Presse 08 04 03 http://www.diepresse.com/default.asp?channel=m&ressort=mk&id=347510

Doch kein Gerümpel in den Schulen!

VON THOMAS KRAMAR
---------------------------------------------------------------------------
-----
Weniger Schulstunden aus Musik oder aus Bildnerischer Erzie hung? Gar weniger Deutsch? - Was für ein Anschlag auf die (Herzens-) Bildung, ja auf die abendländische Kultur! Und, nihil humanum et cetera, auch Latein muss sein, non scholae, aber eben doch. - Weniger Turnen? - Aber die Gesundheit! - Weniger Fremdsprachen? - Wo bleibt dann die Internationalität? - Weniger Geografie? - Detto! Und erst die Wirtschaftskunde! - Weniger Geschichte? - Undenkbar! Wer aus der Vergangenheit nicht lernt, ist verdammt . . . - Dann halt Sparen an Physik, Chemie, Biologie? - Wo denken Sie hin, mitten im naturwissenschaftlichen Zeitalter? Wo die Erkenntnisse aus den "Sciences" zum wichtigsten Rohstoff geworden sind?

So viele Fächer, so viele Aufschreie. Die eilige Kürzung der Schulstunden aus Einsparungsgründen, die man der Öffentlichkeit als Schonung der Schüler (v)erklären wollte, hat so etwas wie die Speed-kills-Variante einer bildungspolitischen Debatte provoziert. Immerhin: So mancher weiß jetzt, was und wieviel ihm die Schule wert war oder ist. Und begreift, was für ein schales Schlagwort die seit Jahrzehnten geforderte "Entrümpelung" der Lehrpläne ist. Weit und breit kein Gerümpel, nichts, was sich spur- und schmerzlos entsorgen ließe.

Oder doch? Eines darf, soll, muss man von allen Diskutanten fordern: Sagt nicht, was unverzichtbar ist! (Das ist leicht, jeder Kramer preist seine Ware und jeder Lehrer sein Fach.) Sagt lieber, was ihr für am ehesten verzichtbar haltet! Darüber kann man dann streiten. Möglichst ohne Keulen (wie das ewige Turnlehrer-Argument mit der Volksgesundheit). Aber auch ohne Schongebiete. Wenn etwa Mathematik trotz vergleichsweise sehr vieler Schulstunden gerade bei österreichischen Intellektuellen noch immer ein so schlechtes Image hat, könnte das ja auch daran liegen, dass sie zu sehr als Handwerk unterrichtet wird, bei dem es mehr aufs Üben als aufs Denken ankommt, mehr auf Pedanterie als auf Konzepte . . .

Man hört ihn schon, den Aufschrei der Mathematiker. Und, ja, er ist berechtigt, wie all die Aufschreie. Ganz ohne Ironie: Das schöne an dieser Debatte ist, dass sie zeigt, wie wichtig uns Bildung ist, dass kaum jemand Angst hat, zuviel zu lernen, viele aber, zu wenig gelehrt zu bekommen. Und dass ein breiter Konsens besteht im Bekenntnis zu einem guten öffentlichen Schulsystem, aus dem kein Schüler in teure Privatschulen ausweichen muss, wenn er mehr lernen will als ABC, Kopfrechnen und Disziplin.




--
Diese Liste wird vom Personal Computer Club (http://www.pcc.ac) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.