Schülerinnen an Höheren Technischen Lehranstalten

Helga Stadler

Eine Mitte der 90er Jahre vom Unterrichtsministerium in Auftrag gegebene Studie zur Situation von Schülerinnen an Höheren Technischen Lehranstalten hatte zwei Fragestellungen zum Thema: Einerseits sollten jene Faktoren ermittelt werden, die für die Schulwahl selbst von Bedeutung sind, andererseits sollte ermittelt werden, wie die Schülerinnen an den Schulen selbst mit ihrer Minderheitensituation zurechtkommen, welche Faktoren sich als fördernd, welche als hemmend für das Wohlbefinden, die persönliche Entwicklung und die Leistung der Schülerinnen auswirken.

Einleitung

In einem OECD-Bericht1 wird festgestellt, dass der Frauenanteil unter den graduierten AkademikerInnen in den Bereichen Physik und Technik in Österreich außergewöhnlich gering ist. Während an den österreichischen Universitäten gegenwärtig mehr als die Hälfte aller Studierenden weiblich ist (der Frauenanteil in der Mathematik und der Chemie unter den Studierenden beträgt etwa 40%), liegt er in der Physik unter 20% und ist in den technischen Bereichen noch weit geringer. In der Elektrotechnik liegt der Frauenanteil unter den Studierenden unter 5%.2

Die für den Bereich der Universitäten aufgezeigte Asymmetrie zeigt sich auch im Schulgeschehen. Sie wird überall dort deutlich, wo das Wahlverhalten von SchülerInnen zum Tragen kommt. Was die weiterführenden Schulen betrifft -- etwa die Hälfte aller MaturantInnen haben eine Berufsbildende Höhere Schule besucht -- ist die Asymmetrie noch stärker ausgeprägt: Betrachtet man die MaturantInnenzahlen des Jahrgangs 1996, so ergibt sich folgendes Bild3: An den kaufmännischen Höheren Lehranstalten (HAK) sind etwa zwei Drittel der SchülerInnen weiblich (65%), an den Höheren Technischen Lehranstalten (HTLs im engeren Sinn) zwar insgesamt fast ein Viertel (23%), doch in den der Technik zuzuordnenden und auch zahlenmäßig wichtigen Bereichen Maschinenbau und Elektrotechnik sind Frauen eine verschwindende Minderheit (1996 3,9% bzw. 2,8%).

Anliegen des Bundesministeriums für Unterricht und Kultur ist es seit vielen Jahren, den Anteil an Schülerinnen an den HTLs zu erhöhen. In diesem Sinne wurde auch Mitte der 90er Jahre die nachfolgend beschriebene Studie in Auftrag gegeben4. Die Studie wurde im Schuljahr 1994/95 an vier Höheren Technischen Lehranstalten im Raum Wien, Niederösterreich und dem Burgenland durchgeführt und beschränkte sich auf die Ausbildungsrichtungen Maschinenbau und Elektrotechnik/Elektronik. Befragt wurden 76 Schülerinnen, das sind etwa 10% aller österreichischen Schülerinnen der genannten Ausbildungsbereiche und eine etwa gleich große männliche Vergleichsgruppe mittels Fragebögen und Interviews. Alle Ergebnisse, von denen in der Folge berichtet wird, beruhen daher auf den Aussagen der befragten Schülerinnen und Schüler, darüber hinausgehende Verallgemeinerungen bedürfen weiterführender Untersuchungen, insbesondere der Miteinbeziehung der Stellungnahmen von Eltern und Lehrern.

Die Schulwahl

Die für die Schulwahl entscheidenden Aspekte aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler sind einerseits das Interesse an der Technik, andererseits berufsbezogene Faktoren, wie guter Verdienst und die Aussicht auf einen sicheren Job, insbesondere aber die Aussicht, mit der Matura gleichzeitig über eine abgeschlossene Berufsausbildung zu verfügen.

Was das „Technische Umfeld“ betrifft, in dem die Schülerinnen aufgewachsen sind, finden zukünftige HTL-Schülerinnen in der Mehrzahl der Fälle zu Hause ein Milieu vor, das durch die technische oder handwerkliche Ausbildung und das technische Interesse der Väter und/oder Geschwister geprägt ist. Etwa ein Viertel der befragten Schülerinnen (und dies gilt insbesondere für den ländlichen Bereich) sollen einmal den väterlichen Betrieb übernehmen.

