DER STANDARD
Montag, 12. Mai 2003, Seite 19

Gehrer bewegt viel, nur Österreichs Kinder weniger

Es war einmal ein Begutachtungsentwurf, in dem die umstrittene Stundenkürzungsaktion von Bildungsministerin Gehrer keine Turnstunden kostete. Dann regten sich alle außer den Leibeserziehern darüber auf - und siehe da, Gehrers Verordnung enthält weniger Turnstunden als ihr Entwurf.

Johann Skocek

Wien - "Ich will Frau Gehrers Wortbrüchigkeit nicht kommentieren", meinte gestern ein hörbar enttäuschter Sportstaatssekretär Karl Schweitzer. Er verkaufte vor wenigen Wochen die im Begutachtungsentwurf für die neuen Stundenpläne verschonte Leibeserziehung auch als Erfolg seiner Bemühungen. Der Verband der Leibeserzieher Österreichs legte gestern den Finger auf Gehrers Beweglichkeit. In einem Ö3-Interview, am 27. März 2003 geführt von Herrn Kluger, sagt Gehrer über die Leibesübungen-Stunden in der Hauptschule: "Es waren 14, es sind 14, und es bleiben 14." Die im schönsten Amtsdeutsch "Wochenstundenentlastungs- und Rechtsbereinigungsverordnung 2003" genannte Verordnung senkt die Zahl der Turnstunden in der Hauptschule von 14 auf 13, in der AHS-Oberstufe von zehn auf neun, in der AHS-Unterstufe von 15 auf 14. Schweitzer fühlt mit seiner Regierungskollegin: "Ich würde nicht allzu sehr auf Gehrer herumtrampeln. Sie wollte sich wahrscheinlich nach den Protesten der Sportszene nicht auch noch mit allen anderen anlegen. Ich weiß, welch massive Proteste es von allen Seiten gegeben hat." SPÖ-Sportsprecher Peter Wittmann: "Die Kürzung bei der Leibeserziehung ist ein fataler Fehler. Diese Regierung weigert sich standhaft, die gesundheitliche, soziale und ökonomische Bedeutung des Sports zu erkennen. Das ist das Selbstverständnis der ÖVP, die glaubt, allwissend, allmächtig und allgegenwärtig zu sein." ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon begrüßt die von Gehrer vorgenommenen
Änderungen; vor allem gefällt ihm, dass Englisch als eigenständiges Fach in der Volksschule erhalten bleibt, was nach Amons Auffassung "im Sinne der Schüler" sei. Die Grünen und ihr Sportsprecher Dieter Brosz weisen nicht nur darauf hin, dass auch schon die OECD Gehrer um Aufklärung über die in Österreich fehlerhaft angestellte Berechnung der heimischen Schulstunden bat. Auch scheint Brosz' Vermutung nicht ganz falsch, dass Gehrer die Verordnung "im Schatten der Budgetdebatte durchpeitschen" wollte. Bis zur Beantwortung der OECD-Anfrage sei daher, so Brosz, die Stundenkürzungsaktion auszusetzen. Der Verband der Leibeserzieher fordert Gehrer auf, die Verordnung "aus öffentlichem Interesse" zurückzuziehen. Denn das Papier sei zu verstehen "als Verhöhnung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre und als Missachtung der Verantwortung gegenüber der Gesundheit der künftigen Generationen".


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