Rhoda Erdmann

 

 

 

(Abb. aus: Archiv für experimentelle Zellforschung bes. Gewebezüchtung – Explantation, Band 18, Heft 2, Jena, Gustav Fischer, 1936, S.126).


Typ eines Ausbildungsganges weiblicher Forscher (1926)

 

von Rhoda Erdmann, Berlin[1]

 

 

In den letzten Jahren ist vielfach versucht worden, bestimmte Schlüsse zu zie­hen, ob die akademische Ausbildung der Frauen als vorteilhaft sich für den Fort­schritt der exakten und biologischen Wissenschaft erwiesen hat.

Beurteiler blicken in alle Länder. Hier und da finden sich einzelne Frauen, deren pro­duktive Arbeit eine gewisse Spur in dem Werdegang der betreffen­den Wissen­schaft hinterlassen hat. Aber diese Spuren erscheinen schwach, oft ver­wischt. Nur sel­ten prägt sich mit so eindeutiger Wucht ein Name der Mit­welt ein, wie der Name der Frau Curie[2].

Auch hier ist man natürlich versucht, durch Hinweis auf gewisse günstige Um­stän­de (Mitarbeit des Mannes), die Bedeutsamkeit dieser Entdeckung einer Frau herab­zusetzen. Doch das ist der späteren Geschichte der Wissenschaft über­lassen, zu finden, wie groß der Anteil des einzelnen sei es Mann oder Frau an der Gestaltung des in Frage kommenden Arbeitszweiges ist.

Die heutige Wissenschaft stellt ein Syncytium[3] dar, in welchem viele Zellen die glei­che Arbeit leisten, die oft aber nicht gleich weit, zu gleicher Zeit ge­die­hen ist. Der geringste Vorsprung führt zu einer neuen Entdeckung, und wenn ir­gend­eine wis­sen­schaftliche Tat außerhalb der Fachwelt auffällt, so gibt es viele For­scher, die bei­nahe soweit waren oder schon soweit waren, aber diese Ge­dan­ken noch nicht veröffentlichen wollten, weil sie ihre Experimente und Ent­deckun­gen noch nicht für reif hielten. Aus die­sem innerlichen Zu­sam­men­hang heraus, den die Gedanken­welt eines Volkes hat und den die Ge­dan­ken­wel­ten aller Völker zusammen haben, ist es für die Frau dop­pelt schwer, ihre ei­gen­sten Gedanken, Erfindungen und Ent­deckungen in der Um­welt zur Geltung zu bringen. Die Berufsfrau, die studierende Frau, die for­schen­de Frau hat nicht allein die Konkurrenz ihres eigenen Geschlechts zu über­winden, sondern auch die Konkurrenz des Mannes schlechthin. Der Schleier der täg­lichen Höf­lich­keit ver­deckt auch oft nicht diesen doppelten Kampf.

Wir alle wissen, daß zum Hervorbringen von Spitzenleistungen eine gewisse Atmo­sphäre vorhanden sein muß, die weder zu lau noch zu heftig die ent­ste­hen­den neuen Gedanken anblasen darf. Der Mann selbst hat ja und ich spre­che immer nur von Spitzenleistungen eigentlich nur die Konkurrenz seiner ei­ge­nen Ge­schlechts­genossen zu fürchten, und da er ihre Psychologie kennt (oder jedenfalls kennen sollte), so ist er besser gewappnet als die forschende Frau. Der Mangel an positiven Leistungen, der zum Beispiel den Frauen in den Naturwissenschaften vorgeworfen wird, kann nicht allein von der Begabung der Frauen abhängen, son­dern von den Um­ständen, unter welchen Frauen schaffen und sich betätigen kön­nen. Neue Wege zei­gen, erfordert erst, daß die alten gekannt werden. Diese alten Wege wenigstens so­weit zu kennen, daß man in neue Gebiete eindringen kann, er­for­dert Zeit. Nach dem Studium ist es für die forschende Frau sehr schwer, sich selbst zu er­hal­ten und zur gleichen Zeit zu forschen. Für den Mann stellt dies sogar ein Pro­blem dar, das nur zum kleinen Teil durch die Schaffung von Assisten­ten­stel­len an wissen­schaftlichen Instituten gelöst ist. Wird eine Frau aber Assi­sten­tin, so wird von ihr ver­langt, daß sie die tägliche Routine von den männ­lichen Schul­tern nimmt und sich selbst aufbürdet, und so zum größten Teil ihre Kraft und ihre Zeit dem Dienst des Unterrichts, der Überwachung der Dokto­randen, Auf­recht­erhal­tung der Instituts­ordnung, der Instandhaltung der Bibliothek, der Rech­nungs­ablage und ähn­lichen natürlich notwendigen Arbei­ten widmet, wo­durch aber für sie die For­schung erschwert oder zum Teil ver­hin­dert wird.

Selbst dann, wenn eigene Mittel und wer hätte sie in dieser Zeit nach dem aka­de­mi­schen Studium noch zur Verfügung stehen, selbst dann ist die Atmo­sphäre in den Instituten und ähnlichen Anstalten im allgemeinen nicht för­der­lich für die for­schende Frau. Ich selbst spreche aus zweiund­zwanzig­jäh­ri­ger Erfah­rung. Geisti­ger Austausch, der unter Männern ja immer seltener wird, ist wenn nicht intime­re Beziehungen vorarbeiteten der wissen­schaft­lichen Frau erschwert; denn zuerst hat sie nichts zu geben, nur vieles zu fra­gen. An die geistig überragenden Persön­lich­keiten des Instituts kommt die jun­ge For­scherin selten heran; sie haben keine Zeit; sie sind umringt von schon pro­duk­ti­ven Genossen, mit denen sie selbst ihre Ansichten austauschen können und die mit an ihren Problemen weiterarbeiten. In den ersten Jahren wird die Frau im all­gemeinen nicht aufgefordert, wissen­schaft­lich produktive Arbeiten zu lei­sten, sondern fast immer nur gewisse, jedem wissenschaftlichen Betrieb zu­kom­mende Kleinarbeit. So wurde mir zum Beispiel (ein Jahr, nachdem ich meinen Dok­tor gemacht hatte) von Ehrlich[4] angeboten, zu ihm in das Institut nach Frank­furt a. M. zu kommen, um dort weiter nichts zu tun, als die Anzahl von Try­pa­nosomen[5], die ja bekanntlich die Schlafkrankheit ver­ur­sachen, zu zäh­len, die in bestimmten Medien, unter bestimmten Bedingungen sich ent­wickeln. Die Arbeit erfordert die peinlichste Akuratesse[6], unendliche Geduld und völ­li­ges Ent­sagen der eigenen Produktion. Ich habe das damals nicht getan, eben weil ich For­scherin bleiben wollte und nicht irgendwo unterkriechen, wo ich gut be­zahlt wurde, und wo ich keine produktive wissenschaftliche Arbeit lei­sten konnte.

Überwindet man die ersten Schwierigkeiten und sieht die Umgebung, daß man vielleicht doch etwas leisten könnte, so wird aus der Nichtbeachtung ein all­ge­mei­ner passiver Widerstand. Es muß nun durchaus verstanden werden, daß die­ser pas­si­ve Widerstand von seiten der männlichen Umwelt einfach Herden­reak­tion ist. Jede Herde versucht, den, der sich über das Niveau der herr­schen­den Anschau­un­gen zu heben versucht, wieder in den Herdentyp herab­zu­drücken. Es erregt ja im allgemeinen jeder Genius den Widerspruch seiner Um­welt; der forschenden Frau, selbst wenn sie nur mit einem bescheidenem Talent für die gewählte Arbeit be­gabt ist, tritt dieser Instinkt immer entgegen.

Sie lebt dann mehrere Jahre in einer gewissen Eiseskälte. Sie hat niemand, mit dem sie ihre Probleme besprechen kann, und tut sie es, so werden mehr oder minder schnell Teile ihres mühsam erarbeiteten Gedankengutes aufgegriffen. So geht es fast allen Frauen, die sich nicht gebunden haben wie es z. B. in Amerika sehr häu­fig ist, daß Zoologe und Zoologin sich verheiraten und beide zu­sammen­arbei­en. Das Verhältnis zwischen den beiden Forschern kann das denk­bar schönste sein, aber es ist dann schwer festzustellen: wo fängt die Ar­beit der Frau an, und wo hört die Arbeit des Mannes auf? So wie z. B. bei M. Lewis[7], der berühmten Gewebe­züch­terin des Carnegie-Institutes der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore[8].

Noch viel weniger kann die Frauenarbeit erkannt werden, wenn Lehrer und Schü­le­rin lange oder immer zusammen arbeiten. In den allerwenigsten Fällen sind die Leh­rer so großzügig, nach gewisser Zeit, die natürlich nach Lehr­lings- und Gesel­len­zeit noch notwendig ist ihr Bewegungsfreiheit zu ge­wäh­ren, und sie voll­ständig ein Problem, das sie selbst reizt und das sie anzieht, be­arbeiten zu lassen.

Arbeitet die Frau mit dem Lehrer zusammen, so heißt es, sie führt nur die Arbei­ten des Institutsleiters aus; sie ist die Hand und nicht das Hirn. Sie wird, wenn sie selbst etwas Eigenes schaffen will, entweder dazu gedrängt, ein neues Gebiet ein­zu­schla­gen, in dem der Leiter noch keine Autorität ist, und das ist schwer, da sie ja jahre­lang mit dem Meister ein bestimmtes Gebiet beackert hat und nur das genau kennt. Infolge der Zusammenarbeit mit Männern, die ein überragendes Wissen und eine überragende Stellung im Anfang der Zu­sam­men­arbeit hatten, wird es ihr über­haupt schwer gemacht, ein eigenes Arbeits­gebiet zu finden. Nur da, wo glei­che Intelligenz, gleiches Wissen und, indem sie produktiv ist, gleicher Erfah­rungs­schatz von Mitarbeitern vorhanden ist, ist im allgemeinen ein solches Zu­sam­men­arbei­ten für die Wissenschaft er­sprieß­lich (= erfreulich), für die Frau aber, wenn es auf die Wer­tung ihres eigenen Anteils an­kommt, doch immer von Nachteil.

Viel besser kommen jene Frauen fort, die man einfach links liegen läßt. Das war um die Jahrhundertwende eine beliebte Art, die Frauen nicht zur Pro­duk­tion gelan­gen zu lassen. Hatte die Frau aber genügend Widerstandskraft und wirklich in­ne­ren Beruf zum Forschen, so verzögerte im allgemeinen nur diese Methode ihren Aufstieg. Es gibt in der Wissenschaft eine ganze Reihe von Beispielen, daß Frauen, die jahrelang in Instituten herumgesessen hatten wie man sich auszudrücken pflegte doch schließlich etwas Bedeutendes leisteten. Sie kommen eben zu ihrem Eigenen, wenn auch spät. Daß dieses »Eigene« nur so klein ist in vielen Fällen, hängt nun von anderen Umständen ab, die in der Art der wissenschaftlichen Betäti­gung selbst liegen. Eine reife Frau, die etwas leisten kann und nicht als Natur­wis­sen­schaftlerin ein eigenes Laboratorium hat, ist nicht in der Lage, sich voll­stän­dig auszuwirken. Sie kann keine Schüler anziehen, keine Nachfolger ausbilden, keine Schule schaffen. Daß so sehr viele Männer, die als Forscher an­gese­hen sind, auch keine Schule schaffen konnten (wie zum Beispiel Oskar Hertwig[9] und Au­gust von Was­ser­mann[10]), wird natürlich vergessen, obgleich da die äußeren Um­stände doch näm­lich der Besitz eines wohl eingerichteten Instituts nicht die wis­sen­schaftliche Betäti­gung hindern konnte.

Ich kenne in der ganzen Welt nur einen Fall in den Gebieten, die ich beurteilen kann, nämlich in der Zoologie und ihren Grenzgebieten, in dem eine Frau eine Schule geschaffen hat: das ist Florence Sabin[11], jetzt Mitglied des Rocke­feller-Insti­tuts in New York[12], früher ordentlicher Professor und Direk­tor des ana­to­mischen In­stituts der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. Sie wurde ver­hält­nismäßig früh alleinverantwortlicher Leiter eines großen Instituts und ihre Arbeiten, ihre Schüler, zeigen, daß auch eine Frau eine solche Stelle bes­ser aus­füllen kann als man­cher ihr gleichgestellte Ordinarius. Denn die höchste Ehre, die die amerika­ni­sche Wissenschaft zu vergeben hat, wurde ihr vor kur­zem zuteil: sie wurde Mit­glied der »Akademie der Wissenschaften« der Ver­ei­nig­ten Staaten. Die meisten Instituts­direktoren in Amerika sind es nicht, nur einige wenige auserwählte Köpfe bilden dieses Gremium.

