Karl Ritter von Ghega zum 200. Geburtstag:
Oskar A. Wagner
Peter Rosegger schildert in seiner Autobiographie „Als ich noch der Waldbauernbub war“ (1903) den Eindruck, den die Semmeringbahn auf die staunenden Zeitgenossen machte:
„. . . Da tat es schon ein kläglich
Stöhnen. Auf der eisernen Straße heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es schien
anfangs stillzustehen, wurde aber immer größer und nahte mit mächtigem
Schnauben und Pfustern und stieß aus dem Rachen
gewaltigen Dampf aus. Und hinterher...“
„Kreuz Gottes!“ rief mein Pate, „da hängen ja ganze Häuser dran!“ Und wahrhaftig, wenn wir sonst gedacht hatten, an das Lokomotiv wären ein paar Steirerwäglein gespannt, auf denen die Reisenden sitzen konnten, so sahen wir nun einen ganzen Marktflecken mit vielen Fenstern heranrollen, und zu den Fenstern schauten lebendige Menschenköpfe heraus, und schrecklich schnell ging's, und ein solches Brausen war, dass einem der Verstand still stand. Das bringt kein Herrgott mehr zum Stehen! fiel's mir noch ein. Da hub der Pate die beiden Hände empor und rief mit verzweifelter Stimme: " Jessas, Jessas, jetzt fahren sie richtig ins Loch!" Und schon war das Ungeheuer mit seinen hundert Rädern in der Tiefe...“
Die Semmeringbahn - bis zum heutigen Tag in vollem Betrieb - war die erste vollspurige Bergbahn Europas. Der Schwierigkeiten des Terrains und der überwundenen Höhe nach kann sie mit Recht als die erste Bergbahn der Welt bezeichnet werden. Ihrem Erbauer, Carl Ritter von Ghega, waren wohl kleinere vorher erbaute Bahnen bekannt, jedoch gestattete die zwischenzeitlich erfolgte technische Entwicklung des Lokomotivbaus erstmals die extremen Steigungen und Kurvenradien der Semmeringbahn. Ghegas Semmeringstrecke bewältigt bei einer Gesamtlänge von 41 km einen Höhenunterschied von 460 m.
Am 5. Mai 1842 wurde die Eisenbahn von Wien nach Gloggnitz
eröffnet. Bereits am 3. Aug. 1842 wurde mit "Kaiserlicher Verfügung"
der Weiterbau der Bahn über den Semmering verordnet. Am 31. Jänner 1844 waren
die Planungsarbeiten abgeschlossen, und Ghega legte
das "Allgemeine Bauprojekt" den Generaldirektor der Staatseisenbahnen
Francesconi vor. Am 21. Okt. 1844 wurde die
Strecke Graz - Mürzzuschlag eröffnet. Aufgrund
politischer Umstände und den Zweifeln an der Machbarkeit (es waren z.B. für den
Bau des 1430m langen Haupttunnels keinerlei Vorbilder oder Erfahrungen
vorhanden) lagen die Pläne vier Jahre lang in der Schublade.
Der Bau
Im Revolutionsjahr 1848 wurde der Bau der Semmeringbahn vom Ministerium für
öffentliche Arbeiten genehmigt, der endgültige Baubeginn verzögerte sich aber
bis 1. März 1949. Speziell auf der niederösterreichischen Seite musste Ghega an den Berghängen entlang um die Schluchten an ihren
engsten Stellen überbrücken zu können. Vor allem der Haupttunnel und der Tunnel
an der Weinzettelwand, wo der größte Unfall in der Bauzeit war, machten Ghega schwer zu schaffen. Hunderte Tote hingegen
verursachten die Krankheiten Cholera und Typhus. Die Semmeringbahn war nach
einer Bauzeit von 6 Jahren fertig gestellt.. Im April
1854 besichtigte Kaiser Franz Joseph die neue Gebirgsbahn. Er war beeindruckt.
Im Mai 1854 konnte der Frachtverkehr aufgenommen werden, im Juli wurde der
Personenverkehr aufgenommen.
