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Presse 15 03 03

Attacke gegen das Bildungsministerium: "Dramatischer Augenblick für die Schule"

Lehrervertreter attackieren das Bildungsministerium: Kritiker werfen dem Bildungsministerium vor, der OECD falsche Daten geliefert zu haben.

VON ERICH WITZMANN

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WIEN. Die Lehrerschaft macht gegen das Bildungsministerium mobil. Vor zwei Wochen hat Ministerin Elisabeth Gehrer die Kürzung der Unterrichtszeit um zwei Wochen angekündigt und dieses Vorhaben mit der extrem hohen Stundenzahl in Österreich begründet. Die Statistik sei falsch, sagen nun die Vertreter der Vereinigung christlicher Lehrerinnen und Lehrer (VCL), da der OECD-Vergleichsstudie, auf die sich die Ministerin beruft, aus Wien falsche Daten vorgelegt wurden. "Das ist ein dramatischer Augenblick für unsere Schulpolitik", heißt es aus der VCL, "unter Umständen ist es auch eine bewusste Datenverfälschung."

Jener (nun schon im Ruhestand befindliche) Ministerialrat, der das Datenmaterial bereitgestellt hat, soll "vergessen" haben, die österreichische 50-Minuten-Unterrichtsstunde auf die für die Vergleichsstudie vorgeschriebenen 60 Minuten umzurechnen. Das sei immerhin eine Abweichung von 16,6 Prozent. Deswegen liege Österreich an der Spitze der Unterrichtsbelastung.

Stimmt nicht, heißt es in Elisabeth Gehrers Ministerbüro. Es sei sehr wohl umgerechnet worden. "Machen wir eine Milchmädchenrechnung", sagt Pressesprecher Ronald Zecha: Ein Schüler in der fünften oder sechsten Schulstufe habe in der Woche 32 Pflichtstunden und vier Stunden Freifächer. Multipliziert man diese 36 Stunden mit den 38 Schulwochen, dann ergibt das 1368 50-Minuten-Stunden, das seien 68.400 Minuten. Dividiert man diese durch 60 (Minuten), dann kommt das Endresultat von 1140 Stunden heraus - und die OECD-Statistik weist für Österreich 1148 Stunden aus.

Diese Rechnung kostet die Lehrer ein müdes Lächeln. Und bestätigt sie in ihrem Vorwurf. "Man hat sich einmal geirrt und versucht nun krampfhaft, diesen Irrtum im Nachhinein zu rechtfertigen", sagt AHS-Lehrergewerkschafter Helmut Jantschitsch. Denn erstens gebe es kaum Freifächer, schon gar nicht vier Stunden pro Woche, und dann werden diese in der OECD-Studie nicht in den Pflichtfächerkanon eingerechnet. Zweitens werden Lehrerabsenzen nicht berücksichtigt, ebenfalls Schulskikurse und Sportwochen, die fünf schulautonomen Frei-Tage und die in Österreich größere Anzahl an gesetzlichen Feiertagen. Oder dass viele Schüler nicht am Pflichtgegenstand Religion teilnehmen.

Zum Beweis legt die VCL eine Vergleichsstudie des deutschen Bildungsministeriums und der deutschen Kulturminister-Konferenz vor. In dieser rangiert Österreich mit seiner Stundenanzahl tatsächlich hinter Deutschland und dem Länderschnitt.

Im Bildungsministerium gesteht man ein, dass kaum jemand über die tatsächliche Zahl der Feiertage in Finnland, Schweden oder Deutschland Bescheid wisse; oder darüber, ob es dort auch schulautonome Tage gebe. "Aber wir gehen davon aus, dass es überall Weihnachtsfeiertage gibt", lautet das ministerielle Argument.

Die Lehrer laufen auch deswegen Sturm gegen die Stundenkürzung, weil sie ihren Arbeitsplatz gefährdet sehen. Das betrifft jene, die erst seit kurzem Karenzvertretungen wahrnehmen oder jeweils nur für ein Jahr eine Lehrverpflichtung erhalten.

Die AHS-Lehrergewerkschaft will demnächst auf ihre Art und Weise eine Stundenverkürzung durchführen: Noch vor Ostern soll ein Unterrichtstag in einen Diskussionstag umfunktioniert werden. Nach Möglichkeit sollen zur Vorbereitung des Aktionstages Dienststellenversammlungen abgehalten werden, während derer der Unterricht entfällt.

Das Thema des Diskussionsstages soll "Bildung ist Chance, nicht Belastung" lauten. Jantschitsch hat den Termin noch nicht fixiert, er hofft, dass sich auch die Pflichtschulen und die BHS der Aktion anschließen. "Wir nehmen den Ball auf", sagt der AHS-Gewerkschafter, "wir wollen darüber sprechen, wie der Schüler weniger belastet werden kann." Auch er kann sich weniger Pflichtstunden vorstellen. Etwa statt fünf Deutschstunden pro Woche nur vier, dafür aber das Angebot einer Deutsch-Förderstunde für schwache und einer "Forderstunde" für hochbegabte Schüler. Damit würde man auch eine Kürzung der Lehrerdienstposten vermeiden.

Ähnlich argumentiert auch der Bundesverband der Elternvereinigungen an mittleren und höheren Schulen. Die Reduktion der Schulstunden werde nicht abgelehnt, die frei werdenden Ressourcen sollen aber für eine Senkung der Klassenschülerzahl und für kleinere Gruppen im Sprachunterricht verwendet werden.

Die Schülervertreter reagierten auf Gehrers Vorstoß durchwegs positiv. Claudia Haas, gesamtösterreichische Schulsprecherin, zeigt sich über die kategorische Ablehnung der Stundenreduktion durch die AHS-Lehrer "betroffen". Handlungsbedarf ortet auch Claudia Haas: "Der Lehrplan sollte schon längst entrümpelt werden, und verpflichtende Lehrerfortbildung gibt es nach wie vor nicht."





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