Mehr als die Hälfte der Schülerinnen gibt an, sich bereits in der Kindheit für technische Geräte interessiert zu haben. Das technische Interesse der Mädchen drückt sich darin aus, dass sie Gegenstände zerlegen oder versuchen, sie zu reparieren. Das soziale Umfeld, in dem die Mädchen agieren, ist häufig -- aber nicht immer -- durch Väter oder andere Verwandte geprägt. Väter stehen der Schulwahl ihrer Töchter mehrheitlich positiv gegenüber, Mütter befürworten zwar die Schulwahl ihrer Söhne, stehen aber der Schulwahl ihrer Töchter häufig ablehnend gegenüber. Insbesondere äußern Mütter aus ländlichen Gebieten Vorbehalte. Die Gründe für die Widerstände der Eltern gegen die Wahl der Tochter sind aus der Sicht der Schülerinnen in erster Linie Ängste, ob das Mädchen den schulischen Leistungsanforderungen entsprechen wird, in zweiter Linie Ängste, die mit dem geringen Mädchenanteil an der HTL in Zusammenhang stehen.

Zukünftige HTL-Schülerinnen waren in ihren Schulleistungen sehr gut oder gut. Gute Leistungen in Mathematik sind für die Schülerinnen der wichtigste Hinweis darauf, dass sie, was ihre Begabung betrifft, für die HTL geeignet sind.

Schüler sind durch Bekanntschaften mit HTL-Schülern und durch die Inanspruchnahme des Tags der offenen Tür über die Schule und die Ausbildungsrichtungen besser informiert als Schülerinnen. Der Umstand, dass ein Viertel der befragten Schülerinnen aus heutiger Sicht zwar wieder dieselbe Schule, aber einen anderen Ausbildungszweig wählen würden, weist hier auf entsprechende Informationsdefizite hin.

Wie alle schulischen Veränderungen ist auch der Eintritt in die HTL mit Angst verbunden. Allerdings sind die Ängste der zukünftigen Schülerinnen signifikant stärker als jene der Schüler: Mehr als 40% der Mädchen geben an, vor dem Eintritt in die HTL Angst gehabt zu haben. Die Ängste konzentrieren sich im wesentlichen auf zwei Faktoren: Angst vor negativen Noten und Angst vor der sozialen Situation in der Klasse, insbesondere die Angst, in der zukünftigen HTL-Klasse das einziges Mädchen zu sein. Diese Ängste decken sich mit den Befürchtungen der Eltern. Burschen haben, wenn sie überhaupt Ängste zugeben, Angst vor schlechten Noten, aber trotz schlechterer Schulleistungen in der HS/AHS ist ihre Angst, die Schule nicht zu schaffen, weniger ausgeprägt als bei den Mädchen. Mädchen sind insgesamt wesentlich unsicherer, was sich u. a. auch darin zeigt, dass etwa die Hälfte der Mädchen, die an der Herkunftsschule sehr gute Noten hatten, befürchtete, die Schule nicht zu schaffen.

Die Situation der Schülerinnen an der HTL

Beinahe zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler sind mit ihrer Schulwahl zufrieden. Der Großteil der Schülerinnen und Schüler gibt an, sich heute innerhalb der Klasse wohlzufühlen. Etwas relativiert wird diese Aussage durch die weiterführenden Fragen. Sie zeigen letztlich, dass der Anteil der Schülerinnen, die sich an der HTL „sehr wohl“ fühlen, etwas weniger als 50% beträgt, dass weitere 30 -- 40% dies nur mit Einschränkungen behaupten und dass 10 -- 20% der Schülerinnen große Probleme haben. Insgesamt zeigt sich, dass die Unzufriedenheit in höheren Jahrgängen zunimmt, was einerseits mit einer allgemeinen Schulmüdigkeit zusammenhängen könnte, mit dem Umstand, dass manche Schülerinnen die Fächer nicht mehr in dem Maße interessieren, aber auch mit der Tatsache, dass viele Schülerinnen in den höheren Jahrgängen eine völlig veränderte Klassensituation vorfinden: waren sie in den ersten Klassen noch oftmals zu viert oder fünft, sind sie nun sehr häufig das einzige Mädchen in der Klasse. (Interviews zeigen, dass die Schulzufriedenheit jener Mädchen, die etwa zu fünft oder sechst in einer Klasse sind, sehr hoch ist. Auch Burschen fühlen sich in Klassen mit hohem Schülerinnenanteil wohler.)

