Buch und Internet

Gruppe Or-OmÓ http://or-om.org

 

Motto: "Denn es kommt eine neue Generation von Lesern auf, ein Publikum, das von der Grundschule an darin trainiert ist, in dieser neuen Weise zu lesen und zu schreiben – und insbesondere zu denken -, und dies wird das Publikum sein, das Schriftsteller werden zu erreichen suchen, wenn sie überhaupt jemanden erreichen wollen."Coover

 

Im folgenden geben wir eine Übersicht über die medialen Übergangsprozesse vom Buch ins Netz und wieder zurück. Die Gruppe Or-OmÓ http://or-om.org wird an bestimmten Punkten der Darstellung als konkretes Beispiel für die Praxis der Publikation im Netz herangezogen. Die Kommentare zur Gruppe sind schattiert.

1. Geschichte

Es ist für jeden nützlich, sich einmal zu überlegen, wie im Laufe der Geschichte Information gesellschaftlich von einem zum anderen übertragen wurde, und was dies umgekehrt für die Art der psycho-sozialen Beziehungen, für die Machtverhältnisse und die Differenzierung der Systeme bedeutet. Die folgenden Zusammenfassungen basieren auf den wichtigen Untersuchungen des berühmten Mc Luhan.

1.1. Schriftlose Kultur – orale Kultur

 

In einem Sozialsystem, wo keine Schriftsprache ausgebildet ist, müssen Informationen von einem zum anderen, von einer Person an eine Masse oder eine Botschaft an einen anderen Ort direkt von Sender zu Empfänger übertragen werden. Die Information wird in Lauten geformt. Sie muss gehört werden. Daher nennt man solche Systeme auditive Systeme.

 

Auch die Erfindung einer Lautsprache ist eine gewaltige Leistung, weil abstrakte Laute, die alle Beteiligten als solche verstehen, zur Repräsentation bestimmter sinnlicher und geistiger Erfahrungen benützt werden.

 

Gesellschaftliche Beziehungen, die auf der gesprochenen Sprache basieren, sind spezifisch auf dem Gehörsinn aufgebaut. Der Ton der Sprache lässt stark den gesamten Organismus mitbeteiligt sein. Die Welt wird ganzheitlicher erlebt, weil alle Sinneseindrücke (beim Empfang der Information) in einer weniger zerstückelten Weise am Erlebnis beteiligt sind. Das Sozialgefüge des gesprochenen Wortes bedingt starken Gemeinschaftssinn, und starke auch autoritäre Bindung an Sippe, Großfamilie usw. Die gesprochene Sprachwelt gestattet keine starke Individualisierung, gestattet nicht die Entwicklung eines autonomen, isolierten Individuums, wie wir es in heutigen Sozialgefügen kennen und auch vertreten. Das Vorherrschen von Kollektiv-Identitäten mit hoher sozialer Solidarität und Autorität innerhalb der Gruppe sind typisch.

 

1.1.1.Orale Kultur mit Schriftelite

 

Historisch wichtig ist zu sehen, dass die Erfindung der Schrift, sei es eine Bilderschrift oder eine Schrift mir einem Alphabet mit Buchstaben (eine sicherlich besonders bedeutende Leistung in der Entwicklung des Informationstransfers) keineswegs dazu führte, dass alle Mitglieder eines Sozialgefüges in den Besitz dieser Schriftkenntnis gelangten, und auch nicht alle sozialen Beziehungen mit dieser Informationsstrategie durchdrungen wurden. Vielmehr blieb die Kenntnis der Schriftsprache und der darin gespeicherten Informationen ein Herrschafts- und Machtinstrument privilegierter Klassen und Kasten. Die übrige Bevölkerung –von diesem Wissen und seiner Beherrschung ausgeschlossen- blieb weiterhin auf dem Niveau der oralen Kultur mit allen oben dargestellten psycho-sozialen Folgen fixiert. Es ist von großer Wichtigkeit, zu bedenken, dass es auch noch heute auf der Welt in den Entwicklungsländern Heere von Menschen gibt, die der Schrift nicht kundig sind (Analphabetismus) und die daher viel leichter mit traditionellen Herrschaftstechniken in autoritäre Unterdrückungsformen gezwungen bleiben. Allerdings bringt die Durchdringung dieser Gesellschaften mit elektronischen Medien (1.3.) neue Veränderungen, die gesellschaftliche Umgestaltungen provozieren (z.B. Iran und China).

