SPIEGEL ONLINE - 23. Mai 2003, 11:25
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Geburtstagsständchen

Lafontaine liest Schröder-Genossen die Leviten

Während Kanzler Schröder in Berlin mit Pomp den 140. Geburtstag der SPD feiert, muss sein Widersacher Oskar Lafontaine draußen bleiben. Prompt gerät dem Verstoßenen das Geburtstagsständchen zur Standpauke: Die Agenda 2010 sei eine feige "Rückfahrt ins 19. Jahrhundert", die bisherigen Reformen verfehlt, die Globalisierungskritik unterschätzt.

Hamburg - Schröders Vorgänger im Parteivorsitz beschwört in einem Beitrag für das "Handelsblatt" einen "sozialdemokratischen Gegenentwurf zur Welt der Wall Street". Lafontaine lobt das Programm der Globalisierungskritiker und geißelt die Reformen des SPD-Chefs Gerhard Schröder.

Der gesamten europäischen Sozialdemokratie bescheinigt Lafontaine
Versagen: "Die roten Regierungen trauten sich nicht. Sie machten neoliberale Politik und wunderten sich, wie schnell die Wähler sie durch das Original ersetzten." Lafontaine vergisst auch nicht, den Kanzler am Jubiläumstag der SPD daran zu erinnern, dass er seine Wiederwahl lediglich einer Flutkatastrophe und einem Krieg zu verdanken habe.

Während Kanzler Schröder bei den Genossen "Mut zu Veränderung" einfordert, um seine Agenda 2010 durchzusetzen, hält Lafontaine dieses Reformprogramm für feige. Die Kürzungen beim Arbeitslosengeld und der Abbau des Kündigungsschutzes seien eine "Rückfahrt ins 19. Jahrhundert". Das Steuergesetz von 2000 und die Riester-Rente seien genauso verfehlte Reformen gewesen wie die vorherigen Projekte der Regierung Kohl.

Stattdessen hätten Europas Sozialdemokraten längst gemeinsam den europäischen Stabilitätspakt kündigen und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik aufbauen müssen. Große Gegenwehr könne für wahre Sozialdemokraten kein Grund zum Aufgeben sein: "Auch der von der Arbeiterbewegung erkämpfte Sozialstaat ist nicht wie eine reife Frucht vom Baum gefallen."

Für die Spitzenpolitiker der Sozialdemokratie, die sich heute zum größten Teil in Berlin versammeln, hält der Saarländer eine Warnung bereit: "Die Führungskader der sozialdemokratischen Parteien und der Gewerkschaften müssen täglich große Kraft aufwenden, um sich nicht geistig korrumpieren zu lassen. ... Das Verdikt des Karl Marx, das Sein bestimmt das Bewusstsein, ist spätestens dann bewiesen, wenn die Senkung des Spitzensteuersatzes zum Herzensanliegen der Arbeiterbewegung wird."

Von den in Wirklichkeit äußerst heterogenen Anliegen der Globalisierungskritiker, die am alljährlichen "Weltsozialforum" im brasilianischen Porto Alegre teilnehmen, macht sich Lafontaine insbesondere die Forderung nach einer "neuen Weltfinanz- architektur mit stabilen Wechselkursen und Kapitalverkehrskontrollen" zu eigen. Zur Bekämpfung von Steuerflucht seien weltweit die Steueroasen auszutrocknen. Vorhandene internationale Institutionen wie der Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation müssten künftig demokratisch organisiert werden.

Überdies will Lafontaine den Entwicklungsländern helfen: Dazu schlägt er einen Subventionsabbau in der Landwirtschaft, eine Entschuldung der armen Länder und eine Erhöhung der Entwicklungshilfe vor.

Kein einzelner Staat könne diese Ziele erreichen - zumal gegen die USA, wo "kein Präsident, ob Clinton oder Bush, gegen das Finanzkapital regiert". Deshalb trauert Lafontaine der Sozialistischen Internationalen nach, die nach ihrer wichtigen Stellung unter Brandt heute "praktisch von der Bildfläche verschwunden" sei. Auch in der Europapolitik stichelt Lafontaine gegen Schröders Regierung. Überhaupt sei internationale Zusammenarbeit eine "Übung", die "in den letzten Jahren in Vergessenheit geriet".

Ein kleines Geburtstagsgeschenk gab es dann doch noch für den Kanzler. Mit seiner harten Haltung gegen den Irak-Krieg habe Schröder einen "historischen Meilenstein" gesetzt, lobte der Parteilinke. Der Kanzler habe sich dabei gegen den grünen Außenminister durchgesetzt, "der der Bush-Administration einen Blankoscheck ausstellen wollte".

Nun sei eine konsequente Außenpolitik gefragt, "die der Partnerschaft mit Frankreich und der Europäischen Einigung Vorrang gibt". Das transatlantische Verhältnis liegt dem Saarländer weniger am Herzen. "Wenn die Bush-Männer sich kindisch benehmen, muss kein deutscher Politiker zu Kreuze kriechen."



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