Longum iter est praecepta,
breve et efficax per exempla. 1

Wann denn, wenn nicht jetzt?

Erich Pammer

Eigentlich läuft alles wieder einmal so, wie man es ohnedies schon längst gewohnt ist. Wenn von den Segnungen oder der Verderbnis der elektronischen Datenverarbeitung die Rede ist, kommen – leider meist auch nur am Rande von ein paar unverdrossenen Avantgardisten – behinderte Menschen kaum ins Feld.

Warum sollte sich etwas ändern, bei einem Medium, das seinen Siegeszug mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit vorführt, wo doch gerade Geschwindigkeit bei sogenannten “nichtbehinderten” Menschen schon oft eine suspekte Kategorie ist.

Vielerorts wird diese Geschwindigkeit und SchnelleImage97 bigkeit beklagt, stundenlange akademische Diskussionen haben aber detto nicht dazu geführt, dass sich irgendetwas dann langsamer bewegt hat. Das Medium Computer huldigt sowohl in seiner mikro- als auch makroorganisatorischer Erscheinungsweise dem Mammon Zeit. Das macht natürlich verdächtig, ist doch Zeit nach wie vor das einzig unwiederbringliche Gut, das Menschen zur Verfügung haben.

Grundsätzliche Fragen beginnen sich zu stellen nicht nur nach der in Äonen verschwindenden Zeit, sondern auch danach, was es eigentlich heißt, behindert zu sein. Natürlich kann man so banale Versuche machen, sich die Augen zu verbinden, um Blindheit zu simulieren, sich Bewegungseinschränkungen aufzuerlegen, um Körperbehinderung erfahrbar zu machen, bei geistiger Behinderung wird es schon schwieriger. Zu komplex ist unsere Gehirnorgansiation, um auch nur annähernd zu fühlen, was geistige Behinderung bedeutet, geschweige denn die Konsequenzen irgendwie zu ahnen.

So ist es sicherlich bequemer, irgendwo eine anonyme Richtschnur zu ziehen und daran zu messen, ohne zu merken, dass damit wieder nur versucht wird ein Phantom dingfest zu machen.

Nun gibt es plötzlich Kinder, die virtuos mit Computern umgehen können, sie sind zwar offiziell behindert, sei es nun lernbehindert oder wie all die Attribute heißen mögen, die ein System so gerne vergibt, um nur ja dem Ordnungsgedanken frönen zu können, jedenfalls wurde eine Behinderung festgestellt. Kinder lernen am Computer, sie bedienen ihn als selbstverständliches Instrument, sie – und jetzt wird es prekär – bedienen ihn weit besser als viele Lehrer, Therapeuten, die es bislang vorgezogen haben, den Kopf in den Sand zu stecken.

Behindert sein auch heute wieder, einen mühseligen Kampf zu führen, um an die Möglichkeiten der EDV heranzukommen. Viele Hindernisse, sowohl in den Köpfen als auch in handfesten materiellen Beschränkungen machen es nach wie vor schwierig, diese neue Technologie gewinnbringend bei behinderten Kindern einzusetzen.

Seit einigen Jahren versuche ich im Bezirk Freistadt mit einigen Unentwegten, diese Chancen für behinderte Kinder wahrzunehmen. Ich spreche KEIN grosses Wort gelassen aus, wenn ich sage:

“Noch nie in der Geschichte der Behindertenpädagogik hat es derartig große Hilfen durch die EDV für Kinder gegeben als dies jetzt der Fall ist, wenn ein gezielter Einsatz dieser Medien stattfindet”.

Ob nun ein spastisches Kind mit elektronischen Hilfen schreiben lernt, was früher einfach nicht der Fall war, oder ob ein Kind durch hochtechnische, medizinische Einpflanzungen eines Chips wieder hört, ist diesen kleinen elektronischen Schaltkreisen zu verdanken, die eine Fülle von Möglichkeiten anbieten.

Behindern wir uns nicht wiederum selber in unserer Arbeit mit behinderten Kindern, wenn wir diese gewaltigen Chancen nicht wahrnehmen?

Der Bogen des Einsatzes reicht von oft höchst einfachen Lösungen zu hochspezialisierten Implementierungen, die vielfach auch noch im Entwicklungsstadium sind.

