Ich schließe mich den Entgegenhaltungen von Koll. Forstner weitgehend an, trotzdem einige Nuancen.

(1) Verbal gibt es unzählige Bekenntnisse zur Chancengleichheit. Doch tatsächlich kommt es darauf an, ob SchülerInnen daheim von den Eltern Unterstützung bekommen oder nicht. Und wenn Eltern dazu nicht in der Lage sind, kommt es oft auf die Nachhilfe an. Die Frage ist, ob Chancengleichheit durch die flächendeckenden ganztägigen Angebote hergestellt werden kann. Wenn diese Angebote kostenfrei zur Verfügung stehen, wird es funktionieren. Doch wenn gerade die, die es brauchen, auf die billigeren Schulen ausweichen, dann bringt die Reform nichts. Es ist eine Illusion, an eine Regierung, die ständig nur an Einsparungen denkt und für die Abfangjäger wichtiger sind als faire Chancen für Schüler, an diese Adresse die Erwartung zu richten, dass eine Reform herbeigeführt werden soll, die unterm Strich dem Staat deutlich etwas kosten muss.

(2) Der Vorschlag der 5-Tage-Woche täglich von 1/2 9 bis 1/2 5 klingt für mich zu sehr danach, Schule als eine Aufbewahrungsanstalt für Kinder zu sehen. Es darf nicht sein, dass der eigentliche Zweck der Schulreform ist, dass Kinder außerhalb des Elternhauses beaufsichtigt werden. Das ist nicht Aufgabe der Lehrer, eventuell von Erziehern, die auch an den Schulen Dienst tun könnten. Die Aufgabe des Lehrers ist der Unterricht, die Unterrichtsvorbereitung, die Nachbereitung und Korrekturen. Es wird wohl selbstverständlich unzumutbar sein, Korrekturen oder Vorbereitungen neben spielenden und lärmenden Kindern zu erledigen.

(3) Man kann sich nicht von einer Enquete erwarten, dass Vorschläge gleich oder mit nächstem Schuljahr umgesetzt werden können. Es bedarf wieder gründlicher Schulversuche, aber diesmal in der wirklichen Absicht, zu grundlegenden Verbesserungen zu kommen. In der Schulversuchsphase müssten alle organisatorischen und auch räumlichen Voraussetzungen geschaffen werden, die Schule zu einem wirklichen Arbeitsplatz für Lehrer machen können. Wenn wir derzeit Konferenzzimmer haben, in denen es die Bequemlichkeit wie von Hühnern in einer Legebatterie gibt, so lange ist dieses Modell schlicht nicht durchführbar. Aber die Vorstellung von einem gut ausgestatteten Arbeitsplattz, von dem man seine Arbeiten nicht mit in die private Sphäre fortschleppen muss, die sollten wir nicht vorschnell zurückweisen.

(4) Wenn es denn so sein sollte, wie der Presse-Redakteur es vermutet oder in seinen von Vorurteilen behafteten Denken darstellt, so ist trotzdem die Frage erlaubt, ob es denn lediglich ein "Diskussionstag" bleiben soll, oder ob wir uns nicht vornehmen sollten, die von uns erarbeiteten Ergebnisse unserer "Schulenqueten" zusammenzufassen, zu vereinheitlichen und den politischen Verantwortungsträgern zu präsentieren und als Arbeitsauftrag zur Umsetzung mitzugeben. Dann würde sich von selbst widerlegen, dass der Tag nur ein zusätzlich freier Tag war, sondern in Wahrheit der Start zu einer Schulreform.

Günter Wittek


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: "K Forstner"
An: "Lehrerforum"
Betreff: LF: Re: STANDARD und PRESSE


