Studieninteresse wecken – Netzwerke aufbauen –
Wiedereinstiegsprogramme entwickeln
Das
Fachhochschul-Modellvorhaben „Motivation von Frauen und Mädchen für ein Ingenieurstudium“
Renate Kosuch
Das Modellvorhaben wurde
1993 von den Frauenbeauftragten und Frauenbüros der Fachhochschulen Oldenburg,
Osnabrück, Ostfriesland und Wilhelmshaven begründet und vom niedersächsischen
Ministerium für Wissenschaft und Kultur sechs Jahre lang gefördert. Das
Interesse für ein Technikstudium zu stärken und Zugangshürden abzubauen, waren
zunächst die Ziele des Projektes, das im August endet. Doch angesichts der
Vielfältigkeit der Barrieren und der Erfahrung, dass ein Ansatzpunkt allein
nicht die notwendigen Veränderungen bringt, haben die Projektbeteiligten ihre
Interventionsschwerpunkte umfassender gewählt, sodass sie sich auf alle Phasen
des beruflichen Werdegangs bezogen. Außerdem setzten sie sich dafür ein, dass
wirksame Maßnahmen nach Projektende weitergeführt und von anderen Hochschulen
übernommen werden.
Zum Zeitpunkt der Verlängerung des Modellvorhabens „Motivation von Frauen und Mädchen für ein Ingenieurstudium“ 1996 gab es im Bereich Frauen in Natur- und Ingenieurwissenschaften 34 kleinere und größere Modellprojekte an deutschen Hochschulen. Seit Anfang der 90er Jahre wurde die Thematik „Mehr Frauen im Ingenieurberuf!“ immer häufiger aufgegriffen, nachdem zuvor Mädchen in gewerblich-technischen Berufen eine Zielgruppe diverser Modellprojekte waren. Innerhalb der Projektlandschaft zeichnete sich das Modellvorhaben durch die Kooperation von vier Hochschulen und den umfassenden Ansatz aus. Neben der Entwicklung von Projektbausteinen in den Bereichen und an den Schnittstellen Schule/Hochschule/Arbeitswelt (Abb. 1), stand auch die Veränderung ausgrenzender Ansichten bezüglich Frauen in der Technik auf der Agenda. Im Folgenden werden ausgewählte Projektmodule kurz vorgestellt.
Vorberufliche Sozialisation Studienentscheidung |
Studium |
Berufs(wieder)einstieg Berufsalltag |
Schülerinnen u. a. ·
Fachhochschulerkundung ·
„Frauen und Technik“ Informationstage (Whv) ·
Sommerhochschule ·
Ferienkurse in technischen Studiengängen (Ol) ·
Unterrichtsmodule (Os) ·
Ausstellung „Ingenieurin werden“ (Os) MultiplikatorInnen
·
Weiterbildung für LehrerInnen (Os) · Tagungen und Workshops ·
Geschlechts- und hochschulvergleichendes
Forschungsprojekt zur Situation von Studentinnen im technischen Bereich (Ostfr mit Ol, Os, Whv und TUB) |
Studentinnen
· Computerkurse zum Studienbeginn (Ol) · Tutorien/Weiterbildung (z. B. Schlüsselqualifikationen, Computer) · Bibliotheksschwerpunkt „Frauen-Hochschule-Technik (Ol) · Fachfrauen-Netzwerke · Vortragsveranstaltungen MultiplikatorInnen,
Lehrende · Bibliotheksschwerpunkt (s.o.) · Aufbau einer Datenbank für potentielle Fachhochschul-professorinnen (Os) · Didaktikveranstaltungen (Os) · Tagungen und Workshops |
Ingenieurinnen
u. a. ·
Fachfrauen-Netzwerke ·
Weiterbildung für Netzwerkfrauen (Ol) ·
Vortragsveranstaltungen ·
Wiedereinstiegsprogramme Informatik/Wirtschaft (Ostfr) · Bildungs- und Beschäftigungsbörse (Whv) |
*Projektstandorte: Ol= FH Oldenburg, Os= FH Osnabrück, Ostfr= FH
Ostfriesland, Whv= FH Wilhelmshaven TUB=Kooperationsprojekt „Technik zum
Be-Greifen an der TU Braunschweig, keine Angabe= an allen Standorten)
Studentin auf Probe: Sommerhochschule für Oberstufenschülerinnen
Das einwöchige Probestudium
für Schülerinnen, das sich vorrangig an Schülerinnen der elften bis dreizehnten
Klasse richtet, wurde zwischen 1995 und 1999 an allen Projektstandorten zusammen
14 Mal veranstaltet, mit insgesamt rund 800 Schülerinnen. Der Impuls dazu kam
von der bundesweiten Sommeruniversität in Duisburg.