Schülerinnen haben nicht nur vor dem Schuleintritt mehr Ängste, als ihre männlichen Kollegen, auch ihr Schulalltag ist stärker von Ängsten geprägt: Etwa die Hälfte der Schülerinnen hat Angst vor Prüfungen, Schularbeiten, immerhin 40% Angst vor dem Unterricht bei bestimmten Lehrern, um die 10% vor der Situation in der Klasse. Dies -- obwohl die Leistungen der Schülerinnen sich in der Selbsteinschätzung der Schülerinnen und nach den vorliegenden statistischen Daten nur wenig von jener der Schüler unterscheiden -- entspricht einerseits dem geringerem Selbstwertgefühl der Schülerinnen, sollte aber auch in Verbindung mit der enormen Stresssituation der Schülerinnen, der sie in ihrer besonderen Situation als weibliche Minderheit und als Außenseiterinnen in einem durch Technik geprägten technischen Umfeld ausgesetzt sind, gesehen werden: Die Schülerinnen sind einem enormen Anpassungsdruck ausgesetzt, stehen gleichzeitig als Mädchen im Mittelpunkt des Interesses und unterliegen außerdem dem an HTLs üblichen Leistungsdruck. Erschwerend kommt dazu, dass die Schülerinnen dazu neigen, Probleme, die sie im Zusammenhang mit ihrer Außenseiterposition an der Schule und in ihrer Klasse erleben, nicht gerne zugeben, da sie glauben, dass dies ihre Position weiter schwächt. Statt Reflexion gibt es Verdrängung. Die für eine Reflexion nötige Umgebung fehlt. Für die meisten HTL-LehrerInnen ist die Situation der Mädchen kein Thema. Wie ambivalent und für die Schülerinnen schwer durchschaubar die Situation ist, zeigt sich u. a. darin, dass die Schülerinnen häufig auch wichtige soziale Funktionen in der Klasse erfüllen und vor allem wegen ihrer kommunikativen Kompetenzen geschätzt werden.

Im Rückblick haben die Schülerinnen besonders die Situation in der ersten Klasse als schwierig in Erinnerung. Großklassen und Leistungsdruck verstärken Aggressionen innerhalb der ersten Klassen. Schülerinnen sind allerdings stärker belastet als Schüler. Zur Isolation in ihrer Minderheitensituation kommen die gegen sie als Mädchen gerichteten Aggressionen ihrer Mitschüler, die sie oft völlig unvorbereitet treffen. Das Spektrum der Aggressionen der Buben gegen ihre Mitschülerinnen reicht von geringschätzigen Äußerungen über die Leistungen der Mädchen bis zu verbalen, manchmal auch durchaus körperlichen sexuellen Belästigungen: Etwa 30% der Mädchen sind im Verlaufe ihrer Schulzeit erheblichen sexuellen Belästigungen ausgesetzt ist, nur 10% der befragten Schülerinnen gaben an, damit überhaupt keine Erfahrungen gemacht zu haben. Aggressionen dieser Art sind vor allem Schülerinnen, die allein oder zu zweit in der Klasse sind, und jüngere Schülerinnen ausgesetzt. Eine Erhöhung des Schülerinnenanteils in der Klasse auf etwa fünf verbessert die Situation der Schülerinnen erheblich.

