SN 12 04 03 http://www.salzburg.com/sn/03/04/12/artikel/424529.html

Die Schule neu denken

Zeugnisse sind nur "Scheinerfolge". Eine große Schulreform soll echte Leistungsstandards und eine völlig neue Lehr- und Lernkultur bringen.

HELMUT SCHLIESSELBERGER

Die Schulzukunft hat schon begonnen - mit Stundenkürzungen. Wohin die nun mit einer Zukunftskommission angegangene große Schulreform führen soll, steht auch schon fest: Statt "ressourcenorientierter Input-Steuerung" soll am Ende "ergebnisorientierte Output-Steuerung" stehen, sagt das Bildungsministerium.

Bevor der Leser nun angesichts der ministeriellen Wortungetüme allen Reformwillen und die Lektüre dieses Artikels aufgibt - es geht auch auf
Deutsch: Es soll nicht um Lehrerposten, Klassenzimmer oder Stundenzahlen gehen, sondern es wird in der Schule künftig darauf ankommen, was rauskommt.

Das, was rauskommt, soll bereits im nächsten Jahr einheitlich überprüfbar und vergleichbar sein. Leistungsstandards sollen festschreiben, was Schüler nachhaltig am Ende eines Bildungsabschnitts können sollen (siehe untenstehenden Kasten): Was etwa am Ende der Hauptschule an Kompetenzen vorhanden sein soll.

Die Ausarbeitung der Standards ist nur eine der Aufgaben der nun eingesetzten Zukunftskommission, deren Ergebnisse für eine inhaltliche Untermauerung der bereits durchgezogenen Stundenreduktion allerdings zu spät kommen werden.

Die Zukunftskommission soll ein langfristiges Konzept nachhaltiger Schulreformschritte vorlegen und Pläne zur praktischen Umsetzung ausarbeiten. Da in Österreich derzeit alles für den Konvent aufgespart wird, überrascht es nicht, wenn es heißt, dass der "Bildungsgesamtplan" erst bis zum Österreich-Konvent in zwei Jahren stehen soll. Die Kommission wird bis dahin die Lehrpläne nach überflüssig detaillierten und veralteten Inhalten durchforsten und den Schwerpunkt auf nachhaltige Vermittlung der Kerninhalte legen.

"Lernen, Abprüfen und Vergessen" ist eines der Probleme, nicht nur des österreichischen Schulsystems. Zeugnisse sind im doppelten Sinn nur
"Scheinerfolge"; es geht künftig darum, Kompetenzen auf Dauer zu sichern. Wenn in der 6. Schulstufe Prozentrechnen gelehrt wurde, wurde nie mehr überprüft, ob Prozentrechnung in der 9. Schulstufe noch beherrscht wird.

Die Reform wird zudem massiv in Richtung fächerübergreifenden und projektorientierten Unterricht gehen. Die Bündelung von Fächern wie Physik, Biologie und Chemie könnte es bald geben. Auch bei der Vermittlung von Kompetenzen im Bereich der Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung kommen neue Schwerpunkte.

Ob die teilweise Auflösung der Jahrgangsklassen und schon lange geforderte
Modul- und Kurssysteme in der Oberstufe kommen werden, bleibt offen. Ministerin Elisabeth Gehrer gibt sich im SN-Gespräch eher skeptisch. "Ich frage seit Jahren, gibt es irgendwo ein Modell, wo die Klassen aufgelöst sind. Das gibt es nirgends."

Ganztagsschulmodelle werden heute auch in der ÖVP nicht mehr von jedem als "Zwangstagsschule" verteufelt. Auch über die von Alfred Gusenbauer geäußerte Forderung "Eine moderne Schule heißt auch, dass der Arbeitsplatz des Lehrers ganztags an der Schule ist", lohnt es sich, eine Diskussion zu führen.

Wenn eine politische Entscheidung für eine umfassende Reform gefallen sei, müsse man an vielen Punkten zugleich ansetzen: in der Lehrerausbildung und mit verpflichtender Lehrerfortbildung, betont der Salzburger Erziehungswissenschafter Josef Thonhauser. Dies erfordere eine gewaltige
Anstrengung: "Wenn eine umfassende Reform angestrebt wird und es bleibt bei der stereotypen Wiederholung der Vorgabe, sie dürfe nichts kosten, dann ist es schade um die gedankliche Anstrengung." Österreich hat großen Aufholbedarf bei der Evaluierung und externen Qualitätsmessung. Das räumt sogar die Ministerin ein: "Bei uns hat eine jahrzehntelange Entwicklung stattgefunden, dass Leistung nicht gemessen werden darf."

Der Schwerpunkt Evaluation werde in Österreich noch massiv an Bedeutung gewinnen müssen, betont auch Thonhauser. Es sei wichtig, dass ein stärkeres externales Element in Österreichs Schulen komme. Das einzige externale Element sei lange Zeit der Schulinspektor gewesen, insbesondere bei der Matura. Das reichte jedoch nicht annähernd für objektive Bedingungen. Es müsse nicht gleich eine Zentralmatura kommen, betont Thonhauser, aber irgendeine geeignete Form der Objektivierung der Maturaanforderungen. Das wä-re jedenfalls eine Konsequenz der Einführung von Leistungsstandards.

In jeder Schulstunde wird sehr viel Zeit "vergeudet"

Auch im Hinblick auf die Leiterbestellung an den Schulen müsse sich etwas ändern, betont Thonhauser. Es sei endgültig Zeit für eine Abkehr von der Direktorenbestellung nach dem Parteibuch. Die Institution Schule, die mit der erweiterten Autonomie für sich mehr Verantwortung übernehmen müsse, könne auch mehr Mitsprache bei der Leiterbestellung verlangen: Durch gewählte Schuldirektoren nach öffentlicher Ausschreibung.

In der aktuellen Entlastungsdiskussion wäre es vernünftig, ein viel stärkeres Augenmerk darauf zu richten, wie mit Zeit umgegangen wird. In den Schulen werde viel Zeit vergeudet und zwar in jeder Stunde. Ganz anders sei das z. B. in Japan. Wenn dort Unterricht stattfinde, werde in der Regel konsequent gearbeitet. Bei uns oder auch in Deutschland oder den USA seien hingegen Ablenkungen gang und gäbe. In Japan werde nach dem Motto "time on task" die volle Arbeitszeit in den Schulstunden fürs Lernen verwendet. Und nicht etwa für Organisatorisches und Disziplinäres oder Smalltalk-Ablenkungen. Bei mehr Konsequenz könnte, so Thonhauser, in geringerer Unterrichtszeit der gleiche oder ein ergiebigerer Effekt erreicht werden.





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