PRESSE 13 03 03

http://www.diepresse.com/default.asp?channel=m&ressort=mk&id=342090

Weniger Lehrer, geringere Kosten

Es steht keine Zeugnisverteilung an, kein Ferienbeginn, kein Ferienende - und dennoch wird über die Schule diskutiert. Das ist ungewöhnlich, aber gut.

VON ERICH WITZMANN
----------------------------------------------------------------------------
----
Es steht keine Zeugnisverteilung an, kein Ferienbeginn, kein Ferienende - und dennoch wird über die Schule diskutiert. Das ist ungewöhnlich, aber gut: Österreichs Bildungssystem muss stets adaptiert werden. Die Schule kann sich nicht abschotten, sie muss ständig mit der Gesellschaft kommunizieren.

Mit ihrer Ankündigung, die Unterrichtszeit um zwei Stunden pro Woche zu verkürzen, hat Bildungsministerin Gehrer die Auseinandersetzung eröffnet. Die ersten Reaktionen: Lob für die Ministerin, auch von der Opposition. Dann dämmerte die Erkenntnis, dass weniger Schulstunden auch weniger Lehrer bedeuten. Sofort folgte der Aufschrei bis hin zur Streikdrohung einiger Lehrergewerkschafter.

Bleiben wir bei der budgetären Seite der Stundenkürzung: Wenn tatsächlich das Budget entlastet wird, wenn vielleicht im Gegenzug andere Ziele stärker gefördert werden, dann kann man die Proteste gegen niedrigere Lehrerzahlen mit den üblichen gewerkschaftlichen Reflexen gleichsetzen. Die Ministerin will den natürlichen Lehrerabgang nutzen und sich Kündigungen ersparen. Deswegen soll die Kürzung in zwei Etappen erfolgen.

Die an Schärfe zunehmende Auseinandersetzung konzentriert sich auf die budgetäre Seite und übergeht fast völlig die pädagogische. Unbestritten ist, dass Österreich in der OECD-Studie gleich nach Mexiko die längsten Unterrichtszeiten aufweist, in Vergleichsstudien zur Schulqualität aber nur im Mittelfeld liegt. Dass hier Handlungsbedarf besteht, sollte unbestritten sein.

Haben wir die richtige Fächerverteilung, die jahrgangsgemäße Stundenzahl, eine täglich ausgewogene Belastung der Schüler? Zwei Monate Sommerferien und mehrere Ferienwochen zwischendurch vermitteln schnell das Bild vom unausgelasteten Schüler. Auf der anderen Seite sorgen der Sechstunden-Block am Vormittag sowie weitere Stunden am Nachmittag dafür, dass schon ab der fünften Stunde viele Schüler abschalten. 50 Minuten Unterricht, zehn Minuten Pause, wieder 50 Unterrichtsminuten . . . da hält die Konzentration nicht mit.

Weniger wäre sicher mehr, sowohl bei der Tagesbelastung als auch bei den Ferien. Die neun Wochen im Sommer werfen den Schüler zu lange aus dem Schul-Rhythmus hinaus (und stellen die Eltern vor große Probleme). Und zuletzt haben sich neue Herbstferien an vielen Schulen ebenfalls als lernhemmend erwiesen.

Schwieriger ist die Frage, in welchen Fächern man was kürzen könnte. Der SP-Schulsprecher hat von Mathematik gesprochen, ein SP-Lehrervertreter von Religion. Die Bildungsministerin will die Kürzung der einzelnen Schule überlassen, doch ist das Abschieben auf die Schule auch keine Lösung. Der Alarmruf des Wiener Psychologie-Instituts, dass jeder vierte Schüler wegen Überforderung eine bezahlte Nachhilfe benötigt, zeigt die Aktualität des Problems.

Der "normale" Prozess wäre es, jetzt umfangreiche Studien in Auftrag zu geben. Gehrer will, auch aus den erwähnten budgetären Gründen, ihr Vorhaben rasch durchziehen. Deshalb sollte man die Zeit bis zum Schulschluss nutzen: Nicht, um über das Budget zu streiten, sondern um den Schulalltag zu reformieren. Und zwar das Ministerium, die an Reformen interessierten Kräfte (Parteien?), Lehrer und Schüler.

witzmann@diepresse.com

Über das Wie einer Reform im Schulalltag kann man sich streiten, nicht aber über Reformen selbst. Sie sind überfällig.



--
Diese Liste wird vom Personal Computer Club (http://www.pcc.ac) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.