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"Endlich wurde über Unterricht geredet"

Im Interview
Manfred Prenzel ist Direktor des für das Sinus-Programm verantwortlichen Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel. Zurzeit arbeitet das IPN an der Pisa-Folgestudie – diesmal geht es um mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von 15-Jährigen. Mit Prenzel, der das deutsche Pisa-Konsortium leitet, sprach FR-Mitarbeiterin Jeannette Goddar.

Frankfurter Rundschau: Sinus hat darauf gesetzt, dass Lehrer zu Veränderungen bereit sind. Bei der Entwicklung der Projekte war nicht nur Kreativität gefragt; der gesamte Arbeitsalltag veränderte sich. Wie haben die Kollegien reagiert?

Manfred Prenzel: Überall war von Anfang an eine Gruppe Lehrer bereit mitzumachen. An vielen Schulen kamen immer mehr Kollegen dazu. Manchmal hat es natürlich geklemmt - aber insgesamt hat uns positiv überrascht, wie schnell sich eine neue Zusammenarbeit entwickelte.

Wie sah die konkret aus?

Die Fachlehrer wurden aufgefordert, sich über Aufgaben, Prioritäten und Ziele ihres Unterrichts klar zu werden, einzeln wie gemeinsam. Diese wurden nicht nur definiert, sondern auch regelmäßig protokolliert und evaluiert. So fand ein ständiger Austausch statt. Es mag banal klingen, aber vielleicht ist das der größte Erfolg von Sinus: An den Schulen wurde endlich ausführlich über den Unterricht geredet, um ihn Stück um Stück zu verbessern.

Für Außenstehende ist schwer vorstellbar, dass das sonst nicht passiert...

Es ist aber so. Man hat sich daran gewöhnt, aneinander vorbeizuarbeiten. Der durchschnittliche Lehrer erledigt seinen Unterricht und geht danach nach Hause. Das ist gar nicht abwertend gemeint - in Deutschland hat sich die Lehrkultur schlicht über Jahrzehnte so entwickelt, dass Lehrer glauben, sie könnten vormittags unterrichten und sich dann zu beliebigen Zeiten und an beliebigen Orten mit Vor- und Nachbereitung beschäftigen. Das wird sich ändern. Die Schule muss ein Arbeitsplatz werden, an dem man sehr regelmäßig darüber redet, wie man Schüler am besten unterrichtet.

Viele Sinus-Schulen haben sich für fächerübergreifende Konzepte entschieden. Ist das der Unterricht der Zukunft?

So einfach ist das nicht. Fächerübergreifender Unterricht regt das Interesse der Schüler an. Aber: Er kann auch ebenso anregend wie wirkungslos sein. Häufig wird übersehen, dass Fachperspektiven notwendig und nützlich sind. Ein Beispiel: Sie nehmen sich das menschliche Auge vor und vermitteln Physik und Biologie gemeinsam. Das macht Sinn, aber nur, wenn die Schüler am Ende wissen, welche Erkenntnis woher stammt und welchen Beitrag die jeweilige Disziplin leisten kann. Den Schulen zu helfen, wirksame Konzepte für fächerübergreifenden Unterricht zu entwickeln, war eine der Aufgaben unserer wissenschaftlichen Begleitung.

An 40 der 180 Sinus-Schulen werden derzeit im Rahmen von Pisa die Mathe- und Naturwissenschaftskenntnisse untersucht. Erwarten Sie bessere Ergebnisse?

Wir werden prüfen, ob sich die Wirkung des Programms bei der Stichprobe der 15-Jährigen bereits jetzt messen lässt. Auf mittlere Sicht erwarte ich jedoch, dass Schulen, die verständnisorientiert unterrichten, auch zu besseren Ergebnissen kommen. Wir sollten aber auch berücksichtigen, dass der Erfolg von Schulen sich nicht alleine an den kognitiven Kompetenzen der Schüler festmacht.

Sondern?

Eine überdauernde Motivation, die Aufgeschlossenheit oder gar das Interesse an einem Fachgebiet sind ebenfalls wichtig. Die Schule verfehlt ihre Bildungsziele, wenn Schüler, die gut in Mathe sind, als Erwachsene nie wieder etwas mit Zahlen, Formeln und mathematischen Problemen zu tun haben wollen. Das gilt für jedes Fach und ist ein zentrales Problem der Schule. Wir müssen Unterricht anbieten, in dem die Schüler nicht vor allem darauf warten, dass die Stunde zu Ende ist.




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