wird

Der Hinweis auf meine Formulierung "attraktive Gymnasium" war und ist unter "..." gesetzt, um auszudrücken, dass bei einer möglichen Wahl zwischen HS/Realschule oder Gymnasium die in der Gesellschaft angesehenere Form seitens der Eltern für ihre Kinder in Frage kommt. Apropos HS am Land: Es handelt sich in einigen Fällen um eine äußere Differenzierung in den Erstfächern (ähnlich differenzierter Gesamtschulen), doch so manch eine HS hat sich inzwischen durch einen Schulversuch vom - für mich - verunglückten Leistungsdifferenzierungsmodell der damals 'neuen HS' verabschiedet.

Ich persönlich bin ein Befürworter einer gemeinsamen Schule auch der 10-15 jährigen und einer gemeinsamen Ausbildung der LehrerInnen für diese Stufe. Meine Gründe sind keine ideologischen, sondern human-pädagogischer Art.

Der Opernball in Wien hat mir wieder einmal deutlich das verknöchert
Dreiklassensystem in unserem Land vor Augen geführt, mit seinen Anfängen
in der K&K-Zeit und seiner Fortführung auch in unserem Schulsystem.

Arnold Gritsch





----- Original Message -----
From: "Erich Wallner"
To: "'Arnold'" ; "'Lehrerforum'"
Sent: Sunday, March 09, 2003 9:13 PM
Subject: AW: Schule Schuld an Ungleichheit (3)