1.2.     Gesellschaften mit verbreiteter Schriftkultur

Gesellschaftliche Beziehungen, die auf dem geschriebenen Wort beruhen, sind nach Mc Luhan spezifisch auf dem Gesichtssinn aufgebaut (visuelle Systeme). Der Übergang der sprachlichen Organisation vom Gehörsinn auf den Gesichtssinn bringt entscheidende Änderungen. Das Schriftbild, d.h. die Umwandlung komplexer Erlebnisvorgänge, an denen alle Sinnesorgane beteiligt sind, in eine visuell wahrnehmbare Form bedeutet eine starke Reduzierung eines komplexen Erlebnisses auf eine vereinfachte Schriftform und eine sprachlich-gedankliche Loslösung visuell orientierter seelischer Energien der Erkenntnis von einer viel umfassenderen Wirklichkeit.

 

Der Übergang von der Klangsprache zur visuellen Sprache bedeutet daher Reduktion, Spaltung und Zerstückelung der komplexen psychischen Vorgänge und die Zentralisierung der Bedeutung des Gesichtssinnes im Denken. Die Folgen der Umorientierung von der gesprochenen auf die geschriebene Sprache sind die Ergebnisse die unsere Sozialsysteme, seit der Erfindung des Buchdruckes (Gutenberg-Galaxis http://www.gutenberg.de ) und der Verbreitung des schriftlichen Wissens in die breitesten Bevölkerungsschichten (Alphabetisierungsdichte) bis zur Zeit der Erfindung der elektronischen Medien (1.3.) nachhaltig prägten:

 

Schriftliche Sammlung von Wissen; schriftliche Tradition von Wissen; Verbindung von Wissen mit gesellschaftlicher Macht; geschriebenes Recht, geschriebene Vereinbarung anstelle der mündlichen Tradition; Spaltung der Gesellschaft (Arbeitsteilung, Spezialisierung, soziale Differenzierung infolge gesellschaftlicher Verteilung des Wissens [Sonderwissen, Fach- und Expertenwissen, Schichtung]; Bildung des Individualismus, da der einzelne sich vom Verband der (Groß)-Familie loslösen kann und ein gesondertes von Kollektiv-Identitäten und –Solidaritäten und Autoritäten gelöstes Individual-Ich aufbaut; Trennung von Intellekt und Gefühl.

 

1.3.     Elektronische Medien – Organische Struktur

 

Mit der Entwicklung der Elektrizität und aller über die Elektrizität entstandenen Medien (Radio, Fernsehen, Elektronische Darstellung und Speicherung, aber auch Auto, Telegrafie, Telefon, Fax, Internet, Verschränkung von Telefon und Internet, Kino, Schallplatte und Nachfolger, Video, DVD, Verschränkung von Internet mit traditionellen Medien wie Buch, Zeitschrift usw.) treten die auf dem Medium der Schrift (1.2.) fundierten Gesellschaften in das Stadium der In-Volution.

 

Beispiel: Wenn jemand im Internet eine Flash-Animation betrachtet, liest und hört er etwas, verbunden mit dem Text sind Bilder; es handelt sich aber nicht um die komplexe Kommunikationsform der oralen Kultur, wo der Partner der Kommunikation gesehen und gehört wird, sondern im Internet handelt es sich um eine hypermediale und virtuelle, völlig neu generierte Welt, die im und über das Netz eine neue gesellschaftliche, ja globale Dimension als eigener Bereich erlangt hat.

 

Dieses Stadium ist gekennzeichnet durch die Organisation aller Einzelelemente in einer organisatorischen Wechselwirkung. Die einzelnen Elemente werden als mit den anderen und dem Gesamtsystem in Zusammenhang stehend erfasst. Integrative Weltbildentwürfe, Forschungsansätze, soziale Verhaltensweisen, Führungsstile im Management usw. werden entwickelt. Die Globalität des Internets, der weltweit agierenden gesonderten Finanznetze ebenso wie die Globalisierungsdebatte und die Forderung nach einer gerechteren Verteilung aller Ressourcen innerhalb der Weltbevölkerung sind bereits Resultate dieser Medienentwicklung.

