DER STANDARD
Freitag, 25. April 2003, Seite 8

Asylwerber: Staat muss zahlen

Knalleffekt im Konflikt um obdachlos gemachte, aus der Bundesbetreuung entlassene Asylwerber. Die Kosten für deren Versorgung sind von den einspringenden karitativen Organisationen beim Bund einklagbar, und zwar 30 Jahre rückwirkend, entschied der Oberste Gerichtshof.

Irene Brickner

Wien - 610.000 Euro. Diese respektable Summe könnte allein das Evangelische Hilfswerk bei der Republik Österreich für die Betreuung aus der Bundesbetreuung entlassener, mittelloser Asylwerber im Jahr 2002 einklagen. Das rechnete am Donnerstag Michael Chalupka vor, der Direktor der Evangelischen Diakonie. Und zwar auf der Basis eines "bahnbrechendes Grundsatzentscheids" für Flüchtlinge in Österreich, wie es Wolfgang Fromherz vom Netzwerk AsylAnwalt ausdrückt. Eines Entscheids, der Hilfswerk, Caritas, Volkshilfe und Rotem Kreuz die Möglichkeit eröffne, vom Bund die Kosten für die Betreuung obdachloser Flüchtlinge "rückwirkend für die vergangenen 30 Jahre" einzufordern. Im Namen des Hilfswerks hatte der Linzer Jurist Fromherz umgerechnet 84.510,51 Euro für die fünfeinhalb Jahre lang währende Unterbringung und Versorgung einer sechsköpfigen afghanischen Familie reklamiert. Nun bekam er Recht - und das Wiener Erstgericht den Auftrag, vor der Auszahlung des Geldes erneut über die Hilfsbedürftigkeit der sechs Afghanen zum Zeitpunkt ihres Asylantrags 1996 zu entscheiden. Weil "Bundesbetreuung nicht aus willkürlichen Gründen verwehrt werden darf". Und weil "jemand, der einen Aufwand trägt - im konkreten Fall das Hilfswerk -, den ein anderer - der Bund - hätte tragen müssen, sich an Letzterem schadlos halten kann", deutscht Fromherz den OGH-Entscheid aus. Konkret war den - mittlerweile als Konventionsflüchtlinge anerkannten - Afghanen im Jahr 1996 von den Behörden die Bundesbetreuung verwehrt worden. Also sprang das Hilfswerk als Unterbringer ein, wie es karitative Organisationen derzeit in jährlich mehreren Tausend Fällen tun.

Richtlinie im Zwielicht
In immer mehr Fällen für immer mehr Menschen, seit das Innenministerium im Herbst 2002 eine Richtlinie zur Anwendung brachte, die Flüchtlinge aus einer Reihe von Staaten aus der Bundesbetreuung von vornherein ausschließt (DER STANDARD berichtete). "Die Bundesbetreuungsstelle in Traiskirchen ist halb leer, während unsere Quartiere überquellen", schildert für die Caritas Präsident Franz Küberl die derzeitige "unannehmbare" Situation. Diese Situation harre nach dem Urteil nun dringend "einer vernünftigen und menschenwürdigen Lösung" betont Küberl. Das Innenministerium sei jetzt am Ball, um "entsprechende Vorschläge zu machen". In diesem Sinne komme der Entscheid "jetzt gerade recht". Eine Ansicht, die man beim Hilfswerk teilt: Das Einklagen hoher Summen für 30 Jahre Flüchtlingsbetreuung sei nicht die primäre Absicht, betont dort Flüchtlingsverantwortlicher Christoph Riedl. Vielmehr setze man auf den "Druck, der durch den OGH-Entscheid auf Minister Strasser ausgeübt wird". Einen Druck, den man in dessen Büro durchaus verspürt. "Unsere Juristen prüfen jetzt die Lage." Dann werde man eine Lösung suchen - "und zwar gemeinsam mit den NGOs", sagt Ministeriumssprecher Norbert Gollia. Die Eindeutigkeit des Entscheids, so ergänzt er, habe man "so nicht erwartet".


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