Frankfurter Rundschau 14 03 03
Mehr Strenge nach Pisa
Bundesländer ziehen ihre Konsequenzen aus der Studie
15 Monate nach Veröffentlichung der ersten Pisa-Studie zeichnet sich ab, dass die 16 Bundesländer in der Bildungspolitik absolut unterschiedliche Lehren ziehen: Einerseits wird auf mehr Förderung im Grundschul- und Vorschulbereich geachtet, andererseits aber auch fast durchweg auf schärfere "Selektivität" ab Klasse 5. Die Essener Bildungsforscherin Gertrud Hovestadt hat in einer Studie die Vorhaben der Länder zusammengetragen und analysiert.
Von Jörg Feuck (Frankfurt a. M.)
Rund die Hälfte der Bundesländer hat sich inzwischen grundsätzlich oder auf Probe für einen zaghaften Umbau der Grundschulstruktur entschieden, um die hohe Rate von "Rückstellungen" von Kindern, die eigentlich alt genug für die Einschulung wären, zu drücken. Dazu zählen Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Diese Länder bieten künftig die "flexible Eingangsphase" an: In altersgemischten Lerngruppen können Kinder die Klassen 1 und 2 individuell in ein, zwei oder drei Jahren durchlaufen.
Fast alle alten Bundesländer (aber kein neues) gehen dazu über, die Sprachkompetenz bei Kindern einige Monate vor der Einschulung zu testen und falls nötig Förderkurse anzubieten. In Hamburg und Hessen soll das Sprachkenntnis-Niveau ein entscheidendes Kriterium für die Schulreife und Schulaufnahme sein.
Um Kinder aus sozial benachteiligten Schichten und besonders Migrantenkinder zu fördern, gibt es zusätzliche Förderstunden, sonderpädagogische Zentren, Sprachlernklassen. In Bayern werden Jugendliche ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen in einem Klassenverband zusammengefasst. Keines der Bundesländer im Osten setzt hier Akzente. Aber auch die Veränderungen im Westen vermitteln laut Gertrud Hovestadt "nicht den Eindruck, dass es sich um eine Schwerpunktsetzung der Schulpolitik handelt". Die Anstrengungen setzten hauptsächlich in vorschulischen Einrichtungen ein. Hovestadt: "Es muss bezweifelt werden, dass es ausreicht, am Anfang des Schulwegs einen Anschub zu leisten, denn die Kinder und Jugendlichen wachsen weiterhin in bildungsbenachteiligten Milieus auf."
In den weiterführenden Schulen nach Klasse 4 gibt es laut Hoverstadt einen eindeutigen Trend zu mehr Auslese. Beispielsweise haben Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen die Versetzungsordnungen verschärft. Nach derzeitigem Stand werden künftig in 13 Bundesländern die Kinder nach der vierten Klasse in die Schulformen "sortiert". Der "Selektivitäts"-Druck ist aber in den neuen Bundesländern schwächer, weil dort wegen rapide zurückgehender Schülerzahlen besonders Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden müssen.
Die meiste Energie stecken die Kultusminister in das Überarbeiten von Rahmenlehrplänen, in landesweit einheitliche Tests sowie in zentrale Abschlussprüfungen. Weniger Elan ist bei der Schaffung zusätzlicher Ganztagsschulangebote zu verzeichnen: In Baden-Württemberg vorrangig an sozial schwierigen Hauptschulen, in Bayern explizit "an sozialen Brennpunkten". Teilweise erschöpft sich das pädagogische Konzept im "Anhängen" eines freiwilligen Programms aus Hausaufgabenhilfe, Hobby- und Freizeitangeboten.
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