„Mädchen mischen mit“ - Aktionen von und mit Mädchen im Bereich Ökotechnik

Karin B. Gruber

Mädchen/Frauen haben eine Zugangsweise zu Naturwissenschaften und Technik, die ihnen oft als Desinteresse oder als Unfähigkeit ausgelegt wurde und noch immer wird. Die Resultate der Initiative „Mädchen für ein ökologisches Europa“ im Rahmen des Vierten Aktionsprogrammes der Europäischen Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Frauen und Männern beweisen das Gegenteil.

Mädchengruppen in Österreich

Initiiert wurde die Aktion „Mädchen für ein ökologisches Europa“ durch Mitarbeiterinnen von Life e.V., einem Berliner Frauenbildungsträger. In Kooperation mit Life und mit der Scuola Internazionale in Italien und koordiniert durch den Wiener Verein SUNWORK, Bildungsalternativen für Mädchen und Frauen, beteiligten sich in Österreich 3 Mädchengruppen mit insgesamt rund 60 Mädchen und 10 Multiplikatorinnen an dieser Aktion. Ein Wiener Gymnasium war durch die Schülerinnen zweier 6. Klassen, eine Hauptschule mit den Mädchen einer 4. Klasse vertreten. Weiters waren Mädchen des St. Pöltener Jugendzentrums und eine Mädchengruppe aus Vorarlberg beteiligt.

Wasserver(sch)wendung

Die 11 Hauptschülerinnen setzten sich im Rahmen von Projektunterricht mit dem Thema Wasserver(sch)wendung auseinander. Während die Burschen der Klasse von ihrem Physiklehrer in der Schule betreut wurden, arbeiteten die Mädchen außerhalb der Schule mit ihrer Lehrerin und Fachfrauen des Vereins SUNWORK. Das „Umweltthema“ wurde mit dem Erlernen von Kenntnissen und Fertigkeiten in den Bereichen Informatik und Fotografie kombiniert. Dabei wurde die traditionelle S/W-Fotografie der neuen Technik der Digitalfotografie gegenübergestellt. Zur Einstimmung und Vorbereitung auf das Thema Wasser standen Experimente aus Chemie und Physik am Programm des ersten Projekttages, Möglichkeiten des Wassersparens bzw. der Wasserverschwendung wurden gesammelt und diskutiert. Der zweite Tag stand im Zeichen der Technik. Die EDV-Fachfrau Susanne Aberer betreute einführende Übungen am PC, die Fotografin Michaela Bruckmüller (vgl. Porträt S. 2) begleitete die Mädchen bei ihren ersten Schritten mit der Kamera. Nach anfänglichen Unsicherheiten stellte sich bei den Mädchen bald reges Interesse ein. Sie formulierten Texte zum Thema Wasser, lernten den Umgang mit Spiegelreflex- und Digitalkamera, standen in der Dunkelkammer, um ihre Filme zu entwickeln und Fotos zu vergrößern und nutzten die PCs, die ihnen aus schulischen Zusammenhängen bisher in eher negativer Erinnerung waren. Im Laufe einer Woche entstand die Kopiervorlage für einen computerunterstützt angefertigten Schulkalender mit S/W- und Digital-Bildern sowie Texten zum Thema Wasser. Eine Auswahl der von den Mädchen ausgearbeiteten Fotos wurde zu einer Ausstellung zusammengestellt und im Rahmen des Schulfestes präsentiert. Die ganze Aktion wurde im Rahmen des Regelunterrichts durch die Lehrerin vor- bzw. nachbereitet.

Interessenförderung durch Handeln am Beispiel erneuerbarer Energien im Physikunterricht

Sonja Wenig arbeitete im Rahmen ihrer Diplomarbeit für das Lehramt seit dem Wintersemester 97/98 im Physikunterricht zum Thema erneuerbare Energieformen mit den Schülerinnen einer 6. Klasse/Neusprachlicher Zweig und einer weiteren 6. Klasse/Wirtschaftskundlicher Zweig. Neben einer theoretischen Einführung wurden auch viele Experimente durchgeführt. Die Mädchen übten den Umgang mit Geräten zur Strom-, Spannungs- und Widerstandsmessung, lernten löten und die Handhabung von Stichsäge, Bohrmaschine und anderen Werkzeugen und Handmaschinen. Eingebettet waren dies Lernerfahrungen in den Bau eines Solarobjektes, wo mittels Solarzelle Licht in elektrische Energie umgewandelt und damit ein kleiner Motor gespeist wird, der wiederum das ganze Objekt in Drehbewegung versetzt.

