Das Beispiel von Koll. Forstner zeigt zuerst einmal, daß die Semantik geklärt gehört.
In seiner Geschichtsstunde hat er sicher die politischen Ideologien nicht "wertfrei" erklärt, denn wie sollte man z.B. Marxismus erläutern, ohne darauf zu verweisen, daß Kollektiveigentum dort einen Wert darstellt und Privateigentum nicht?
Was Koll. Forstner offenbar getan hat, war, die politischen Ideologien wertUNGSfrei darzustellen.
Woraus sich die Frage ergibt, ob ein Lehrer WERTEN darf.
Meine persönliche Antwort: Im Journalismus gilt die Regel, daß man Information von Kommentar zu trennen hat. Das heißt aber nicht, daß eine Qualitätszeitung keine Kommentare schreiben darf.
Denselben Grundsatz schlage ich für die Schule vor: Ein Lehrer verhält sich dann korrekt, wenn er sämtliche relevante Informationen und Informationsquellen vermittelt und nichts zurückhält. Sehr wohl darf er darüber hinaus werten, sofern er diese Wertung deutlich als seine persönliche Meinung deklariert und nicht etwa als Stand der Wissenschaft (und soferne er sie nicht als Bestandteil des Prüfungsstoffes erwartet).
Erinnern wir uns doch an den Eiertanz, der vielerorts bis in die 60er-Jahre im Geschichtsunterricht um den 2. Weltkrieg in der 8. Klasse aufgeführt wurde, zu dessen Behandlung so mancher Lehrer - leider, leider - nicht mehr kam: aus lauter Angst vor Wertungen, oder als Kriegsteilnehmer (peinlich?) befragt zu werden.
Soll so ein Eunuchentum etwa ein pädagogisches Vorbild sein? A propos Eunuchen: Wie ist es denn mit dem Sexualunterricht? Impliziert die Information über Verhütungsmittel an 13- oder 14-Jährige etwa nicht die Botschaft, daß Sex vor der Ehe o.k. sei? Und ist das keine Wertung? (Ich erinnere mich daran, daß bereits im LF - also keineswegs vor Urzeiten - über ein Skandälchen berichtet wurde, das eine Aufklärungsbroschüre des Unterrichtsministeriums [!] ausgelöst hatte.)
Erich Wallner
P.S.: Hat der von Koll. Baumann zitierte um Wert(ungs)freiheit bemühte Schulleiter in seinem Etablissement etwa auch die Kreuze aus den Klassenzimmern entfernen lassen? Wenn nein, warum denn nicht? Oder hat er im Sinne der Wertneutraliät vielleicht einen Halbmond und einen Davidstern dazugehängt?
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-lehrerforum@ccc.at [mailto:owner-lehrerforum@ccc.at] Im Auftrag von K Forstner
Gesendet: Donnerstag, 13. März 2003 20:54
An: Thomas Baumann
Cc: Lehrerforum
Betreff: LF: Re: Wertfreier Geschichteunterricht
Wie "funktioniert" wertfreier Geschichteunterricht?
Ohne Veröffentlichung dubioser Projektergebnisse. Schwerer taktischer Fehler. :)
Ernsthaft: Bei mir hat einmal eine Gruppe von Studierenden der Geschichte eine Stunde hospitiert, in der ich die wichtigsten politischen Ideologien und die politischen Parteien, die sie vertreten, zusammenfassend erarbeitete/darstellte. Bei der Nachbesprechung konnte keine(r) der StudentInnen sagen, welcher Richtung ich nahe stehe. Ich sah das als Erfolg an.
Wahrscheinlich besteht der Unterschied bereits darin, ob man "Bush ist ein Kriegshetzer" oder "Manche/Viele sagen, Bush sei ein Kriegshetzer" sagt. Bei einer satirischen Wandzeitung ist letzteres freilich nicht möglich. Difficile est satiram non scribere.
K Forstner
* * *
----- Original Message -----
From: "Thomas Baumann"
To: "'Lehrerforum'"
Sent: Thursday, February 13, 2003 7:37 AM
Subject: LF: Wertfreier Geschichteunterricht
> Im Zusammenhang mit der Erstellung einer satirischen Wandzeitung in
> Comicform über das Verhältnis von Saddam Hussein und G.W. Bush wurden
zwei
> LehrerInnen seitens des Schulleiters der politischen Agitation
bezichtigt
> und darauf hingewiesen, dass Geschichteunterricht wertfrei zu erfolgen
> hätte.
> Zusatzbemerkung: Beide Staatsmänner bekommen ihr "Fett" ab. Wie
> "funktioniert" wertfreier Geschichteunterricht? MfG
> Thomas Baumann
>
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