 

Die Übergänge vom der Schriftkultur (mit dem Buch als Prototyp und Symbol) zur Literatur im Netz und der Netzliteratur ist ein anschauliches Beispiel für diesen Wandel, den wir im folgenden genauer analysieren wollen.

 

In Ihrem Beitrag http://or-om.org/Weltsystem.htm legt die Gruppe Or-OmÓ einen Atlas zur Sozialevolution vor, in welchem in Verbindung mit http://or-om.org/sozform.htm diejenigen Evolutionsstufen angedeutet werden, in welche die Menschheit sich über die elektronische Stufe noch hinausentwickeln könnte und sollte.

2. Übergänge vom Buch ins Netz

 

Die folgende Übersicht kann und will keine scharfen Abgrenzungen herstellen. Die Übergänge zwischen den einzelnen Aspekten der Literatur im Netz ist äußerst fließend.

2.1 Verknüpfung von allem mit allem – Hypertext

 

Wenn nach McLuhan das Typische der elektronischen Stufe (1.3) die organische Abhängigkeit und Wechselwirkung ist, wo könnte diese besser dargestellt werden als durch die Strukturen des Hypertext. Hypertext wird nicht linear gelesen, sondern durch die Verlinkung innerhalb eines bestimmten Textsegmentes gelangt man zu anderen Stellen einer Geschichte, einer Wissenssammlung(Lexikons), allgemein: eines theoretisch unendlich differenzierbaren Gebildes von Inhalten, die alle mit allen in einer auf jeden Fall einmal formalen, u.U. auch inhaltlichen Verbindung stehen, wobei der Leser selbst –allerdings in der Regel nur in der vom Autor angelegten Metastruktur- "frei" ist, sich sein eigenen Wege darin zu suchen. Natürlich sind auch Verlinkungen aus einem Text in die Texte anderer Websites möglich usw. Im Rahmen derartiger Texte kann auch die Möglichkeit eingerichtet sein, dass bestimmte neue Personen (beschränkte oder unbeschränkte Gruppen) an den Texten, Lexika mitschreiben, womit besonders die "Dynamik der Kommunikation" in das Gebilde spezifischen Eingang findet, welches als partizipatorisches Veröffentlichungssystem angelegt ist. Oft gab es jedoch die Writer- und die in ihren Möglichkeiten reduzierte Reader-Version. Diese Konzepte entsprechen auch den postmodernen Ansätzen der Medientheorie und Philosophie: Anerkennung der Vielfalt, Vielheit, die möglichst ohne vertikale Struktur nebeneinander gestellt werden soll, ohne dass die Frage nach einer "höheren" Einheit und damit eine vertikalen Struktur gestellt werden dürfte. Man muss auch bedenken, dass die Hypertextliteratur zu einer Zeit euphorisch gepflegt wurde, als das WWW noch nicht aktuell war. In der heutigen Breite und der Vorgabe seiner kommunikativen und ästhetischen Parameter hat das WWW die Hypertexttheoreme bei weitem in ihren damals wichtigen Innovationen übertroffen. Hypertextarbeiten sind daher nicht Netzliteratur.  Es ist auch zu bedenken, dass es zu dieser Art der Literatur Vorläufer assoziativer Text- und Dokumentenverwaltung gab (labyrinthische und lexikalische Texte [Andreas Okopenkos Lexikon-Roman, dadaistische, futuristische und surrealistische Avantgarden des 20.Jhdts.die Romane "Ulysses" und "Finnigans Wake" von Joyce, Collage- und Montagetechniken der Wiener Gruppe usw.], die in unterschiedlicher Weise ähnliche Techniken natürlich in ganz anderen Medien einsetzten.

 

Die Gruppe Or-OmÓ hat in http://or-om.org/netcubism.htm den traditionellen Kubismus und seine Collagetechniken in einen nur im Netz realisierbaren universellen Netkubismus transferiert. Der traditionelle Kubismus stellt lediglich einen formalen und inhaltlichen Sonderfall der neuen Form dar.