Viadukt über die „Kalte Rinne“ im Bau
Die Strecke umfasst 14 Tunnel (darunter den 1431 m langen Scheiteltunnel), 16 Viadukte (davon mehrere zweistöckige) und über 100 gewölbte steinerne Brücken sowie 11 kleine Eisenbrücken. 60 % der Länge der Semmeringstrecke haben eine Steigung von 20-25 Promille. Die Strecke ist fast durchwegs gekrümmt, wobei 16 % der Strecke den engsten Schienenradius von 190 m aufweisen. Gleichzeitig mit diesen Streckenbauten wurden Stützmauern, Streckenaufsichtsbauten und Bahnhöfe, die vielfach aus dem Abbruchmaterial der Tunnel errichtet wurden, angelegt.
Für die ersten Probefahrten auf der noch im Bau befindlichen Semmeringbahn verwendete Ghega eine von Norris, Philadelpha, gelieferte Lokomotive. 85t Anhängelast konnten mit 20 km/h bergwärts gezogen werden. Das Bild zeigt eine Maschine aus der gleichen Lieferung
Erst im Jahre 1850 erfolgte mittels Preisausschreiben der Aufruf zum Bau einer zugkräftigen Lokomotive. Im Jahr 1851 standen im Bahnhof Payerbach 4 Dampflokomotiven, die die Bedingungen - die Strecke zwischen Payerbach und Küb zu überwinden, mühelos erreichten.
Die vier ersten Lokomotiven der
Semmeringbahn
Bavaria, Seraing,
Vindobona, Wr. Neustadt
Seitens der Begutachtungskommission
wurde der „Bavaria“ der erste Preis zuerkannt. Keine der Lokomotiven wurde jedoch
nachgebaut, sondern Wilhelm Engerth schuf unter
Auswertung der Versuchsergebnisse eine Lokomotive, die schließlich seine Namen
trug. Mit Engerth-Lokomotiven nahm die Semmeringbahn
den Betrieb auf.
Die
1854 gebaute Engerth-Lokomotive WERNIG der Südbahngesellschaft
Das Novum der Semmeringstrecke zur Zeit ihrer Erbauung war, dass die Streckenführung für den Entwurf nicht richtig vermessen werden konnte. Neue Instrumente und Vermessungstechniken mussten zur Bewältigung der Problematik entwickelt werden.
Das Steigungsverhältnis von bis zu 25 Promille (= 1 m Höhenunterschied auf 40 m Streckenlänge) und der minimale Kurvenradius von 190 m wurden erstmals in dieser Größenordnung angewendet. Zum Betrieb auf dieser Strecke war die Konstruktion neuer Lokomotiven erforderlich, die dem Eisenbahnbau wesentliche Impulse verliehen hat.
Die Tunnel und die Viaduktbauten der
Strecken wurden von 20.000 Arbeitern errichtet und stellen für die damalige
Zeit sowohl vom technischen als auch vom organisatorischen Gesichtspunkt eine
Großleistung dar.
1952 begann der
Triebwagen-Schnellzugverkehr. Das Bild zeigt den legendären „Blauen Blitz“ vor
der Station Semmering
Die Elektrifizierung
Am 29. Sept. 1956 wurde der elektrische Betrieb von Wien bis Gloggnitz aufgenommen, und unmittelbar daran anschließend
mit den Elektrifizierungsarbeiten an der Semmeringstrecke begonnen. Es wurde
ein Vierjahresprogramm erstellt. Dabei wurden außer den Tunnelverkleidungen
auch alle anderen Kunstbauten grundlegend saniert. 1500 Fahrleitungsmaste
wurden errichtet. Vom Oberbau der 41 km langen Semmeringstrecke wurden auf
beiden Gleisen rund 60 km ausgewechselt. Die Höchstgeschwindigkeit mit 70 km/h
auf der Nordrampe und mit 80 km/h auf der Südrampe festgelegt. Bei fünf
Bahnhöfen wurden die Gleisanlagen verlängert.
Die Kosten der Elektrifizierung und die Streckenerneuerung betrugen damals
rund 125 Millionen Schilling. Am 29.
Mai 1959 fuhr der Eröffnungszug über den Semmering. Somit war nach fast 105
Jahren der Dampfbetrieb am Semmering zu Ende.
