ARS ELECTRONICA - CYBERARTS
...Wie
in einer mediatisierten und digitalisierten Welt die Kunst wirksam werden kann
und wie sie unter Anwendung veränderter Strategien neue Orte – wie z.B. das
Internet – besetzt, zeigen alljährlich die Einreichungen zum Prix Ars Electronica als internationaler Wettbewerb für Cyberarts. Dieses Buch ist eine Auswahl der besten von über
2000 eingereichten Arbeiten...
CyberArts 2001, Hrsg. Dr. Hannes Leopoldseder und Dr. Christine Schöpf, ORF, erschienen im Springer-Verlag, 246 Seiten mit Abbildungen (ISBN 3-211-83628-4)
In einer Aufzeichnung von Claudia Riedel in der Wochenzeitung DIE ZEIT greift Douglas Adams das Glasperlenspiel von Hermann Hesse auf: „Ich träume schon lange davon, so etwas wie das Glasperlenspiel mit der Technologie des Internet zu realisieren. Ein Spiel, in dem nicht Spieler die Hauptrolle spielen wie beim Schach und anderen Kriegsspielen; bei dem es nicht um Punkte geht, sondern um Ideen, Musik, Informationen, Erfahrungen, Gedichte, Literatur.“ Douglas Adams starb im Mai 2001, nicht aber seine Ideen - die werden weiterreichen, wie seine Trilogie „Per Anhalter durch die Galaxis“.
Ars Electronica 2001 stellt zu Beginn des neuen Jahrtausends die Frage: „Takeover – Wer macht die Kunst von morgen?“ Es wird Bilanz gezogen über aktuelle Entwicklungslinien, neue Referenzsysteme der Netzkunst, der Cyberkultur – nach Kategorien geordnet:
NET VISION / NET
EXCELLENCE
Das Juryteam wählte in den beiden neuen
Kategorien (Net Vision und Net Excellence) insgesamt
22 Projekte aus, die viele der gegenwärtigen Entwicklungen im Netz
widerspiegeln. Was entsteht, wenn sich ein Haufen energiegeladener
Creatives, deren Referenzen zwischen Internet, Coding, Games, Anime, Hip Hop und Clubculture oszillieren, ein Studio einrichtet und sich
Zeit und alle Freiheiten nimmt, um genau das zu produzieren, was ihnen am
meisten Spaß macht? Ein wegweisendes Online-Game, das
die Möglichkeiten raffinierter Flash-Programmierung in bisher unerreichter
Weise ausreizt und vorantreibt... [www.Banja.com]
An der Vernetzung der unabhängigen Szene im
Streaming-Bereich arbeitet Boombox, ein Modell für eine Plattform, die sich ihre kulturellen
Aktivitäten über kommerzielle Aufträge ermöglicht. Das Projekt ist zudem ein
gutes Beispiel für die gegenseitige fruchtbare Beeinflussung von Club- und
Netzkultur, dem weiteren Kontext, in dem die zweite Nominierung in der
Kategorie Net Excellence
angesiedelt ist. Sie geht an die Website eines der innovativsten Plattenlabels
der elektronischen Musikszene, Warp
Records. Die Site besticht durch ihr stilbildendes Design, durch die
nahtlose Einbindung von Audio und Video und durch die visuelle Nähe des
Webauftritts zum Produkt, der Musik, die das Label herausgibt... [www.warprecords.com]
INTERACTIVE ART
Im Bereich der Mensch-Computer-Schnittstellen (CHI) wird die Schnittstelle als „transparent“ bezeichnet, wenn sie Mensch und Maschine völlig stressfrei verbindet. Dieser Typ eines guten Interfaces enthält seine Bedienungsanleitung in sich selbst. Konsequent weitergedacht ist das ultimative Interface nicht mehr sichtbar, es kann als Teil des menschlichen Körpers angesehen werden. Dieser Ansatz hat einige ernsthafte Entwicklungen im Bereich der Virtuellen Realität und der „Wearable Interfaces“ ausgelöst, deren letztliches Ziel die Realisierung der „transparenten“ Schnittstelle ist. Die Schaffung von Interaktivität wird ein zentraler Aspekt der Kunstgeschichte der allernächsten Zukunft sein – eine Mischung aus Computertechnologie, Wissenschaft und Kunst. Ein Beispiel für innovative Interaktivität liefert bump: ein taktiles Interface gegen die Körperlosigkeit der Netzwelten. Zwei Brücken im öffentlichen Raum, die Bewohner des einen Raumes können die anderen nicht sehen, können diese aber spüren und mit ihnen Kontakt aufnehmen. Die Deformation des Raumes wird zum Interface. Das Interface heißt bump, bereit zum Massenauftritt. Jeder Druck erzeugt einen Gegendruck, der auf der anderen Seite durchschlägt. Es pocht von unten, die Latten heben sich, Kraftübertragung übers Netz – sensations on the move. Ein Spalt in der urbanen Oberfläche: Es klopft von unten, die Bretter heben sich. Unten ist eine andere Stadt, spiegelbildlich dieselbe Unebenheit, angebunden über eine Datenleitung. Was spielt sich dort ab? Ein gleichgültiger Massenauftritt, Getrampel von Hunderten Füßen? Vielleicht eine Botschaft? Oder nur ein Spiel? Wir empfinden die Illusion der Nähe...