 

Im folgenden werden einige Webadressen derartiger Hypertextliteratur im wesentlichen nach Böhler aufgezählt, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich über diese Entwicklungen ein konkretes Bild zu machen.

www.xanadu.net; http://directory.eliteratur.org ; www.hyperdis.de/pool; www.thing.at/literaturmedien/wortseiten.html ; www.werkleitz.de ;www.wordcircuits.com

Vgl. auch den Aufsatz von Fendt: Leser auf Abwegen. Hypertext und seine literarisch-ästhetischen Vorbilder in "Text und Kritik", Heft 152.

 

Es entsteht in diesem Zusammenhang die Frage, ob derartige Netzstrukturen, rhizomartigen Verknüpfungen, wie sie im Hypertext und im Netz installiert werden, und die "alles mit allem verknüpfen" unsere Welt so abbilden, wie diese wirklich ist. Oder ist diese Abbildungsform wiederum nur eine von vielen Varianten der fiktiven Weltstrukturierung, die wir als Menschen immer wieder vornehmen? Gibt es eine nicht nur subjektiv sondern auch objektiv wahre Struktur der Welt, auch außerhalb unserer Fiktionen und Virtualitäten. Diesbezüglich bietet die Gruppe Or-OmÓ unter http://or-om.org/MI und KI1.htm Vorschläge zur Vertiefung an, die über die derzeitigen, im Netz aktualisierten postmodernen Theorien einer Rhizomstruktur hinausreichen. Man kann also in einer Rhizomstruktur, wie es auch die Website der Gruppe Or-OmÓ ist Inhalte aussprechen, die über diese Netzstruktur hinausreichen, diese aber umgekehrt in sich integrieren.

 

2.2 Was ist der Unterschied zwischen Literatur im Netz und Netzliteratur?
2.2.1 Netzliteratur

 

Wir zitieren hier die kompetente Beschreibung derselben bei Christine Böhler:

"Netzliteratur, das sind Werke einzelner Autoren ebenso wie kollaborative Schreibprojekte, sind digitale Maschinen, die Text automatisch generieren und permutieren, Netzliteratur sind digitale Spiele, ist Browserkunst. Künstlerische Vorläufer finden sich fast überall – in Futurismus, Dadaismus, der konkreten und visuellen Poesie, in der Konzeptkunst, Mail Art, bei den Situationisten. Bei allem Mangel an Definitionen setzt sich für Netzkunst immer mehr die Annahme durch, dass sie in ihrer Produktion und Präsentation vom Netz abhängig ist, also nicht auf CD-Rom oder Diskette gezeigt werden kann.

 

Adressen für maschinengenerierte Kunst: www.netomat.net; http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/permutations/index.cgi; www.obn.org/generator.

 

Die Gruppe Or-OmÓ entwickelt in http://or-om.org/Deduktivekunst1.htm einen digitalen Generator elementarer Formen und in /MI und KI1.htm den Generator aller Bilder.

 

Christiane Heibach konstatiert das Verschwinden rein textueller Literatur zugunsten hypermedialer Oszillationen, wenn die multimedialen Möglichkeiten des Computer genutzt werden. Die Sprache verschwindet zusehends aus der digitalen Kunst , umso mehr tritt das prozessurale und kommunikative Moment in den Vordergrund. Literatur als Text verschwindet also, Text als Kommunikationsform wird im Gegensatz dazu verstärkt." An die Stelle der Ästhetik tritt oft die Funktionalität. "Das Erleben, die Immersion, also das Hineingezogenwerden mit allen Sinnen in die hypermediale Welt hat den Vorrang vor dem kontemplativen Betrachten bzw. dem introspektiven Lesen."

 

Netzliteratur geht zum Unterschied von Literatur im Netz (2.5.2) "auf die ästhetischen Möglichkeiten des Mediums ein, die sie (mit)thematisiert, bloßlegt, aufzeigt, nutzt"(Böhler).