In der Biologie, meinem engsten Fachgebiet, das ich allein beurteilen kann, haben sich eine geachtete Stellung erworben:

Kristine Bonnevie[13], als Leiterin des Zoologischen Instituts in Oslo; die Pio­nie­rin der deut­schen Zoologinnen, Gräfin Linden[14]; Margarete Zülzer[15], die Spiro­che­ten-For­sche­rin[16] des Reichsgesundheitsamtes, Berlin; Adele Hart­mann[17], die Ana­to­min des Münche­ner Instituts; Paula Hertwig[18], die Ver­er­bungs­forscherin und Toch­ter des be­kann­ten Biologen Oskar Hertwig.

Aber alle, mit Ausnahme von Kristine Bonnevie, sind in ihrem Wirken fast nur auf ihre Arbeiten angewiesen. Wohl unterrichten einige von ihnen, aber zu einer Schule­bildung kann es wegen der nicht ganz selbständigen Stellung der­sel­ben nicht kom­men. Reine Forscherstellen wurden im allgemeinen zuerst Frau­en gegeben. Es ist bemerkenswert, daß gerade von der Zoologie und Bota­nik aus zuerst sich Frau­en Stellungen in der Wissenschaft erwarben[19].

Ich habe diese Bemerkungen, die eine Fülle von Beobachtungen in sich tragen, dem Bericht meiner eigenen Laufbahn vorangestellt, um meinen Werdegang ein­fach als den Typ einer Laufbahn einer Forscherin hinzustellen, die noch in den letzten Jah­ren der anfänglichen Gegnerschaft gegen das Frauenstudium ihre Laufbahn begann und noch lange und schwere Widerstände gegen ihr Fort­kommen gefühlt hat.

Im allgemeinen ist der Rahmen, in welchem sich ein modernes männliches Ge­lehr­ten­leben abspielt, sehr monoton. Das Leben der Frauen, die sich erst einen Weg bah­nen mußten, für die die Frauenbewegung noch nicht die Zu­las­sung zu den Uni­ver­sitäten, die Gründung von den Universitätsbesuch vor­be­rei­ten­den Schulen er­reicht hatte, ist doch etwas bewegter.

Meine Jugend fällt noch in die Zeit, in der es für ein durchschnittlich begabtes Mäd­chen, wenn es sich betätigen wollte, keinen anderen Weg gab, als daß man es Leh­rerin werden ließ. Das lag bei mir ganz besonders nahe. Mein Vater, der aus Hes­sen stammte, und der noch ziemlich jung nach Hamburg an eine höhe­re Mäd­chen­schule, die Klosterschule St. Johannes, berufen wurde, war Ober­leh­rer. Er unterrichtete mich zum Beispiel in der Schule in Deutsch und Ge­schichte und führte die­sen Unterricht für mich und meine Geschwister auch spä­ter, als wir aus der Schule schon entlassen waren, in Form von Kursen wei­ter fort, so daß ich, ohne es zu wissen, eine ausgezeichnete geistes­wissen­schaft­liche Erziehung erhal­ten habe. Mein Vater war einer der bekanntesten Kom­mu­nal­politiker in Hamburg. Er ver­stand es, die ganze Bürgerschaft Ham­burgs in den »Zentral­verein Hamburger Bür­ger­ver­eine« zusammen­zu­schließen, um so für den Aus­bau und die Ver­schö­ne­rung der Stadt, für die For­derungen eines so großen Staats- und Stadtwesen ein Organ zu haben, das die Ansichten sei­ner Bürger auch durchsetzen konnte. So ent­stan­den aus der Anregung mei­nes Vaters der Plan einer Eisenbahn nach Ohls­dorf[20], dem Ham­bur­ger Kirchhof, der erst viel später verwirklicht wurde, oder die Er­rich­tung von Markt­hallen, Hand­fertig­keits­schulen und dergleichen Ein­rich­tun­gen mehr. Aber am stärksten steht wohl dem älteren Hamburger der Kampf meines Vaters für eine Erweiterung des Senates, der in der damaligen Zeit nur aus Juristen und Kauf­leu­ten satzungsgemäß bestehen durfte, vor Augen. Auch die Miß­stände im Schul­wesen wur­den oft von meinem Vater gegeißelt (= heftig kritisiert), und seine Käm­pfe mit dem __keineFN, da keine Zeit mehr und schnell nicht gefunden: Schulrat Hoche, in dessen Verwaltung parteiliche Entscheidungen vor­ge­kommen waren, führ­ten zu einer schließlichen Absetzung dieses Schul­gewal­tigen, aber auch zu­gleich zu der meines Vaters. Diesen Schlag hat er, glaube ich, nie ver­wunden. Er starb viel zu früh, gerade zu der Zeit, als ich mein erstes Seme­ster an der Berliner Universität hinter mir hatte.

Mein Vater wollte durchaus nicht, daß ich Naturwissenschaften studierte; wohl hätte ich seine Einwilligung endlich zum Studium der Geschichte oder Lite­ra­tur be­kommen. Aber das Erbe, das ich von meinem __keineFN, da keine Zeit mehr und schnell nicht gefunden: wer könnte das gewesen sein? - in Lübeck fragen Großvater mütter­licher­seits, dem frü­he­rem Mitglied des Frankfurter Parlaments im Jahre 1848, der später einige schreck­liche Monate auf dem Hohen­aßberg[21] verbrachte, er­hal­ten, war in mir zu stark. Mein Großvater mütter­licherseits, ein bekannter Arzt Hessen-Nassaus übrigens besteht meine ganze Familie mütterlicherseits und väterlicherseits in meh­re­ren Generationen aus Ärz­ten und Chirurgen , hatte die Spinnen ganz beson­ders stu­diert und wunder­bare Beschreibungen von den Spinnen und Käfern Hessen-Nassaus gegeben.

Nachdem ich die Schule verlassen und die übliche Pensionsausbildung der höheren Töchter hinter mir hatte, besuchte ich für ein Jahr das Lehrerin­nen­seminar der Kloster­schule und machte dann mein Lehrerinnen-Examen für höhe­re und mittlere Mädchenschulen. Aber ich hatte noch keine Neigung, zu unter­richten, sondern woll­te mir lieber die Welt ansehen. So war ich längere Zeit zu Besuch in England und nahm dann, als ich älter wurde, eine Stelle in einem rumänischen Mädchen­gymnasium an. Aber ich fühlte doch, als ich im Jahre 1899 etwas seßhafter wurde und in den Hamburger Volksschuldienst ein­trat, daß die Kenntnisse, die ich mir er­wor­ben hatte, mich nicht so ausfüllten, daß ich schon daran denken konnte, anderen ein Führer zu sein.

Ich verließ, nachdem ich mir darüber klar geworden war, daß ich mein Ober­leh­re­rin­nen-Examen machen wollte, den Hamburger Volksschuldienst wieder, doch lag der Gedanke, Zoologin zu werden und die wissenschaftliche Laufbahn zu er­grei­fen, durchaus nicht in meiner Absicht. Wohl hatte ich mich immer schon in der Klo­ster­schule und auch auf dem Seminar besonders für Natur­wissenschaften inter­essiert, aber die Schwierigkeiten, eine rein wissen­schaft­liche Karriere zu ergreifen, wa­ren mir als so groß geschildert worden, daß ich zunächst beabsichtigte, das Ober­lehrerinnen-Examen zu machen, um dann in der höheren Mädchenschule, denn damals gab es noch keine Mädchen­gymna­sien oder Mädchen-Realgymnasien, in meinen beiden Lieblingsfächern Zoo­lo­gie und Botanik zu unterrichten. Die Vor­liebe für diese beiden Fächer war mir schon in der Klosterschule durch meinen lieben alten Lehrer keine FN, ok MM: Justus Schmidt geweckt worden, der in drei Schulklassen der Kloster­schule mein Lehrer der Natur­wissenschaften war und es verstand, meinen Eifer und meine Vorliebe so zu steigern, daß ich, so oft es ging, mit zum Sam­meln von Pflanzen und Tieren für die Schule auf das Eppen­dorfer[22] Moor, das sich damals noch weit aus­dehnte und auf dem seltene Pflanzen, und ganz besonders Moose, sich be­fan­den, hinausging. Hatten wir dann die Pflan­zen ge­sam­melt, so wurde sie in dem naturwissenschaftlichen Zimmer sortiert. Es wurde versucht, sie mög­lichst frisch zu erhalten. Dadurch lernte man die Pflanzen und ihre Eigen­art kennen. Aber wenn diese Ausflüge auch einen etwas lehrhaften Charakter trugen, so ent­schä­digte ich mich für diese Strenge durch solche, die meine Geschwister und ich in die Hamburger Umgegend machten. Wir sammelten stets Amphi­bien, und ich hatte stets Tierzuchten der verschiedensten Art. Beson­ders habe ich mich von klein auf für lebende Tiere interessiert.

Wie groß war aber meine Enttäuschung, als ich nach Berlin kam und in das übli­che Stu­dium der Naturwissenschaften eingeweiht wurde. Im Jahre 1903 war die ver­glei­chende anatomische Strömung auf der Höhe, die ganz besonders durch die da­mals herrschende, nicht ganz verstandene Darwinsche Ab­stam­mungs­lehre[23] be­stimmt war. So ging mein erstes Jahr an der Berliner Hoch­schule damit hin, daß wir die Tierkörper der niederen Tiere sezierten und den inneren Bau der einzelnen Tier­klassen uns zu eigen machten. Auch die Vor­le­sun­gen, die ich hörte, gaben mir nicht das, was ich eigentlich erwartete. Mir selbst stand immer die Funktion eines Or­gans, die Leistung, im Vordergrund. Es interessierte mich viel mehr, welche Be­din­gungen für das Funktionieren eines Muskels oder einer Zelle nötig waren, als daß ich ihren Bau bis in die einzelnen Kleinigkeiten beschreiben konnte. Auch war die Methodik des bio­lo­gi­schen Universitätsunterrichts damals in Berlin nicht gut. Es gab Tage, nach­dem ich den großen ganztägigen Kurs im zoologischen Institut be­legt hatte, an denen ich in meine Pension zurückkam und voller Verzweiflung war. Die Hand­geschicklichkeit, die zu den feinsten Arbeiten erst erworben werden mußte, und die sich anzueignen nicht richtig gelehrt wurde, machte mir viel Mühe. Das wundert mich noch heute, wo ich gerade jetzt mit den feinsten Instru­menten leicht arbeite eine Fähigkeit, die vielen anderen nicht von der Natur gegeben ist . So nehme ich an, daß es damals an der Methodik des Unter­richts gelegen hat, daß ich mir so schwer, und mit mir viele andere, die nöti­gen Kunstgriffe habe er­wer­ben können. Es wurden uns z. B. von dem Assistenten Aufgaben gegeben, und mit Schrecken denke ich heute noch an die erste Aufgabe in dem zoologischen Insti­tut, als wir eine Amoebe[24], ein Tier, was wir also nur mit dem Mikroskop fin­den konnten, suchen und unter dem Deckglas färben sollten. Da das Mikroskop das Bild umdreht, so mußten ja auch die Bewegungen alle unter diesem Gesichtspunkt ein­gerichtet sein, und während ich mich quälte und quälte, wurde rund um mich das Laboratorium leerer. Ich habe es über einen Monat fast jeden Tag versucht und doch, als ich in späteren Jahren diese mit so vieler Mühe gefärbte Amoebe betrach­te­te, war es wohl ein gefärbter kleiner Punkt, aber keine richtige Amoebe. Der Assi­stent zeigte nicht, wie wir arbeiten sollten, und so verloren viele die Lust, weiter sich auszubilden. Es war in der damaligen Zeit noch nicht erkannt, daß die Vor­lesung eigentlich eine Vorbereitung oder Erweiterung dessen sein sollte, was der Student durch eigene Arbeit sich mit geschickter Anleitung aneignen sollte oder angeeignet hatte. So wurde auf das Wort noch viel zu viel Wert gelegt, und eine planmäßige Umgestaltung der praktischen Übungen war nur einigen wenigen begnadeten Methodikern unter den Professoren zu eigen, so z. B. Prof. A. Lang[25] in Zürich, bei dem ich später arbeitete. Als ich nach län­ge­rer Zeit den Assi­sten­ten frag­te, warum diese Arbeit so schwer gemacht wur­de, sagte dieser, das sei die Metho­de der »Auslese«. Aber schnell waren diese klei­nen Schwierigkeiten über­wunden. Nachdem ich mein Abitur nach­gemacht hatte, konnte ich im Jahre 1908 in Mün­chen unter Herrn Geheim­rat Richard von Hertwig[26] promo­vie­ren.

