Lieber Koll. Sutterlütti,

machen wir bitte jetzt nicht den Fehler und sagen, "die sind
so, die waren so, die werden immer so sein." Es gibt
Momente, da ist eine "revolutionäre Stimmung", da geht
ein Raunen "es reicht, ihr treibt es zu bunt" durch das
ganze Volk. Und so ein Moment ist gerade jetzt. Das
kommt nicht oft vor, wahrscheinlich war dies zuletzt
im Oktober 1950, also vor unserer Zeit.

Mich überrascht es nicht, dass sich die Gremien (BSL)
so verhalten. Aber was hat das zu bedeuten? Es gibt den
Aufruf zu einer Großdemonstration am Dienstag. Ich kann
mir schwer vorstellen, dass das nur der Auftakt dafür sein soll, dass die ÖGB-Funktionäre sagen "..und jetzt nehmen wir am runden Tisch Platz."

Wer Hoffnungen weckt, und in einer Funktion ist, muss diese Hoffnungen auch erfüllen - oder die Funktionäre riskieren Enttäuschung und Abwendung. wenn sie dieses Risiko eingehen, dann bedeutet dies, dass die Betroffenen dann auf andere Weise versuchen werden zu Ergebnissen zu kommen, damit die Ziele doch noch umgesetzt werden. Wenn aus der Streikbewegung wirklich ein Wille zur Veränderung, eine Abkehr vom neoliberalen Kurs hervorgeht, dann lässt sich eine Bewegung nicht nach Belieben stoppen. Das mögen vielleicht manche Leute versuchen, aber die Vorhaben der Regierung sind derart unzumutbar, dass wir darüber gewiss nicht zur Tagesordnung übergehen werden. Ob die Organisationen, die wir haben, auch taugen, das wird sich im Laufe der Auseinandersetzungen herausstellen.

Die Annahme, dass die "Gewerkschaftsbürokratie bzw. -führung sich nicht x-beliebig durch die Mitglieder irgendwohin treiben lässt und zu etwas machen, das sie nicht ist", ist schon eine Überlegung wert, doch wenn dieselben merken, dass der "Druck von unten" so stark ist, dass sie entweder mitziehen müssen oder in der Bedeutungslosigkeit zurückbleiben, dann haben wir eine Chance etwas zu erreichen. Wir müssen nur von Anfang an unsere Aktion so anlegen, dass wir nicht auf die GÖD-Funktionäre angewiesen sind, aus eigener Kraft etwas bewegen können. Die Stimmung, wie ich sie bemerke, ist eindeutig so, dass der Regierungswahnsinn (Bildungsabbau und
Pensionsraub) sofort gestoppt gehört. Die Frage nach einer verlässlichen Führung dieser Bewegung ist allerdings nicht annähernd gleich leicht zu beantworten. Ich finde es schade, dass du die UBG nicht ins Spiel bringst, sondern eher herausnimmst. Können die Querschüsse von manchen GÖD/LSR-Querulanten eine derart vernichtende Wirkung haben? Genau deren Rolle kann - aus meiner Sicht - wiederum auch nicht gar so wie ein Gewitter aus heiterem Himmel gekommen sein.

mkG
Günter Wittek


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: "Robert Sutterlütti"
An: "Günter Wittek" ; "Lehrerforum"
; "Schett"
Gesendet: Sonntag, 11. Mai 2003 17:57
Betreff: LF: Re: Re: AW: Zu viele offene Fragen


