Das bringt der Computer für mich

Erich Schmid

Der Computer ist aus meinem heutigen Leben nicht mehr wegzudenken. Ich schaue täglich ins Internet, um vor allem die persönliche Post und die Beiträge in jenen Diskussionslisten, bei denen ich eingetragen bin, zu lesen. Zum Surfen, im Sinne von mehr oder weniger wahllos im Internet Herumsuchen, nehme ich mir nicht Zeit, aber ich gehe Hinweisen auf interessante Web-Seiten gerne nach.

Als Lehrer muss ich viele Texte erstellen. Meine Schüler sind blind oder sehbehindert. Der Computer hilft mir dabei, meine Texte nur einmal zu schreiben, sie dann jedoch in Blindenschrift und in Großdruck (je nach Bedarf unterschiedliche Schriftgrößen) auszudrucken.

Das einzige Spiel, zu dem ich den Computer in der Freizeit immer wieder heranziehe, ist Schach. Da ist der PC ein Gegner, der mir weit überlegen ist und von dem ich noch viel lernen kann. Zu Karten- oder Würfelspielen ziehe ich den Computer nicht heran, da sind mir menschliche Partner lieber!

Informationsbeschaffung, Knüpfen von Kontakten, Texterstellung und Spiele sind Einsatzgebiete, die auf allen Altersstufen Bedeutung haben, vermutlich jedoch mit anderer Wertigkeit. Für Kinder und Jugendliche in der Schule bringt der Zugang zu Texten durch den PC große Vorteile. Wegen des großen Umfangs von Punktschriftbüchern war es früher unmöglich, ein Wörterbuch oder Lexikon in der Schule zu benutzen. Obwohl nicht alle CDs gleich gut verwendbar sind, findet man nach längerem Suchen doch für Sehgeschädigte brauchbares Material. Die Aufbereitung eines Textes oder ganzen Buches für das Lesen mit Hilfe eines Computers ist wesentlich einfacher als das Erstellen eines Punktschrift - oder Hörbuches, daher sind heute Texte auf Datenträgern gespeichert, die bisher nicht in Brailleschrift oder als Hörbuch veröffentlicht worden sind. Wir dürfen dabei jedoch nicht vergessen, dass das Aufbereiten zwar einfacher, aber immer noch mühevoll genug ist: Die Daten müssen fehlerfrei vorliegen und der Benutzer muss die Möglichkeit haben, sich rasch und gezielt im Text bewegen zu können.

Der Einsatz des Computers erleichtert den Austausch von Daten: Während beispielsweise alle übrigen Schüler die Angabe für die Schularbeit auf Papier ausgeteilt bekommen, erhält der sehgeschädigte Mitschüler - unter der Annahme, dass er ein zum Lehrer kompatibles System verwendet - diese Angaben auf Diskette. - Der Zugang zu „Kultur“ im weitesten Sinne wird durch den PC gefördert: Über das Internet sind Theater- und Kinoprogramme abrufbar, aber auch Informationen aus Geistes- und Naturwissenschaften sowie über Kunst.

Wie an den Beispielen deutlich geworden ist, verringert der Computer in manchen Fällen die durch die Behinderung entstandenen Nachteile. Wegen des meist schlechten Drucks der Kontoauszüge kann ich diese zwar nicht unter Zuhilfenahme eines Scanners mit Texterkennungsprogramm lesen, aber über Modem und Telebanking habe ich dennoch Informationen von der Bank. Wesentlich deutlicher wird der Abbau von Schranken zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten im Internet: Im Normalfall ist nicht bekannt, dass die Person Erich Schmid, die am Gespräch teilnimmt, blind ist.

