Frankfurter Rundschau 07 04 03

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Der Lehrer L. (2)

Zentral bleibt die Idee, eines Tages erhielte man ein Instrumentarium wie einen Zauberstab in der Hand, mittels dessen man von nun an Gutes tut und Schlechtes abwendet, weshalb der Weg dorthin notgedrungen beschwerlich sei. Und folgerichtig wird man nicht so schnell müde, im Umkehrschluss das Eine zu suchen, das für das Alles verantwortlich zeichnen soll: Mal sind es die berufslosen Hausfrauen, die ihre Kinder einem verschatteten Dasein überantworten - wofür es der Dramaturgie von Wunsch und Wirklichkeit gemäß Belege und Gegenbelege gibt. Dann wieder liegt es an einer grundsätzlich falschen Einstellung zu Leistung und Ansporn. Und nicht zuletzt sind es immer wieder die Kinder der Nicht- oder noch-nicht-Deutschen, die mit ihrem tatsächlichen oder vermuteten Ungeschick auf etwas zielen, das dem pädagogisch-journalistischen Deuter quasi heilig ist: das Herz der Sprache.

Sekundiert wird die Aufregung um die Schmach, eine Nation von Dummköpfen zu sein, mit entsprechenden Krachledernen Vorschlägen, die sozusagen als Gegenmagie das Heil im ungestümen Befreiungsschlag suchen: Dann müssen Schulen sich eben wie Schuhgeschäfte dem Markt stellen und je für sich erblühen oder untergehen. Dann kommen eben alle Kinder in die Ganztagsschule! Dann wird eben schon in der Krippe mit den Knirpsen Englisch gesprochen.

Bildungszwang, Bildungskitsch

Dass Erziehung immer Unbestimmtes und auch Chaos bedeutet und Rahmenbedingungen allein den Zweck haben, einigermaßen ordnend einzugreifen, ist nicht vollständig wegzudenken; weshalb der Chor der wütend Klagenden immer wieder umgeschwenkt und nicht mehr allein mehr Geld oder mehr Lehrerstellen oder mehr von dem, was gerade Konjunktur hat, verlangt, sondern es soll - und auch dies scheint eine magische Formel - gehandelt werden, endlich gehandelt!

Natürlich enthält die Suche wie Beschwörung nach den magischen Momenten Elemente des Sentimentalen und auch des Kitsches. Und aus diesem kann durchaus Ekliges erwachsen, etwa wenn allein aus der Umkehrung von Leistung und deren Bewertungsmöglichkeiten darauf gesetzt wird, dass einer, der nichts leisten kann, ein guter Mensch vielleicht erst dadurch wird. Etwas, das sich allenfalls für Nischenexistenzen wie die Waldorf-Bewohner rechnet, bei entsprechend finanzieller Abfederung oder ideologischer Unbesiegbarkeit. Sei es drum. PISA ist nicht vollständig zu verstehen, nimmt man sich nicht dem in ihm wohnenden Bedürfnis nach Selbst- wie Weltheilung an.

Es ist unwahrscheinlich, dass Herr L. noch lebt; jener kauzige Lehrer, dessen Klassenarbeiten - mithin das tägliche Prüfverfahren von Soll und Haben - zugleich gefürchtet wie geachtet wurden. Er schritt durch den Raum, schaute einem über die Schulter, legte zuweilen wortlos seinen nikotingelben Zeigefinger auf die Aufgabe, die man also falsch gelöst hatte. Dann wieder verließ er den Raum ganz; vermutlich um draußen eine zu rauchen und noch mehr um uns zu vermitteln, dass etwas nicht zu wissen verzeihlich, sich selbst helfen können aber etwas unbedingt zu Erlernendes sei. So ging er seines Weges, geprägt von leichtem Starrsinn und einem Hang zur sanften Sabotage. Das war, als nach der Zehnten Klasse sich die Lebenswege trennten: Wer auf der Schule blieb, bekam seine Note. Wer aber bekannte, zu gehen, freiwillig oder gezwungenermaßen, dem strich er in seinem Büchlein die vorgesehene Note durch und gab ihm eine um eine Note bessere; gut gelaunt und dazu pfeifend.





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