In Bayern wird künftig die staatliche Förderung im Kindergarten von der Erfüllung eines Bildungsplanes abhängen. Und: Die Erzieherinnen werden eine Art Entwicklungstagebuch führen Die Bertelsmann-Stiftung steht in den Startlöchern. Schreckliche Aussichten, wenn man sich daran ein Beispiel nimmt. Vor allem, wenn man Ausgliederung und Sparmaßnahmen miteinander kombiniert. Wenn die Bertelsmann.Stiftung in einem EU-Land (D) "einen Fuß im Kindergarten" hat, wie leicht werden wir ähnliche Bestrebungen hierzulande abwehren können? Wenn der Bildungsplan für den Kindergarten einmal genehmigt ist, wie leicht wird dann seine "Weiterführung" zu verhindern sein, zumal die Verhandlungen darüber unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden? Es ist bemerkenswert, mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Leser für dumm verkauft werden.
G.W.

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stern.de - 1.4.2003 - 17:23
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Interview

"Die Kinder müssen lernen zu lernen"
Bayerns Familienministerin Christa Stewens im SOS-Mütterzentrum Neuaubing

Wollen Sie den Kindergarten neu erfinden?
Das wäre Hochstapelei. Der bayerische Bildungs- und Erziehungsplan kehrt zurück zu einem Gedanken, den schon Humboldt, Pestalozzi und Montessori betont haben: Frühkindliche Bildung ist ungeheuer wichtig. Wir wollen gezielt die Wissbegierde der Kinder befriedigen, die Kleinen entsprechend fördern.

Wie sieht das konkret aus?
Wir müssen die sprachliche, die naturwissenschaftlich-technische und die musische Förderung ausbauen, aber auch neue Akzente setzen. Neu ist zum Beispiel das Feld Mathematik. Kleine Kinder sind sehr neugierig, was Zahlen, Mengen und geometrische Formen anbelangt. Besonderen Wert legen wir darauf, jedes Kind gezielt in seiner Persönlichkeit zu stärken: seine Stärken zu stärken und seine Schwächen zu schwächen. Soziale Kompetenzen sollen ebenfalls gefördert werden. Kinder müssen lernen, über das, was sie empfinden, auch zu sprechen. Und sie müssen lernen zu lernen.

Donata Elschenbroich, Autorin des Bestsellers "Weltwissen der Siebenjährigen",
behauptet: "Der Schatz der frühen Kindheit verkommt in dieser Republik." Würden Sie dem zustimmen?
Teilweise ja. Die Unterschiede zwischen den Kitas sind groß, das weiß ich aus eigener Erfahrung mit neun Enkeln. Deswegen sind einheitliche Standards wichtig. Nach der Pilotphase wird unser Bildungsplan gesetzlich verankert. Ab Herbst 2005 muss er von allen Kindergärten und -krippen in Bayern umgesetzt werden. Das Testjahr werden wir intensiv für die Weiterbildung der Erzieherinnen nutzen.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass sich alle an den Plan halten?
Davon wird künftig die staatliche Förderung abhängen. Außerdem wird es regelmäßig Elternbefragungen in allen Kitas geben, die Ergebnisse werden veröffentlicht.

Sie fordern eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern. Was ist darunter zu verstehen?
Bisher geben viele Eltern ihr Kind an der Türe ab und sagen sich: Der Kindergarten wird´s schon richten. Kurz vor der Einschulung interessieren sie sich dann plötzlich für die Entwicklung ihres Kindes. Wir wollen die Eltern in die Verantwortung nehmen. Die Erzieherinnen werden für jedes Kind eine Art Entwicklungstagebuch führen und es mit den Eltern durchsprechen.

Können Sie Ihren Bildungsplan nicht vergessen, solange Sie Kita-Gruppen mit bis zu 24 Kindern haben?
Er ist so schwieriger umzusetzen als in kleineren Gruppen. Aber Qualität in der Kinderbetreuung ist nicht in erster Linie eine Frage der Gruppenstärke, sondern der angewandten Lernmethoden. Hier ist der Bildungs- und Erziehungsplan eine wertvolle Hilfe.

