Britannica; ISBN 0‑85229‑709‑2; DVD‑ROM (ca. 4,31 GB); öS 1.559,— / Euro 113,30
Wie würde Ihnen ein 32-bändiges Lexikon gefallen? — Und was ist mit einem siebenbändigen? — Wenn auch das noch zu mühsam klingt, dann ist diese „einbändige“ Ausgabe der weltweit bekannten Encyclopaedia Britannica vielleicht etwas für Sie. Sie stellt gewissermaßen alles in einem dar: die elektronische Umsetzung eines Werkes, das auf Papier normalerweise zumindest 32 Bände hätte; eine Datenmenge, für die man sieben CD-ROMs brauchen würde; alles das aber handlich verpackt auf einer unscheinbaren DVD-ROM, die auch noch in einer schmalen, aufklappbaren Kartonhülle (übrigens wegen der etwas mühseligen Entnahme leider nicht wirklich das optimale Verpackungsmedium für häufigen Gebrauch) kommt.
Die Leistungsdaten sind durchaus eindrucksvoll: zu den 83.000 Artikeln, 3.500 Bildern und 1.500 Karten der normalen CD-Ausgaben wurden für die DVD-Version 2000 noch einmal 4.656 neue Artikel aufgenommen und die Bilddatenbank auf insgesamt rund 15.000 Bilder aufgefettet. Zusätzlich gibt es noch ca. fünf Stunden Videosequenzen und einige IPIX-Bilder mit vollständigem Rundblick in alle Richtungen (auch nach oben und unten). Außerdem ist das New Oxford Dictionary of English enthalten, und ohne Webzugriff ist natürlich in der heutigen Zeit kein gutes Lexikon mehr komplett.
Was braucht man als Basis? — Nun, als speicherhungrig darf man das Produkt schon bezeichnen. Eine Minimalinstallation benötigt immerhin bereits bis zu ca. 210 MB, um nur einmal das Programm auf der Platte unterzubringen. Will man zwecks Beschleunigung der Suchvorgänge auch noch die Suchindizes und das Wörterbuch auf die Festplatte kopieren, müssen pro Komponente weitere ca. 12 MB veranschlagt werden. Leistet man sich den Luxus, auch noch die speziellen „Spotlight“-Präsentationen zu übernehmen, werden weitere ca. 210 MB benötigt, und schließlich können auf Wunsch auch die rund 230 MB der weltumfassenden Statistik-Datenbank zwecks schnelleren Zugriffs lokal installiert werden. Internet Explorer in einer Version ab 5.0 muss auch noch vorhanden sein und wird bei Bedarf automatisch installiert.
Glücklicherweise ist am Ende dann doch alles nicht ganz so schlimm: die ersten drei Optionen sind schon sehr zu empfehlen (also Programm, Indizes und Wörterbuch mit insgesamt rund 235 MB), aber der Rest darf getrost auch auf der DVD belassen werden. Die Zeitverluste durch das langsamere Medium halten sich derart in Grenzen, dass sich die Investition wirklich nicht lohnt.
Interessant gestaltete sich am Testsystem der Umgang mit Videos: diese waren direkt von der DVD mit Hilfe eines externen Programms problemlos abspielbar (und das Abspielen also prinzipiell möglich), aber Britannica selbst verweigerte standhaft und irreparabel die Zusammenarbeit. Schade, denn so war eine der Hauptattraktionen nur auf Umwegen erreichbar. Die Videos machen nämlich durchaus einen guten Eindruck, aber der Zugang über den Windows-Explorer ist natürlich nicht die feine Art, wenn es eigentlich ein Anzeigeprogramm geben sollte.
