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We like Streik!

Die österreichische Variante der beinharten Arbeitsniederlegung, die möglichst keiner bemerken soll, ist durchaus ausbaufähig, findet Rainer Nikowitz.

Von Reinhart Waneck hört man normalerweise eher nichts bis überhaupt nichts. Das sicherlich segensreiche Wirken des blauen Gesundheitsstaatssekretärs bleibt der Öffentlichkeit also leider in aller Regel verborgen, wahrscheinlich, weil er so ein bescheidener Kerl ist.

Am bestreikten Dienstag der Vorwoche aber, als er instinktiv spürte, wie dringend die Volksgesundheit nun ein paar aufmunternde Worte von ihm brauchte - da warf er seine Zurückhaltung über Bord und war für uns da. Und wie.

Er hoffe, ließ er düster verlauten, dass die Proteste "ohne den Verlust von Menschenleben" abgehen würden.

Fürchtete er, ein paar Streikposten hätten sich mit geborgten Burschenschafter-Säbeln bewaffnet und würden ihren Unmut am Ende schlagend werden lassen? Oder bestand etwa die Gefahr, Magda Bleckmann könne in die Hofburg eindringen und sich in Thomas Klestils Halsschlagader verbeißen? (Wobei man am Dienstag ja offiziell noch nicht wusste, wo der Bundespräsident steht. Angesichts seiner späteren Forderung nach Verschiebung der Pensionsreform könnte es aber gut sein, dass er damals schon Solidarität mit den seinen zeigte und, als man ihm die Ordensverleihungen des Tages zur Abzeichnung vorlegte, sagte: "Sicher nicht. Erst, wenn die U-Bahn wieder fährt.")

Jedenfalls, um ihn sorgte sich Gesundheitswart Waneck wohl nicht. Sondern natürlich um die Menschen in den Spitälern oder auf dem Weg dorthin. "Der mutwillig vom Zaun gebrochene Streik gefährdet das Grundrecht der Menschen auf Gesundheit", donnerte er. "Besonders perfid" sei die Tatsache, dass die Patienten in den Spitälern der Gemeinde Wien "quasi auf Wasser und Brot gesetzt" würden, weshalb geschwächte Patienten am besten von ihren Angehörigen mit Lebensmitteln versorgt werden sollten.

Es war schlussendlich wirklich nur reines Glück, dass angesichts des in allen Gemeindespitälern gereichten Gemüseeintopfs niemand verhungerte. Und Waneck hätte an sich alles Recht der Welt gehabt, den Monika-Forstinger-Preis der Woche für die humoristisch wertvollste Wortmeldung eines Politikers für sich zu beanspruchen. Aber KHG musste ja am nächsten Tag unbedingt seine Budgetrede halten.

Unter den zahlreichen Sorgen, die vor dem Streik vor allem Regierungsstirnen öffentlichkeitswirksam umwölkten, war die um die Volksgesundheit ja nun wirklich die unbegründetste. Denn an jenem schwarzen Tag, an dem der eminente Druck der Straße alle aufrechten Demokraten zwar erschauern, aber sicher nicht nachgeben ließ, wurde ja offenbar mehr Training betrieben als an jedem "Fit mach mit"-Nationalfeiertag. Soweit es ihnen möglich war, beteiligten sich die nicht streikenden Österreicher am einzigen wirklichen Verkehrschaos des Tages, nämlich dem auf den Radwegen. Oder sie gingen überhaupt zu Fuß und schienen dabei auch noch durchaus gut gelaunt zu sein.

Wie beseelt von dem Gefühl, heute passiere etwas Außergewöhnliches und man trage irgendwie seinen Teil dazu bei, dass es einerseits passiere und andererseits nicht zu stark - wie wir's halt gerne haben in Österreich.

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Wie überhaupt die Vertreter der Regierungsparteien, die den Streiktag vorher als Auswuchs finsterster Anarchie gezeichnet hatten, von der heiteren Gelassenheit, die sich dann tatsächlich breit machte, leicht auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Dieses "rot-weiß-rote Konsensstreikerl", wie es der Philosoph Konrad Paul Liessmann in einem Gastkommentar für die "Kleine Zeitung" nannte, auch danach noch als große Gefahr für die Demokratie, in der wir doch keine garstigen und schon gar keine politischen Streiks wollen, hochzustilisieren wäre doch eine ziemliche Themenverfehlung gewesen. Sogar der Kanzler beschloss, jetzt lieber einmal Kreide zu essen.

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Der Streik, das hierzulande völlig unbekannte Wesen, war plötzlich mitten unter uns, man näherte sich ihm vorsichtig und beschnupperte ihn, um überrascht festzustellen, dass er gar nicht so schlecht riecht, wie alle immer dachten - und eigentlich sogar eine ziemliche Hetz ist.

62 Prozent der Österreicher waren laut Umfrage für diesen Streiktag. Nur 20 Prozent erwarteten tatsächlich, dass er die Regierung von ihrer Linie abbrächte. Aufgrund dieser ausgeprägten Schwäche für von vornherein verlorene Schlachten ist für die Zukunft natürlich mit weiteren harten Kampfmaßnahmen zu rechnen.

Wir könnten einen Tag lang die Leberkässemmel boykottieren. Oder überfallsartig die Sonntagszeitung bezahlen. Wir könnten sogar nächsten Fasching alle als Herbert Haupt gehen.

Der Kanzler wollte schließlich die Konfliktdemokratie.
Jetzt hat er den Salat.


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