Ich wollte eigentlich eine Doktorarbeit aus dem Gebiet der Entwicklungs­ge­schich­te wäh­len, da ich das Gefühl hatte, daß gerade die Entwicklungs­ge­schich­te am meisten mei­nen Neigungen, lebend sich verändernde Gebilde zu beob­ch­ten, entgegenkam. Aber ich erhielt eine Arbeit aus dem Gebiet der »experi­men­tellen Zellforschung«, wie wir heute sagen würden, einer Disziplin, die sich erst jetzt zu einem von ande­ren Disziplinen abgetrennten Arbeitsgebiet ent­wickelt hat.

Im Jahre 1909 machte ich dann, um meine Studien abzuschließen, meinen Ober­leh­rer in Zoologie, Botanik, Mathematik und Physik. Schon während die­ser Zeit hat­te ich einen Arbeitsplatz im Institut für Infektionskrankheiten Ro­bert Kochs[27], und nach kurzer Zeit wurden mir durch Herrn Geh. Medizi­nal­rat Kirchner[28] weiter die Wege ge­ebnet. Er, der auch Schaudin[29] half, stützte meine ersten Schritte auf dem wis­sen­schaft­lichen Weg. Ich kann ihm nicht genug danken. Ich er­hielt die Stelle eines wis­sen­schaftlichen Hilfs­ar­bei­ters und aus einem Dispositions­fonds des Kultus­mini­ste­riums das Gehalt eines Assistenten. So konnte ich fünf schöne lange Jah­re mich mei­ner Aus­bildung in Protozoologie[30] und Zellenlehre widmen. Ich ver­öffentlichte auch einige Arbeiten, die sich ganz besonders mit den Parasiten der Schafe und der Fische be­schäftigten. Inzwischen aber, angeregt durch den Leiter der Abteilung für Pro­tisten­kunde[31], Herrn Professor Hartmann[32], beschäftigte ich mich mit all­ge­mei­nen biologischen Fragen, so z. B. die Bedeutung der Ge­schlechts­vor­gän­ge, der Tei­lung und des Zelltodes bei einzelligen Lebewesen. In der dama­li­gen Zeit machte in der bio­logischen Welt folgende Tatsache großes Auf­sehen. Woodruff, ein ameri­ka­nischer Forscher[33], hatte gefunden, daß dieser Ge­schlechts­vor­gang nicht aufzutreten braucht, sondern daß das Tier sich bis zum Jahre 1913 un­ge­schlecht­lich vier­tausend­mal teilen konnte. Ein kleines einzelliges Lebe­wesen, Para­maecium[34], das sich durch Zwei­teilung fort­pflanzt, durch­läuft, wenn man es zu­sam­men in Massen­kulturen hält, wie be­kannt, ab und zu einen Geschlechts­gang, wo­zu zwei Tiere nötig sind. Man nahm an, daß ein Geschlechts­gang für das Wei­ter­bestehen eines Stam­mes von Tie­ren, von einem Tier abgeleitet, unnötig sei. Durch die Hertwig­sche und Weis­mann­sche Schule war die Ansicht bei allen Zoolo­gen ver­tre­ten, daß geschlecht­liche Vor­gänge doch irgendwie in einen Ent­wick­lungs­kreis einer rei­nen Linie gehören, und so wünschte ich, einmal diese Linie von Herrn Prof. Woodruff zu unter­suchen, ob nicht irgendwelche die Ge­schlechts­vor­gän­ge ersetzende Er­schei­nun­gen auftreten würden. Ich schrieb an Herrn Prof. Woodruff und wollte gern seine Paramaecien­rasse geschickt haben, aber Herr Prof. Wood­ruff wollte seine Rasse, die er damals für etwas ganz be­son­de­res hielt, nicht aus der Hand ge­ben, sondern wünschte, daß ich meine zyto­lo­gi­schen Unter­suchun­gen[35] in Amerika machen sollte. Ich erhielt daher ein großes Sti­pen­di­um und reiste im Jahre 1913, wie ich dachte für zehn Monate, nach Ame­ri­ka nach dem Osborn Zoo­lo­gical Laboratory der Yale-University, New Haven (Conn). Ich konn­te auch die mir ge­stell­te Aufgabe lösen und fand in einer ein­zel­nen Zelle einen an die Parthe­no­gene­se erinnernden Vorgang. Die Partheno­genese oder jung­fräu­liche Zeu­gung gilt im Tier­reich allgemein als Ersatz für den Ge­schlechts­vor­gang, der durch die Ver­eini­gung zweier Zellen (Sperma und Ei) oder zwei­er gleich­arti­ger Zellen, wie bei allen niedrigen Lebewesen, vor sich geht.

Ende Juli 1914, nachdem auch ich mich etwas mit der Gewebezüchtung[36] be­schäf­tigt hatte, die seit 1906 vom Leiter des Osborn-Laboratorium, Herrn Prof. R. G. Har­ri­son[37], zuerst ausgeübt wurde, verließ ich das Institut und ge­lang­te auf meiner Rück­reise nach Deutschland nur bis England, denn die »Kron­prinzessin Cäcilie«, die auf dem Meere hörte, daß der Weltkrieg aus­ge­bro­chen war, konnte nicht mehr nach Spanien, wohin sie fahren wollte, er­rei­chen und mußte im Hafen von Fal­mouth liegen bleiben. So landete ich am 3. August 1914 in England. Meine Kol­le­gen sorgten für mich, und es wurde mir angeboten, in einem der englischen Insti­tu­te zu arbeiten, bis der Krieg vorüber wäre, aber nach Deutschland dürfte ich nicht. Zum Glück aber tele­gra­phierte die Yale-Universität und verlangte mich zu­rück, schickte mir Geld, so daß ich Ende August meine Rückreise im Zwischen­deck eines White Star Liners antreten konnte. Bis Dezember 1914 waren näm­lich alle besseren Plätze be­setzt, weil die Rückflut der Reisenden vom euro­pä­i­schen Kon­tinent nach Amerika zu groß war. Ich wollte aber nicht solange warten, denn wenn auch im Anfang des Krieges die Deutschenhetze in England fast nicht exi­stierte, so war es mir unheimlich, in einem Lande zu bleiben, das mit Deutsch­land Krieg führte. Man hatte mir schon bei meiner Abreise in der Yale-Universität an­ge­bo­ten, daß ich Privatdozent werden könnte, wenn ich wieder käme, und so wur­de ich denn im Jahre 1915 Privatdozentin. Das war etwas ganz Besonderes, da in den alten Trustees’ Universitäten[38], Harvard, Princeton und Yale, Frau­en nicht in der eigentlichen Universität, der Graduate School, angestellt waren, ja, der Char­ter = Statuten, Verfassung/keine FN nötig, GP+MM ok: Char­ter der Universität mußte in einer Staatsratssitzung erst ge­än­dert wer­den, bis ich als Frau zugelassen wurde. Natürlich, gerade weil ich Aus­länderin war und eine Frau, prote­stierten einige einflußreiche Personen dage­gen. Aber mein wissen­schaft­licher Name trug mich doch über diese Schwie­rigkeiten hinweg, ganz be­son­ders, als der Theologe, von dem niemand es erwartet hätte, in der entscheidenden Sitzung sagte, es wäre doch ganz einer­lei, in welchem Körper ein Verstand säße, es käme doch eigent­lich für die Uni­ver­sität nur auf den Verstand an.

Ich hatte, nachdem ich meine Arbeiten mit Woodruff beendet hatte, an der Yale-Uni­versität vollständig freie Hand, zu arbeiten, was ich wollte, die glän­zend­sten Arbeits­bedingungen, die man sich denken kann, genügend Personal usw. Dazu kam noch, daß ich Associate des Rockefeller-Instituts[39] wurde und sich infolgedessen mei­ne Stellung in der Yale-Universität noch verbesserte. Ich bekam das große Gehalt und hatte alle Erleichterungen für meine wissen­schaft­lichen Arbeiten in dem großen Laboratorium des so gütigen, gerechten und hoch­bedeutenden For­schers, Prof. Harrison. Schüler meldeten sich, Dokto­ran­den kamen und so schien es, daß sich meine wissenschaftliche Laufbahn, wenn ich in Amerika bliebe, zur Zu­frie­den­heit entwickeln würde.

Im Jahre 1915 reiste ich nach Deutschland zurück. Ich wollte sehr ungern im inner­sten meines Herzens in Amerika bleiben, ich hätte gern eine Stellung in mei­nem Vaterlande gefunden, war ich doch nicht mehr ganz jung. Das voll­stän­dige Ein­gewöhnen in einem fremden Lande ist doch nur in der Jugend mög­lich. Aber ob­gleich mir Herr Geheimrat A. von Wassermann eine Assis­ten­tenstelle 1915 anbot, konnte ich mich nicht entschließen, diese an­zu­neh­men, weil ich nicht mehr für andere arbeiten wollte. Ich hatte das Be­dürfnis, bei mei­nem Alter, meine eige­nen Pro­bleme und meine eigenen Ideen einmal in Wirklichkeit umzusetzen, und das konnte ich nur, wenn ich eine kleine Ab­tei­lung für mich allein leitete. Auch der Ver­such meiner Freunde, in dem Kaiser-Wilhelm-Institut[40] eine kleine Ab­tei­lung für Zel­len­forschung einzurichten, mißlang. Einen anderen Versuch unter­nahm man 1916. Es wurde versucht, ob ich mich nicht in Berlin habilitieren konnte, aber Exzel­lenz Naumann[41] hielt diesen prinzipiellen Schritt es gab erst nach 1919 weib­liche Privatdozenten für verfrüht. Ich fand also, daß mein Vaterland nicht unter den Bedingungen etwas für mich übrig hatte, unter denen ich allein forschen und arbei­ten konnte. So ging ich schweren Herzens 1916 im Herbst nach U.S.A. zu­rück, sah aber schon im Oktober 1916 ein, daß, als Wilson wieder ge­wählt wurde und die deutschen U-Boote an der Küste von Long Island erschie­nen, ich besser hät­te in Deutschland bleiben sollen, weil der Ausbruch des Krie­ges zwi­schen Deutsch­land und Amerika nur eine Frage von Wochen sein konnte. Ich be­mühte mich dann, als die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und den Ver­ei­nigten Staaten abgebrochen wurden, mit dem Bernstorffschiff nach Deutsch­land zu kommen, aber wie viele auch mitgenommen wurden, einem Kolle­gen und mir, dem Vererbungsforscher R. Goldschmidt[42], wurde be­deutet, uns wür­de nichts ge­sche­hen, da wir ja fern von aller Politik gelebt hät­ten, zumal ich eine gan­zes Jahr vor dem Weltkrieg in Amerika gewesen wäre.