 

Adressen: www.berlinzimmer.de; www.carpe.com; www.dichtung-digital.de; www.feedmag.com; www.HypertextKitchen.com;www.telepolis.de; www.perlentaucher.de; www.wildpark.de/qoutenmaschine; www.softmoderne.de/SoftMo99/roeggla;

 

2.2.2 Literatur im Netz

 

Wie schon die Bezeichnung andeutet, handelt es sich hier im Gegensatz zu 2.5.1 eher um die Erweiterung des traditionellen Verlagsbetriebes mit seinen Schriftstellern, die ihre Bücher verfassen, in das Netz. "Traditionelle Buchautoren" schreiben über Initiative der Verlage kollektiv und zahlenmäßig begrenzt ausgesucht an einem gemeinsamen Text, der dann im Netz steht aber auch als Buch erscheint (z.B. die Internet-Projekte Pool, Null, Die Flut). Der Medienwechsel ist doppelt. Der Autor wechselt vom klassischen Medium des Buchschreibens ins Netz und von dort geht der Text wieder zurück ins Medium Buch. (Man bedenke aber: der Autor schreibt heute in der Regel bereits digital etwa in Word, eine Konvertierung in PDF oder andere Druck- oder Leseformate wie auch in HTML ist möglich, die Basis des Arbeitsprozesses wird langsam vereinheitlicht oder ist zunehmend konvertierbar). Wie in allen Bereichen der Netzkunst taucht hier ebenfalls schonungslos die Frage auf, ob man in der Bewertung derartiger Projekte der literarischen Qualität oder dem Aspekt der gruppendynamischen kommunikativen Dimension des Herstellungsprozesses den Vorrang gibt. Es mangelt nicht an kritischen Ablehnungen der Projekte unter Betonung traditioneller Ästhetik  und Qualitätsnormen. Kritiker sagen etwa: "Cyberspace is not Disneyland,"es gibt die Diskussion über Authetizität gegen Literarizität.

 

Adressen: www.ampool.de; www.dumo .de/null; www.imloop.de; www.forum-der-13.de; www.dieflut.at

 

Zu bedenken ist auch, dass Verlage traditionell Bücher auf dem Markt für das lesende Publikum in bestimmten Formen bewerben, Rezensionen renommierter Kritiker werden lanciert. Der traditionelle Buchmarkt reiht die Autoren in eine bestimmte Hierarchie, die durch das Ansehen der Verlage unterstrichen und geprägt wird. Das Publikum im Netz wiederum ist völlig anders strukturiert, eher zerstreut und ungreifbarer. Kathrin Röggla, die selbst, über ihren Buchverlag animiert, an einem Netzprojekt teilnahm, sagt sehr treffend: "Die Leute wollen sich durchklicken, man hat entweder ein sehr informationsbezogenes oder ein kommunikatives Verhältnis dazu, oder sie wollen tolle Bilder oder tolle Akustik. ... Nur Lesen am Bildschirm, das macht keiner gern." Das Netz ist offensichtlich kein Lesemedium". Dem wird weitgehend allerdings durch die Bereitstellung brauchbarer Printversionen begegnet werden können, was Verlage offensichtlich eher nicht wollen, da es dem Absatz parallel verlegter Bücher schadet.

 

Im Bereich der Netzliteratur finden sich aber auch Arbeiten, welche die Kommunikationsstruktur des Netzes in unterschiedlicher Weise nutzen. www.fear.gr ist ein Netzprojekt, das weltweit User nach ihren Ängsten fragt. Der Schriftsteller Kempowski arbeitet seit Mitte der sechziger Jahre an seiner deutschen Chronik, einer Collage der deutschen Geschichte. Tausende von Privatbiografien und Fotos bilden den Grundstock seines Archivs. Ein weiteres Projekt zur kollektiven Erinnerung ist das Generationen Projekt.

 

 1996 begann Das Novel-In-Progress Projekt der Aspekte.online-Redaktion des ZDF, seit 1998 das Projekt Internet-Roman der ORF-Kulturredaktion, welches der Schriftsteller Josef Haslinger moderiert.

 

2.3. MUDs und MOOs

 

Ein MUD (vgl. z.B. www.mud.de ), ebenso die technische Weiterentwicklung MOO (MUD object oriented) ist ein Chatroom, in dem User die Möglichkeit haben, selbst Räume und Objekte zu programmieren, sich darin zu bewegen, Emotionen zu zeigen. Die MOO-Welten bestehen ausschließlich aus Text, sie erschließen sich ausschließlich über das Lesen und über die Interaktion.

