DER STANDARD
Samstag/Sonntag, 3./4. Mai 2003, Seite 1
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Lehrer fordern: Ferien und die Unterrichtsstunde kürzen / AHS-Gewerkschaft streikt und bringt Alternativvorschlag zu Gehrer-Plan

Wien - Mit einem ungewöhnlichen Vorschlag lässt der Vorsitzende der AHS-Lehrergewerkschaft, Helmut Jantschitsch, im STANDARD-Interview
aufhorchen: Statt der von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer geplanten Unterrichtsstundenkürzung sollte die Schulstunde nur mehr 45 statt 50 Minuten dauern. Als Ausgleich dafür müssten aber die Ferien verringert werden. "Weg mit den Semesterferien, mit den Dienstagen nach Ostern und Pfingsten und eine Woche weniger Sommerferien", schlägt Jantschitsch vor. Die Wochenarbeitszeit würde somit für Schüler und Lehrer sinken, die Jahresarbeitszeit hingegen gleich bleiben. Der Rechnungshof hatte im Zuge der Debatte um die "Schülerentlastung" die 45-Minuten-Stunde, aber eine höhere Lehrverpflichtung für Pädagogen gefordert - was die Gewerkschaft ablehnt. Nächsten Dienstag haben die AHS-Schüler frei, weil ihre Lehrer streiken. Stundenreduktion und Pensionsreform sollen dabei verknüpft werden, so der Standesvertreter. Schließlich schwebe selbst über den pragmatisierten Lehrern (laut Jantschitsch ungefähr die Hälfte) ein Damoklesschwert, weil die Regierung die Pensionen "harmonisieren" will, was als schwere Drohung empfunden werde. (mon)


Kommentar E.W.:

Die Jantschitsch-Beiträge in der Mai-Nummer der "AHS" (Seite 98, Seiten
108-109) zeigen, daß er dem Presse-Echo seiner Tätigkeit große Bedeutung zumißt.
Umso unverständlicher daher der Dilettantismus der obenstehenden
Aussagen:

1. Ausgerechnet in der momentanen Situation, wo sich eh keiner mehr auskennt, worum es eigentlich geht, kommt er mit einer Art Nullsummenspiel als Vorschlag für eine Neuverteilung der Jahresarbeitszeit (von Schülern und Lehrern) daher.
Vor drei Wochen erst hatten wir an den AHS eine Dienststellenversammlung in Sachen Stundenkürzungen. In drei Tagen soll gestreikt werden wegen der Pensionen. - Und dann reitet Jantschitsch der Teufel und er wirft noch einen Aspekt in die Diskussion, den wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt notwendig haben wie einen Kropf, und der noch dazu vollkommen falsch rüberkommt (siehe 2.).

2. Begreift er denn nicht, wie der durchschnittliche Zeitungsleser die STANDARD-Überschrift auf Seite 1 ("Lehrer fordern: Ferien und die Unterrichtsstunde kürzen") deuten wird? - Und das 3 Tage vor einem Streik, mit dem die AHS-Lehrerschaft um Sympathie für ihre Anliegen wirbt?
Der durchschnittliche Leser wird sich sagen: "Jetzt geben die Lehrer sogar schon selber zu, daß sie viel zu viel Ferien haben - und dann haben sie noch die Frechheit, kürzere Unterrichtsstunden zu verlangen."

3. In der Sache selber (kürzere Stunden und dafür weniger Ferien) desavouiert Jantschitsch die bisherige Lehrer-Position: Daß man nämlich zwecks Messung der Arbeitsbelastung nicht einfach Minuten zählen kann, und daß man durch Abschnipseln von je 5 Minuten aus 9 "alten"
(50-Minuten) Stunden nicht einfach scheinbar aufkommensneutral eine zehnte "neue" 45-Minuten-Stunde machen kann.
Begreift er denn nicht, daß er damit nur Gehrer das Feld für die nächste Attacke aufbereitet? - "Mit meinem Vorschlag einer 45-Minuten-Stunde habe ich ja nur eine Forderung übernommen, die die Lehrer selber bereits erhoben haben!" - Daß es dann nicht mehr um kürzere Ferien gehen wird, die ja budgetär nichts bringen, sondern um eine höhere Lehrverpflichtung, versteht sich von selber.

4. Ob die SchülerInnen eine Freude mit dieser Idee haben, wage ich zu bezweifeln. Ich als Schüler würde so sagen: "Wenn ich eh schon in der Früh aufstehen (und womöglich in die Schule pendeln) muß, daß bleibe ich halt in Gottes Namen eine halbe Stunde länger in der Schule - auch schon wurscht - aber dafür habe ich fast drei Wochen länger Ferien, wo ich mich ausschlafen kann!"
Aus Lehrer-Sicht behaupte ich, daß die Arbeitsbelastung durch diese scheinbar aufkommensneutrale Zeit-Umverteilung auf jeden Fall steigt. 45 oder 50 Minuten zu unterrichten oder vorzubereiten ist ziemlich egal. Aber fast drei Wochen länger an der Schule zu verbringen, das ist schon etwas ganz anderes!

5. Wieso, zum Teufel, findet sich nicht endlich einmal ein Beamtengewerkschafter, der OFFENSIV argumentiert und laut und deutlich verkündet, daß es im Öffentlichen Dienst noch immer die 40-Stunden-Woche gibt? Meine 20 Werteinheiten als Maß für eine volle Lehrverpflichtung kenne ich seit meinem Dienstanstritt vor 26 Jahren. In dieser Zeit ist die gesamte Privatwirtschaft von 40 Wochenstunden auf 38 reduziert worden - in manchen Branchen auch noch darunter.
Und was habe ich stattdessen bekommen? - Die erste Supplierstunde ist jetzt unbezahlt.

Erich Wallner



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