Das schien sich erst auch zu bestätigen. Ich hatte noch im ersten Kriegswinter mei­nen Kurs über pathogene Protozoen[43] gelesen und hatte noch einige Dok­to­ran­den. Aber im zweiten Kriegswinter, Ende Februar 1918, bat mich der Prä­si­dent der Uni­ver­sität, nach unserer Ausdrucksweise der Rektor, doch frei­wil­lig meine Stel­lung niederzulegen, weil man dann mehr für mich tun könnte. Viele Män­ner waren schon damals interniert worden oder aus ihren Stellen ver­drängt. Sehr viele, die natu­ra­lisierte Amerikaner waren, mußten einen Re­vers unter­schreiben, in dem sie sich vollkommen mit den Schritten der ame­ri­ka­nischen Regie­rung einver­stan­den erklär­ten. Da ich ja noch nicht fünf Jahre im Lande war, hätte ich bei Aus­bruch des Krieges nicht Bürger werden kön­nen und hatte auch vor­her nie da­ran gedacht, amerikanischer Bürger zu wer­den. Die Universität erlaub­te mir, mei­ne Arbeiten im Osborn-Labo­ra­to­rium fortzusetzen und noch die Arbei­ten mit mei­nen Dokto­ran­den zu Ende zu brin­gen. Das änderte sich aber vom 1. Mai 1918 an. Die Stim­mung des ame­ri­ka­ni­schen Volkes hatte sich durch die schein­baren Erfolge der Deut­schen sehr stark ver­schlechtert. Der bei fast allen Kriegs­führenden ent­stehende Haß hatte sich be­sonders der Mittelklasse bemächtigt und da die Psyche des ameri­ka­ni­schen Vol­kes leicht Massenpsychosen zugängig ist, so wurde die Kriegshetze von Woche zu Woche schlimmer. Ohne daß ich es wußte, waren verschiedene Be­schul­digungen ausgestreut, daß ich einen See vergiftet hätte, aus dem die New Have­ner Trinkwasser bekamen, und dergl[eichen] Dinge wurden mir im­mer mehr nach­gesagt, bis ich schließlich am 1. Mai 1918 in Unter­suchungshaft genom­men wur­de. Wessen ich eigentlich beschuldigt war, wußte ich nicht und habe es genau erst er­fah­ren, als ich im Februar 1919 Amerika verließ. Aber die Unter­su­chung spitzte sich darauf hinzu, daß ich das Virus der Hühnerpest, mit dem ich bis 1916 gear­bei­tet hatte, dazu benützen wollte, um die großen Hühnerbestände des ame­ri­ka­nischen Volkes zu ruinieren oder daß ich es verstanden hätte, das Virus so ab­zu­än­dern, daß es giftig für Menschen wäre. Zum Glück fanden sich aber keine ameri­ka­ni­schen Gelehrten, die diese Möglichkeit mit ihrem Namen deckten. Erstens gab es zu der Zeit keine Hühnerseuche, was sehr günstig für mich war, zwei­tens ist es wissen­schaftlich bis jetzt unmöglich eine Umwandlung des Virus, einer Vogel­krank­heit, in ein Virus, das den Menschen schädigte, nachzuweisen. Den Bemü­hun­gen meiner amerikanischen Freunde und Kollegen gelang es dann, mir im Septem­ber 1918 nach viereinhalbmonatlicher Untersuchungshaft, über die ich nicht gern spre­che, weil die Männer, welche die unwürdige Art der Gefangenschaft über die acht deutschen Frauen, die zum Teil interniert, zum Teil gefangen genommen wur­den, verhängt hatten, von vielen gerecht und vernünftig denkenden Bürgern des amerikanischen Landes selbst angegriffen und zum Teil auch zur Rechenschaft ge­zo­gen worden sind, meine Freiheit wiederzugeben. Um nur einen Überblick von dem Geist zu geben, der damals herrschte, möchte ich nur bemerken, daß das De­parte­ment of Justice verlangte, daß meine Freunde fünftausend Dollar Bürgschaft auf­bringen sollten, und zwar durften diese fünftausend Dollar nicht von Zoologen ge­geben werden. Ich kannte ja fast niemand anders. Weiter mußten sie gegeben wer­den von Leuten, die drei Generationen in Amerika waren, also sogenannt simon-pure bred mußten sie sein. Weiter durften die Geber von meinen Experi­men­ten niemals etwas ge­wußt haben. Den Bemühun­gen des Herrn Prof. Harrison und meiner Frauen­freunde gelang es dann nach zwei Wochen, die so schwierigen Bedin­gun­gen zu er­fül­len, und so wurde ich in Beglei­tung von zwei Beamten der Stadt New Haven wieder übergeben. Ich durfte natür­lich nicht die Stadt verlassen und kein Laboratorium, keine Bibliothek, kein öffent­liches Gebäude betreten. Ich hätte das auch wahrscheinlich gar nicht tun können, denn diese viereinhalb Mona­te in dem Waverley-Haus, das in New York in einem der engsten, leb­haf­te­sten Stadt­teile liegt und ein Haus für gefallene Mädchen ist, scha­de­ten mir gesund­heitlich sehr. Gerade in dem Sommer, in dem es eben so heiß war in New York wie in dem vor­letztem, war der ununterbrochene Aufenthalt in ei­nem Zimmer direkt eine Höl­le, besonders da es uns verboten war, Gegenzug zu machen. Niemals duften wir spazieren gehen. Abends, nach vier Wochen furcht­baren Kampfes, wurde uns er­laubt, in dem Hof zwischen den Stein­mau­ern, die eine glü­hen­de Hitze aus­strömten, ein paar Augenblicke uns zu be­we­gen, sonst waren wir diese viereinhalb Monate nur in einem Zim­mer. Hätte nicht mein Arzt darauf bestan­den, daß ich jeden Donnerstag zu ihm kam, so hätte ich wahrscheinlich die­sen Aufenthalt ohne Luft, zu­sammen mit sieben an­de­ren Personen, die Tag und Nacht sprachen, immer be­wacht im Zimmer von einer Wärterin, nicht ausgehalten. Um so glücklicher war ich, daß ich also wie­der in New Haven sein konnte, wo sich meine amerikanischen Freun­de, be­son­ders die amerikanischen Frauen, wie in dieser ganzen Zeit, meiner an­nah­men.

Der Untersuchungsrichter meinte ja allerdings, man hätte mich wie eine Köni­gin behan­delt, als er mich entließ, aber er muß ja wahrscheinlich gedacht ha­ben, wie Köni­gin­nen in der Revolutionszeit in Frankreich behandelt wurden. Jeden­falls habe ich in diesen viereinhalb Monaten vieles erfahren, was ich sonst in meinem Leben nie­mals gesehen hätte. Da ich die körperlichen Folgen der Unter­suchungshaft all­mäh­lich wieder in New Haven überwand, so wünschte ich dann Amerika zu ver­las­sen, und habe dann bis zum Februar 1919 nichts weiter ge­tan, als Washington ge­be­ten, mich zurückkehren zu lassen. Da man mich ja ge­ru­fen und ich jetzt kein Geld verdienen könnte, müßte man mir ent­weder eine Pension zahlen oder mich nach Deutschland zurückkehren las­sen. Ende Februar 1919 fuhr ich mit einem däni­schen Schiff als erste Deutsche von den Vereinigten Staaten wieder nach Deutsch­land. Die Schwierigkeiten der Heim­reise wage ich nicht zu schildern, zumal ich gerade im März nach Berlin kam, als der Verkehrsstreik war. Ich saß mit mei­nen vielen Kof­fern auf dem Stettiner Bahnhof in Berlin, nachdem z. B. meine Rei­se von Kopen­ha­gen nach Ber­lin drei Tage gedauert [hatte]. Aber alles ordnet sich ja, wenn man war­ten kann. Ich fand meine Wohnung leer, bekam eine tüch­tige Grip­pe, die mir alle mei­ne trüben Gedanken nahm, und als ich wieder ge­sund wurde, hatte ich nur ei­nen Gedanken: mir wieder eine Stelle zu schaf­fen. Das war in­des­sen sehr schwer. Ich erhielt neunundfünfzig Absagen. Durch Zufall wurde Herr Ge­heim­rat Orth[44] auf mich aufmerksam. Ich wollte gern einen Vortrag in der Medi­zinischen Gesell­schaft halten und zeigte ihm meine Präparate. Herr Ge­heim­rat Orth sah ein, daß die experimentelle Zellforschung und besonders die Ge­we­be­züch­tung in Berlin eine Stelle haben müßte, in der sie gepflegt würde, und so schrie­ben er und einige an­de­re Forscher Gutachten, daß man eine Ab­tei­lung für expe­ri­men­telle Zell­for­schung gründen sollte, die dann, weil kein ande­res Institut sie damals haben wollte, dem Institut für Krebsforschung an­ge­gliedert wurde. Lang­sam habe ich nun diese Ab­teilung, die zuerst aus zwei leeren Zimmern be­stand, aufgebaut, besonders in der er­sten Zeit mit Hilfe ame­ri­kanischer Gelder.

Im Jahre 1920 bekam ich einen Lehrauftrag für experimentelle Zellforschung, nach­dem ich mich im August desselben Jahres in der Philosophischen Fakultät habi­li­tieren konnte. Im November 1923 wurde ich Privatdozentin in der Medi­zi­ni­schen Fakultät der Universität Berlin und im Juni 1924 nichtbeamteter a.o. Pro­fes­sor. Die Medizinische Fakultät hatte nämlich erkannt, daß die ex­peri­mentelle Zell­forschung eine Grenzwissenschaft ist, die sowohl für die medi­zi­nische Biologie als auch Physiologie Bedeutung hat und die nun in Deutsch­land auch gepflegt wer­den sollte. Mir wurde also die Aufgabe zuteil, junge Forscher in diese Disziplin ein­zu­führen. Im Laufe der sieben Jahre ist eine kleine Arbeitsgemeinschaft ent­stan­den, die in sehr einfachen Räumen mit sehr geringen Mitteln versucht, Schritt zu halten mit den Ergebnissen der ex­pe­ri­mentellen Zellforschung, die besonders in Amerika in großen, reich do­tier­ten Instituten gefunden werden.

Das ist eben das, was die Forscher, die exakte Naturwissenschaften treiben, so oft nie­der­drücken muß, daß ihr gesamtes Wissen und Können nur dann voll sich zei­gen kann, wenn die äußeren Bedingungen, das Institut, die Assistenz, der Etat eini­ger­maßen bescheidensten Ansprüchen angepaßt ist. Was kann man von einer Ar­beits­stätte verlangen, in der sehr oft die Leiter nicht nur die Funk­tionen des Leh­rers und anfeuernden Forschers ausüben, sondern auch alle Klein­arbeiten, die ge­ra­de für die experimentelle Zellforschung so stark in den Vor­dergrund treten, selbst erledigen müssen. Es ist natürlich zu bedauern, daß der Staat nicht in der La­ge ist, ein neues Institut, wie mir 1919 versprochen wurde, zu gründen; denn dann wür­den sofort alle jungen Männer und Frauen, die mir in diesen Jahren durch die Hand gelaufen sind, sich sammeln und hier eine sehr starke Schule bilden.

So aber muß ich, wenn jemand nur ein wenig die Methodik der Gewebe­züchtung gelernt hat, sehen, daß er möglichst bald wieder das Laboratorium verläßt, damit er anderen Platz macht. Wissenschaftliche Arbeit braucht innere Ruhe, und so arbei­te ich immer für andere, die dann einen einigermaßen gut ausgebildeten Assi­sten­ten aus meinen Händen empfangen. Wenn dies ja an sich eine wertvolle und not­wendige Arbeit ist, so komme ich doch als Forscher zu kurz. Ich habe stets leicht produziert. Ich habe auch das Glück gehabt, einige wissenswerte Dinge dem allgemeinen Bestand der Biologie einzufügen. Jetzt, in reiferen Jahren, wünscht doch jeder das Fazit seines Entwicklungsganges zu zie­hen. Das wird mir schwer­gemacht, weil ich wegen Arbeitsüberlastung, wenn ich nur einigermaßen den Män­nern und Frauen gerecht werden will, die von mir etwas erwarten, nicht selbst zur Arbeit komme. Noch schwieriger wird es weil durch die späte Habilitierung wir Frauen konnten uns ja erst nach der Revolution habilitieren und bei der jetzt in Preußen noch nicht durchbrochenen Schranke der beamteten Professur, die Geld­mittel gering sind, um eine stimmungsvolle Umgebung sich zu schaffen, bei der man eigentlich nur Qualitätsarbeit liefern kann.

Es ist ja eigentlich eigenartig, daß bis zum Jahre 1925 sich noch kein weib­licher beamteter Professor findet, an kei­ner deutschen Universität. Die Zahl der Privat­dozen­tin­nen ist verhältnismäßig ge­ring[45], noch geringer die Zahl der weib­lichen nicht­beamteten außerordentlichen Pro­fessoren. Wenn nun diese Zah­len von denen benutzt werden, die der Frau keine schöpferische Kraft in den Naturwissen­schaften zutrauen, so ist das doch falsch; denn ohne die nötigen Labo­ra­torien und Appa­rate, Instrumente und Zeit lassen sich eben keine exak­ten Forschungen trei­ben.

Daher soll dieser kurze Bericht meines Lebens nur das zeigen, daß so viele nicht ausgewertete produktive Kraft in den Frauen vorhanden ist, die unter­drückt wird und nicht ganz zur Geltung kommen kann, weil die sehr weni­gen aus­ge­zeichneten Stellen, die die Männer geschaffen haben – und die wahr­schein­lich für Männer sind – sehr schwer Frauen gegeben werden[46]. Man muß, so wie ich, eine ganz neue Dis­zi­plin einführen, um seine Daseins­berech­ti­gung zu zeigen. Mir half in meinen wis­sen­schaftlichen Fortschritten beson­ders, daß ich leicht das erlernen konnte, was ein­mal notwendig werden könnte. So habe ich sehr früh ein »Praktikum der Gewe­be­züchtung« ge­schrie­ben und jetzt eine neue internationale Zeitschrift ge­grün­det, das »Archiv für ex­peri­mentelle Zellforschung besonders Gewebe­züch­tung«, das in sehr wür­diger Form die von mir vertretene Arbeits­disziplin als einzi­ge Zeitschrift auf der Welt wider­spiegelt. Aber doch bleibt mir die bittere Em­pfin­dung, daß ich, wenn ich alle Möglichkeiten früher gehabt hätte, und wenn ich jetzt ein aus­gezeich­ne­tes, wenn auch kleines Laboratorium besäße, leicht mit den be­rühm­ten Arbeits­stätten des Auslandes würde wetteifern können und für meinen Teil dazu beitragen, die deutsche Wissenschaft zu fördern.