Computer als Lern- und Hilfsmittel in der Therapie

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Die Revolution des Lernens macht auch vor der Sonderpädagogik nicht halt. Der Einsatz ist vielversprechend. Multimediale Möglichkeiten können kognitive Lerninhalte in hoher Qualität und abwechslungsreich an das Kind heranbringen. Ein verantwortungsvoller Umgang, der sich auch der Gefahren bewußt ist, ist unsere pädagogische Aufgabe. Kriterienkataloge können helfen die Spreu vom Weizen zu trennen. Zu hoffen ist auch, dass neue Impulse von der Sonderpädagogik auf das gesamte Schulgeschehen ausgehen. Die entscheidende Frage ist inzwischen weniger die geeignete Software aufzutreiben, sondern auch ein didaktisches tragfähiges Konzept dafür zu entwickeln. Es wird sicher zuwenig sein, wenn wir uns auf die Position der “Knopferldruckkurse” beschränken, sondern weniger die technische Bedienung ist der Kern der Sache, sondern vielmehr, welchen Lerneffekt – ganz gleich auf welcher Ebene – holen wir für das Kind, mit dem Kind heraus.
Diese didaktische Diskussion wäre höchst an der Zeit, dass sie im breiten Rahmen geführt wird, es wäre bitter und auch gleichzeitig das Ende dieser Technologie, wenn wir sie nur um ihrer selbst willen, oder weil wir halt so modern sein wollen, einsetzten. Das Internet, aber gerade auch solche Publikationen wie eben “PCNEWS” wären ein geeigneter Ort diese Diskussionen anlaufen zu lassen. Nicht nur die Behindertenpädagogik wird sich stellen müssen, sondern jede sinnvolle Pädagogik wird um diese didaktische Fragestellung nicht umhin können.

Computer als prothetische Hilfsmittel

Fehlende oder mangelhaft ausgebildete Funktionen können ersetzt oder zumindest durch eine einschlägige Computerlösung Erleichterungen bringen. Die eingangs angezogene Frage, was es heißt behindert zu sein, wird uns viel zu wenig bewußt. Natürlich sind die Schranken des eigenen “ICHS” ein Sperr- und auch Schutzfaktor. Es darf aber nie vergessen werden, dass die Bedürfnisse sinnesbehinderter Menschen Mittelpunkt des Einsatzes und der Forschung sind.
Bekannt ist das Cochlearimplantat für taube Menschen oder Sprachausgabeprogramme bei Blinden. Selbst ein Herzschrittmacher ist eigentlich ein prothetisches Hilfsmittel. Weit in die Medzin und in die technologische Forschung reicht dieser Bereich hinein. Die Systeme werden immer besser, natürlich abhängig von der Forschungstätigkeit, wobei diese wiederum eng verknüpft ist mit der Quantität des Einsatzes. Utopisch erscheinende Versuche, die z.B. Chips in die Netzhaut implantieren, um wieder sehen zu können, sind längst im Gang und ein Blick zurück sollte uns immer mahnen, dass wir selbst vieles von dem was in der EDV heute möglich ist, noch vor kurzem ins Reich der Fabel verwiesen haben.

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Eine elektronische Braillezeile, die einem blinden Kind beim Erwerb der Kulturtechniken hilft, wobei nicht einmal mehr der Lehrer Braille beherrschen muß, sieht er doch alles in Schwarzschrift am Bildschirm, während das Kind auf Stiften die Symbole austastet, ist ebenfalls hier einzureihen. Tausende von Hilfsmitteln sind inzwischen am Markt, die für viele Beeinträchtigungen hilfreich sein können. Image99 Es geht nur darum auch den Mut zu haben, sie zu finden, sie einzusetzen. Natürlich bedarf es eines entsprechenden Wissens. Es lohnt sich aber, und wenn der Dank dafür oft “nur” ein Lächeln ist.

Computer als basales Funktionstraining für intensiv behinderte Kinder

Viele Kinder speziell in S-Klassen müssen grundlegende Funktionen, die wir als selbstverständlich betrachten, sich mühsam erst aneignen. Meist ist es ein multiples Erscheinungsbild, dass diese Kinder prägt. Ob es nun ein Wahrnehmungstraining, ein visuelles oder auditives Differenzieren ist, es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, schwerstbehinderten Kindern mit Spezialanwendungen zu helfen. Wesentlich ist immer eine förderungsorientierte Diagnostik.

Die Aufzählung dessen, was das Kind kann, ist der Ausgangspunkt, wo eine gute Software ansetzen kann. Oft sind diese Programme nonverbal, es werden grundlegende optische akustische, seltener taktile Übungen geboten. Selbst im taktilen Bereich hat der Einsatz eines “touchscreens” viel geholfen.

Die Kombination zwischen eigenen Handlungen und die Tatsache, dass man damit etwas auslösen kann, lässt sich mit berührungsempfindlichen Schirmen und entsprechender Software gut verbinden.