: Sehr geehrter Herr Kollege Wittek!
:
: Wir sollten aber auch nicht zu viele Illusionen in die Veränderbarkeit der
: GÖD wie auch der etablierten Gewerkschaften generell haben. (im Sinne der
: Umwandlung in eine "kämpferische GÖD", in einen "kämpferischen ÖGB")
:
: Die etablierten Gewerkschaften haben ihre klare Funktion, ihr
: Selbstverständnis und die dazu gehörenden Parteigruppierungen, die das Sagen
: darin haben: Sie verstehen sich als staatstragend, haben das Wohl des
: Staates, der Nation, der Volkswirtschaft im Auge und erst in zweiter Linie
: die Interessen der ArbeiterInnen und Angestellten. Die vertreten sie njur
: insofern, als sie sich mit den Interessen der kapitalistischen Wirtschaft
: vertragen. Notfalls treten sie auch für Lohnsenkungen, Entlassungen usw. ein
: und verhelfen ihnen sogar zur Durchsetzung.
:
: Kämpfen tun sie, wenn der Druck der Mitglieder bzw. der Beschäftigten ein
: gewisses Ausmaß erreicht hat, aber es sind häufig Scheinkämpfe, mit denen
: oft nicht wirklich etwas erreicht wird. D.h. die vorhandene
: Kampfbereitschaft und Kampfkraft wird selbst in solchen Kämpfen nochmals
: abgebremst und aufgesplittert.
:
: Die Gewerkschaftsbürokratie bzw. -führung lässt sich nicht x-beliebig durch
: die Mitglieder irgendwohin treiben und zu etwas machen, das sie nicht ist.
: Diese Position (die Gewerkschaftsführung dorthin zu bringen, so man sie
: selber haben will), eine Position, die ja weit verbreitet ist, lese ich auch
: aus Ihrem Mail heraus.
:
: Richtig ist, wenn Sie sagen, dass die Kämpfenden / Streikenden / die Basis
: versucht, die Kontrolle über den Verlauf und die Ergebnisse des Kampfes zu
: erringen. Das bedeutet, die Kontrolle der Gewerkschaftsführung innerhalb des
: Kampfes einzudämmen. Das ist aber verdammt schwierig. Das würde etwa
: Urabstimmungen über Verhandlungsergebnisse erfordern - ein Instrumentarium,
: das weder die GÖD noch eine andere ÖGB-Gewerkschaft hat. Und es würde
: unabhängige Streikkomitees voraussetzen. Der Streik am 13. Mai wird aber vom
: Präsidium des ÖGB bzw. in unserem Fall auch von Zentralvorstand und
: Bundessektionsleitungen angeführt - und kontrolliert. Man soll nicht
: suggerieren, dass es anders wäre.
:
: Robert Sutterlütti
:
: ----- Original Message -----
: From: "Günter Wittek"
: To: "Lehrerforum" ; "Schett"
: Sent: Sunday, May 11, 2003 10:32 AM
: Subject: LF: Re: AW: Zu viele offene Fragen
:
:
: > Ich erkenne in der Wortmeldung von Koll. Schett die Sorge,
: > dass durch den Streik die GÖD gleichsam einen Freibrief
: > bekommen soll "in unserem Namen" (aller, die sich am Streik
: > beteiligen) Lösungen zu verhandeln, die dann letztendlich nicht
: > in unserem Sinne waren, uns von der GÖD aber in bekannter
: > Weise ("wir haben Schlimmeres verhindert") vorgesetzt werden,
: > und wir sind wieder angeschmiert.
:
: > Alle, die wir streiken, müssen
: > nachhaltig dahinter sein, dass wir die Ziele unseres Streiks
: > auch tatsächlich erreichen, sonst brechen wir den Streik,
: > wir tragen mit Verantwortung. Es geht nicht nur gegen die
: > Regierung, sondern auch gegen die Verwässerer unserer
: > Anliegen in den eigenen Reihen.
: >
: > Doch wer sich abseits stellt, der hat am Ende auch keine
: > Chance zu sagen: "Das habt ihr aber nicht in unserem Namen
: > ausgehandelt." Die kommenden Streiktage müssen anders
: > werden als der 6.Mai. Nach diesen Streiktagen soll die GÖD
: > auch nicht mehr dieser unbewegliche Klotz sein, der nur nach
: > dem Trägheitsprinzip agiert.
: >
: > Die Trägheit der GÖD funktioniert nur so lange, als wir uns
: > das bieten lassen.
:


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