 

Berlin, im Herbst 1926.

 

 

 

Anna Maria Rhoda Erdmann  

              geboren am 5. Dezember 1870 in Hersfeld, gestorben am 23. August 1935 in Berlin.

              1908 Promotion, 1908–1913 Tätigkeit am Institut für Infektionskrankheiten »Robert Koch«, 1913–1914 als »Theresa Scessel Research Fellow« am Osborn Zoological Laboratory der Yale-Universität in New York, 1915 Privatdozentin (Lecturer) für Biologie an der Yale-Universität, 1915/1916 vergebliche Ver­suche, in Deutschland eine selbständige Arbeitsstätte oder die Möglichkeit zur Habilitation zu erhalten, 1916 wieder in den USA, 1918 – im Krieg – vier­ein­halb Monate inhaftiert, 1919 Rückkehr nach Deutsch­land, 1920 Habi­litation an der philosophischen Fakultät der Universität Berlin, Ent­ste­hung einer kleinen Abteilung für Zellforschung, angegliedert an das Krebs­institut an der Charité, 1923 Privatdozentin in der medi­zi­ni­schen Fakultät, 1924 nicht beamtete a.o. Prof. für Physiologie und Zell­for­schung, beamtet 1929, ebenfalls 1929 Vorstand der Abteilung für ex­pe­rimentelle Zell­forschung an der nunmehr etatisierten Charité, mit 1. April 1930 Ab­tren­nung der Abteilung vom Krebsinstitut der Charité als selb­stän­di­ges »Universitätsinstitut für experimentelle Zell­for­schung« (damit hatte sie end­lich ihr Lebens­ziel erreicht), entpflichtet am 28. Februar 1934, dennoch weiterhin Lei­tung ihres Instituts bis zu ihrem Tode (Quellen: Asen und Caffier; Asen ist ungenau). – Arbeitsgebiete: Cytologie und Histologie (ins­be­son­dere Cytophysiologie und Histogenese), Protozoologie und Immunbiologie (ins­besondere Virusforschung) sowie Krebsforschung.

 


 

 

korrekturgelesen ok MM 7/95 (auch hier im File) – alphabetische Ordnung ok MM 7/95 Literatur zu Rhoda Erdmann

      Quelle: Sabine Koch: Leben und Werk der Zellforscherin Rhoda Erdmann (1870–1935). Inau­gural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der gesamten Medizin am Fachbereich Human­medizin der Philipps-Universität Marburg, 30. August 1985, Mar­burg (Görich & Weiershäuser) 1985, S. 66–83 (enthält auch weitere, hier nicht auf­geführte Titel). – [Josephinum Wien: 60.512; MM-Archiv]. – (An­merkung M.Maurer).

 

ERG MM zzz 19.9.95 *   Asen, Johannes (Bearb.): Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin, Band I, 1810–1945, Leipzig (Otto Harrassowitz) 1955.

ERG MM zzz 10.7.95 *   Caffier, Paul: Rhoda Erdmann – Mit einem Bild, in: Archiv für experimentelle Zell­for­schung bes. Gewebezüchtung – Explantation, Band 18, Heft 2, Jena (Gustav Fischer) 1936, S.127 –136. – [UB Wien: I 460007]. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.135; Seitenzahlen erg. von MM 9/95).

ERG MM zzz 19.9.95 Caffier, Paul: Vollständiges Verzeichnis der wissen­schaft­lichen Arbeiten Rhoda Erdmanns, in: Archiv für experimentelle Zell­for­schung bes. Gewebe­züchtung – Explantation, Band 18, Heft 2, Jena (Gustav Fischer) 1936, S. 137–141. – [UB Wien: I 460007]. – (Quelle: MM 9/95 auf Basis des Ban­des, aus UB Wien).

ERG MM zzz 10.7.95 *   Degener, Herman: Wer ist’s, Leipzig (Ludwig Degener), 8. Ausgabe 1922, 10. Ausgabe 1935. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.135).

ERG MM zzz 10.7.95 [Deutscher Wirtschaftsverlag]: Erdmann, Anna Maria, in: Deutscher Wirtschafts­verlag (Hg.): Reichshandbuch der Deut­schen Gesellschaft, A., Band 1, Berlin 1930, S. 396–397. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.138).

ERG MM zzz 10.7.95 *  Fischer, Isidor (Hg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte des letz­ten fünf­zig Jahre, Band 1, Berlin–Wien (Urban & Schwarzenberg) 1932. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.136).

ERG MM zzz 10.7.95 Haagen, Eugen, Prof. Dr.: Erdmann, Rhoda; Prakti­kum der Gewebepflege oder Explan­tation bes. der Gewebezüchtung, 2. Auflg., in: Centralblatt für Bakteriologie, hg. von Oskar Uhlworm, I. Abtei­lung, Band 98, Nr. 13/14, Jena (Gustav Fischer) 1930 (__?: Rezension). – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.136).

ERG MM zzz 10.7.95 Haagen, Eugen, Prof. Dr.: Nachruf auf Prof. Dr. phil. Rhoda Erdmann, in: Archiv für ex­peri­mentelle Zellforschung bes. Gewebe­züchtung (Explantation), Band 18, Heft 1, Jena (Gustav Fischer) 1936, S. V–VI. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.136).

ERG MM zzz 10.7.95 [Historische Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissen­schaften]: Erdmann, Anna Maria Rhoda, in: Historische Kom­mis­sion bei der Baye­ri­schen Akademie der Wissenschaften (Hg.): Neue Deutsche Bio­graphie, Band 4, Berlin (Duncker & Humblot) 1959, S. 573. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.138).

ERG MM zzz 10.7.95 Huzella, Theodor: Rhoda Erdmann (1870–1935), in: Orvosi hetilap, Nr. 79, Budapest (National Szechenyi Könyvtar Libr.) 1935, S. 1058–11059. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.136).

ERG MM zzz 10.7.95 Jaeger, Hans/Lüdtke, Gerhard: Erdmann, Rhoda, in: Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, Berlin–Leipzig (Walter de Gruyter & Co.) 1926, S. 382. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.137).

*   Koch, Sabine: Leben und Werk der Zellforscherin Rhoda Erdmann (1870–1935). Inau­gural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der gesamten Medizin am Fachbereich Human­medizin der Philipps-Universität Marburg, 30. August 1985, Marburg (Görich & Weiershäuser) 1985. – [Josephinum Wien: 60.512; MM-Archiv].

ERG MM zzz 10.7.95 Kolpin, Nikolaus: Anna Maria Rhoda Erdmann, in: Belkin u. Kan, Uspeki sovremennoi biologii, Band 5, Moskau 1936, S. 348–355. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.137).

ERG MM zzz 10.7.95 Lauche, Philipp Wilhelm Arnold, Prof. Dr. med.: Erdmann, Rh. – Prakti­kum der Gewebe­pflege oder Explan­tation bes. der Gewebezüchtung, 2. Auflg., in: Mar­tin Benno Schmidt/Wal­ter Berb­linger, Centralblatt für allgemeine Patho­logie und pathologische Anato­mie, Band 48, Nr. 9, Jena (Gustav Fischer) 1930 (__?: Rezension). – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.137).

ERG MM zzz 10.7.95 Levi, Giuseppe: Erdmann, Rh. – Prakti­kum der Gewebe­pflege oder Explan­tation bes. der Gewebezüchtung, 2. Auflg., in: Erwin Baur u. a.: Berichte über die gesamte Biologie, Band 14, Heft 8/9, Ber­lin (J. Springer) 1930 (__?: Rezension). – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.137).

ERG MM zzz 10.7.95 [Nature]: Prof. Rhoda Erdmann, in: Nature, Vol. 136, No. 3443, 26. Oktober 1935, London (Macmillan u. Co.LTD) 1935, S. 672. – (Quelle: Sabine Koch 1985, S.138).

*  Schlüter, Anne: Wissenschaft für die Frauen? – Frauen für die Wissenschaft! Zur Ge­schichte der ersten Generation von Frauen in der Wissenschaft, in: Ilse Brehmer/­Juliane Jacobi-Dittrich/Elke Kleinau/Annette Kuhn (Hg.): Frauen in der Ge­schichte IV. »Wissen heißt Leben…«. Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, Düsseldorf (Schwann) 1983, S. 244–261, insbesondere S. 252–255.

 

 

 

Publikationen von Rhoda Erdmann (Auswahl, chronologisch)

      Quellen: a) Biologie-Dokumentation. Bibliographie der deutschen biologischen Zeit­schrif­ten­literatur 1797–1965, hg. von Professor Dr. Martin Scheele und Gerhard Natalis, 5, Den–Feh, 052681–065685, München–New York–London–Paris (K.G. Saur) 1981; b) Sabine Koch: Leben und Werk der Zellforscherin Rhoda Erdmann (1870–1935), Mar­burg 1985, S. 66–83. – Die hier getroffene Auswahl aus insgesamt etwas über 100 Arbeiten umfaßt ins­be­son­dere die von dem Zeitgenossen Caffier (1936) als wichtig hervor­geho­benen, die aus historischer Sicht als bedeutungs­voll zu nennen­den Beiträge zur bio­lo­gischen For­schung, wie sie aus der Dar­stel­lung durch Sabine Koch (1985) hervor­gehen, und weiters einige auch für Laien oder wissen­schaftspolitisch und -historisch inter­essante Beiträge.

 

Erdmann, Rhoda: Experimentelle Unter­suchung der Massenverhältnisse von Plasma, Kern, und Chromosomen in dem sich entwicklelnden Seeigelei. Inaugural-Dissertation an der Philo­sophischen Fakultät der Königl. Bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität Mün­chen, Leipzig 1908; ver­öffent­licht in: Archiv für experimentelle Zellforschung, bes. Ge­we­be­züch­tung (Explan­tation), Jena (Gustav Fischer), Band 2, Heft 1, 1926, S. 76–133.

Erdmann, Rhoda: Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte des Ham­mel­sarkospo­rids in der Maus, in: Centralblatt für Bakteriologie, Parasiten­kun­de, Infektions­krank­heiten und Hy­giene, Abt. I. Medizinisch-hygienische Bak­te­rio­logie, Virusforschung und Parasito­logie, Originale, Band 53, Heft 5, 1910, S. 510–516.

Erdmann, Rhoda: Depression und fakultative Apogamie bei Amoeba diploidea, in: Fest­schrift zum 60. Geburts­tag Richard Hertwigs, München, Band 1, Kapitel 12, Jena (Gustav Fischer) 1910, S. 323–348.

Erdmann, Rhoda: Die Entwicklung der Sarcocystis mu­ris in der Muskulatur. Sonder­ab­druck aus dem Sitzungsbericht der Gesellschaft natur­for­schen­der Freunde, Berlin, Nr. 9, 1910, S. 377–386.

Erdmann, Rhoda: Zur Lebensgeschichte des Chloromyxum leydigi, einer micto­sporeen Myxosporidie, Teil I, in: Archiv für Protistenkunde, hg. von Max Hartmann und Stefan von Prowazek, Band 24, Heft 2, 1911–12, S. 149–162.

Erdmann, Rhoda: Zu einigen strittigen Punkten der Sarko­sporidien­forschung, in: Georges Pruvot et al.: Archives de zoologie expéri­men­tale et général, Vol. 53, Paris (Librairie Albert Schulz) 1913/14, S. 579–596.

Erdmann, Rhoda/Woodruff, Lorande Loss: A normal periodic reorganization process without cell fusion in Paramaecium, in: The Journal of Experimental Zoology, Philadelphia 1914, Vol. 17, No. 4, S. 425–518.

Erdmann, Rhoda: The Schizogony in the life-cycle of Sarcocystis muris, in: Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine, Vol. 11, No. 5, 1914, S. 152–153.

Erdmann, Rhoda/Woodruff, Lorande Loss: Vollständige periodische Erneuerung des Kern­apparates ohne Zellverschmelzung bei reinlinigen Paramecien, in: Biologisches Cen­tral­blatt, Band 34, No. 8, 1914, S. 484–496.

Erdmann, Rhoda: Endomixis und ihre Bedeutung für die Infusorienzelle, in: Sitzungberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde, Berlin, Juli 1915, Nr. 7, S. 277–300.