Selbst kleinste Schritte sind oft das Ergebnis langer Bemühungen und eine elektronische Unterstützung muss nicht immer heißen, dass man den Weg dorthin schneller erreicht. (Die “Entdeckung der Langsamkeit” ist eine nicht zu unterschätzende Kategorie in einer modern angelegten Behindertenpädagogik.) Elektronische Hilfen bedeuten oft, dass man qualitätvoller ans Ziel gelangt, dass multimediales Lernen die Chance den richtigen Lernweg des Kindes zu finden, riesig erhöht.
Das Ausgehen vom Kind ist insgesamt die einzige Dogmatik, der wir uns unterwerfen, allerdings auch konsequent. In realiter heißt das, dass jedes Kind im Bezirk Freistadt seine individuelle Lernmöglichkeit geboten bekommt. Abhängig von der Art der Behinderung, vom Schweregrad und einigen äußeren Umständen wird für jedes Kind ein individueller (elektronischer) Lernweg angesteuert. Übrigens heißt der “Computer” in den meisten Fällen “Personalcomputer”, wir nehmen diese Bezeichnung durchaus ernst.

Die Behinderung wegzuzaubern, so sehr sich das manche wünschen, ist kaum möglich, sie aber erträglich zu machen, dem Kind einen möglichen Weg zu zeigen, dies ist in den meisten Fällen machbar, wir dürfen uns nicht behindern lassen. (Der letzte Halbsatz drückt bei aufmerksamen Lesen mehr aus, als seine typographischen Zeichen darstellen können!!!)

Informationstechnische Grundbildung bei Kindern

Je komplizierter und “vertechnisierter” unsere Welt wird, umso mehr müssen wir uns auch darum kümmern, dass behinderte Kinder den Anschluß nicht verlieren. Beginnend bei Bedienungsanleitungen für einfache Alltagsgeräte bis hin zu EDV Standardwerkzeugen reicht der Bogen. Allein die “banale” Tatsache, dass es ein Verfassungsgesetz gibt, dass die Diskriminierung behinderter Menschen und Kinder verbietet, heißt, dass informationstechnische Grundbildung stattfinden muss. Wenn “nichtbehinderte” Kinder in den Genuss der EDV kommen, so ist es logisch, dass dies ihren behinderten KollegInnen nicht vorenthalten werden kann. Es muss nur auf einer entsprechenden Ebene stattfinden. Leicht vorstellbar, dass nicht die erweiterten “Excelfunktionen” Thema sein werden, sondern wiederum ein individualisierter Einsatz entsprechender Software muss uns leiten.
In diesem Zusammenhang ist auch ganz konkret zu fordern, dass im Sinne einer Gleichberechtigung auch dafür zu sorgen ist, dass behinderte Kinder auch beim Ankauf entsprechender Hard- und Software unterstützt werden. Wenn der Staat eine Gratisschulbuchaktion veranstaltet, so ist dies zu begrüßen, es darf aber nicht vergessen werden, dass eben eine EDV Anlage ein gleich wichtiges Instrument für behinderte Kinder sein kann.
Berufschancen für behinderte Menschen sind immer schwieriger zu finden, jedoch ohne informationstechnische Grundbildung ist die moderne Arbeitswelt sicher nicht mehr zu bewältigen. Hier ist auch die Beschäftigung mit den vielfältigen Möglichkeiten der Datennetze einzuordnen.
Nicht nur dass es ein Akt der Gleichberechtigung ist, wenn Informationstechnik vermittelt wird, es kann gerade bei behinderten Kinder eine neue Chance eröffnen, sich in die Kommunikation einzuklinken, sich zu profilieren. Am meisten hat mir immer zu denken gegeben, dass behinderte Kinder oft bewundert wurden, weil sie plötzlich viel mehr als die AlterskollegInnen (manchmal auch mehr als die LehrerInnen) am Computer wußten. Was dies für das Selbstbewußtsein der Kinder bedeuten kann, ist leicht vorstellbar.
Es ist unabdingbar, dass wir hier tätig werden müssen.

Computer als Hilfsinstrumente in der Diagnostik

Die Entwicklung steht noch am Anfang. Zu beachten ist sicher, dass immer die Förderung des Kindes im Auge behalten werden muß. Als Hilfsmittel neben vielen anderen Diagnostikmethoden ist ein EDV Einsatz aber durchaus weiterzuverfolgen. Ein alleiniger Einsatz eines solchen Instrumentariums ist zum jetzigen Zeitpunkt und Entwicklungsstadium sicher äußerst problematisch.

Der Datenhighway

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Halb zog sie ihn, halb sank er hin... Es war wohl eine Mischung aus beiden, die uns veranlaßte “ins Netz” zu gehen. Gleichberechtigung, informationstechnische Grundbildung aber auch der Wunsch behinderten Kindern optimale Möglichkeiten zu bieten begleiteten unseren Gang ins Internet.

