Neue Medien Þ Neue Grundlagen
Norbert Bartos
1) Die Schlagworte:
IKT-Initiative, Feira-Abkommen,
IT-Milliarde, Neue Medien, Web-Based
Training, Notebook-Klassen und andere Schlagworte verunsichern zunehmend
Lehrende und Lernende. Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung, aber wir
alle wissen, dass der PC-Einsatz im Unterricht in den nächsten Jahren
lawinenartig auf uns zukommen wird. Der steigende Druck der Medien, der Eltern,
der Schüler und auch der vorgesetzten Stellen wird in eine Herausforderung der
Lehrenden münden, sich den neuen Medien und Technologien zu stellen, d.h. sie
in den Unterricht sinnvoll zu inkludieren. Gerade das zuletzt erwähnte Prädikat
erfordert aber eine fachspezifische, intensive und tiefgehende didaktische
Diskussion, welche heute leider oft durch rein technologische Aspekte überdeckt
wird. Ein guter und den Computer sinnvoll integrierender Unterricht erfordert
ein umfassendes Konzept. Den PC einfach als Tafel- oder Overhead-Ersatz zu
verwenden (wie es leider oft geschieht), bringt nicht den notwendigen Mehrwert,
den die neuen Technologien versprechen und der sie den herkömmlichen
Technologien überlegen macht. Einige der entstehenden didaktisch-methodischen
Probleme soll dieser Artikel näher beleuchten.
2) Die Evolution des Unterrichts:
Wer sich intensiver mit der Frage des
PC-Einsatzes im Rahmen seines Gegenstandes im fachtheoretischen Unterricht
beschäftigt hat, wird wahrscheinlich bald auf die folgende Situation gestoßen
sein. Für unseren Fachgegenstand steht von vornherein eine bestimmte
(theoretische) Stundenanzahl pro Jahr zur Verfügung. Hievon verschwinden einige
Stunden durch Feiertage, Lehrausgänge, Seminare u.a., sodass wir eigentlich mit
der noch verbleibenden Zeit kaum auskommen. Andererseits versuchen wir natürlich
auch, möglichst viele uns wichtig erscheinende Teilfachbereiche zu behandeln,
sodass der metaphorische Topf des Gegenstandes im konventionellen Unterricht
bis zum Rand gefüllt ist (Bild 1/links).
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Bild 1: konventioneller Unterricht (links)
und PC-gestützter Unterricht (rechts)
Wegen der eingangs erwähnten Initiativen,
beginnt es aber seit kurzer Zeit zunehmend stärker Laptops zu regnen. Fallen diese nun in den bereits jetzt
bis zum Rand gefüllten Topf, so müssen zwangsweise einige Teilfachbereiche
herausfallen (Bild 1/rechts). Geschieht dies unkontrolliert und unreflektiert,
so können verschiedene unangenehme Folgen entstehen. Beim Lehrpersonal erfindet
jede(r) gewissermaßen das Rad neu und alle machen die gleichen Fehler beim
erstmaligen PC-Einsatz. Durch unkoordiniertes Entrümpeln der Lehrinhalte
entsteht eine zusätzliche (vielleicht unerwünschte) Divergenz der Ausbildung am
Schulstandort und auch gesamtösterreichisch. Die Durchlässigkeit im Schulsystem
sinkt (z.B. die problemlose Migrationsmöglichkeit
beim Ortswechsel eines Schülers) und der sinnvolle Trend zur Modularisierung
der Ausbildung wird behindert. Weiters können versehentlich wichtige Bereiche
gänzlich unter den Tisch fallen, sodass die Absolventen dadurch weniger
industrietauglich werden oder sogar Berechtigungen verlieren. Schließlich
werden auch die Möglichkeiten zur Synergienutzung (Kosteneinsparung!) in der
Schulung geringer, die Motivation der Lehrenden sinkt und somit verschlechtert
sich letztlich die Qualität des berufsbildenden
Schulwesens.
Wir müssen uns daher fachgegenstandsbezogen
und rechtzeitig mit folgenden Fragengruppen intensiv beschäftigen:
a) Was muss bleiben? Was kann wegfallen ?
b) Was muss manuell beherrscht werden? Was
soll maschinell beherrscht werden?
