Rundschau > Die Erwartungen an den Geschichtsunterricht, die
> von "einem effektiven Instrument der moralischen Erziehung"
> ausgehen, gelte es zu reduzieren
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Solch ein Verlangen klingt antiquiert. Die Erziehung nach Ausschwitz immer nur unter dem Deckmantel der Aufklärung zu sehen, ist schlicht und einfach falsch. Geschichte zu instrumentalisieren, damit bestimmte Ergebnisse herauskommen, ist sinnwidrig.
Zu fragen ist, welche politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind, damit unter diesen Bedingungen Menschen gerade so handeln, wie sie es eben tun und für angemessen empfinden oder sich dazu leiten lassen.
Von einem Pädagogischen Institut erwarte ich mir, dass es nicht Gegebenheiten (wie Fernsehkonsum) einfach bloß feststellt, sondern darüber hinaus zu einem emanzipatorischen Ansatz kommt.
Der Glaube an das Gute im Menschen ist ziemlich alt, in diesem Zusammenhang bereits bei Adorno zu finden, der in "Erziehung nach Auschwitz" Folgendes schreibt:
"Walter Benjamin fragte mich einmal in Paris während der Emigration, als ich noch sporadisch nach Deutschland zurückkehrte, ob es denn dort noch genug Folterknechte gäbe, die das von den Nazis Befohlene ausführten. Es gab sie. Trotzdem hat die Frage ihr tiefes Recht. Benjamin spürte, dass die Menschen, die es tun, im Gegensatz zu den Schreibtischmördern und Ideologen, in Widerspruch zu ihren eigenen unmittelbaren Interessen handeln, Mörder an sich selbst, indem sie die anderen ermorden. Ich fürchte, durch Maßnahmen auch einer noch so weit gespannten Erziehung wird es sich kaum verhindern lassen, dass Schreibtischmörder nachwachsen.
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Aber dass es Menschen gibt, die unten, eben als Knechte das tun, wodurch sie ihre eigene Knechtschaft verewigen und sich selbst
entwürdigen; dagegen lässt sich doch durch Erziehung und Aufklärung ein Weniges unternehmen."
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Daraus folgt, dass es immer noch darauf ankömmt, dass sich
die Menschen ihrer eigenen, realen / tatsächlichen Lage bewusst werden.
Dafür gibt es genug Möglichkeiten. Politische Bildung brauchen wir deswegen sicher nicht reduzieren. Aber sollten wir auf die Schiene kommen untersuchen zu wollen, ob Walser "entgleist" ist oder nicht, dann wären wir bestimmt falsch unterwegs.
G.W.
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: "Timo Davogg"
An: "Lehrerforum"
Gesendet: Samstag, 17. Mai 2003 18:12
Betreff: LF: Aufklärung über Auschwitz in den Schulen
: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/deutschland/?cnt=2
: 14113 17 05 03
:
: Als Mittel moralischer Erziehung taugt Unterricht kaum
:
: Pädagogen warnen vor zu hohen Erwartungen an eine Aufklärung über Auschwitz
: in den Schulen
:
: Von Matthias Arning (Frankfurt a. M.)
:
: Das Zauberwort heißt Erziehung und klingt in Deutschland im Zusammenhang mit
: Demokratie oft so: Erziehung nach Auschwitz. Oder so: Erziehung zur
: Mündigkeit. Kaum eine Konferenz über den Holocaust kommt ohne das Zauberwort
: aus, selten gibt es Ansprachen zu Jahrestagen, in der Politiker nicht den
: Unterricht beschwören und die Erziehung als korrektive Instanz gegen
: Intoleranz aufrufen. Doch der Unterricht, das gibt der Frankfurter
: Erziehungswissenschaftler Matthias Proske zu bedenken, "wird überbewertet",
: kann Aufklärung in dem erwarteten Maße "gar nicht leisten" und taugt für
: sich genommen nicht für "eine Immunisierung gegen antidemokratische
: Tendenzen".
:
: Das klingt nach Entzauberung, ist aber gar nicht so gemeint. Proske warnt
: nur davor, die Erwartung an die Schulen zu hoch zu schrauben. Denn
: spätestens nach der Pilotstudie, die Proske und seine Kollegen am Institut
: für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main, gefördert
: durch das American Jewish Commitee, gemacht haben, sei doch klar: "Schule
: kann nicht läuternd eingreifen."
:
: Was Unterricht für die Vermittlung des Themas Nationalsozialismus und
: Holocaust leisten kann, fragten sich die Frankfurter Forscher. Und: Gelingt
: es im Unterricht, den von Politikern und Pädagogen formulierten Ansprüchen
: "an einen angemessenen Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte
: gerecht zu werden?" Die Wissenschaftler beobachteten über drei Monate hinweg
: zwei Grundkurse Geschichte, zwölfte Klasse, an einem Gymnasium. Sie
: befassten sich mit dem Holocaust. Dabei habe sich gezeigt, berichtet Proske,
: dass es zwischen Schülern und Lehrern weitreichende Differenzen gebe,
: "Differenzen der Generationen", die sich durch unterschiedliche Bemessungen
: der Bedeutung des Themas ausdrückten. Doch selbst wenn Schüler ihren Lehrern
: "Sie und Ihr NS-Trauma" vorhielten, lasse sich daraus nicht auf
: grundsätzliche Ignoranz oder Verweigerung wie bei Erwachsenen schließen.
: Vielmehr ließen die Jugendlichen keinen Zweifel daran, sich mit der
: nationalsozialistischen Verfolgungspolitik auseinander setzen zu wollen.
: Diesen Konsens zu akzeptieren, bedeute allerdings nicht, "auch die
: Erziehungsziele des pädagogischen Programms" zu teilen.
:
: Den Pädagogen müsse bewusst sein, hebt Proske hervor, dass Schüler ihr
: Wissen nicht allein aus dem Unterricht, sondern auch aus ganz anderen
: Quellen beziehen. Etwa aus dem Fernsehen. Und aus den eigenen Familien. Dort
: beobachteten Sozialpsychologen jüngst überaus eigenwillige Entwicklungen:
: Die Enkel sortieren die Geschichte ihrer Großeltern neu, stellen deren
: eigenes Schicksal heraus und kommen nicht selten zu dem Schluss: "Opa war
: kein Nazi."
:
: Welche dieser Quellen welchen Einfluss hat, will Wissenschaftler Proske
: nicht bemessen. Bei einer Tagung im Fritz-Bauer-Institut, bei der die
: Pädagogen ihre Pilotstudie vorstellen wollen, steht diese Frage vom
: kommenden Donnerstag an im Mittelpunkt. Eines allerdings ist für Proske
: klar: Die Erwartungen an den Geschichtsunterricht, die von "einem effektiven
: Instrument der moralischen Erziehung" ausgehen, gelte es zu reduzieren. Ziel
: müsse vielmehr sein, Schüler "auf den Stand der Diskussion zu bringen - und
: ihnen klar zu machen, dass diese Gesellschaft Entgleisungen wie bei Walser
: zum Skandal macht".
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