Kurz vor den Sommerferien
erkunden zwischen 30 und 100 Sommerstudentinnen eine Woche lang verschiedene
Studiengänge an einer Hochschule oder abwechselnd an Universität und
Fachhochschule. Je nach Grösse der Veranstaltung stehen zwei oder mehr
Studienprogramme zur Auswahl, die sich jeweils aus unterschiedlich bekannten
und attraktiven Studiengängen zusammensetzen. Das von studentischen Tutorinnen
betreute Programm bietet zudem viele Gelegenheiten zum ausführlichen Gespräch
mit Berufspraktikerinnen (zum Konzept siehe Arbeitsgruppe Sommerhochschule
1999).
Die Ergebnisse der
Verbleibsuntersuchung der Sommerhochschulen 1995-1997, die von der
Fachhochschule Oldenburg zusammen mit der Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg erstellt wurde, zeigen (n=70) (Tendler 1998):
- Die Sommerhochschule
motiviert zum naturwissenschaftlich-technischen Studium, denn 74% derjenigen,
die heute studieren, tun das in diesem Bereich.
- 27% derjenigen, die heute
studieren, sind an einer der beiden Oldenburger Hochschulen eingeschrieben.
(Ähnliche Ergebnisse erzielte auch die FH Wilhelmshaven: 1998 haben sich 9 der
27 Teilnehmerinnen an der Hochschule eingeschrieben.)
- Die Studien- und
Berufsorientierung wird positiv beeinflusst (75%) und der Studienbeginn
erleichtert (65%).
Dass sich die
Sommerhochschule ausschließlich an Frauen richtet, bewerten 74% der ehemaligen
Sommerstudentinnen positiv, ein Ergebnis, das das monoedukative Konzept unterstützt.
Gegenseitige Förderung: Fachfrauen-Netzwerke
Die vier initiierten
Fachfrauennetzwerke an den Projektstandorten wurden zwischen 1994 und 1996
gegründet, mit insgesamt rund 400 Frauen, vorrangig Ingenieurinnen (Kosuch
1998a).
Das Ingenieurinnen-Netzwerk
an der FH Oldenburg INFO ist das größte und aktivste unter den Netzwerken,
sicher auch aufgrund des relativ hohen Frauenanteils im Baubereich. Inzwischen
sind rund 150 Fachfrauen, insbesondere Architektinnen und Bauingenieurinnen, in
der Adressdatei. Ein Stamm von rund 40 Frauen
nimmt aktiv an den Netzwerkabenden teil, die mit durchschnittlich 10 --
15 Teilnehmerinnen pro Veranstaltung gut besucht sind.
Einer der größten Erfolge
der Netzwerkarbeit ist die positiv beschiedene Petition zur Frage der
Sozialversicherungsabgaben bei Teilzeitselbständigkeit -- eine Arbeitsform, die
in den gesetzlichen Bestimmungen nun in Zukunft Berücksichtigung finden wird.
Beruflicher Wiedereinstieg: Weiterbildung im technischen Bereich
Den Wiedereinstieg in
technische Berufe zu ermöglichen -- nach einer Familienpause oder nach einer
Phase der Arbeitslosigkeit -- ist das Ziel der Qualifizierungsprogramme für
Frauen aus technischen Berufen an der FH Ostfriesland (Kosuch 1999a). Anfang 1997
begannen 16 Frauen ihr zweisemestriges Teilzeitstudium am Fachbereich
Elektrotechnik und Informatik. Die Teilnehmerinnen der „Zusatzqualifikation
Informatik“ besuchten an zwei Präsenztagen Vorlesungen, Praktika und zwei
Wahlpflichtfächer. Rhetorik und Bewerbungstraining gehörten ebenfalls zum Programm.
