DER STANDARD
Samstag/Sonntag/Montag, 19./20./21. April 2003, Seite 2

JUGENDKRIMINALITÄT

Steigende Häftlingszahlen in überquellenden Gefängnissen bilden den Hintergrund des Skandals um Korrekturhaft für Jugendliche. Verdacht auf Drogendelikte und Diebstahl bringt immer mehr Minderjährige in U-Haft.
Jugendlicher "Hass auf die Gesellschaft"

Irene Brickner Michael Simoner

Wien - Drogen und Diebstahl - das sind die beiden Hauptgründe, warum immer mehr Jugendliche in Österreich auf einer gerichtlichen Anklagebank landen. Laut Justizministerium endeten im Jahr 2000 rund 600 Suchtgiftprozesse mit Schuldsprüchen, im Vorjahr waren es allein in den ersten neun Monaten bereits 960 Verurteilungen - ein Plus von 59 Prozent. Noch drastischer ist im gleichen Zeitrahmen die Zunahme bei gewerblichem Diebstahl um 85 Prozent auf insgesamt 1524 Verurteilungen. Die Mehrheit der jugendlichen Straffälligen bekommt eine bedingte Haftstrafe aufgebrummt, denn in der Regel handelt es sich um Ersttäter. Auffällig ist aber, dass immer mehr Junge in Untersuchungshaft genommen werden - also die Zeit bis zur Verhandlung hinter Gittern verbringen müssen. Der Zuwachs in der U-Haft gilt auch für Erwachsene, und genau diese Problematik lässt Österreichs Gefängnisse derzeit übergehen. Im Vorjahr wurden insgesamt 13.953 Zugänge in Straf-und U-Haft gezählt, 1358 davon waren unter 18 Jahre alt. Gesetz verschärft
Die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von 19 auf 18 Jahre im Jahr 2001 dürfte keine signifikante Rolle für den Anstieg der Haftzahlen spielen, heißt es im Justizministerium. Auch mit der Verschärfung des Suchtmittelgesetzes will Justizminister Dieter Böhmdorfer (FP) keinen Zusammenhang sehen. Für den ehemaligen Präsidenten des Jugendgerichtshofes, Udo Jesionek, kommt die zunehmende Jugendkriminalität nicht überraschend. "Ich sehe hier eine direkte Verbindung zu der steigenden Jugendarbeitslosigkeit", meint er. Junge Menschen, vor allem solche aus den ärmeren Schichten mit nur wenig Chance auf einen Arbeitsplatz, würden "einen Hass auf die Gesellschaft" entwickeln. Dann sei es oft nur ein Schritt zu Diebstählen oder Drogenmissbrauch. Jugendlichen werde heutzutage "vielleicht Chancengleichheit, aber sicher nicht Chancengerechtigkeit" geboten, meint die Wiener Kinder-und Jugendanwältin Monika Pinterits. "Schauen wir uns doch an, wer sich da in Jugendhaft befindet, junge Leute aus der Mittelschicht sind das sicher nicht." Sondern, wie sie betont, "Kids, die von klein auf mit sozial schwierigsten Umständen konfrontiert waren". Altersgrenzen
Schwierigkeiten hat Pinterits mit den "strikten Altersgrenzen" im
Jugend- und Erwachsenenstrafrecht: Bis 14 gilt ein straffällig Gewordener als Kind, zwischen 14 und 18 Jahren als Jugendlicher, von 18 bis 21 als junger Erwachsener, dann als Erwachsener. Besonders im Alter zwischen 20 und 25 Jahren jedoch komme es "in Fällen verzögerter Entwicklung zu spätpubertären kriminellen Taten". Würden diese mit der Härte des Erwachsenenstrafrechts bestraft, so beeinträchtige das den späteren Lebensweg. Aus diesem Grund möchte die Jugendanwältin das deutsche Modell eines "heranwachsenden Strafrechts" in die heimische Diskussion einfließen lassen. Dieses ermögliche es der Richterschaft, in gewissem Rahmen das Jugendstrafrecht auch bei älteren Delinquenten anzuwenden. Änderungsbedarf sieht aber auch die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig. Und zwar angesichts der steigenden Zahlen inhaftierter junger Mädchen. Seien bis vor einem Jahr nur einzelne 14- bis 18-jährige Mädchen in U-Haft eingesessen, so befänden sich derzeit schon 15 in der Justizanstalt Josefstadt. Im Gegensatz zu jungen Burschen in Haft gebe es für junge Frauen außer der Grundschule keinerlei Beschäftigung. Jugendgerichtshof
Der Anstieg von jugendlichen Häftlingen kurbelt auch die Diskussion um die Auflösung des Wiener Jugendgerichtshofes wieder an. Als Termin für das umstrittene Ende ist der 1. Juli 2003 vorgesehen. Die betroffenen Richter sind bereits Anfang des Jahres in das Landesgericht für Strafsachen und die jugendlichen Häftlinge in die Justizanstalt Josefstadt übersiedelt. Mit der Auflösung werde die Organisation an die bewährte Struktur in den Bundesländern angeglichen, sagt Böhmdorfer. Er hatte sein Vorhaben vor einem Jahr überraschend bekannt gegeben, doch erst nach der Neuauflage von Schwarz-Blau stimmte die VP zu.


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