DER STANDARD
Dienstag, 18. März 2003, Seite 36
Kommentar 

Teure Häfenbruderschaft

Die starke Zunahme an Häftlingen hat sich Schwarz-Blau selbst zuzuschreiben

Michael Simoner

Alle Achtung. Die Zahl von Häftlingen innerhalb eines Jahres um mehr als zehn Prozent zu erhöhen, das hat bisher in Österreich noch niemand geschafft. Und weil Polizei und Justiz seit Antritt von Schwarz-Blau so fleißig waren, soll jetzt auch noch die Bauwirtschaft durch die Errichtung neuer Gefängnisse angekurbelt werden. Warum heimische Strafanstalten so gut besucht sind, ist Justizminister Dieter Böhmdorfer ein Rätsel. Vor allem der starke Anstieg von verhafteten Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist dem gelernten Rechtsanwalt unerklärlich. Dabei müsste er nur im eigenen Tagebuch
nachschlagen:
Vor zwei Jahren verschärfte die Regierung entgegen der Warnung vieler Experten das Suchtmittelgesetz. Genauer: Die Drogengrenzmengen, die zur Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen dienen, wurden minimiert. Bei Heroin beispielsweise von fünf auf drei Gramm. Der Clou an der Sache: Nur bei einem Vergehen können Richter oder Staatsanwaltschaft von einem Verfahren absehen, wenn sich Betroffene zu einer Therapie verpflichteten. Seit zwei Jahren stellen also bereits drei Gramm Heroin - der Tagesbedarf eines fortgeschrittenen Suchtkranken - ein Verbrechen dar, Verfahren müssen durchgezogen werden. Eine ähnliche Absenkung der Grenzmenge gab es bei Cannabisprodukten. Und die machen bereits 80 Prozent aller Suchtgiftanzeigen überhaupt aus. Irgendwo in Böhmdorfers Tagebuch müsste sich auch das Kapitel Strafmündigkeit befinden. Zur Erinnerung: Ob jemand 18 ist oder 48 oder 78, ist egal. Die Grenze zum Erwachsensein wurde um ein Jahr von 19 auf 18 gesenkt. Dass die heimische Häfenbruderschaft in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft gestiegen ist, hat gezwungenermaßen mit dieser Maßnahme zu tun. Dabei gewährleistet der Jugendstrafvollzug die Rehabilitierungschancen wesentlich besser als der Erwachsenenvollzug. Eine von Böhmdorfer angebotene schlichte Erklärung ist jedenfalls schlichtweg falsch: dass die Aufklärungsquote der Sicherheitsbehörden zugenommen habe. Das Gegenteil ist der Fall. Wahr ist freilich, dass Polizei und Gendarmerie zum Beispiel mehr Anzeigen im Suchtgiftbereich verfassen - weil sie sich eben an die verschärften Bestimmungen und Gesetze zu halten haben. Dasselbe gilt übriges für Richter und Staatsanwälte. Law and Order lässt wenig Spielraum. In einem Punkt trägt die Justiz allerdings sehr zur Auffettung im Schmalz bei: Bedingte Haftentlassungen finden eher selten statt. Dass "eh alle nach zwei Dritteln freigehen", ist eine weit verbreitete, aber falsche Einschätzung. 80 Prozent aller Häftlinge sitzen ihre Strafen bis zum letzten Tag ab. Experten warnen immer wieder, dass diese gnadenlose Praxis nur allzu leicht nach hinten losgeht. Denn Häftlinge, die auf längere Dauer ohne positive Perspektive bleiben, sind nur schwer auf Resozialisierung vorzubereiten. Die Erfahrungen des Bewährungshilfevereines Neustart sprechen für sich: 80 Prozent aller betreuten Exhäftlinge werden nicht rückfällig. Doch in heimischen Zellen wird es immer enger - und teurer: Unterbringung und Bewachung eines Häftlings kommen auf rund 100 Euro pro Tag, die Betreuung eines auf Probezeit Entlassenen hingegen nur auf zehn Euro für die Haftentlassenenhilfe. Mit den neuesten Daten erhält jedenfalls auch Böhmdorfers Absicht, den Jugendgerichtshof in Wien aufzulösen, neue Dramatik. Die ins Landesgericht übersiedelte Richterschaft weist seit einem Jahr darauf hin, dass sie den Arbeitsanfall weder personell noch administrativ bewältigen kann. Das alte Netzwerk zu Jugendorganisationen inklusive Pflegschaftsangelenheiten ist zerschlagen. Bis heute hat Justizminister Böhmdorfer den Chefposten für den Jugendgerichtshof nicht neu ausgeschrieben. Vielleicht überlegt er es sich angesichts der jüngsten Zahlen noch einmal. Es bräuchte nicht einmal einen Neubau - in der Rüdengasse in Wien-Landstraße wäre was frei.


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