Ergebnis:
Die Teilnehmerinnen haben persönlich und beruflich von der Veranstaltung
profitiert. Die Hochschule hat daraufhin die Veranstaltung in veränderter Form
wieder aufgelegt. 20 Berufsrückkehrerinnen haben im März 1999 mit der
einjährigen Weiterbildung begonnen, die mit einem vierwöchigen
Betriebspraktikum abschließt. Informatik und Wirtschaft werden zu gleichen
Anteilen gelehrt. Das Arbeitsamt in Emden fördert diese Vollzeitmaßnahme.
Umdenkprozesse initiieren
Mit Tagungen und
Vortragsveranstaltungen wurden die Projektziele öffentlich gemacht und über die
Situation von Frauen in der Technik informiert. Nicht zuletzt dadurch wurden
hochschulinterne Entwicklungen in der Frauenförderung mit angestoßen, wie z. B.
der Frauenstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der FH Wilhelmshaven.
Die Notwendigkeit von
Studienreformbemühungen wurde untermauert durch den Nachweis von
Geschlechtsunterschieden in den Zugangsbedingungen und im Studienabschluss. Das
Ingenieurstudium spricht tendenziell eine ganz bestimmte Gruppe von Frauen an.
Frauen begründen ihre Motivation zum Studium deutlich stärker mit guten
Leistungen in Mathematik und den Naturwissenschaften. Sie kommen aber mit einem
insgesamt geringeren Technikinteresse an die Hochschule. Studentinnen schließen
ihr Studium signifikant besser ab als ihre männlichen Kommilitonen, wie ein
Vergleich von Abschlussnoten über 13 Examensdurchläufe im Vermessungswesen
zeigt (Kosuch 1995).
An der FH Osnabrück werden
gute Erfahrungen mit Didaktikveranstaltungen für Professoren gemacht.
Angesichts der über lange Zeit rückläufigen Studienbewerberzahlen -- vor allem
in Elektrotechnik und Maschinenbau -- besteht hier das Interesse, durch
Veränderungen in der Lehre ein neues Klientel zu erreichen, zu dem auch Frauen
gehören. Die in diesem Zusammenhang vertretene These lautet: Eine
Studienreform, die zum Ziel hat, mehr Frauen für das Studium zu gewinnen, führt
gleichzeitig zu einer bedarfs- und sachgerechteren Ausbildung („Quality by Equality“)
(Kosuch 1998b).
Bilanz und Ausblick
Die breit angelegte,
praxisorientierte Vorgehensweise hat sich bewährt. Ohne die Informationsstunden
in den Schulen mitzuzählen, die oftmals im Vorfeld von Veranstaltungen
stattfanden, wurden rund 2.500 junge Frauen in die Projektangebote einbezogen
und rund 450 Frauen aus Technikberufen erreicht. Nicht nur der Einsatz der
Projektbeteiligten, auch die Dauer des Projektes hat dazu beigetragen, dass das
Projekt nachhaltig Spuren hinterlassen hat und Impulse an andere geben konnte.
Die Weiterbildung
„Zusatzqualifikation Informatik“ wurde im Wintersemester 1997/98 von der FH
Braunschweig-Wolfenbüttel übernommen und für das Fernstudienangebot
weiterentwickelt. Auch die FH Ostfriesland wird das zur Zeit laufende Wiedereinstiegsprogramm
zusammen mit dem örtlichen Arbeitsamt neu auflegen.
Das Ingenieurinnen-Netzwerk
der FH Oldenburg wird sich unter dem Namen „IngNet“ ab September 1999
eigenständig als Verein ohne die Weiterbetreuung aus der Hochschule etablieren.
Außerdem wird die
Sommerhochschule für Schülerinnen inzwischen von acht niedersächsischen
Hochschulen veranstaltet (FH Oldenburg/Carl von
Ossietzky Universität Oldenburg, FH Osnabrück/Universität Osnabrück, TU
Clausthal, FH Ostfriesland, Universität Hannover, FH Wilhelmshaven).
