http://www.diepresse.com/default.asp?channel=m&ressort=mk&id=346023

Schnippschnapp

Die Reduktion der Unterrichtsstunden sagt noch nichts darüber aus, ob sich auch der Unterrichtsstoff reduziert.

VON ANDREAS SCHWARZ
----------------------------------------------------------------------------
----

Die schwierigsten Probleme verlangen oft nach den einfachsten Ant worten - nicht zu kompliziert denken, das lernt man schon in der Schule. Wenn sich dort also die Probleme türmen - zeitliche Überlastung der Schüler, dramatisches Anwachsen des Nachhilfebedarfes, immer angeräumtere Lehrpläne, kein Geld für die immer noch in den Beruf strömenden Junglehrer -, wie lautet dann die einfachste Lösung? Richtig, schnippschnapp ein paar Unterrichtsstunden kappen. Zwei pro Woche in den AHS, ein bisschen weniger in den übrigen Schulen - hat nicht erst unlängst eine OECD-Studie den österreichischen Schülern bescheinigt, europaweit am längsten die Schulbank zu drücken?

Die scheinbar einfachste Antwort führt mitunter auch zur schweren Themenverfehlung - auch das kann man in der Schule lernen. Seit Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer ihren Plan zur Stundenkürzung im Eilzugstempo durchzieht, reißt die Kritik an ihrem Zugang zur Lösung der Probleme nicht ab. Zumal das Hauptziel der Stundenreduktion nicht die Schüler-, sondern die Budgetentlastung zu sein scheint. Mit 117 Millionen Euro jährlich wird sie in Gehrers Verordnung beziffert, durch Verringerung der "Zahl der Mehrdienstleistungen und Nachbesetzungen im Lehrerbereich". Bravo! Nur was können die Schüler dafür?

Denn die mögen sich vielleicht über weniger Stunden freuen, aber die Reduktion sagt noch nichts darüber aus, ob sich auch der Unterrichtsstoff reduziert - und wenn er sich irgendwann reduziert, ob das nach irgendeinem Sinn und einer Methode geschieht, oder wieder nur nach der genannten Schnippschnapp.

Sie hat zur Folge, dass in der Unterstufe ein bisschen Deutsch und in der Oberstufe ein bisschen Latein, ein bisschen zweite lebende Fremdsprache, ein Hauch Geografie, Physik und Musik wegfällt (nur die Leibesübungen bleiben angesichts des körperlichen Zustands der Jugend und eines allgemeinen Aufschreis unangetastet) - ein bisschen von fast überall, merkt eh keiner, oder? Dass die Schulen weitgehend in Autonomie entscheiden können, wo sie kürzen wollen, macht die Sachen nicht besser (sondern die Entscheidung, welche Schule man wählt, schwieriger).

Die wirklichen Fragen aber bleiben unangetastet. Warum zum Beispiel hat heute jeder vierte Schüler Nachhilfeunterricht? Weil Schule und Lernen in der Gesellschaft einen ganz anderen Stellenwert bekommen haben, Schüler mehr Abwechslung und Eltern mehr Geld für Nachhilfe haben? Oder weil der Anspruch in der Schule wächst, vielleicht auch durch Lehrer, die im Unterricht mehr verlangen, um außerhalb der Unterrichtszeit mehr Zubrot mit Nachhilfe verdienen zu können?

Oder die viel fundamentalere Frage: Ist Schule noch eine Bildungsanstalt im klassischen Sinn oder eine Lebenslehre. Kann sie beides, oder ist sie heillos überfordert, wenn sie ein Grundrüstzeug an Allgemeinbildung mitgeben will, gleichzeitig aber von IT bis Projektmanagement vermittelt, was in der Berufswelt so gebraucht wird? Und wird diese bei aller Fachausbildung nicht ärmer, wenn die zunehmend ausgehöhlte Allgemeinbildung - ein Blick in die Millionenshow reicht - noch weiter reduziert wird?

Das alles sind Fragen, die einer grundsätzlichen Analyse und einer komplexeren Antwort wert sind als eines simplen Schnippschnapps.

schwarz@diepresse.com

Stundenreduktion an den Schulen: Die scheinbar einfachste Antwort führt mitunter auch zur Themenverfehlung.





--
Diese Liste wird vom Personal Computer Club (http://www.pcc.ac) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.