Britannica hat überhaupt einige sehr unkonventionelle Eigenheiten. Vor allem die Betreiber einer lokalen Firewall erleben einen erstaunlichen Effekt: es handelt sich tatsächlich um ein Client/Server-Programm im extremen Sinn. Die Oberfläche greift mittels TCP/IP (!!!) auf einen ebenfalls lokalen Server zu, erhält von diesem die Daten über eine virtuelle interne Netzwerkverbindung und zeigt diese dann nur mehr an. Während diese Entkoppelung an und für sich elegant ist, kann es doch für Verwirrung sorgen, wenn man sich fragen muss, warum hier plötzlich ein lokaler TCP/IP-Server zu laufen begehrt. Der andere Nebeneffekt dieses Verfahrens ist natürlich, dass die TCP/IP-Unterstützung auch an einem PC, der sonst nicht Teil eines Netzwerks ist, installiert, konfiguriert und aktiviert sein muss, damit das Produkt überhaupt funktionieren kann.
Bei der Recherche überzeugt Britannica durch akzeptabel schnelle Suche, umfangreiche Artikel und umfassende Querverweise. Es gibt allerdings schon kleinere Ungereimtheiten: das angebliche Bild der Wiener Staatsoper hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem im Vordergrund durch Maria Theresias Statue gezierten Kunsthistorischen Museum. Es ist also immerhin die richtige Stadt und auch ein Gebäude an der Ringstraße, aber eben ein paar Häuserblocks daneben… — keine Frage, dass dieses Missgeschick der Britannica-Redaktion peinlich sein sollte.
Im Programmteil „Analyst“ können statistische Daten der Länder und Regionen dieser Welt verglichen werden. Die Bandbreite reicht von einfachen Bevölkerungszahlen bis zu sehr spezifischen Abfragen wie der Anzahl von Mobiltelefonen pro 1000 Einwohner. Es können Histogramme, Tabellen oder Berichte erzeugt und natürlich auch exportiert werden.
Positiv für ausgedehnte Recherchen ist die Notizfunktion: man kann auf einer beliebigen Seite einfach einen Knopf drücken, und die Referenz wird mit sinnvollem Titel und genauen Zugangsdaten in eine Art Notizbuch aufgenommen. Auch zusätzliche Referenzen verschiedenster Art können aufgenommen werden: Bücher, Zeitschriftenartikel, und natürlich das Internet finden alle in den Eingabemasken Platz.
Alles in allem hinterlässt das Produkt den Eindruck, sehr komplett, manchmal aber vielleicht etwas zu komplex zu sein. Besonders die eigenwillige Art des Betriebs über TCP/IP lässt die Leitungen der Hotline vermutlich permanent heißlaufen. Schließlich kann man den Mechanismus schon durch eine so unschuldige Aktion wie die Auswahl von „Offline arbeiten“ im Internet Explorer zum Scheitern verurteilen. Bezüglich der Qualität der Daten ist die Encyclopaedia Britannica aber seit mehr als zwei Jahrhunderten (die erste vollständige, damals dreibändige Ausgabe erschien 1771) und wohl auch aus gutem Grund eines der renommiertesten Produkte auf dem Markt. Den Fauxpas mit unserer geschätzten Staatsoper kann man da getrost als kleineren Fehltritt abtun.
Ob der hohe Preis allerdings nicht zu viele Interessierte abschreckt, bleibt abzuwarten. Für eine (Schul‑?) Bibliothek mit entsprechender Ausstattung ist die „Encyclopaedia Britannica 2000 DVD“ aber ein fast unverzichtbares Standard-Nachschlagewerk in englischer Sprache.
Man muss auch bedenken, dass diese Ausgabe allemal billiger und auch wesentlich platzsparender als die gedruckte Version ist. Schließlich bestand die bisher letzte im Druck erschienene 15. Ausgabe in der Revision des Jahres 1985 aus immerhin 32 Bänden. Seither hat die Firma mit Sitz in Chicago, deren Stammhaus dort durch eine auf dem Dach angebrachte, weit über den Lake Michigan sichtbare blaue Laterne auffällt, sich vernünftigerweise auf elektronische Medien konzentriert. Die Früchte dieser Bemühungen sind auch im Internet unter http://www.eb.com/ und http://www.britannica.co.uk/ zu bewundern.
(Martin Schönhacker)