Maßnahmenkatalog

Die Studie zeigt, dass zukünftige HTL-Schüler in einem höheren Maße gefördert werden als zukünftige HTL-Schülerinnen: durch Eltern, soziale Umgebung, Schule. Ihre Schul- und Berufswahl steht im Einklang mit ihrer sozialen Umgebung, stärkt das Selbstbewusstsein der Schüler in einer wichtigen Phase ihrer Identitätsfindung. HTL-Schülerinnen wurden in einem geringeren Ausmaß von Eltern und Schule gefördert, zugleich aber auch durch Eltern, Schule und soziale Umgebung behindert. Ihre Schul- und Berufswahl erfolgt gegen die herrschenden gesellschaftlichen Normen, gegen die Rollenklischees, für ihre zukünftige Rolle als Frau und Technikerin gibt es praktisch keine Vorbilder.

An der Schule selbst müssen die Schülerinnen lernen, im Schulalltag mit den Ausgrenzungen, die sie als Minderheit und infolge ihres Geschlechts erleiden, zurechtzukommen. Die Behinderungen während der Schulzeit an der HTL kristallisieren sich hauptsächlich in der Schulklasse selbst heraus: die Schülerinnen sind unterschiedlichsten Formen der Aggressionen ihrer Mitschüler ausgesetzt -- eine Situation, die von Lehrern manchmal abgeschwächt werden kann, in manchen Fällen von Lehrern auch klimatisch begünstigt, in der Mehrzahl der Fälle allerdings ignoriert wird.

Der alle Fakten umfassende zentrale Hintergrund ist die der Gesellschaft immanente Auffassung, dass Technik dem männlichen Geschlecht zugeordnet wird: Mädchen, die sich für Technik entscheiden, müssen sich (oder wollen sich in manchen Fällen) gegen das traditionelle Bild der Frau entscheiden. Um den so entstandenen Zirkel aufzubrechen und Chancengleichheit herzustellen, müssen nicht nur Behinderungen für Schülerinnen beseitigt, sondern Mädchen auch speziell gefördert werden.

Förderungen finden im Elternhaus einerseits, an der Schule andererseits statt. Was Eltern betrifft, könnte hier durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit über Medien dazu beitragen werden, dass sich Grundeinstellungen im Laufe der Zeit verändern. Was die Schulen betrifft, sollten unter Berücksichtigung möglicher Besonderheiten der österreichischen Situation die ausländischen Erfahrungen mit Maßnahmen und Programmpaketen genutzt und umgesetzt werden. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang erscheint die Unterstützung der Arbeit der bereits in Österreich existierenden und auf diesem Gebiet arbeitenden Frauengruppen. Ihre Erfahrungen sollten einer größeren Öffentlichkeit publik gemacht werden und gezielt für Programme, auch im Schulbereich, eingesetzt werden.

Was die existierenden Behinderungen der Schülerinnen an den HTLs betrifft, könnte den Schulen und Behörden sofort ein erstes Maßnahmenpaket vorgeschlagen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Maßnahmen nur dann langfristig zu einer Erhöhung des Frauenanteils in der Technik führen, wenn Erziehung an der Schule und im Elternhaus zusammenwirken mit einer langfristigen gesellschaftlichen Aufhebung der geschlechtsspezifischen Rollenvorstellungen und einer „Aufweichung“ des Technikbegriffs durch eine Verstärkung interdisziplinärer Ansätze.

Anmerkungen:

1 OECD-Bericht, Review of Higher Education Policy in Austria. Paris 1993.

2 Österreichische Hochschulstatistik, Studienjahr 1997/98. Heft 1.238. Hrsg. vom Österreichischen Statistischen Zentralamt. Wien 1999.

3 Österreichische Schulstatistik 97/98, Heft 47. Hrsg. V. Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Statistischen Zentralamt.

4 Schülerinnen an Höheren Technischen Lehranstalten. Eine Studie im Bereich Elektrotechnik/Elektronik und Maschinenbau. Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten. Wien 1997.

Helga Stadler: Studium der Fächer Physik, Mathematik und Philosophie an der Universität Wien. AHS-Lehrerin und Dienstzuteilung an das Institut für Theoretische Physik der Universität Wien, Arbeitsbereich Physikdidaktik. Tätigkeit in der Lehrerfort- und ausbildung, Mitarbeit an verschiedenen Projekten des BMUK. Forschungsschwerpunkt: Unterrichts- und Lernprozessanalysen unter geschlechtsspezifischen Aspekten. E-mail: helga.stadler@univie.ac.at.