Um auch andere von der
Entwicklung dieses Moduls profitieren zu lassen, hat das Projekt im März 1999
einen Veranstaltungsleitfaden herausgegeben. Diese Anleitung zur Durchführung
enthält einen mehrfach erprobten Zeitplan und Materialien zum Weiterverwenden
(Arbeitsgruppe Sommerhochschule 1999). Arbeitsgänge werden so erleichtert, die
Vorbereitung wird kostengünstiger und stressfreier1.
Das Projektengagement hat
sich für die beteiligten Hochschulen gelohnt. An der FH Oldenburg, dem Hauptsitz
des Projektes, ist der Frauenanteil kontinuierlich gestiegen. Inzwischen sind
30,7% aller Studierenden weiblich. Der Frauenanteil in den einzelnen
Fachbereichen liegt zwischen 2% und 5% über dem Durchschnitt aller
bundesdeutschen Hochschulen (Kosuch 1999b).
Anmerkung:
1 Der Leitfaden zur
Organisation einer Sommerhochschule für Oberstufenschülerinnen wurde von der
Arbeitsgruppe Sommerhochschule des Modellvorhabens „Motivation von Frauen und
Mädchen für ein Ingenieurstudium“ 1999 herausgegeben und kann gegen eine
Schutzgebühr von DM 10,00 zuzüglich Versandkosten unter Tel.: +49/441/7708-140,
Fax: +49/441/7708-238, E-mail: i.zimmermann@fh-oldenburg.de angefordert werden.
Arbeitsgruppe
Sommerhochschule des Modellvorhabens „Motivation von Frauen und Mädchen für ein
Ingenieurstudium“ (Hrsg.): Leitfaden zur Organisation einer Sommerhochschule
für Oberstufenschülerinnen. 1999.
Hartung, B., R. Kosuch, B.
Quentmeier, M. Sklorz-Weiner, I. Wender (Hrsg.): Technik im Visier:
Perspektiven für Frauen in technischen Studiengängen und Berufen. Mit Berichten
und Anwendungsbeispielen aus den niedersächsischen Modellprojekten im Zeitraum
von 1993-1999. Im Erscheinen (voraussichtlich 12/1999).
Kosuch, R.: Zur Situation
von Frauen im Vermessungswesen. In: Grunau W. (Hrsg): Vermessung im Wandel. VDV
Schriftenreihe Band 9, Wiesbaden: Verlag Chmielorz GmbH 1995, S. 42-55.
Kosuch, R. (Hrsg.):
Berufsziel: Ingenieurin. Aufbruch in die/der Technik. Dokumentation einer
Europäischen Tagung . Weinheim: Deutscher Studienverlag 1996.
Kosuch, R. (Hrsg.): „Kleine
Schritte mit großer Wirkung“. Broschüre des Ingenieurinnen-Netzwerks der FH
Oldenburg. 1998a.
Kosuch, R.:
Anforderungsprofil? Vermessungsingenieurin! Notwendigkeit einer Studienreform.
In: Deutscher Verein für Vermessungswesen e. V. (Hrsg.): Geodäsie vernetzt
Europa. Schriftenreihe Nr. 33, Stuttgart: Verlag Konrad Wittwer 1998b, S.
282-291.
Kosuch, R. (Hrsg.):
Zusatzqualifikation Informatik. Auswertungsbericht zu einer
Qualifizierungsmaßnahme für Berufsrückkehrerinnen an der FH Ostfriesland.
Broschüre, 1999a.
Kosuch, R.: Das
Modellvorhaben „Motivation von Frauen und Mädchen für ein Ingenieurstudium“.
Erfahrungen und Schlussfolgerungen. In: B. Hartung u. a. (Hrsg.), 1999b.
TechNa- Handbuch. Darmstadt:
FiT-Verlag 1996
Tendler, H.:
Auswertungsbericht zum Gemeinsamen Sommerstudienprogramm der FH Oldenburg und
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Unveröffentlichter Bericht, 1998.