In der Folge wurde eine leicht transportable Demonstrations-Photovoltaik-Anlage gebaut, die in Zukunft im Rahmen des Physikunterrichts von allen SchülerInnen und LehrerInnen der Schule am Laaerberg genützt werden kann. 2 Kleingruppen planten und bauten unter Anleitung von Fachreferentinnen die Anlage. Parallel dazu entwickelte eine weitere Gruppe mit Unterstützung ihres Physiklehrers ein entsprechendes Experimentierheft. Aufgabe der vierten Kleingruppe war die Dokumentation der Arbeit in Text und Bild, sowie das Erstellen einer Schülerinnenzeitung zu diesem Thema. Diese Gruppe wurde von ihrer Physiklehrerin Mag. Dr. Helga Stadler, sowie der Fotografin Michaela Bruckmüller betreut.

Vom Solarobjekt bis zum Zimmerbrunnen - Anwendungen der Solartechnik

Von März bis Juli 1998 fand im Jugendzentrum Steppenwolf in St. Pölten einmal wöchentlich ein Workshop zum Thema „Ökotechnik und Handwerk für Mädchen“ statt. Am Programm standen Experimente mit und Anwendungen von Solartechnik wie das Bauen von Solarobjekten, Solartaschenlampen, Zimmerbrunnen etc. Während das BetreuerInnen-Team sofort begeistert war, nahmen die Besucherinnen des Jugendzentrums dieses neue und ungewohnte Angebot erst nur zögernd wahr. Die positiven Erfahrungen der ersten Teilnehmerinnen machten jedoch bald die Runde, mehr Mädchen kamen und setzten sich engagiert mit Photovoltaik und deren Anwendungen auseinander. Sie lernten die Bearbeitung verschiedener Materialien wie Metall, Holz, Plexiglas kennen und setzten sich mit den theoretischen Grundlagen der Solartechnik auseinander.

Die Umwelt rund um den Bodensee

Als Einstieg in den Bereich Ökotechnik wurden im Rahmen eines Wochenendkurses mit Besucherinnen verschiedener Vorarlberger Mädchen- bzw. Jugendprojekte Solarobjekte gebaut. In der Folge wurden die Teilnehmerinnen motiviert, sich mit der Umwelt rund um den Bodensee auseinander zu setzen. Angeschwemmte Materialien wurden gesammelt, zu einer Skulptur zusammengefügt und mit einem „solarbetriebenen“ Wasserkreislauf versehen. Zum Abschluss der Aktion entstand ein Video über die Skulptur aus dem Bodensee.

Mädchengruppen in Deutschland und Italien

In 14 weiteren Gruppen in Deutschland und Italien wurden im Laufe des letzten Jahres solarbetriebene Ladegeräte oder Roboter gebaut, eine Müll-Modeschau arrangiert und andere Umweltaktionen vorbereitet. Mädchen erwarben sich Kenntnisse und Fertigkeiten über umweltschonenden Umgang mit Energie und lernten, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Während sich sizilianische Schülerinnen für den vom Aussterben bedrohten Mondfisch engagierten und junge Frauen aus Foggia das Vogelschutzgebiet observierten, setzte sich eine Gruppe aus Pforzheim mit den Möglichkeiten des Aufwindkraftwerkes auseinander, nahm Kontakt zu dessen „Erfinder“ auf und baute ein entsprechendes Modell.

<zwischentitel>„Europäische Sommerwerkstatt für Mädchen 1998“

Im Rahmen der Europäischen Ökosommerwerkstatt bekamen Mädchen aus Deutschland, Italien und Österreich die Möglichkeit, sich über ihre regionalen Grenzen hinweg mit Themen wie Verkehr, Energie, Energiesparen und Wasser zu beschäftigen. Neben Umweltthemen waren die unterschiedlichen Realitäten in den Ländern wichtiger Bestandteil. Die Mädchen hatten sowohl in Workshops, als auch an den Länderabenden die Möglichkeit, sich gegenseitig auszutauschen und somit einen gezielten „Blick über den Tellerrand“ zu riskieren.

Durch die internationale Beteiligung beim Öko-Aktionssommer lernten die Mädchen im direkten Kontakt miteinander die Lebensformen in anderen europäischen Ländern kennen, kamen sich über ihre gemeinsame Gestaltung einer Ökoaktion näher und entwickelten ein Verständnis für die Tatsache, dass Umweltschutz nicht an der eigenen Haustür endet, sondern eine europäische und weltweite Aufgabe ist.

Warum Ökotechnik?