Kritiker sagen, Deutschland sei Notstandsgebiet, was die Erzieherinnenausbildung anbelangt. Müssten Erzieherinnen nicht, wie in fast allen Nachbarländern, an Fachhochschulen oder Unis studieren?
Wir reformieren auch die Ausbildung der Erzieherinnen an den Fachakademien mit Blick auf den Bildungsplan. Es muss aber weiterhin für junge Frauen mit mittlerer Reife möglich sein, Erzieherin zu werden. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass in Zukunft noch mehr studierte Sozialpädagogen in Kindergärten und -krippen arbeiten.

Müssten Kitas nicht als Bildungseinrichtungen definiert werden und - wie die Schule auch - gebührenfrei sein?
Wir werden die Qualität verbessern und mehr Plätze schaffen. Dafür brauchen wir auch in Zukunft einen finanziellen Beitrag der Eltern. Im Vergleich zu anderen Bundesländen ist er in Bayern mit durchschnittlich 70 Euro pro Kind und Monat nicht hoch.

Interview: Catrin Boldebuck und Anette Lache

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Lernen
Bertelsmann-Stiftung will Lernen vor der Schule fördern

Kinder sollen nach Vorstellung der Bertelsmann-Stiftung schon vor Beginn der Schulzeit lernen. "Die höchst intensive Lernzeit vor dem sechsten Lebensjahr wird in Deutschland bisher viel zu wenig genutzt", sagte der Kindheits- und Familienforscher Wassilos Fthenakis auf einer Tagung der Stiftung in Gütersloh.

Frühkindliche Bildung soll Schwerpunkt werden
Nicht erst mit der PISA-Studie sei deutlich geworden, dass sich erfolgreiche Bildungssysteme durch einen frühen Einstieg der Kinder in die Lernförderung auszeichneten, sagte der Wissenschaftler nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung. Die Ergebnisse der Sitzung mit Experten aus Politik, Wissenschaft, Praxis, Forschung und Lehre sollen noch in diesem Frühjahr in die Planung konkreter Projekte einfließen. Stiftungs-Vorsitzender Heribert Meffert kündigte an, dass die Stiftung die Förderung der frühkindlichen Bildung zu einem ihrer Aufgabenschwerpunkte machen werde.

Als einen besonderen Mangel bezeichnete Fthenakis die Zersplitterung des deutschen Bildungssystems. Erziehungskonzepte von Kindertagesstätten, Kindergärten und Grundschulen seien nicht aufeinander abgestimmt. "Nötig ist ein zusammenhängender
Bildungs- und Erziehungsplan
für die ersten zehn Lebensjahre mit festen Standards und Inhalten", forderte Fthenakis, der als wissenschaftlicher Direktor des Münchner Staatsinstituts für Frühpädagogik und Professor an der Freien Universität Bozen tätig ist. Früh- und Schulpädagogik seien keine separaten Welten.

Eltern sollen nicht Zaungäste sein

Der Wissenschaftler setzte sich dafür ein, bei den unter Sechsjährigen Sprachkompetenz, naturwissenschaftliches und technologisches Verständnis sowie kognitive Fähigkeiten wie Zahlenbegriff und Zeitverständnis stärker zu fördern. Gleichzeitig müssten die Fachkräfte in der frühkindlichen Erziehung besser qualifiziert und auch die elterlichen Kompetenzen gestärkt werden. "Eltern sind nicht die Zaungäste, sondern Co-Gestalter des Bildungssystems", bemerkte Fthenakis.

Meffert betonte, dass es zu einer anderen öffentlichen Bewertung des Themas Bildung kommen müsse. "Frühkindliche beziehungsweise vorschulische Bildung muss aus ihrem Schattendasein heraus und bevorzugt gefördert werden. Das ist ohne eine Umkehrung der derzeitigen Prioritäten nicht möglich."




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