Erdmann, Rhoda: Attenuation of the living agents of Cyanolophia, in: Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine, Vol. 13, No. 8, 1916, S. 189–193.

Erdmann, Rhoda/Woodruff, Lorande Loss: The Periodic Reorganization Process in Paramaecium caudatum, in: The Journal of Experimental Zoology, hg. von Wistar Institute of Anatomy and Biology, Philadelphia, Vol. 20, No. 2, 1916, S. 59–97.

Erdmann, Rhoda: Chloromyxum leydigi und seine Beziehungen zu anderen Myxo­sporidien, Teil II, in: Archiv für Protistenkunde, Band 37, Heft 3, 1917, S. 276–326.

Erdmann, Rhoda: Some observations concerning chicken bone marrow in living cul­tures, in: Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine, New York, Vol. 14, No. 6, 1917, S. 109–112.

Erdmann, Rhoda: Immunisierung gegen Hühnerpest, in: Archiv für Protisten­kunde, Band 41, Heft 2, 1920, S. 190–241.

Erdmann, Rhoda: Das Verhalten der Herzklappen der Reptilien und Mammalier in der Gewebekultur, in: Wilhelm Roux’ Archiv für Entwicklungs­mechanik der Organismen, Band 48, Heft 4, 1921, S. 571–620.

Erdmann, Rhoda: Prakti­kum der Gewebepflege oder Explan­tation besonders der Gewebezüchtung, Berlin (Springer) 1922, 2. Auflage 1930.

Erdmann, Rhoda: Die biologischen Eigenschaften der Tumorzellen nach Erfahrungen der Einpflanzung, Auspflanzung und Wieder­ein­pflanzung, in: Hans Meyer u. a. (Hg.): Strah­len­therapie, Band 15, Berlin–Wien (Urban & Schwarzenberg) 1923, S. 822–830.

Erdmann, Rhoda: Einige Gedanken über Zell­wu­cherungen in weitestem Sinne nach experimentellen Erfahrungen der in vitro Kultur, in: Medi­zi­nische Klinik, 19. Jg, Nr. 30, 1923, S. 1052–1054.

Erdmann, Rhoda: Die Eigenschaften in vitro gezüchteten Stroma­zellen des Flexner-Jobling-Kar­zinoms, in: Zentralblatt für Bakterio­logie, Parasiten­kunde, Infektions­krankheiten und Hy­gie­ne, Abt. I. Medizi­nisch-hygieni­sche Bakterio­logie, Virusforschung und Para­sito­lo­gie, Originale, Band 93, Beiheft: Bericht über die 10. Tagung der Deutschen Vereinigung für Mikrobiologie, Jena (Fischer) 1924, S. 194–196.

Erdmann, Rhoda: Gibt es bei Tieren Individualität?, in: Der Naturforscher, Berlin, 1. Jg, Nr. 8, November 1924, S. 345–348 und S. 407–411.

Erdmann, Rhoda: Carcinom­studien II, in: Zeitschrift für Krebsforschung, Band 22, Berlin (Springer), 1925, S. 83–96.

Erdmann, Rhoda: Die Bedeutung der in vitro Kultur für die Krebsforschung, in: Wiener kli­ni­sche Wochenschrift, 38. Jg, Nr. 15, Wien (Springer), 9. April 1925, S. 399–403.

Erdmann, Rhoda: Ergebnisse der Forschungen über die Züchtung von Krebsgeweben in vitro, in: Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten, 1. Abtlg., Band 79 – Referate, Jena (G. Fischer), 1925, S. 379–381.

Erdmann, Rhoda/Eisner, Hilde/Laser, Hans: Das Verhalten der fötalen, postfötalen und ausgewachsenen Rattenmilz unter verschiedenen Bedingungen in vitro, in: Archiv für ex­peri­mentelle Zellforschung bes. Gewebezüchtung – Explantation, Band 2, Heft 4, Jena (G. Fischer), 1926, S. 361–401.

Erdmann, Rhoda: Ist der Krebs eine Stoffwechselerscheinung?, in: Centralblatt für Bakte­rio­logie, Parasitenkunden und Infektionskrankheiten, 1. Abtlg., Band 84 – Referate, 1927, S. 329–335.

Erdmann, Rhoda: Geschichte der Abteilung für experimentelle Zellforschung, in: Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Universitätsinstitutes für Krebsforschung an der Charité am 8. Juni 1928, Sonderabdruck aus der Zeitschrift für Krebsforschung, Band 27, Heft 1/2, S. 17–27.

Erdmann, Rhoda: Technik der sogenannten Harrison-Carrelschen Gewebekultur, in: Theo­dor Brugsch/Alfred Schittenhelm (Hg.): Klinische Laboratoriumstechnik, Band 3, Berlin–Wien (Urban & Schwarzenberg) 1928, S. 1967–1994.

Erdmann, Rhoda: Die internationale Organisation für experimentelle Zell­for­schung, in: For­schungen und Fortschritte 7, 1931, S. 123.

Erdmann, Rhoda/Demuth, Fritz: Gewebezüchtung, in: Albrecht Bethe u. a. (Hg.): Hand­buch der nor­malen und pathologischen Physiologie, Band 18, Berlin (Springer) 1932, S. 381.

Erdmann, Rhoda: Krebs und Ernährung, in: Ludwig Külz (Hg.): Biologische Heilkunst, 13. Jg, Nr. 52, Dresden (Lattmann und Meyer) 1932, S. 829–831.

Erdmann, Rhoda: Neuere Züchtungsversuche mit dem de Haanschen Durch­strömungs­appa­rat, in: Archiv für experimentelle Zellforschung bes. Gewebe­züch­tung – Explantation, Band 15, Ver­handlungen des 3. Inter­natio­nalen Zell­forscher­kon­gresses in Cambridge vom 21. –26. August 1933, zusammengestellt von R. Erd­mann, Jena (G. Fischer) 1934, S. 85–98.

Erdmann, Rhoda: Zellwachstum isolierter Organe, in: Geistiges Leben, Nr. 389, 4. Bei­blatt zum Berliner Tageblatt vom 18. August 1935, Berlin, S. 1–2.

 

 



[1]           Verfaßt 1926, veröffentlicht 1928 in: Elga Kern (Hg.): Führende Frauen Europas, Band 1, Mün­chen (Ernst Reinhardt Verlag) 1928, S. 35–54, hier wiedergegeben nach dem von Margarete Maurer 1995 editorisch bearbeiteten und mit An­mer­kun­gen versehenen Abdruck in: Margarete Maurer/Gerda Freise/Patricia Hynes: Forschen Frauen anders? AnSÄTZE – AnSPRÜCHE – AnFORDERUNGEN von Frauen in den Naturwissen­schaften. Arbeits­papiere aus dem RLI, Nr. 3, Wien (ViF/RLI-Verlag) 1998. – Fremdsprachige Bezeich­nungen wurden kursiv gesetzt. Wir danken dem Verlag für die freundliche Abdruck­genehmigung.

 

[2]           Marie Curie, 1867 als Maria Salome Sklodowska in Warschau geboren, gestorben 1934 in San­celle­moz in der Schweiz, 1891–1894 Studium der Mathematik und der Physik (Lizen­ti­ate) an der Sor­bon­ne in Paris, 1895 Heirat, 1897 Geburt der Tochter Irène und Beginn der Dissertation, 1898 Ent­deckung von Polonium und Radium, 1902 Be­stim­mung des Atomgewichts von Radium, 1903 Pro­mo­tion und Physik-Nobelpreis (zusammen mit Henri Becquerel und ihrem Mann Pierre Curie), 1904 Geburt der Tochter Eve, 1906 tödlicher Unfall Pierre Curies, Berufung Marie Cu­ries als Lehr­beauf­tragte und außer­ordentliche Professorin auf den Lehrstuhl ihres Mannes an der Sor­bonne, 1908 Ernennung zur ordentlichen Professorin für Physik an der Sorbonne, 1910 Definition der physikalischen Einheit »Curie« als internationaler Standard für Radium, 1911 Nobelpreis für Che­mie (alleine), 1913–14 Bau des Radium-Instituts in Paris, 1914–1918 Organisation und Be­treu­ung von Röntgen­ein­richtungen an der Front und im Hinter­land (für Frank­reich und mit Assistenz ihrer Tochter Irène), 1921 und 1929 Rei­sen in die USA, 1932 Übergabe der Instituts­leitung an Irène Joliot-Curie (12.9.1897–17.3.1956, erhielt 1935 zusammen mit ihrem Mann Frédéric Joliot-Curie, 1900–1958, für die künst­liche Erzeugung von Radio­akti­vität den Nobelpreis für Chemie: Sie hatten entdeckt, daß fast alle mit Neutro­nen beschossenen Ele­mente selbst radioaktiv werden). – Literatur über Marie Curie siehe in Margarete Mau­rer: Frauen­for­schung in Natur­wissenschaft, Technik und Medi­zin. Dokumentation und Biblio­gra­phie, Wien 1993.

 

[3]           »Syncytium« (vielkernig, ohne Zellgrenzen), ein biologischer Fachausdruck, bezeichnet das Er­geb­nis der Verschmelzung mehrerer Zellen zu einem Ganzen bzw. zu einem Zell­ver­band ohne innere Zell­grenzen, dem Syncytium, welches nunmehr eine Vielzahl von Zellkernen ent­hält, und nicht nur einen, wie es der Definition einer Zelle im Normalzustand entsprechen wür­de. Der bio­lo­gische Sinn eines sol­chen Prozesses dürfte darin liegen, daß auf diese Wei­se ver­schiedene, für das Lebewesen not­wendige Funktionen innerhalb dieses Syn­cyti­ums ar­beits­teilig durch­geführt und dabei besser ko­or­di­niert werden können, wie wenn die­se Funk­tionen auf getrennte Zel­len ver­teilt wären.

 

[4]           Paul Ehrlich (1854–1915), Serologe und Arzneimittelforscher, 1908 Nobelpreis für Medi­zin. Paul Ehrlich wurde durch seine Arbeiten zwischen 1902 und 1912 zum Be­grün­der der mo­der­nen Chemotherapie, bei der Infektionskrankheiten mit synthetischen Phar­ma­ka be­han­delt werden. Ehr­lich entdeckte, daß Arsenverbindungen gegen Syphilis wirk­sam sind und suchte in großem Stil nach einer für die Behandlung geeigneten orga­ni­schen Ver­bin­dung; so entdeckte er 1910 das Sal­var­san. Salvarsan und das von ihm ab­gelei­tete Derivat Neo­sal­var­san waren bis 1945, als sie durch Peni­cillin abgelöst wurden, die gegen Syphilis am häufigsten ver­ab­reichten Phar­maka, sie wur­den in Ver­bin­dung mit einer Wismut­therapie angewendet (Nähe­res zu Ehrlich siehe in Franklin, T. J./Snow, G. A.: Biochemie antimikrobieller Wirk­stoffe , Berlin1973, S. 5–11).

 

[5]           Trypanosomen = Parasiten in der Blutflüssigkeit von Wirbeltieren, die durch blutsaugende Insek­ten übertragen werden. Die beim Menschen im tropischen Afrika die Schlafkrankheit erre­gen­den Parasiten, Trypano­soma gambiense, werden von der Tsetse-Fliege, Glossina palpalis, über­tragen, sie führen zunächst zu einem Furunkel, nach 10 Tagen sind die Erreger im Blut, Fie­ber erzeugend; nach 2–3 Monaten erreichen sie das Nervenystem, ab da hat eine medika­men­tö­se Be­hand­lung kaum noch Erfolg; es kommt zu psychischen Störungen, Schlafsucht, Aus­zeh­rung, Tod.

 

[6]           »Akuratesse« bzw. »Akkuratesse« = Genauigkeit, Sorgfalt.

 

[7]           Margaret Warren H. Lewis (= Margaret A. Reed), geboren am 9. November 1881, Medical doctor in Physio­lo­gie an der Johns Hopkins University School of Medicine, Baltimore, 1901–1903 Bryn Mawr College, 1903–1906 Assistentin von Claude Barnard, 1904–1905 Universitätslektorin am New York Medical College, 1908 Aufenthalte in Paris und Berlin, 1908–1909 fellow Bryn Mawr, u. a. Zusammenarbeit mit der Carnegie-Institution. Arbeitsgebiete: Gewebe­kulturen, Typhus-Bazillen, Beziehung von weißen Blut­kör­per­chen zu Tu­mo­ren, Herz­muskel des Hühn­chen­embryos, Ursprung der Epithel­zellen.

 

[8]           In den USA konnten Frauen bereits seit 1845 studieren.