: Es kann doch nicht wahr sein, dass jahrzehntelang von Politikern,
: Journalisten und Schülervertretern immer wieder die gleichen Phrasen
: gedroschen werden, wenn es um die angeblich so dringend notwendige Reform
: der österreichischen Schule geht -- so als ob stichhaltige Gegenargumente
: nie publiziert worden wären. Die Beiträge in den aktuellen Wochenendausgaben
: von STANDARD und PRESSE lesen sich gerade so, als ob sie vor 20 Jahren oder
: noch früher erstmals erschienen wären:
:
: (1) SPÖ-Chef Gusenbauer will Chancengleichheit für Kinder
:
: --> Ja wer will denn die heute NICHT? Leben wir in den Sechzigerjahrendes
: vergangenen Jahrhunderts?
:
: (2) Alfred Gusenbauer im STANDARD-Gespräch. Seine Vorstellung: Fünftagewoche
: von halb neun bis ungefähr halb fünf Uhr, mit Betreuungsmöglichkeit in
: der Früh. Im Idealfall sollten Kinder danach nichts mehr lernen müssen.
: "Eine moderne Schule heißt aber auch, dass der Arbeitsplatz des Lehrers
: ganztags an der Schule ist."
:
: --> Von mir aus, Herr Gusenbauer, von mir aus. Veranlassen Sie ENDLICH, dass
: die Schulen adäquat ausgestattet werden. So eine Ausstattung inkludiert
: Freizeiträume für GanztagsschülerInnen, Speisesäle, Küchen etc. genau so wie
: Arbeitszimmer (samt eigenem PC mit Internetanschluss und Telefon) für jeden
: Lehrer/jede Lehrerin. Sie können doch nicht erwarten, dass wir täglich bis
: halb fünf oder noch länger in der Schule bleiben und DANACH, zu Hause, zu
: arbeiten beginnen. Wenn all das flächendeckend vorhanden ist und sich
: niemand mehr zu Hause ein Arbeitszimmer einrichten muss, DANN machen Sie
: wieder Ihren Vorschlag!
:
: (3) Als Initialzündung schlägt der SP-Chef eine parlamentarische Enquete
: vor, wo auf breiter Ebene die Ergebnisse der OECD-Vergleichsstudie Pisa
: diskutiert werden sollen.
:
: --> Wer kann mir erklären, warum dieser einen Studie eine derart universelle
: Bedeutung beigemessen wird? Wie viele österreichische LehrerInnen, die eine
: volle Lehrverpflichtung unterrichten, werden bei dieser Enquete dabei sein?
:
: (4) Erich Witzmann in der PRESSE: Jener (nun schon im Ruhestand befindliche)
: Ministerialrat, der das
: Datenmaterial bereitgestellt hat, soll "vergessen" haben, die
: österreichische 50-Minuten-Unterrichtsstunde auf die für die
: Vergleichsstudie vorgeschriebenen 60 Minuten umzurechnen. Das sei immerhin
: eine Abweichung von 16,6 Prozent. Deswegen liege Österreich an der Spitze
: der Unterrichtsbelastung.
:
: --> Wieso unterstellt Witzmann hier kühn, Unterricht sei grundsätzlich eine
: "Belastung"? Genauso gut -- nein, viel eher -- müsste man Unterricht als
: Lernchance auffassen.
:
: (5) Die AHS-Lehrergewerkschaft will demnächst auf ihre Art und Weise eine
: Stundenverkürzung durchführen: Noch vor Ostern soll ein Unterrichtstag in
: einen Diskussionstag umfunktioniert werden.
:
: --> Na gut, ich habe mich schon damit abgefunden, dass sich die PRESSE auf
: das Niveau des Boulevards begeben hat -- das war damals, als sie während des
: Boykotts von Schulveranstaltungen, angeblich irgend einen anonym bleiben
: wollenden Hüttenwirt zitierend, von den alkoholisierten Lehrern auf
: Schikursen berichtete. "... will die AHS-Lehrergewerkschaft demnächst auf
: ihre Art und Weise eine Stundenverkürzung durchführen ... " -- nein, er kann
: es sich nicht verkneifen, die Lehrerschaft als arbeitsunwillig hinzustellen.
:
: (6) Claudia Haas, gesamtösterreichische Schulsprecherin, zeigt sich über die
: kategorische Ablehnung der Stundenreduktion durch die AHS-Lehrer
: "betroffen". Handlungsbedarf ortet auch Claudia Haas: "Der Lehrplan sollte
: schon längst entrümpelt werden, und verpflichtende Lehrerfortbildung gibt es
: nach wie vor nicht."
:
: --> Liebe Frau Haas, wir unterrichten nicht Gerümpel. Dafür ist uns unsere
: Zeit zu schade. Wir sind auch nicht von vorgestern, wissen daher, was heute
: in der Welt passiert und geben dieses Wissen auch an unsere SchülerInnen
: weiter. Sie besuchen doch selber den Unterricht -- wird Ihnen da nur
: veraltetes Zeug geboten? Und bitte bitte machen Sie Ihren gesamten Einfluss
: geltend, damit wir in Zukunft eine adäquate Lehrerfortbildung überhaupt
: angeboten bekommen. Dann bilden wir uns auch freiwillig in den von Ihnen
: vage angesprochenen Kursen weiter.
:
: Der einzige Uralt-Vorwurf, der -- wird wohl ein Versehen gewesen sein -- in
: diesen beiden Artikeln nicht vorkommt, ist der von der fehlenden
: pädagogischen Ausbildung der AHS-LehrerInnen. Na wird schon noch kommen.
:
: K Forstner
:



--
Diese Liste wird vom Personal Computer Club (http://www.pcc.ac) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.