Mädchen für Ökologie, Ökotechnik und Naturwissenschaft zu begeistern und ihre Kompetenzen auf diesen Gebieten zu fördern, ist ein Schritt in Richtung Chancengleichheit. Wenn der Umgang mit Naturwissenschaft und Technik für sie selbstverständlich geworden ist, werden sie bei ihrer späteren Berufswahl auch frauenuntypische Bereiche in Betracht ziehen. Im Gegensatz zur traditionellen Technik bezieht die Ökotechnik ökologische und soziale Komponenten mit ein. Gemeint sind nicht nur technische Anlagen wie Sonnenkollektoren, Windräder oder Solarpanele, sondern alles was nötig ist, um diese anzuwenden. Ökotechnik soll nicht bloß Schäden reparieren. Ihr Ziel ist die Vermeidung bzw. Reduzierung von Umweltschäden. In Verbindung mit mädchengerechter Didaktik (erfahrungs- und projektorientiertem Lernen) hilft Ökotechnik, die Distanz von Mädchen und jungen Frauen zur Naturwissenschaft und Technik zu überwinden und erhöht ihre beruflichen Chancen in zukunftsträchtigen Branchen. Mit kreativen Lern- und Darstellungsmethoden wird Mädchen ein Zugang zu Technikthemen eröffnet.

Mädchengerechte Technikdidaktik

Mädchen haben einen anderen Zugang zu Technik/Handwerk als Burschen. Sie brauchen eigene Räume, weibliche Vorbilder und Möglichkeiten, um ihre handwerklich-technischen Fähigkeiten auszuloten. In der konkreten Arbeit muss an den Erfahrungen und Stärken der Mädchen angeknüpft werden. Die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, sowie das häufige Bedürfnis nach Teamarbeit ist zu berücksichtigen. Blockaden vor Fachsprache und Techniktheorie können durch verständliche Erklärungen und das Verknüpfen von Praxis und Theorie abgebaut werden.

Ein produktorientiertes Arbeiten und Lernen ermöglicht einen einfachen und anschaulichen Zugang zu technischen Prinzipien und naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Beim Bau von funktionstüchtigen Werkstücken können die Mädchen technische Probleme erkennen und exemplarisch lösen lernen. Technische Kenntnisse und handwerkliche Kompetenzen können so lustvoll und fachgerecht vermittelt werden.

Die Vorbildfunktion von Fachfrauen unterstützt die Mädchen in der Suche nach der beruflichen Identität. Untersuchungen, die sich mit dem Zugang von Mädchen im naturwissenschaftlichen Bereich befasst haben, kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Mädchen in geschlechtshomogenen Gruppen mehr Interesse für naturwissenschaftliche Inhalte entwickeln.

Resümee

Trotz Bildungs- und arbeitsmarktpolitischer Anstrengungen ist die Mädchen/Frauenbeschäftigung bzw. -ausbildung nach wie vor auf den relativ engen Ausschnitt der sogenannten Frauenberufe festgelegt. Noch immer gilt die Tatsache, dass Mädchen in der beruflichen Ausbildung schlechtere Chancen haben als ihre männlichen Mitbewerber. Hartnäckig halten sich Vorurteile, wie „die Mädchen/Frauen interessieren sich grundsätzlich nicht für Technik und Handwerk, wir haben alles probiert, aber es kommen einfach keine Mädchen“ etc. Bei dieser Argumentation wird nicht hinterfragt, ob die Lern- und Arbeitsweisen Mädchen/Frauen entsprechen. Viele Mädchen und Frauen haben ein Interesse am Bereich sozial- und umweltverträglicher Techniken. Sie müssen jedoch aktiv und mädchen/frauengerecht angesprochen werden, die reine Informationsebene genügt nicht. Technik und Handwerk müssen praxisorientiert und in unmittelbarem Kontakt erlebt und wahrgenommen werden. Aktionen wie die zuvor beschriebenen zeigen das Interesse und Engagement der Mädchen.

Das Projekt „Mädchen für ein ökologisches Europa“, dessen erste Phase mit dem Umweltaktionssommer beendet wurde, soll fortgesetzt werden. Hauptziel der nächsten Projektphase ist die europaweite Vernetzung von Multiplikatorinnen.

Weitere Informationen über die Aktion „Mädchen für ein ökologisches Europa“:

GEA, Girls & Ecology & Action - zweisprachiges Magazin, zu bestellen beim Verein SUNWORK, Bildungsalternativen für Mädchen und Frauen, Triesterstraße 114/1, A-1100 Wien, Tel.: 01/667 20 13, Fax: 01/665 93 05 75, e-mail: sunwork@fem-wien.cl.sub.de oder im Internet unter www.bbjnet.it/gea.

Karin B. Gruber ist Sozialarbeiterin und Elektrotechnikerin und seit vielen Jahren in der feministischen Mädchenarbeit tätig. Sie ist Mitbegründerin und Mitarbeiterin des Vereins SUNWORK, Bildungsalternativen für Mädchen und Frauen, mit den Schwerpunkten Ökotechnik und Umweltbildung.