 

[9]           Der Embryologe Wilhelm August Oscar Hertwig, geboren am 21. April 1849, gestorben am 25. Ok­to­ber 1922, Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und Geh. Me­di­zi­nal­rat, arbeitete mit seinem Bruder Richard Hertwig (1850–1937, siehe unten, Anm. 26) zusammen. Sie trugen wesentlich zur Aufklärung der Befruch­tungs­vor­gän­ge bei und untersuchten die biologischen Wirkungen von Röntgen­bestrah­lungen an Ei­zellen, Sperma und Embryos. 1875 fanden sie aufgrund ihrer Stu­dien am Seeigel-Ei, daß genau ein Spermium zur Befruchtung genau einer Eizelle notwendig ist, und daß die Kerne bei­der bei der Befruchtung miteinander verschmelzen. Oscar Hertwig stand – wie viele Em­bryo­logen – der Darwinschen Lehre, speziell der Selektionstheorie, kritisch gegenüber.

 

[10]          August Paul von Wassermann, geboren am 21. Februar 1866, gestorben am 16. März 1925, Immuno­loge, befaßte sich mit der Entwicklung einer Impfung gegen Cholera und eines Antitoxins (=Gegengift) gegen Diphterie; auf ihn und seine Mitarbeiter ist die berühmte »Wassermann-Reaktion« zurück­zu­füh­ren, ein damals (1906) sehr wichtiger Bluttest zum Nach­weis von Syphi­lis-Antikörpern in infi­zier­ten Personen; später entwickelte Wasser­mann Dia­gnose­tests für Tuberkulose. Zum Wassermann-Test siehe im Detail Ludwik Fleck: Entstehung und Ent­wick­lung einer wissen­schaft­lichen Tatsache, Frank­furt/M 1980; Original 1935.

 

[11]          Florence Rena Sabin, geboren am 9. November 1871 in Central City/USA, gestorben am 3. Oktober 1953 in Denver. 1900 Abschluß des Studiums; ab 1901 unterrichtete sie neben ihrer wissen­schaft­lichen Tätigkeit an der Johns Hopkins Medical School, wo sie von 1905–1917 außer­ordent­liche Professorin für Anatomie und von 1917–1925 ordent­liche Pro­fes­so­rin für Histo­logie war. In diese Zeit fällt ihre Arbeit »Der Ursprung des lym­pha­tischen Systems«, in der sie medizi­ni­sche-therapeutische und forschende As­pek­te der Ana­tomie mit­einander verband. 1922 entdeckte sie die Tatsache, daß weiße Blut­körperchen im Men­schen in konstanter Menge vorhanden sind, bzw. daß Ab­wei­chun­gen in ihrer Anzahl Krank­heit bedeuten. Ab 1925 beschäftigte sie sich am Rocke­fel­ler Institut (siehe die nach­fol­gende Anm. 12) in New York mit Tuberkuloseforschung sowie Zell- und Gewebe­for­schung und ent­wickelte eine Methode, um an lebenden Zellen forschen zu kön­nen. – Nä­he­res zu Flo­rence Sabin siehe in Vincent T. Andriole: Florence Rena Sabin – Teacher, Scien­tist, Citi­zen, in: Journal of the history of medicine, Vol. 14, New Haven 1959, S. 320–350.

 

[12]          Das Rockefeller-Institut in New York, 1902 gegründet, wurde in den siebziger Jahren zur Rocke­feller-Universität, welche sich auf Natur­wissen­schaften speziali­siert hat. Der Grün­der, John Davison Rockefeller (1839–1937), war ein US-amerikanischer Stahl-Indu­striel­ler und Phil­anthrop, füh­rend in der amerikanischen Erdöl- und Schwer­industrie, und galt als reich­ster Mann der Welt; er gründete die Rocke­feller-Foundation zur Förderung der Wis­sen­schaften. Die Rockefeller-Stiftung betrieb eine weltweite Wissenschaftspolitik von Europa bis China.

 

[13]          Kristine Bonnevie, 1873–1949 (Näheres siehe in: Det Norske Vidensskapsakademi i Oslo. Årbok 1949, 1950, S. 78–84; Biografiske monografier 2, 1951, S. 108–114).

 

[14]          Gräfin Maria von Linden, geboren 1869 auf Schloß Burgberg im Oberamt Heidenheim, gestorben 1936 in Shaan bei Vaduz, nach längeren mühsamen Verhandlungen und vielen Eingaben, ins­be­son­dere unter­stützt durch ihren Großonkel Freiherr Joseph von Linden – ohne Imma­tri­ku­lation, d. h. mit Aus­nahmegenehmigung für bestimmte naturwissen­schaft­liche Vor­lesun­gen – zugelas­se­ne erste Höre­rin an der Universität Tübingen, 1895 Promo­tion über »Die Entwicklung der Zeich­nung und der Skulptur der Gehäuseschnecken des Mee­res« an der Fakul­tät für Natur­wissen­schaften, 1899 Assi­sten­tin am Hygiene-Institut der Uni­ver­si­tät Bonn, 1908–1912 Abteilungs­vorstand daselbst, 1910 Professoren­titel; 38 Publika­tio­nen u. a. zu Parasitologie, Chemotherapie und Infektions­krank­heiten. – Näheres siehe in: Gräfin Maria von Lin­den: Erinnerungen der ersten Tübinger Studen­tin, Tübin­gen 1990; Jo­han­na Kretschmer: Maria von Linden – die erste Stu­den­tin an der Uni­ver­si­tät Tü­bin­gen, in: Attempto, Heft 33/34, Tü­bin­gen 1969, S. 78–88; Elke Rupp: Der Be­ginn des Frau­en­studiums an der Universität Tü­bin­gen, in: Hans­martin Decker-Hauff u. a.: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477–1977, Tü­bin­gen 1977.

 

[15]          Margarete Zülzer, geboren am 7. Februar 1877 in Haynau/Schlesien.

 

[16]          Spirochäten = Korkenzieherförmig geschlängelte bzw. spiralige Protozoen (Einzeller); eini­ge Arten verursachen im Menschen Krankheiten, wie zum Beispiel der Syphiliserreger.

 

[17]          Adele Hart­mann, geboren am 9. Januar 1881 in Neu-Ulm, 1918 Habilitation in Anatomie, For­schungs­gebiete: Gefäßentwicklung bei Amphibien, Nierenentwicklung, Röntgen- und Katho­den­bestrah­lungen.

 

[18]          Paula Hertwig, geboren am 11. Oktober 1889 in Berlin, gestorben am 31. März 1983 in Villin­gen/Schwarz­wald; 1916 Promotion und 1919 Habilitation in Zoologie; Tätigkeit als Privat­dozentin für Zoologie am Institut für Vererbungsforschung in Berlin-Dahlem. Paula Hert­wig arbeitete jahrelang ohne Stelle als Assistentin bei ihrem Vater, Prof. Dr. Oscar Hert­wig (vgl. Anm. 9), am anatomisch-biologischen Institut der Friedrich-Wilhelms-Univer­si­tät, Berlin, und legte zahlreiche biolo­gische, anato­mische und medizinische Ar­bei­ten vor, be­vor sie 1926 zum außerordentlichen Pro­fessor ernannt wurde. Da dies jedoch nicht mit ei­ner Verbeamtung verbunden wurde, konnte sie weiterhin für längere Zeit ihrer For­schung nur ohne eigenständige existentielle Ab­sicherung nachgehen. 1927 bis 1945 war sie Pro­fessorin an der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin. 1933 sollte Paula Hertwig Abgeordnete der Deutschen Staatspartei im Preußischen Landtag werden, im Juli 1933 wurde sie aus dem Landtag ausgeschlossen. Im Mai 1946 Berufung an die MLU Hal­le, dort 1948 ordentliche Professorin, Aufbau und Direktorin des Biologischen In­sti­tuts (nach ihrer Emeritierung 1957 kommissarisch bis 1959); 1953 Mitglied der Deut­schen Aka­demie der Naturforscher Leopoldina, 1972 Übersiedelung nach Vil­lin­gen. – Veröffentlichungen u.a: »Partielle Keimesschädigungen durch Radium und Rönt­gen­strahlen«. – Näheres siehe in: Sybille Gerstengarb: Hertwig, Paula, in: Wer war wer – DDR, Berlin, 2. Auflage 1992, S. 187–188; Anne Schlüter: Wis­sen­schaft für die Frauen? – Frauen für die Wissenschaft!, in: Ilse Brehmer u. a. (Hg.): Frau­en in der Ge­schichte IV, Düsseldorf  1983, S. 244–261; Aus der Welt der Frau. Ber­lin, in: Die Studentin, 1927, S. 42 (Personal­notiz zu Paula Hertwig).

 

[19]          Die Naturwissenschaften boten zunächst einen günstigeren Einstieg in die Männerdomäne Wis­sen­schaft als die Geisteswissenschaften. Zwar gehörten 1929 (drei Jahre, nachdem Rhoda Erd­mann ihren Bericht verfaßte) von den in Deutschland vorhandenen sechs­und­vier­zig Hoch­schul­lehrerinnen fünfundzwanzig zu den Geistes­wissen­schaften (inkl. der National­ökonomie), zwei zur Mathe­matik und »nur« neunzehn zu den natur­wissen­schaft­lichen Richtungen (inklusive Medizin und Anatomie), wobei die sieben Biologinnen die größte Gruppe darstellten, aber unter den sechs Frauen, die sich 1918 und 1919 außer­halb Preußens habilitieren konnten (in Preußen war die Habilitation noch nicht möglich), ka­men nur zwei aus den Geistes­wissen­schaf­ten, die anderen aus Biologie (Paula Hertwig, siehe die vorherige Anm. 18), Anatomie (Adele Hart­mann, geb. 9. Januar 1881 in Neu-Ulm, 1918 Habilitation in Anatomie, For­schungsarbeiten über Gefäßentwicklung bei Amphibien, Nierenentwicklung, Röntgen- und Katho­den­bestrah­lungen), Physik (Hed­wig Kohn) und Algebra (Emmy Noether). Von den bei­den Frauen, die 1923 zum ersten Mal in Deutsch­land einen ordent­lichen Lehrstuhl er­hiel­ten, war eine die Botanikerin und Chemi­kerin Mar­garethe von Wrangell, die andere die Pädagogin und Soziologin Mathilde Vaerting. – Es ist erstaun­lich, daß Erdmann die Bakteriologin und Tuber­ku­lose-For­sche­rin Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871–1935) nicht erwähnt ; Lydia Ra­bi­no­witsch-Kempner war weltberühmt geworden durch ihre 1899er Studien über die In­fek­tio­si­tät der Milch tuberkulöser Kühe; sie hatte 1903 ins Patho­lo­gische Institut der Berliner Cha­rité zu Prof. Johannes Orth (siehe Anm. 44) gewechselt (Orth half später Rhoda Erdmann); 1912 ver­lieh ihr Kaiser Wilhelm II als erster Frau in Preußen den Pro­fes­soren­titel (für Medizin – m.W. ohne Be­amten­status); als sie 1920 Direktorin der Bakteriologischen Abteilung des Städti­schen Kran­kenhauses Berlin-Moabit wurde, war sie als solche die rang­höchste Beamtin Preußens; sie hatte drei Kinder und engagierte sich in der Frauen­bewegung. Die National­so­zia­listen stoppten ihre Karrie­re, indem sie ihr 1933 die Schrift­leitung der »Zeitschrift für Tuber­kulose« entzogen und sie 1934 aus dem Krankenhaus Moabit entließen; sie starb etwa ein Jahr nach dieser Zwangs­pen­sionierung (vgl. Rosa M. Win­heim: Lydia Rabino­witsch-Kempner. Ein Portrait, in: Ariadne, Heft 21, Kassel, Mai 1992, S. 68–71). – Mit dem Beginn des National­sozia­lis­mus konnten nur wenige Wissen­schaft­lerin­nen weiter­arbei­ten, die Hälfte der Dozen­tin­nen verließ Deutschland zwischen 1933 und 1945. So war 1945 die Forschungs­tätig­keit von Frauen fast auf den Ausgangspunkt 1908 zurück­ge­worfen.

 

[20]          Ohlsdorf = (heute) ein Stadtteil von Hamburg.

 

[21]          Hohenaßberg = zu jener Zeit als Gefängnis, insbesondere für politische Gefangene, ge­nutz­te ehemalige Bergfeste bei Alperg, westlich von Ludwigsburg, in Baden-Württem­berg.

 

[22]          Eppendorf = (heute) ein Stadtteil von Hamburg.