 

In den Aufsätzen: "Virtuelle Teilwelten und Universale All-Welt" unter http://or-om.org/Avatare.htm  sowie "VR-Raum-Modell der All-Kunst" unter http://or-om.org/All-Kunst.htm haben Mitglieder der virtuellen Gruppe Or-OmÓ die erkenntnistheoretischen Grundlagen dieser Virtualitätsformen dargestellt und gleichzeitig die Möglichkeiten aufgezeigt, alle möglichen Arten von Realitäten , Virtualitäten und Fiktionen in einem universellen essentiellen Raum zu integrieren.

 

Die Gruppe benützt selbst die Virtualität als Präsentationsform. Zum einen wird hierdurch ermöglicht, sichtbar zu machen, dass es für den Inhalt eines Textes nicht erforderlich ist, dass er einer konkreten Person als Autor zugeordnet wird. Für den Inhalt sollte es nämlich unbedeutend sein, ob er von einer "berühmten" Persönlichkeit oder einem völlig Unbekannten stammt. Der Leser sollte immer selbst prüfen, wie wichtig und bedeutungsvoll ein Inhalt ist. Zum zweiten legt die Gruppe großen Wert darauf, strikte als Non-Profit-Organisation zu arbeiten. Sie beansprucht für die publizierten Inhalte kein Copyright, auch wenn einschlägige Insignien (wie Ó, Ô undÒ) in den Texten ironisierend benützt werden. Die Gruppe ist nicht auf Erlangung eines Gewinnes oder eines wirtschaftlichen Vorteiles hin ausgelegt.

 

Neben dem teilweise literarischen Charakter dieser Kommunikationsform im Netz gibt es noch weitere Überschneidungen: Ein Verlag publiziert ein Buch. Der Autor installiert gleichzeitig ein MOO und ein Spiel zum Buch – eine trimediale Inszenierung.

 

2.4 minimedia, middlemedia und massmedia

 

Es ist üblich geworden, bestimmte Publikationsformen im Netz nach ihrer Reichweite einzuteilen.

2.4.1 minimedia

 

Minimedia ist jede private Kommunikation: sei es im Netz, am Telefon, per Fax oder auch im Gespräch.

 

Anders als mit dem schwerfälligen und teuren Buchdruck kann im WWW jeder sein eigener Verleger sein. "Das WWW ist ein riesiges Publishing-System, das aus unzähligen Mikroöffentlichkeiten besteht. Prinzipiell ist das Netz weltweit und 'für alle' zugänglich, tatsächlich aber steht es vorrangig den sozial höher stehenden Schichten der Industriestaaten zur Verfügung und verlangt nach der dominierenden englischen Sprache "Böhler.

 

Die unüberblickbaren Szenen der Publizierenden nennt man auch "Personal Narratives". Der Begriff der öffentlichen Intimität ist treffend für ein sich daraus ergebendes Phänomen. Durch Programme wie Blogger, Wellenbrecher usw. können leicht einfache eigene Websites erstellt werden, in denen z.B. Webtagebücher publiziert werden. Zu den Personal Narratives zählen aber auch Webringe, Newsgroups und Mailinglisten als soziale Gemeinschaften, die Foren für Rezeption und Beachtung bilden. Die Personal Narrative-Szene interessiert sich nicht für inhaltliche Qualität, Absatz oder Gewinn. Globale Präsenz und der kommunikative Aspekt scheinen  die wichtigsten Motive zu sein.

 

2.4.2 Middlemedia

 

Weblogs, die es sich neben der Tagebuchfunktion auch noch zur Aufgabe gemacht haben, über andere Weblogs zu berichten und deren Inhalte mit Freunden, Bekannten und anderen Usern zu besprechen, bilden die Ebene der middlemedia. Durch Verlinkung wird man in den Blogger aufgenomnmen. Auch kommerzielle Seiten wie Slashdot, Epinions, The Vines und Plastic sammeln Nachrichten der User. Oft gibt es eine Vorredaktion oder die Reihung der Beiträge erfolgt über die Höhe der Zugriffszahl, womit eine "demokratische" Struktur entsteht.

 

Adressen: www.metafilter.com/; www.slashdot.org; www.plastic.com; www.epinions.com; www.thevines.com.