Dieses junge Medium – davon sind wir überzeugt – wird uns weitere Möglichkeiten erschließen. Schon jetzt nehmen wir die vielfältigen Informationen des World Wide Web häufig in Anspruch. Medizinische Server beiten Spezialinformationen zu vielen Behinderungsarten aus medizinischer Sicht. Ob es nun die Abfrage eines Gebärdensprachelexikons, ein Onlinebrailleübersetzungsdienst, Informationen über Downsyndrom oder der Kontakt zu Behindertenselbsthilfegruppe via Internet ist, auch der Datenhighway wird uns neue Sichtweisen öffnen.

Konkret ist die Schaffung eines (u.U. österreichweit vernetzten) Projektes geplant, das die Behindertenhilfsmittel sichtet, bewertet, Beratung übernimmt, informiert etc. Es gibt bereits einige Aktivitäten in der Richtung. CIS – Computer in der Sonderpädagogik. Viele engagierte LehrerInnen (z.B.: Leopold Helm, SD in Herzogenburg, Hans Liegle in Salzburg) setzen entscheidende Akzente.

In OÖ besteht ein weiterer Plan die Sonderpädagogischen Zentren unter Einbindung diverser interessierter Organisationen (z.B.: ASN –Austrian School Net _ Linz) zu vernetzen. Jedes Zentrum soll sich in seiner Eigenständigkeit einbringen können, Spezialangebote publizieren, das Netz als kostengünstiges Kommunikationsinstrument nützen.

Seit Schulbeginn gibt es die ARGE CIBOÖ (Arbeitsgemeinschaft Computer in der Behindertenpädagogik), die ebenfalls mit eigener Hompag im Netz ihre Ziele und Aktivitäten dokumentiert. (http://www.asn-linz.ac.at/schule/spz/)

Die Ausbildung der LehrerInnen muß gleichfalls zentraler Bestandteil der neuen Medien sein. Vielfach haben wir es mit Kindern zu tun, die schon viel einbringen können. “Schnellsiedekurse” bergen aber immer die Gefahr der Frustration “mit Wegwerfeffekt” in sich. Die Gerätschaften werden, da sie in der Klasse stehen, nicht mehr zentral von einem Kustos verwaltet, sondern sind der Eigenverantwortung des (Integrations)lehrers überlassen, mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Es wird eine profunde Schulung stattfinden müssen, denn einerseits reicht das Spektrum des Einsatzes von alten MS DOS Programmen bis hin zu Internetanwendungen, andrerseits bewirkt die Individualisierung der Einzellösungen auch sehr viel sonderpädagogisches Wissen. Es wird mühsam, aber es ist zu schaffen; es würde sich ohnedies sehr bald rächen, jemand etwas vorzugaukeln.

Immer wieder müssen wir uns auch der Legitimierungsfrage stellen. Der Konnex zwischen Behinderung und einem angeblich intelligenten Gerät wird nicht hergestellt. Wir müssen wohl noch intensive Informationsarbeit leisten, um die Hemmschwellen zu überwinden und das Verständnis – an dem sehr viel hängt – bei Lehrern, Eltern und in der Öffentlichkeit zu haben. Daher ist jede Form der Publizität, die sich bietet, gut für uns, denn nur durch Information werden Vorurteile zurückgedrängt. Speziell kleine Gruppen, wie es nun behinderte Kinder sind, sind von diesem Vorurteil, dass Computer nur für “intelligente” Leute sind, betroffen. Jeder positive Bericht hilft uns ein Stück in der Entwicklung weiter.

Fest sind wir jedenfalls davon überzeugt, dass wir schnellstens den Weg, behinderten Kindern elektronisch zu helfen, beschreiten sollten. Auch wenn wir Langsamkeit im Umgang mit Kindern oft als sonderpädagogisches Prinzip sehen, die technische Entwicklung macht nicht halt. Wir sollten jetzt in den Zug einsteigen, denn dagegen anrennen ist hoffnungslose Maschinenstürmerei. Viele Rückmeldungen aus dem Kollegenkreis haben mich aber sehr, sehr optimistisch gestimmt. Aus manchem EDV Saulus, wurde ein EDV Paulus, allein dadurch weil die Wahrheit jedem zumutbar ist, sie muß nur in kleinen Dosen verabreicht werden.

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Das Internet ist ein Weg dazu. Unsere Arbeit ist auch im Internet dokumentiert. Dort sind auf unseren Seiten viele weiterführende links zu sonderpädagogischen Themen, zu Hilfsmitteldokumentationen etc. zu finden. Wir sind dankbar für jeden Kontakt, wir versuchen uns ständig weiterzuentwickeln, wir freuen uns über jeden Besuch auf unserer Homepage und danken allen, die uns weiterempfehlen.

http://www.asn-linz.ac.at/schule/spzfreistadt/