 

[23]          Charles Darwin führte die Evolution auf die »natürliche Auslese« (Selektion) von erb­lichen Ver­än­de­run­gen zurück, die auf zufälligen richtungslosen Veränderungen des Erb­mate­rials beruhten (indirekte Anpassung). Dabei rechnete er selbst durchaus auch mit der Mög­lich­keit einer direkten Anpassung an die Umwelt, welche Meinung in der Bio­logie­geschichte zur Konkurrenz-Theorie des »Lamarckismus« gezählt wird. Der Lamarckismus geht davon aus, daß Eigenschaften, welche Eltern durch Umwelteinflüsse erworben haben, an deren Nachkommen vererbt werden, und daß die Kumulation dieses Effektes den Motor der Evolution darstelle.

 

[24]          Amoebe = Wechseltierchen, gehört zu den sog. Wurzelfüßlern oder Rhizopoden, die sich durch vorübergehend ausgebildete Fortsätze ihres Zellplasmas (»Pseudopodien«), krie­chend auf ihrer Unterlage fortbewegen und sich dadurch ernähren, daß sie ihre Nah­rung – zum Beispiel Bakterien oder losgelöste Zellen der Organe anderer Organismen – umfließen und dann verdauen. Sie gehören zu den in der Biologie als »einfach« geltenden Organis­men. Im Menschen lebt die für ihn harmlose Mundamöbe Entamoeba gingivalis und die hilf­reiche Entamoeba coli des Dickdarms, aber auch der Erreger der tropischen Amöben­ruhr, Entamoeba histolytica .

 

[25]          Arnold Lang, geboren am 18. Juni 1855 in Oftringen/Kanton Aargau, gestorben am 30. Novem­ber 1914 in Zürich, Zoologe; publizierte u. a. eine »Vergleichende Anatomie der wirbel­losen Tiere« (Jena 1900), in der er die Darwinistische Morphologie behandelte, und ein Werk »Über die MEN­DEL­schen Gesetze, Art- und Varietätenbildung« (Luzern 1906).

 

[26]          Richard Hertwig (1850–1937), Embryologe, arbeitete mit seinem Bruder Oscar Hert­wig zu­sam­men (siehe Anm. 9); er war Zeit seines Lebens ein Be­wun­derer und Freund des Biologen Ernst Haeckel, der die Lehre Darwins in Deutsch­land popu­larisierte und ver­breitete.

 

[27]          Robert Koch, geboren am 11. Dezember 1843, gestorben am 27. Mai 1910, Bakterio­loge, Ent­decker des An­thrax-Bazillus 1876 (später Entwickler einer vorbeugenden Im­pfung dagegen) und Ent­decker des Tuberkelbazillus 1882, insbesondere hierfür erhielt er 1905 den Nobelpreis für Physio­logie bzw. Medizin. Er erforschte in Afrika etliche übertragbare Krankheiten, wie z. B. die Schlaf­krank­heit. Er verbesserte die Mikrosko­pier­tech­nik und die Kulti­vie­rungs- und Färbe­tech­niken von Bakterien. Die vier »Kochschen Postu­late«, zur Identifizierung krank­heits­erre­gen­der Mikroorganismen wurden zu grund­legenden Prinzipien der Bakteriologie .

 

[28]          Martin Kirchner, geboren am 15. Juli 1854 in Spandau, gestorben am 11. November 1925 in Ber­lin, 1898 vortragender Rat des preußischen Kultus­ministeriums, 1911–1919 Direk­tor der Medi­zi­nal­abteilung des Innenministeriums; Tuber­kulose- und Aussatz­for­schung; ab 1902 Lehrauftrag für Sozial­medizin an der Universität Ber­lin.

 

[29]          Fritz Schaudinn, geboren am 19. September 1871 in Röseningken/Ostpreußen, gestorben am 22. Juni 1906, Protozoen­forscher, Habilitation in Zoologie 1898, Forschungen auf dem Gebiet der para­si­ti­schen Protozoen, insbesondere der Trypanosomen (siehe Anm. 5) und Spiro­chäten (siehe Anm. 16). Vorstand des Labora­to­riums zur Erfor­schung Krank­heits­er­re­gen­der Protozoen im Reichs­gesund­heits­amt. Ent­deckte 1905 zusammen mit Erich Hoffman den Syphilis-Erreger, der wegen seines weiß­lichen Aussehens »Trepo­nema pallidum« oder »Spirochaeta pallida« genannt wird (pallidus, lateinisch = bleich, weiß).

 

[30]          Die Protozoologie befaßt sich mit Lebewesen, die aus nur einer Zelle bestehen, den »Pro­to­zoen«, damals auch »Urtiere« genannt. Einige Arten sind im Menschen Krank­heits­erre­ger, wie zum Beispiel der Syphilis­erreger oder der Erreger der Schlafkrankheit; Rhoda Erdmann widmete sich vor allem der Untersuchung ihrer Entwicklungs­zyk­len und Re­organisationsprozesse.

 

[31]          Protistenkunde = Einzellerkunde.

 

[32]          Max Hartmann, geboren am 7. Juli 1876 in Lauterecken/Rheinland-Pfalz, gestorben am 11. Oktober 1962 in Buchenbühl/Allgäu; 1903 Privatdozent an der Universität Gießen, auf Empfeh­lung des Protozoen­forschers Fritz Schaudinn (siehe oben Anm. 29) hin 1905 Berufung an das Institut für Infektions­krank­heiten, dem späteren Robert-Koch-Institut, in Berlin. Hier Einrichtung und Leitung einer Abteilung für Protistenkunde. 1915 Berufung an das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Biologie in Berlin-Dahlem (dem er – nach dem Zwei­ten Weltkrieg in seiner Form als Max-Planck-Institut in Tübingen – bis zu seiner Eme­ri­tierung angehörten sollte). – Arbeitsgebiete: Morphologie und Physiologie der Fort­pflan­zung, Befruchtung und Sexualität der Organismen, Naturphilosophie und Wissen­schafts­theorie. – Untersuchungen insbesondere an der Braunalge Ectocarpus und an Pro­tisten; bemühte sich um eine alle Organismen umfassende Theorie der Sexualität. – Zahl­reiche Ver­öffentlichungen und mehrere Bücher, wie zum Beispiel »Allgemeine Bio­logie«, 1925; »Ge­schlecht und Geschlechtsbestimmung im Tier- und Pflanzenreich«, 1939; »Die Sexu­a­lität«, 1943; »Die philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaften«, 1949; Heraus­geber u. a. des Hand­buches der Vererbungswissenschaften, des Archivs für Protisten­kunde, des Zoo­logi­schen Jahrbuchs und der »Fortschritte der Zoologie und der Natur­wissen­schaften«.

 

[33]          Lorande Loss Woodruff, geboren am 14. Juli 1879 in New York, gestorben am 23. Juni 1947, Zoo­loge, Professor an der Yale University in New Haven/Conn., Protozoen­for­scher, be­faßte sich u. a. mit den Reproduktions­rhythmen von Paramaecium (= Pantoffel­tier­chen) und anderen Infusorien, mit der Physiologie der Konjugation (= ungeschlecht-liche Tei­lung der Protozoen) sowie  mit der Geschichte der Biologie.

 

[34]          Paramaecium caudatum = Pantoffeltierchen.

 

[35]          Zytologie oder Cytologie = Zellenlehre, untersucht die per Licht- und per Elektronen­mikro­skop erfaßbaren Strukturen der Zelle.

 

[36]          Gewebe- und Zellzüchtung: Methode, Zellen, Zellverbände und Organe außerhalb eines Organismus, also »in vitro« (in der Retorte, anstatt »in vivo«, im lebenden Organismus), zu züchten und am Leben bzw. am biologischen Funktionieren zu erhalten; stellt ein Ende des 19. Jahrhunderts entwickeltes wichtiges Hilfsmittel der Biologie und Biochemie dar. Als »Alt­meister« hierfür galten die Amerikaner Ross Granville Har­ri­son (siehe die nachstehende Anm.) und der Nobel­preisträger Alexis Carrell. Während Rhoda Erdmann diese Methode bei Harrison lernte, lernte und arbeitete der Däne Albert Fischer (1891–1956) aus Kopenhagen mehrere Jahre bei Carrell. Als die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) auf Anregung von Richard Gold­schmidt (siehe unten Anm. 42), Max Hartmann (siehe oben Anm. 32) und Warburg beschloß, im KWI für Biologie eine eigene Abteilung für »experimen­tel­le Zellforschung« einzurichten, bewarb sich Rhoda Erdmann, die seit 1919 die damals einzige entsprechende Abteilung an einer Uni­versität leitete (näm­lich am Institut für Krebsforschung der Charité) um diese Auf­gabe und Stellung. Jedoch wurde Albert Fischer, der etwa 21 Jahre jünger war als Erd­mann – er promovierte erst 1925 mit einer Dissertation über »Tissue Culture« – von der KWG mit dieser Aufgabe betraut. Fischers Assistent Fritz Demuth arbeitete nach dem Weg­gang Fischers mit Rhoda Erdmann zusammen (nach Michael Engel: Geschichte Dah­lems, Berlin 1984, S. 196).

 

[37]          Ross Granville Har­ri­son, geboren am 13. Januar 1870 in Germantown/Pennsylavania, gestorben am 30. September 1959 in New Haven/Connecticut, Zoologe und Anatom, Her­aus­geber von »The Journal of Experimental Zoology«, Mit­heraus­ge­ber des »Journal of Mor­pho­lo­gy«, Mit­glied zahl­reicher wis­sen­schaftlicher Gesellschaften. Arbeits­gebiete: Am­phi­bien­em­bryo­logie in Hin­blick auf Transplantationen von amphibischen Lar­ven, Nerven­ent­wick­lung und Differen­zie­rung von Mus­keln sowie der Kultivierung von Gewebe außer­halb des Or­ga­nis­mus; organische Sym­me­trien.

 

[38]          Trustees Universität: Trustees Universitäten werden nicht vom Staat geführt, sondern ge­leitet von einem Kuratorium, dem trust; trustee = Mitglied dieses Leitungs­gremiums.

 

[39]          Associate des Rockefeller Instituts = forschendes Mitglied des Rockefeller Instituts (siehe oben Anm. 12). Erdmann gehörte zur Abteilung für tierische Pathologie.

 

[40]          Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (KWG) wurde 1911 unter dem Protektorat Kaiser Wilhelms II zur Pflege der naturwissenschaftlichen Forschung ge­gründet; nach dem Ende des 2. Weltkrieges (1948) wurde die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ihre Rechtsnachfolgerin.

 

[41]          Naumann, ehemaliger Kultusminister; sollte später (um 1920) – zusammen mit Prof. Orth (vgl. Anm. 44), – zugunsten einer Raum­zu­teilung an Rhoda Erdmann auf den Leiter des Krebs­institutes der Charité, Ferdinand Blumenthal, einwirken, damit (zunächst) an­ge­glie­dert an das – damals noch nicht etatisierte – Krebs­institut, eine kleine Abteilung für Zell­for­schung entstehen konnte.

 

[42]          Richard Goldschmidt, geboren am 12. April 1878 in Frankfurt/M., gestorben am 24. April 1958 in Berkeley/California, Zoologe, war im Jahr 1925 Privat­do­zent, zweiter Di­rek­tor am Kai­ser-Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin-Schlachtensee und Heraus­geber der Zeit­schrift »Zell- und Gewebelehre«; Verfasser zahlreiche Publikationen, u. a. »Ein­füh­rung in die Ver­erbungs­wissenschaft« und »Der Mendelismus«.

 

[43]          Patho­gene Protozoen = einzellige Lebewesen, die beim Menschen Krankheiten erzeugen kön­nen.

 

[44]          Johannes Orth, geboren am 14. Januar 1847 in Nassau, gestorben am 13. Januar 1923, Ana­tom, Assi­stent und Nachfolger des berühmten Pathologen Rudolph Virchow (1821–1902), Pro­fessor an der Berliner Universitätsklinik, der Charité. Beschäftigte sich mit Tuber­ku­lose und anderen Infek­tions­krankheiten. Die Orthsche Flüssigkeit, eine Lö­sung auf For­ma­lin­basis, welche in der patho­lo­gischen Anatomie verwendet wird, wurde nach ihm benannt. Er verfaßte ein »Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie« und hielt u. a. Vor­träge über Tuberkulose.

 

[45]          Vgl. zur damaligen Situation von Wissenschaftlerinnen Anm. 19 oben.

 

[46]          Dies ist möglicherweise auch eine Anspielung auf die Tatsache, daß der viel jüngere Albert Fischer mit der Leitung der KWI-Abteilung für experimentelle Zellforschung betraut wurde, und nicht Rhoda Erdmann (siehe Anm. 36).