2.4.3 Massmedia

 

Inzwischen gibt es bereits Netz-Verlage. Random House, einer der größten Verlage der USA bertreibt den Verlag Del Ray Digital Writing Workshop, der Science Fiction und Phantasie publiziert. 8000 Mitglieder beteiligen sich. Bücher werden gedruckt veröffentlicht. Teilnehmer, die dort Texte veröffentlichen, müssen sich verpflichten, die anderen geposteten Texte zu lesen und zu rezensieren. Eine professionelle Jury sucht beste Beiträge aus, die speziell vorgestellt und zweimal jährlich in einer virtuellen Galerie ausgestellt werden. Wichtig ist folgende Überlegung:

 

"Die User sind also Käufer und Verkäufer, Autor und Rezensent gleichzeitig. Qualität und Urteilsbildung werden durch den Geschmack der Masse reguliert. Die "neuen" Verlage im Netz präsentieren sich als offene Foren. Die Massenmedien und der Literaturbetrieb, über Jahrhunderte zum Kontrollmechanismus über Qualität und Zugang gewachsen, verlieren an Macht. Durch das Netz wird das weltweite unkontrollierte Wachstum von Texten und Dokumenten möglich, mit allen Vorteilen und Nachteilen. Von Vorteil ist, dass sich Subkulturen über das Netz besser organisieren können, dass Kleinverlage, Fanzines, die unterschiedlichsten Interessengruppen weltweit auffindbar und erreichbar werden. Urteilsbildung wird immer mehr zu einer Frage der Medienkompetenz und der Quote" Böhler.

 

Die "demokratische" Bewertung literarischer Texte erfolgt im Projekt "Literaturbörse" des Steirischen Herbstes 2001 über eine natürlich ironische (lakonische) Festsetzung eines Börsenwertes des Textes, den eine Jury feststellt. Eingetragene User erhalten ein virtuelles Startkapital, mit dem sie die Texte kaufen können. Natürlich kann auch wieder verkauft werden, je nach Kursentwicklung mit Gewinn oder Verlust. Zu Recht stellen nämlich die Organisatoren fest, dass auch die traditionellen Literaturpreise sehr wohl bereits eine Art Literaturbörse mit allen unangenehmen Erscheinungen darstellen.

 

 

Die Gruppe Or-OmÓ hat im Aufsatz Renato Albertano`s http://or-om.org/XT+@rt.htm in wesentlich radikalerer Weise das Problem der Kunstausübung im Korsett kapitalistischer Marktmanipulationen und -Deformationen behandelt und kommt letztlich zu einem erweiterten Kunstbegriff, der die derzeitigen Mängel überwindet.

 

2.4.4 Jeder sein eigener Verleger

 

Im Netz haben sich eigene Verlage etabliert, die sich als Dienstleistungsunternehmen verstehen. Der Autor muss selbst Manager- und PR-Qualitäten entwickeln, eine Öffentlichkeit für sein Buch herstellen. Autoren werden als Ziel- und Herausgebergruppen interessant, neue Strukturen entstehen, die – gratis, oder gegen Bezahlung – auf die meist im Selbstverlag erschienen Bücher aufmerksam machen. Carpe.com und buchproben.com bieten Werbeservices an, von der Erstellung einer Website bis zur Präsentation des Buches. Die meisten Autoren, die über die neuen Wege publizieren, besitzen eine eigene Homepage. Die User helfen bei der Informationsweitergabe mit, wenn etwa die Anregung auf der Site enthalten ist: "e-mail this story to a friend".

 

2.4.4.1 PRINT ON DEMAND (POD)

 

Zum Unterschied vom E-Book (2.4.5) zielt POD auf das Erscheinen eines Textes als Buch. Diese Strategie benützt das elektronische Format, da dieses im Gegensatz zum Buch kaum Lagerkosten erfordert (150 Seiten Text im PDF-Format benötigt etwa 650 KB Speicherplatz). Es entstehen nicht die beim üblichen Buchdruck anfallenden Lagerkosten der Buchauflage. Das Buch wird erst dann in Druck gegeben, wenn ein konkreter Kunde das Buch kaufen will.

 

Die meisten Händler, die auf elektronische Texte spezialisiert sind, bieten ihre Bücher wahlweise als E-Book zum Download oder als POD an.

 

In Deutschland sei in diesem Zusammenhang auf www.bod.de ein Tochterunternehmen der Firma libri hingewiesen. Hier sind gegen Bezahlung bereits über 4500 Titel erzeugt worden.