3) Klassifikation vs. Konstruktion:
Grundsätzlich müsste nach Möglichkeit eine
neue Form der Lehrplanentwicklung stattfinden. Zu diesem Zweck sollten von den
Absolventen der letzten drei Jahre mittels einer schriftlichen Umfrage die
typischen Tätigkeitsbereiche beim Berufseinstieg ermittelt werden. Daraus kann
man die notwendigen Fertigkeiten für die Praxis bestimmen, welche dann durch
eine Top-Down-Analyse auf verschiedene
Fachgegenstände umgebrochen werden. Der Titel eines Fachgegenstands bezeichnet
dann nicht mehr Inhalte, wie z.B. „Grundlagen der Elektrotechnik“ (also
ziemlich inhaltsleere Titel, welche sich meist über mehrere Jahre hinweg
ziehen) sondern spezielle Fertigkeiten.
Beispiele dafür wären: „Konstruktion analoger Schaltungen“, „Konstruktion digitaler
Schaltungen“, „Grundlagen, Planung und Aufbau von Netzwerken“, „Management,
Betrieb und Wartung von Netzwerken“. Damit entsteht eine konstruktive Sicht der Fachgegenstände, welche zu einem weiteren
Paradigmenwechsel führen sollte:
KLASSIFIKATION |
® |
KONSTRUKTION |
1) Ohmscher Widerstand 1.1) Kennwerte und
Bauformen 1.2) Serienschaltung 1.3) Parallelschaltung 1.4) Spannungsteiler |
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1. Problemstellung: Wir wollen eine
elektronische Schaltung konstruieren, welche eine Lampe mittels ohmscher
Widerstände und eines Umschalters in zwei Helligkeitsstufen leuchten lässt. |
Bild 2: Übergang von der Klassifikation zur
Konstruktion
Während klassifizierende Strukturierung im
Unterricht von einer ontologischen Ordnung ausgeht und damit die Sicht auf die
meist interdisziplinäre reale Anwendung weitgehend verstellt, rückt eine
konstruktive Strukturierung das Praxisbeispiel in den Vordergrund. Die im Bild
2/links erwähnten Themen können sicher problemlos im Rahmen des im Bild
2/rechts angegebenen Beispiels anwendungsorientiert
behandelt werden. Ob und wie weit ein zusätzlicher Übergang von der Instruktion
zur Konstruktion erfolgen sollte, ist ein Thema der praktischen Gestaltung des
Unterrichts und unabhängig vom Lehrplan, welches hier daher nicht weiter
verfolgt wird.
4) Die Evolution der Lehrpläne:
Zwangsweise münden derartige Diskussionen
letztlich immer in die Frage, was man denn nun wirklich lehren sollte. Dazu ein
Beispiel, welches wahrscheinlich allen aus der beruflichen Praxis wohlbekannt
ist:
Herr X von der Firma Ohne-Rast
& Ruh (vormittags geschlossen, nachmittags zu) sagt anlässlich einer
Informationsveranstaltung an der Schule zu den versammelten HTL-Schülern: „Alle HTL-Absolventen müssen unbedingt SuperHTML beherrschen, sonst brauchen sie sich bei uns gar
nicht zu bewerben.“ Die Abteilungsleitung der Schule reagiert sofort und
sorgt dafür, dass ab dem ersten Jahrgang SuperHTML
unterrichtet wird. Nach 6 (!) Jahren bewirbt sich der erste Absolvent, welcher
nach diesem Lehrplan unterrichtet wurde, bei der o.e.
Firma. Herr X sagt nun: „SuperHTML können Sie? Das braucht doch heutzutage kein
Mensch mehr. HyperHTML müssen Sie können, sonst
brauchen Sie sich bei uns gar nicht zu bewerben.“
Wir können nun klarerweise für unsere
Inhaltsdiskussion folgern, dass primär relevantes
Wissen zu lehren ist. Darunter versteht man zweifellos Grundlagenwissen, zeitstabiles
Wissen, sowie markt- und
firmenunabhängiges Wissen.
