Presse 21 03 03
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Tausendfüßler und Haydns Geschwister
Bildungsministerin Gehrer bleibt dabei: Die Unterrichtszeit wird gekürzt. Ein Pädagoge unterstützt sie mit Argumenten.
VON ERICH WITZMANN UND CLAUDIA LAGLER
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Gehrer beharrt auf Kürzung der Unterrichtszeit.
WIEN/SALZBURG. Im Zusammenhang mit der wichtigen Darstellung des Recyclings in der Natur werden die Kinder angehalten, die Familie der Tausendfüßler zu lernen - und sie werden darüber geprüft. Ein Musikpädagoge trägt die Großfamilie Joseph Haydns vor - und fragt im Test danach.
Diese Fallbeispiele führt der Salzburger Erziehungswissenschaftler Univ.-Prof. Günter Haider an, um manche Auswüchse im gegenwärtigen Unterricht zu dokumentieren. Die Konsequenz der reinen Unterrichtszeit und der schulischen Beschäftigung zu Hause sei klar: "Das Leben abseits der Schule leidet darunter."
"Nicht die Quantität des Lehrstoffes, die Qualität ist die bestimmende Determinante", sagte Haider am Donnerstag bei einem von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer einberufenen Hintergrundgespräch. Gehrer selbst bleibt bei ihrer zuletzt heftig kritisierten Linie: Sie will durch die angekündigte Stundenreduktion "Druck wegnehmen und inhaltlich eine Entlastung erreichen".
Vollinhaltlich auf ihrer Seite steht die oberste Schülervertreterin Claudia Haas. 39 Schulstunden hat sie pro Woche in ihrer Grazer HTL: "60 bis 70 Stunden in der Woche hackle ich für die Schule."
Gehrer räumt ein, dass die OECD-Studie ungenau sein könnte. "Wir wollen die Basis der Statistik hinterfragen", sagt die Ministerin, ist sich aber
sicher: "Der Abstand ist auf jeden Fall riesengroß." Österreich liege - auch bei einer Korrektur der Studie - punkto Unterricht weit vor Finnland, Schweden und Deutschland. Auch eine Studie der Bildungspsychologin Christiane Spiel bestätige das.
Die Schulen müssen bereits heuer autonom mit der Stundenkürzung beginnen, am 1. September 2004 muss die Reform durch sein: zwei Stunden weniger pro Woche in der AHS-Oberstufe und BHS, etwas weniger in der Hauptschule und AHS-Unterstufe. In der Volksschule nur je eine Stunde in der dritten und vierten Klasse. Die Lehrer seien schon jetzt angehalten, so Gehrer, nur den Kernstoff verpflichtend zu unterrichten und aus den weiteren Vorgaben Schwerpunkte auszuwählen.
Wiens Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl schlägt eine andere Variante vor: "Kürzung der kollektiven Unterrichtszeit, dafür Einführung einer individuellen Förderung." Aber gleichzeitig ist Brandsteidl gegen eine Stundenkürzung. "Es stimmt einfach nicht, dass Schule nur als Belastung empfunden wird. Wenn man glaubt, man tut den Kindern mit weniger Stunden etwas Gutes, ist das einfach falsch und unehrlich."
Salzburgs SP-Chefin Gabi Burgstaller hält die Stundenkürzung für sinnvoll. Wie Brandsteidl will auch Burgstaller die frei werdende Zeit in eine individuelle Lernbetreuung und Förderung der Schüler am Nachmittag umwidmen. Eine Arbeitszeitverkürzung der Schüler wäre jedenfalls notwendig und höchst an der Zeit.
Diese Maßnahme dürfe aber nicht unter dem Tenor des Sparens durchgeführt werden. Es gehe vielmehr um eine Entlastung der Schüler und Eltern. Mit einer individuellen Lernhilfe und Nachmittagsbetreuung an den Schulen könne man auch den ausufernden Nachhilfeunterricht eindämmen.
Die Proteste der Lehrergewerkschaft weist Gehrer zurück. "Die Stundenkürzung ist keine Materie, die in die gewerkschaftliche Kompetenz fällt." Die eingesparten Lehrerstellen werden durch den natürlichen Abgang ausgeglichen.
Ministerin Gehrer will den gesamten Fragenkomplex in einer "Zukunftskommission" untersuchen, die unter Leitung von Günter Haider "ohne Tabu" alle relevanten Fragen klären soll.
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