> Zwar freue ich mich immer, wenn ich im LF Antworten bekomme, aber noch
> viel mehr würde ich mich freuen, wenn diese auch auf meine Argumente
> Bezug nähmen.
>
> Mein 1. Argument hat gelautet: Auch eine Gesamtschule ändert nichts an
> jenem Bildungsgefälle, welches aus der Wurschtigkeit der Eltern
> resultiert. Dazu hat Kollege Gritsch leider nichts gesagt. Mein 2.
> Argument lautete: Wenn man gute und schlechte Schüler in einen Raum
> zusammen sperrt und gemeinsam unterrichtet, schließen deshalb die
> schlechten nicht automatisch zu den guten auf. Anstatt zu erklären,
> warum hier der gesunde Menschenverstand nicht mehr gelten solle, hat
> Kollege Gritsch - wie diverse Vorgänger zu diesem Thema - die
> PISA-Studie hervorgekramt. Wohlan denn: Vor einiger Zeit habe ich aus
> einem Interview mit der finnischen Bildungsministerin eine Passage
> hervorgehoben und im LF gepostet. Da ich mich nicht wiederholen
> möchte, zitiere ich dieselbe Idee aus einer ganz anderen Quelle,
> nämlich einem rororo-TB, welches ich gleichzeitig allen
> Anglistik-KollegInnen ans Herz legen möchte, weil es einfach
> vergnüglich zu lesen ist und nicht viel kostet: Uwe Kreisel / Pamela
> Ann Tabbert: Smarte Sprüche USA / Slang und Witz in allen Lebenslagen.
> Dortselbst Seite 152 (Es geht um Filme im Fernsehen):
>
> "Im Norden Europas [...] wird nur in den Untertiteln übersetzt:
> Holland, Dänemark, Schweden - um nur einige Länder zu nennen - bieten
> im Fernsehen viel in Originalfassung. Mit wunderbaren Folgen für die
> Volksbildung: In Sachen Fremdsprachen stecken die Kinder des Nordens
> unsere Schüler locker in den Sack. Selbst lesen könne sie besser: Die
> über den Bildschirm huschenden Untertitel lesen selbst die Kleineren
> in einem Tempo, wie es unsere ABC-Schützen erst zwei Grundschulklassen
> später erreichen."
>
> Wenn finnische Kinder in der PISA-Studie in sprachlichen Belangen vor
> unseren österreichischen liegen, dann ziehe ich im Lichte des oben
> Zitierten daraus den Schluß: Wie gut könnten die Talentierten unter
> ihnen erst sein, wenn sie nicht von der Gesamtschule gebremst würden!
> Dabei habe ich hier ja nur einen einzigen Unterschied in den
> Rahmenbedingungen zitiert, in Wirklichkeit gibt es sicher noch viel
> mehr. Nur auf das Ergebnis zu schauen ist zu wenig!
>
> Kollege Gritsch dekuvriert sich ja selber, wenn er von den
> "attraktiven Gymnasien" in Deutschland spricht: Dort, wo man den
> Leuten noch die Wahl läßt, stimmen sie ja eh mit den Füßen ab.
>
> Was die guten österreichischen Land-Hauptschulen betrifft, so ist
> dieses Argument aus dem einfachen Grund nicht zulässig, weil eine
> Schule mit Leistungsgruppen (in den Schularbeitsgegenständen) eben
> gerade keine Gesamtschule ist! Da ist dem Kollegen Gritsch ein
> Freud'scher Versprecher unterlaufen - ausgerechnet ein
> leistungsdifferenziertes System, welches den Klassenverband in 3 x 3 =
> 9 Untergruppen zerreißt, als Argument für die "Gesamt"schule
> heranzuziehen! Ein echtes Kriterium wäre ein Vergleich ländlicher
> Hauptschüler mit AHS-Schülern in den Fächern Geografie, Geschichte,
> Physik etc. Kennt jemand einen solchen Vergleich, oder ist er
> (wohlweislich?) bisher noch nie unternommen worden?
> Können wir uns darauf einigen, daß ein solcher Vergleich eine
> taugliche Nagelprobe für den Wert der Gesamtschule wäre?
>
> Erich Wallner
>
> P.S.: Wie gut müßten unsere ländlichen Hauptschulen erst sein, wenn
> man ihnen nicht die elitäre Bürde der Leistungsgruppen auferlegte! ;-)
>
>
>
>
> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: Arnold [mailto:arnold.gritsch@vol.at]
> Gesendet: Samstag, 8. März 2003 14:55
> An: Erich Wallner; 'Lehrerforum'
> Betreff: Re: Schule Schuld an Ungleichheit (3)
>
> Sehr geehrter Herr Wallner,
> Rate Ihnen zum Studium des ausführlichen Berichts der PISA Studie und
> der zahlreich erschienenen Interpretationen, woraus sich ohne Zweifel
> die Schlussfolgerung ziehen lässt, dass jene Staaten mit dem
> funktionierendem
> Schul-Modell einer gemeinsamen Schule - zumindest der 6 - 14 -jährigen
> -
> in Kombination mit einem Ganztags-Schulbetrieb in den Ergebnissen auf
> den
> ersten Rängen zu finden sind. Die in Deutschland nicht 'funktionerenden'
> sogenannten Gesamtschulen sind überhaupt kein Maßstab für deren
> Versagen,
> sondern die Tatsache, dass es sich um keine echten Gesamtschulen
> handelt,
> weil sich in unmittelbarer Entfernung die 'attraktiven Gymnasien'
> befinden.
> Echte Gesamtschulen befinden sich z.B. in ländlichen Gebieten mit
> unmöglichem Zugang zu weit entfernten Gymnasien in Form der
> Land-Hauptschulen. Wagen Sie zu behaupten ,dass dort die
> Leistungsergebnisse
> schlecht sind, nur weil den Gymnasium reifen Schüler/innen zugemutet
> wird,
> sich mit leistungsschwächeren in eine Klasse zu sitzen??
> Bitte legt doch endlich die ideologische Brille in der Schule ab.
>
> Arnold Gritsch (auch seit vielen Jahren Mitglied der christlichen
> Lehrervereinigung , was mich nicht daran hindert, anders zu denken als
> viele ÖVP Sympathisanten unter den KollegInnen)
>
>
>

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