Somit folgt eigentlich daraus auch eine neue
Lehrplanstruktur. Die Lehrziele
sollen eine konkrete Aufzählung und Beschreibung der notwendigen und somit zu
erlernenden Fertigkeiten für die berufliche Praxis bieten. Die Lehrinhalte sollen die Lehrziele näher
erläutern und eine beispielhafte Aufzählung von relevanten Begriffen sein. Sie
sollten in drei Gruppen geteilt werden:
a) MUSS-Inhalte: zeitstabiles, markt- und
firmenunabhängiges Grundlagenwissen
Bsp.
INF: Software-Engineering
Bsp.
EDT: OPV-Anwendung
Bsp.
TK: Standardschnittstellen
b) SOLL-Inhalte: eine über das in der Praxis typische
Maß hinausgehende Vertiefung des
MUSS-Wissens
Bsp.
INF: Sortieralgorithmen
Bsp.
EDT: Dimensionierung mehrstufiger
Transistorschaltungen
Bsp.
TK: Informationstheorie
c) KANN-Inhalte: aktuelles Kurzzeitwissen zur Erlangung
strategischer Vorteile beim
Berufseintritt;
nur zu unterrichten, wenn MUSS- und SOLL-Wissen
erfolgreich
gelehrt wurde und noch Zeit bleibt
Bsp. INF: spezielle
Software-Pakete oder Programmiersprachen
Bsp.
EDT: interner Aufbau von OPVs
Bsp.
TK: Konfiguration von Cisco 4711-Routern
Die Lehrziele müssen also unbedingt das
Zentrum der Unterrichtsplanung sein, die Lehrinhalte sollen dazu nur eine
fachliche Unterstützung bieten (Checkliste).
5) Die Soft Skills:
Oft zitiert, heiß diskutiert und manchmal
auch abgelehnt, scheinen sich die immer wichtiger werdenden sozialen
Fähigkeiten jeder Definition zu entziehen. Wir zählen dazu beispielsweise:
- Teamfähigkeit
- Kommunikationsfähigkeit
- Kritikfähigkeit (aktiv und passiv)
- Selbstorganisationsfähigkeit
- Fähigkeit zum lebenslangen Lernen
- Fähigkeit zum Umgang mit den Neuen Medien
- u.v.a.
Wir sind uns aber in den meisten Fällen kaum
im klaren, wie Soft Skills in den Unterricht
integriert werden sollen. Kann man diese überhaupt erlernen? Wie geht dies
vonstatten und wie weit ist es überhaupt möglich? Wie sollen sie evaluiert
(beurteilt) werden? Die Antworten auf diese Fragen werden wohl noch lange auf
sich warten lassen. Es ist aber wichtig, sich in den Zeiten der Umwälzung auch
auf diese Problematik zu besinnen.
6) Der fachlich-didaktische Diskurs:
Der Autor hat Ende März 2001 am PIB-Wien (Pädagogisches Institut des Bundes) drei
Fachgruppen-Workshops aus dem Bereich Elektronik geleitet. Dabei war geplant,
dass sich jeweils ein(e) Lehrer(in) in einem bestimmten Gegenstandsbereich aus
jeder Elektronik-Abteilung in ganz Österreich einfindet, um einen
fachlich-didaktischen Diskurs zu starten. Speziell die Thematik des
PC-Einsatzes im Unterricht, derzeit und in Zukunft, besonders in Hinblick auf
die Notebook-Klassen, stand im Mittelpunkt der Gespräche. Ebenso sollte auch die
Frage nach den relevanten Bereichen der Ausbildung beantwortet werden. Wegen
der relativ kurzen Ausschreibungszeit waren leider nicht von allen HTLs Vertreter(innen) anwesend. Die Fachgruppen wurden
geteilt in AINF/TINF, GET/EDT/IE und TK/HF. Die Gruppe AINF/TINF, welche über
eine jahrzehntelange Erfahrung im Computereinsatz verfügt, hatte inhaltlich
unterschiedliche Schwerpunkte im Vergleich zu den anderen Gruppen. Die
Reaktionen der Teilnehmer waren erfreulicherweise recht positiv. Eine jährliche
Wiederholung wurde als erstrebenswert bezeichnet. Die Resultate dieser
Workshops wurden bei der Mitte April 2001 stattgefundenen Lehrplantagung Elektronik in Bad Ischl vom Autor den
Abteilungsvorständen präsentiert und weiter diskutiert. Ein wesentliches Ziel
dieses Diskurses sollte sein, ein Netz von Interessent(inn)en
aufzubauen, welche an der gegenseitigen Information und Kommunikation in diesem
Bereich interessiert sind.
