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Lehrpläne entrümpeln, Leistungsstandards definieren: Die vom Bildungsministerium neu gegründete „Zukunftskommission“ hat viel vor. Im Interview spricht ihr Vorsitzender, Bildungsforscher Günter Haider, über die Notwendigkeit schulischer Standards und ungerechte Zensuren.

Klare Leistung, faire Noten

Die Furche: Eine Aufgabe Ihrer „Zukunftskommission“ ist es, Leistungsstandards für Schulen zu entwickeln. Andererseits hat das Bildungsministerium die Schulen schon jetzt beauftragt, ab Herbst zwei Unterrichtsstunden einzusparen. Zäumt man nicht das Pferd von hinten auf? Günter Haider: Ich verstehe diese Stundenkürzung als Signal der Ministerin. Es wurde auch dazugesagt, dass diese Kürzung mit einer Durchforstung der Lehrpläne einhergeht, nur ist das in der Debatte untergegangen. Die Kommission beschäftigt sich jedenfalls ernsthaft mit der Reduzierung des Rohstoffs und der Ausarbeitung von Standards. Bis zum Österreich-Konvent in etwa zwei Jahren soll außerdem ein Bildungsgesamtplan fertiggestellt sein, wo wir wichtige Bereiche der Schule neu denken sollen.

Die Furche: Woran orientieren Sie sich beim Erstellen dieser Standards?
Haider: Die grundsätzliche Frage ist: Was sollen unsere Schüler können – und zwar nachhaltig und am Ende einer Bildungsabschnitts? Bisher hat der Lehrplan genau das nie definiert. Dort steht: In der soundsovielten Schulstufe ist der Satz von Pythagoras durchzunehmen. Was aber am Ende der Hauptschulzeit oder der Unterstufe an nachhaltigen Kompetenzen bei jedem vorhanden sein soll, ist nirgendwo festgeschrieben. Schauen wir uns den Lehrplan an: Wer als Schüler all das kann, was da drinnensteht, der müsste ein Wunderwuzzi sein. Wie wir aus Studien wissen, gehen 80 bis 90 Prozent des Detailwissens verloren. Daher ist es notwendig zu fragen:Was soll langfristig gesichert werden? Wir müssen entscheiden und Lehrern, Eltern und Schülern klar signalisieren, was unverzichtbarer Kernstoff ist.

Die Furche: Wie wird das Erreichen dieser Standards festgestellt?
Haider: Im Allgemeinen stellt das der Lehrer fest. Solche Standards kann man sich vereinfacht so vorstellen: Der Schüler ist in der Lage, eine dreistellige Zahl durch eine zweistellige zu dividieren oder einen mittelschweren Text zu lesen und Informationsfragen dazu zu beantworten. Ich hoffe, dass wir in einem Jahr so weit sind, dass man erste Standards auch in einer Buchhandlung kaufen kann. Dazu wird es erläuternde Aufgaben und Tests geben, die den Lehrern bei der Planung des Unterrichts helfen können. Im Rahmen einer nationalen Erhebung werden wir alle zwei bis drei Jahre stichprobenartig die Standards auf Systemebene überprüfen.

Die Furche: Sollten die Testergebnisse der einzelnen Schulen öffentlich zugänglich gemacht werden?
Haider: Ich halte allgemeine Schulranglisten für nicht sinnvoll. Die Ergebnisse der einzelnen Schulen müssen auf dem jeweiligen Kontext betrachtet werden: Die Schulen haben unterschiedliche Eingangsvoraussetzungen und entwickeln nach und nach verschiedene Schwerpunkte. Hier blühen viele Blumen. Die einzelnen Schulen sollen allerdings mit Hilfe von Benchmarks sich selbst einschätzen: Wir liefern gewisse Referenzdaten auf nationaler Basis und jede Schule kann sich hier selbst einordnen. Und wenn eine Schule ihre Daten veröffentlichen will, dann soll sie es tun …

Die Furche: Wenn standardisierten Tests eine objektive Leistungsfeststellung möglich machen: Wozu braucht man dann noch Noten?
Haider: Noten sollten im allgemeinen auf einer möglichst objektiven Leistungsprüfung beruhen. Sie sind dann eine summative Rückmeldung an den Schüler, ob und wie erfolgreich er ist. Außerdem übernehmen sie eine gewisse Selektionsfunktion. Rückmeldungen an die Schüler müssen wir aber geben, weil sie wissen müssen, wie erfolgreiche sie im Unterricht sind.

Die Furche: Wäre zu diesem Zweck eine verbale Rückmeldung nicht besser als eine Ziffernnote?
Haider: Natürlich: Je jünger die Schüler sind, desto stärker brauchen sie das gesprochene oder geschriebene Wort, um zu erfahren, was sie im Detail schon können und wo es noch hapert. Am Schluss wird der Lehrer aber zusätzlich noch immer die Leistung in einer Ziffernnote zusammenfassen. Wir Mitteleuropäer haben dabei eine sehr lange Tradition, betonen aber leider sehr häufig zu stark die Selektionsfunktion. Wenn man allerdings Noten verteilt, dann sollten sie fair und vergleichbar sein.

Die Furche: Sind sie das derzeit?
Haider: Wir haben einmal die AHS-Klassen eines ganzen Bundeslandes durchgetestet und enorme Unterschiede im selben Schultyp festgestellt. In der internationalen PISA-Studie haben wir festgestellt, dass in Lesen, aber auch in Mathematik zwischen der besten AHS und der schlechtesten enorme Differenzen aufgetreten sind, die bis zu eineinhalb Lernjahren entsprochen haben! Tatsächlich waren aber die Noten dieser Schüler so gut wie ident. Hier müssen wir doch eine gewisse Fairness einziehen lassen.

Die Furche: Was wäre Ihr Vorschlag gegen diesen Missstand?
Haider: Eine gewisse Externalisierung der Leistungsbeurteilung. Die Note spiegelt derzeit im besten Fall zwei Dinge wieder: Die Leistungsfähigkeit dieser Klasse und die Abstände des Einzelnen dazu, aber sie reflektiert nicht die Differenz dieser Gruppe zu anderen Gruppen.Wir brauchen einfach gewisse Anhaltspunkte für die Lehrer, damit sie ihre Schüler einordnen können – zumindest dann, wenn selektiert wird und Laufbahnentscheidungen getroffen werden. Unsere Leistungsstandards und Aufgabenpools werden sicher mithelfen, die Noten besser zu objektivieren.

Die Furche: Wenn Sie an den Schnittstellen Fairness wollen, müssten Sie auch für eine Zentralmatura plädieren …
Haider: Das kann man überlegen – ich glaube aber nicht, dass die Zentralmatura ein Allheilmittel ist. Wie wir aus Bayern wissen, hat sie auch Nebenwirkungen, die wir erst genauer analysieren müssen. Ich möchte das jedenfalls in der Zukunftskommission ernsthaft diskutieren.

Das Gespräch führte
Doris Helmberger.





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