DER STANDARD
Freitag, 25. April 2003, Seite 29
Kommentar
BLATTSALAT
Wo nur noch Wunder helfen
Günter Traxler
Wie oft, wenn nichts anderes mehr Rettung zu verheißen scheint, fleht der Mensch um ein Wunder! Und wird das Flehen belohnt, ist er immer gut beraten, es gleich der "Kronen Zeitung" zu melden. Da dieses journalistische Engelwerk auch in klerikalen Kreisen sehr geschätzt wird, ist die Chance, mit kirchlichen Behörden in ein Gegengeschäft zu kommen, größer als bei Leserbriefen in Blättern, die glauben, auf kirchenfürstliche Kolumnisten verzichten zu können.
So konnte gestern der Bürgermeister a. D. von Laxenburg der seit langem betriebenen Seligsprechung Kaiser Karls einen kräftigen Impuls verleihen, als er in aller Öffentlichkeit von einer Gebetserhörung des Dieners Gottes, Karl aus dem Hause Österreich, zu berichten anhub. Im März d. J. erkrankte ich lebensgefährlich, sodass zwei Ärzte erklärten, nur durch ein Wunder könnte ich gerettet werden, berichtete der alte Herr, der der "Krone" als Beleg seines prolongierten Erdenwallens sein Porträt samt Bürgermeisterkette mitgeschickt hatte. Obwohl von einer speziellen Zuständigkeit Karls aus dem Hause Österreich für n. ö. Bürgermeister nichts bekannt ist, zweifelte der von der Schulmedizin Aufgegebene keinen Augenblick, was zu tun war. Ich rief Kaiser Karl, während ich im Kaiser-Franz-Joseph-Spital in Wien war und auch dann zuhause wiederholt und inbrünstig an, wie auch unsere Familien-Heiligen, und bat, bei Gott Fürsprecher zu sein und mich am Leben zu erhalten. Die Wunder geschahen, und seit etwa zwei Wochen fühle ich, das Ärgste überstanden zu haben.
Glückwunsch! Im Kaiser-Franz-Joseph-Spital aufgegeben und von Kaiser Karl wundersam gerettet worden zu sein, das widerfährt nicht jedem. Es dürfte sich dabei um eine jener kognitiven Dissonanzen handeln, die das Haus Habsburg so oft leiteten und in den verzweifelten Ausruf des düpierten alten Herrn mündeten: Mir bleibt doch nichts erspart!
Das Vertrauen des Bürgermeisters in das Wirken des kaiserlichen Wunderheilers beruhte aber neben dem Glauben auch auf einem lange zuvor erbrachten Selbstbehalt: Es wollte wohl so sein, dass ich vor 85 Jahren, gerade als der Kaiser in Laxenburg residierte, im elterlichen Haus am Schlossplatz geboren und vom kaiserlichen Schlosskaplan getauft worden bin. Und weil er schon dort war: Schon während meines über dreißig Jahre langen Wirkens als Bürgermeister habe ich wiederholt vor wichtigen Entscheidungen beim Wiederaufbau Laxenburgs und der Rettung des Schlosses zu Kaiser Karl - der hoffentlich bald zu Ehren der Altäre erhoben wird - gebetet und ihm stets vertraut. Wenn der Vatikan jetzt nicht spurt . . .!
Auf ein Wunder scheint auch die Frau Unterrichtsminister zu hoffen, nämlich darauf, dass irgendjemand im Lande ihren Reformen an Schulen und Universitäten etwas Positives abgewinnen kann. Und auch ihr hat der Glaube, beziehungsweise die "Kronen Zeitung" mit ihrer Leserbriefseite geholfen! Dort fand sich Dienstag folgender Brief: Als Schüler eines Wiener Gymnasiums bin ich der Überzeugung, dass es richtig ist, die Schulstunden zu kürzen. Der Grund dafür ist nicht Faulheit, wie das immer wieder Schülern unterstellt wird, sondern das Wissen, wie viel unnötige Zeit man im Laufe eines Schuljahres in der Schule absitzen muss.
Der Verfasser des Briefes weiß auch, wer Schuld an dieser Vergeudung wertvoller Schülerzeit trägt. Lehrer klagen ständig, sie würden mit dem Lehrplan nicht durchkommen, in Wahrheit wird enorm viel Zeit vertrödelt bzw. werden völlig veraltete oder nutzlose Dinge in den Unterricht eingebracht. Wenn die Lehrer es schaffen würden, die vorhandene Zeit besser zu nutzen, dann wäre die Reduzierung der Schulstunden überhaupt kein Problem.
Der kühne Gymnasiast unterzeichnete sein Schreiben mit Martin Mayer, Schüler des BG XIII Fichtnergasse, Wien. Elisabeth Gehrer wird sich über das Wunder dieser positiven Stimme gewiss gefreut haben. Es muss ihrer Freude auch keinen Abbruch tun, dass niemand im gesamten Lehrkörper des Gymnasiums Fichtnergasse einen Schüler namens Martin Mayer kennt. Denn am Wunder ist nicht zu rütteln - und wäre es schlimm, wenn auch diesmal Karl aus dem Hause Österreich zugeschlagen hätte?
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