Die im Kapitel 4 angeregte Strukturierung der
Lehrinhalte aller technischen Gegenstände des aktuellen Lehrplans der Höheren
Abteilung für Elektronik in MUSS-, SOLL- und KANN-Inhalte
wurde in Bad Ischl beschlossen. Jede HLA für Elektronik in Österreich
diskutiert ab sofort schulintern in gegenstandsbezogenen
Meetings diese Aufteilung und liefert das Resultat bis Ende September 2001 an
den Autor. Daraus wird eine Sammelliste erstellt, wo die eindeutig zuordenbaren
Inhalte fest verankert werden, für die strittigen Themen eine provisorische Zuordnung
getroffen wird. Dieser Vorschlag wird danach nochmals an alle Betroffenen verteilt.
Eine Umreihung der provisorischen Zuordnungen kann dann vorgeschlagen werden, ist
aber auch explizit zu begründen. Schließlich wird die daraus resultierende definitive
Liste verteilt. Dieser Prozess sollte bis Ende Februar 2002 abgeschlossen sein,
sodass bei der nächsten Ischler Tagung das Papier zur Präsentation fertig vorliegt.
Darüber hinaus arbeitet der Autor derzeit (aus
diversen Gründen aber fast hobbyartig und nur nebenbei) an einer Zuordnung von
relevanten Links (Simulationen, Skripten usw. im WWW) zu den Lehrplaninhalten.
Das o.e. Papier liefert somit die Struktur für diese
Linksammlung, welche bei der Ischler Konferenz als wertvolle Handreichung für
die Lehrenden und Lernenden bezeichnet und deren Entstehung sehr begrüßt wurde.
Insbesonders soll durch all diese Aktivitäten
der informelle Austausch von für den Unterricht nützlichen Internet-Adressen
und Titeln von Lehr-/Lernmaterialien, bzw. das Weitergeben von Erfahrungen im Web-Based Training stärker gefördert werden. Die Praxis
zeigt, dass es schon heute für die typischen grundlegenden Gegenstandsbereiche
einer HTL, zumindest in der Elektronik und Informatik, eine Vielzahl von
elektronischen Unterlagen und Schulungssoftware im WWW gibt, das Hauptproblem
ist aber das Finden derselben.
Dieses Defizit soll auch über den bereits
früher angekündigten, aber wegen der üblichen Geldknappheit leider nur sehr
schleppend umsetzbaren Portalserver des PIB-Wien
behoben werden. Steigt man unter der Adresse http://www.pib-wien.ac.at
in die Homepage des PIB-Wien ein und geht dort weiter
über die Buttons „Fernlehre“ und „Fachverweise“, so gelangt man in eine
fachliche Unterteilung, wo man beim thematischen Tiefergehen schließlich Links
zu Skripten, Hypertexten, Präsentationsunterlagen und Animationen erhält. Aus
Kostengründen ist dieser Bereich derzeit noch eine „Sparversion“, seine
inhaltliche Befüllung erfolgt aus den selben Gründen eher sporadisch. Würden
alle Lehrkräfte die ihnen bekannten nützlichen Links für den Unterricht dort
zentral bekanntgeben, so wäre dafür der Aufwand für jede Person recht gering,
aber es könnten sich in weiterer Folge viele Lehrende und Lernende aufwändiges
Suchen ersparen. Leider ist der Wille zur Ermöglichung von Synergie derzeit im
Lehrberuf aus verschiedenen Gründen äußerst schwach ausgeprägt. Trotzdem sei an
dieser Stelle der Aufruf an alle Kolleginnen und Kollegen getätigt, ihr
individuelles Know-How zu Lehr- und Lernunterlagen
der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Eine kurze E-Mail mit dem Link, wenn
möglich mit einer kurzen Beschreibung der persönlichen Erfahrung mit dieser
Quelle im Unterricht, an den Autor genügt (norbert.bartos@tgm.ac.at).
Nur durch ein hohes Maß an Zusammenarbeit können wir den Aufwand, der in dieser
Umbruchsphase auf uns zukommt, minimieren.