Sind bis jetzt ausschließlich positive Seiten des Computers zur Sprache gekommen, dürfen wir das nicht zum Anlass nehmen, dieses leblose Gerät aus Metall, elektronischen Bauteilen und Kunststoff zu idealisieren. Der Computer ist ein Hilfsmittel. Der Einsatz von Hilfsmitteln immer und überall ist nicht sinnvoll und auch nicht wünschenswert. Wer Computerspiele bevorzugt, obwohl auch Menschen, mit denen man spielen könnte, in der Nähe sind, der isoliert sich unter Zuhilfenahme des Computers selbst. Für ein Volksschulkind kann es aufregend sein, eine Katze aus den Computerlautsprechern schnurren zu hören. Im Sinne des Unterrichtsprinzips „Anschaulichkeit“ ist es für ein blindes Kind besonders wichtig, zumindest einmal im Leben die Möglichkeit zu haben, eine Katze nicht nur zu hören, sondern sie auch anzugreifen. Besser ist es sicherlich, eine lebende Katze zu heben und zu streicheln, um auch den emotionalen Aspekt zu betonen! - Im Mathematikunterricht haben Taschenrechner und PC Rechenschieber und Logarithmentafeln ersetzt.

Dadurch ist zwar die Anschaulichkeit mathematischer Prozesse in den Hintergrund getreten, die erreichten Vorteile überwiegen jedoch diesen Nachteil. Wenn es jedoch darum geht, dem blinden Schüler alle Vorstellungen, die mit Geometrie oder Darstellung von Kurven zusammenhängen zu ersparen und stattdessen nur den Computer rechnen zu lassen, dann wird der PC in diesem Fall überstrapaziert und bringt auf Dauer gesehen Nachteile.

Dass ganze Bücher auf einer CD gespeichert werden können, ist für sehgeschädigte Menschen sehr wertvoll, da auf diese Weise der große Platzbedarf, den Bücher in Brailleschrift haben, stark reduziert wird. Deshalb ist das Buch auf Papier nicht tot, wie die Erfahrungen auf internationalen Buchmessen zeigen. Viele Blinde sind ebensolche „optische Typen" wie die Sehenden. Es ist auch für uns ein höherer Genuss, beispielsweise ein lyrisches Werk, das auf die Fläche einer Seite verteilt ist, unter den Fingern zu haben und im Lehnstuhl sitzend zu lesen, als mit einer Braillezeile den Bildschirm Zeile für Zeile zu erforschen. Skizzen und Tabellen können vom Bildschirm langsamer ausgelesen und erfasst werden, als wenn sie auf Papier, Folie oder als Stereokopie tastbar gemacht sind.

Die Behauptung, dass der Computer rascheres und rationelleres Arbeiten ermöglicht, stimmt großteils. Es kann jedoch nur derjenige rasch und rationell arbeiten, der sich Techniken und Fertigkeiten im Umgang mit dem Computer angeeignet hat. Bei Blinden und Sehbehinderten kommt zum Erlernen der Bedienung des Gerätes und der Programme noch die Bedienung der sehgeschädigtenspezifischen Hilfsmittel (Braillezeile, Sprachausgabe, Großschrift). Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die Länge und Gründlichkeit der Einschulung in den meisten Fällen zu knapp bemessen ist, so dass viele Möglichkeiten des Computers nicht genützt werden können. Es ist für Kinder nicht immer ganz leicht, das Zusammenspiel der Komponenten rund um den Computer (Braillezeile, Punkt- und Schwarzschriftdrucker, Notizen auf Papier, Wechsel zwischen dem Textverarbeitungsprogramm und der Lexikon-CD) rasch und fehlerfrei zu koordinieren.

Computer sind Werkzeuge, genauer gesagt Werkzeugkisten, wobei jedes Programm mit einem Werkzeug verglichen werden kann, das uns hilft ein genau eingegrenztes Problem zu bearbeiten. Die Tatsache, eine große Werkzeugkiste zu besitzen, bedeutet nicht, dass dadurch schon alle Probleme gelöst sind. Das Geheimnis des Erfolges liegt darin, wie gut  ich die Werkzeuge einsetze. Das Internet ist eine wunderbare Sache, wenn es darum geht Informationen zu finden und Kontakte herzustellen, aber bei falscher Nutzung diese Werkzeuges wird das Medium gefährlich und ich ertrinke im „Information Overload“. Der Computer ist ein neues Werkzeug und unsere Gesellschaft - wie auch jeder Sehgeschädigte in dieser Gesellschaft - muss lernen, mit den Werkzeugen der Kommunikation in angemessener Weise umzugehen. Dies ist mit Sicherheit eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.