Weltkulturerbe
Die
Semmeringstrecke wurde schon zur Zeit ihrer Fertigstellung als
"Landschaftsbau" verstanden. Eine Fahrt mit der Semmeringbahn, deren
Trasse 150 Jahre nach ihrem Bau immer noch funktioniert, gestaltet sich auch
heute noch mit ihrer abwechslungsreichen Landschaft, den typischen Villenbauten
und der charakteristischen Abfolge von Viadukten und Tunnelbauten als Erlebnis. Nicht unerwähnt darf bleiben,
dass die gesamte Semmeringbahn schon seit 1923 in Österreich unter
Denkmalschutz gestellt wurde. Dieser Status wurde im März 1997 vom
Österreichischen Bundesdenkmalamt erneut bestätigt
Aufgrund der weltweiten
Vorbildfunktion für Eisenbahnbauten in schwierigem Gelände, des guten
Erhaltungszustandes sowie den weitreichenden Auswirkungen dieser Eisenbahnlinie
auf die Wahrnehmung von (Kultur-)Landschaften ist im Dezember 1998 die Aufnahme
der Semmeringbahn als erste Eisenbahn der Welt in die ‘Welterbeliste’
gemäß den UNESCO-Kriterien "Konvention zum Schutz des Natur- und
Kulturerbes der Welt" beschlossen worden.
Die nationale und internationale Bedeutung
der Semmeringbahn würdigte die österreichische Nationalbank im Jahr 1967 mit
der Herausgabe der ZWANZIG-SCHILLING Banknote. Die Vorderseite zeigt Karl
Ritter von Ghega, die Rückseite den Viadukt „Kalte Rinne“
bereits in der elektrifizierten Form
Der Erbauer
Carl Ghega wurde am 10. Jänner 1802 in der
Lagunenstadt Venedig als Sohn eines österreichischen Marinebeamten geboren.
Bereits mit 15 Jahren verließ der junge Ghega sein Elternhaus, um sich an der Universität Padua fortzubilden. Rechnerisch und zeichnerisch außerordentlich talentiert, erwarb Ghega bereits 1818 das Ingenieur - Diplom und ein Jahr später, im Alter von 17 Jahren, den Doktor-Titel der Mathematik. Nebenbei studierte er an der Kunstakademie Architektur. 1819 trat er in den Staatsdienst ein und wirkte am Bau von Amtsgebäuden, Gebirgsstraßen, wie beim Bau der über Cortina d´Ampezzo nach Toblach führenden Straße, und an Flussregulierungen mit. 1836 wurde er mit der Errichtung von Teilstrecken der "Kaiser-Ferdinands-Nordbahn" beauftragt. Bevor sich Ghega dieser neuen Aufgabe zuwandte, unternahm er jedoch noch eine ausgedehnte Studienreise ins Ausland, so in verschiedene Staaten des Deutschen Bundes, nach Belgien, Frankreich und England, um sich auf seine Aufgaben im Eisenbahnbau vorzubereiten. 1836 übernahm Ghega zunächst die Bauleitung auf einem Abschnitt bei Brünn, bald auf der gesamten Linie zwischen Lundenburg und Brünn. Hierbei zeigte sich sein meisterliches Können in der Anlage von gemauerten Brücken und Viadukten.
1842
wurde er nach Wien berufen, um mit der Leitung der gesamten Planung der
zukünftigen Staatseisenbahn betraut zu werden. Zu diesem Zweck unternahm er, um
sich den neuesten Wissensstand anzueignen, im Auftrag des Kaisers eine Studienreise
nach Nordamerika. Nach seiner Rückkehr übernahm Ghega
die Oberleitung des Baues der südlichen Staatsbahn von Mürzzuschlag
in Richtung Graz und Triest. Zeitgleich plante er die Überquerung des
Semmerings, wofür er monatelang das gesamte Gebiet durchwanderte und jede
Felswand, jede Schlucht und jeden Graben studierte. Am 31. Jänner 1844 waren
die Planungsarbeiten für die Semmeringbahn abgeschlossen. Von 1849 bis 1854
hatte Carl Ghega die Oberaufsicht beim Bau der
Semmeringbahn. 1851 wurde Carl Ghega zum Ritter
erhoben. Ab 1855 stellte Österreich den Bau weiterer Staatslinien wegen
finanzieller Schwierigkeiten ein. Ghega wurde noch
einmal zum Bau einer Eisenbahn, diesmal in Siebenbürgen, abgeordnet. Er konnte
das Projekt allerdings nicht mehr zu Ende führen. Am 14. März 1860 verstarb er,
nur 58 Jahre alt, in seiner Wiener Wohnung im Hause Rotenturmstraße 6. In einem
Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof fand der „Erbauer der Semmeringbahn“ seine
letzte Ruhestätte..
Das Ghega-Denkmal
am Bahnhof Semmering