COMPUTER ANIMATION / VISUAL EFFECTS
„Computerfilm“ und „digitaler Film“ sind anschauliche Begriffe, berufen sich aber auf ein sterbendes Medium. „Computergestützte zeitlich lineare visuelle Medien“ wäre zwar semantisch korrekt, dafür aber ziemlich unschön, deshalb lieber griffiger „Computer Animation“ bzw. „Visual Effects“. Ein Beispiel:
In einem Dorf, das vom Meer eingeschlossen ist, lebt ein kleines Mädchen in den Tag hinein. Plötzlich glaubt es, etwas entdeckt zu haben... Dieser 7-minütige Kurzfilm wurde als Studienabschlussprojekt an der Schule für Infographie und Multimedia in Valenciennes, Frankreich, realisiert. Das Ergebnis des Renderingprozesses ist eine Verschmelzung zwischen 3D und 2D: Alle Texturen, die auf 3D-Objekte aufgebracht wurden, sind aquarelliert. „Wir haben versucht, ein „warmes“ Ergebnis zu erzielen und die Kälte, die der Computergrafik normalerweise anhaftet, zu vermeiden.“
(Ars Electronica
Beitrag: L’enfant de la haute mer von
Laetitia Gabrielli, Max Tourret, Mathieu Renoux, Pierre Marteel)
DIGITAL MUSICS
Die erstaunlichsten Arbeiten, die im weiten Feld der Digital Musics produziert werden, stammen von Musikern, deren Werdegang größtenteils außerhalb der akademischen Bildungswege und üblicher Karrieren verlaufen ist. Stattdessen erzählen ihre Werke von einem intensiven autodidaktischen Engagement in den vernetzten Welten postindustrieller Kulturen: konzeptuelle und Performance-Kunst, Installationen und Videoarbeiten, improvisierte Musik und nicht zuletzt die Post-Techno/Hiphop/Dub-Grassroots-Diaspora der Wohnzimmer-Tüftler.
CYBERGENERATION u19
Ein Neunjähriger programmiert einen voll funktionsfähigen HTML-Editor, mit gut überlegten Short-Keys und sogar einem integrierten, menügestützten VRML-Editor. Im Rahmen des Wettbewerbs u19 (für Teilnehmer unter 19 Jahren), dessen Untertitel „Freestyle Computing“ die Möglichkeiten umschreibt, mit dem Computer außerhalb eines erwachsenen, produktorientierten Denkens zu operieren, steht diese – von der Jury ausgezeichnete – Arbeit stellvertretend für eine große Zahl anderer Einreichungen...
Somit bietet CYBERARTS 2001, das Buch zur
Ars Electronica mit seinem umfangreichen Katalog
ausgewählter Wettbewerbsbeiträge – mit dem Anspruch, zukunftsorientierte
Innovationen und Erfahrungen mit den neuen Medien zu vermitteln – interessante
Einblicke in eine gegenwärtige Szene, die möglicherweise die Kunstgeschichte
von morgen prägen wird.