 

Für die Gruppe Or-OmÓ ergibt sich etwa die Frage, ob neben der Netz-Version auch eine  POB-Version angeboten werden sollte. Bis zu einem gewissen Grad erscheint dies jedoch nicht sinnvoll. Einerseits können die Websites jederzeit aktualisiert werden, was bei einer Buchversion nur sehr kostenaufwendig möglich wäre, da neue Masteringkosten für die Druckvorlage entstehen. Anderseits können Sites wie http://or-om.org/Kalender.htm oder vor allem http://or-om.org/netcubism.htm und alle anderen Animationen wegen ihrer medial komplexen Form überhaupt nicht in Buchform geliefert werden. Eine PDF-Printversion dürfte usergerechter sein, kann aber eben diese Gesichtspunkte ebenfalls nicht abdecken.

2.5 Das E-Book

 

Im E-Book-Markt sind besonders Adobe, Palm, Gemstar und Microsoft tätig. Die derzeitige Bedeutung ist ähnlich wie bei POD noch relativ gering. Je nach den verschiedenen Lesegräten (Palm Pilot, Laptop oder E-Book) können unterschiedliche Formate gelesen werden. Es herrscht noch ein Durcheinander an Formaten. Openbook.com bemüht sich um Vereinheitlichung und Standarisierung. Texte, die auf die Lesegeräte gespielt werden, können nicht ausgedruckt und kopiert werden.

 

Medienkonzerne nehmen das Buch in ihr Gesamtpaket von Video, Radio, TV, Bücher, Online Chat auf (z.B. Contensis.com).

 

3. Förderungen durch die EU

 

Bis 2002 soll Europas Präsenz auf dem Informationsmarkt, besonders im Internet gestärkt werden. "eContent" ist ein mehrjähriges Gemeinschaftsprojekt zur Unterstützung europäischer digitaler Inhalte in globalen Netzen und zur Förderung der Sprachenvielfalt in der Informationsgesellschaft ( www.cordis.lu/econtent ). Durch ein Budget von 150 Mio. Euro will die EU Maßnahmen gegen den Mangel an digitalen Inhalten in Europa setzen.

 

4. Der klassische Verlag und der Veränderungsdruck des Netzes

 

Es ist derzeit noch nicht abzusehen, inwieweit die traditionellen Verlage und ihre Marktstrukturen, –Techniken und Verteilungsstrategien durch die Ausweitung des digitalen Publikationssektors unter Druck geraten werden. Es ist wohl anzunehmen, dass sich die beiden Segmente gleichzeitig ausweiten und dabei auch zeitgleich durch die Vereinheitlichung der digitalen Produktionsformate in beiden Feldern mehr durchdringen werden. Das Produkt wird auch zunehmend in beiden Segmenten zeitgleich oder nacheinander angeboten werden. Bereits heute bereiten manche Verlage Inhalte in unterschiedlichen Medienformaten auf (medienneutrales Speichern). Daraus kann die Buchform, eine Webpage, ein E-Book oder eine CD-ROM generiert werden. Vom Verschwinden des traditionellen Buches wird nicht auszugehen sein. Schon der Umstand, dass Bücher immer leichter und kostengünstiger erzeugt werden können, spricht sehr dagegen. Erwähnt sei allerdings auch, dass über lange Zeit gültige und lesbare digitale Speicherstandards nach wie vor ein ungelöstes Problem darstellen.

 

Wer selbst viel Information aus dem Web holt, weiß, dass das folgende Argument der entgeltlichen Verbreitung von Content im Netz schwer entgegensteht: der User betrachtet die Texte im Netz als kostenlose "Add-On". Man ist gewohnt, sich im Netz gratis zu bedienen.

 

95 % der befragten Verlage fühlen einen Veränderungsdruck, eine aktive Vorwärtsstrategie verfolgen jedoch die wenigsten.

 

Literatur

Böhler, Christine: Literatur im Netz. Wien. 2001

Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 152 Digitale Literatur. 2001

 

Zur Gruppe Or-OmÓ:

http://www.mip.at/de/werke/513-content.htm

http://www.dis-positiv.org/publikationen/or-om.html

http://www.kunstverkehr.at