Der österreichische Stand der Frauenforschung in der Informatik[1]
Hilda Tellioglu
Die österreichischen Beiträge in internationalen Frauenkonferenzen geben einen Überblick über die Ursprünge der Frauenforschung in Österreich in Bereichen der Informatik und Informationstechnologie. Die bisherigen Untersuchungen können in drei Themenbereichen zusammengefasst werden.
Ausbildung von Frauen im Bereich Informatik
Mit den ersten Diskursen über Frauen und (Informations-)Technik wurde die Präsenz der Frauen in technischen Studien bzw. anschließenden Berufsfeldern zu einem wichtigen Thema, das bis heute aktuell ist. Dafür werden einerseits die Zahlen der Studentinnen, ihr Erfolg im Studium und im nachfolgenden Berufsleben empirisch erhoben. Andererseits wird auf einer eher theoretischen Ebene diskutiert, welche politischen und inhaltlichen Veränderungen sowie Erweiterungen in der Ausbildung und in Arbeitsumgebungen notwendig sind, um Frauen zur Wahl technischer Fächer zu motivieren und ihr Leben in diesen Bereichen "erträglicher" zu gestalten. Diese Diskurse gelten auch für Nichtakademikerinnen. Ein Beispiel ist die Entwicklung eines Telematik-Lehrgangs für Wiedereinsteigerinnen im Waldviertel (www.telma.at).
Die Frage nach frauenspezifischen Zugangsweisen zu IT
Die Anwendungsbereiche der Netzwerke bieten die Möglichkeit, die Zugangsweisen von Frauen zur IT auf der Ebene der Organisation des Alltagslebens, der Förderung der sozialen Kontakte und der Kommunikation, der Unterstützung für Aus- und Weiterbildung sowie der Unterstützung in der Arbeitswelt zu explorieren (Birbaumer 1998).
Die Anwendung von CSCW (computer supported cooperative work) Systemen in Organisationen erfordert immer mehr Gruppenarbeit mit erhöhter Zeitautonomie und Selbständigkeit der ArbeitnehmerInnen (Egger 1994: 334). Dabei sollen die Zeitumgebung einer Organisation, die Zeitmerkmale bzw. -muster der Gruppe und individuelle Zeitverwaltung evaluiert werden.
In 1994 wurden in Graz wieder einmal die Entwicklung und der Einsatz der CSCW-Applikationen thematisiert (Eberhart/Wächter (Hg.) 1994). Die Rolle dieser Applikationen in Organisationen wurde bzgl. ihres Einflusses auf die Veränderung der hierarchischen Organisationsstrukturen aus einem feministischen Blickwinkel betrachtet (Egger 1994: 117). Dabei dürfen die politischen Aspekte der flexiblen Arbeitszeitregelung nicht vernachlässigt werden.
Frauen als Nutzerinnen von Informationstechnik in diversen Arbeitsdomänen
Zum Thema "Natur und Bild von Wissenschaft und Technologie sowie Informationstechnologie" gab es 1983 einen Beitrag aus Österreich, der eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Technik auf Frauenarbeit beinhaltet (Wagner 1983: 41). 1984 wurden Ergebnisse der Forschungsarbeiten über Erfahrungen und Situation der österreichischen Frauen in der automatisierten Büroarbeit in dieser Tagung präsentiert (Wagner 1985a: 53). 1989 war das Leitthema der IFIP Konferenz "Forming New Alliances" (Tijdens et al. (Hg.) 1989). Aus Österreich wurde eine Analyse vorgestellt, die die Rolle des Computereinsatzes in der flexiblen Gestaltung von Arbeitsorganisation mit einer Diskussion über Veränderungen des partizipativen Verhaltens der Frauen am Arbeitsmarkt zum Inhalt hatte (Volst/Wagner 1989: 67). Bei der Konferenz 1994 mit dem Schwerpunkt "Breaking Old Boundaries: Building New Forms" (Adam/Owen (Hg.) 1994) wurden aus Österreich folgende Themenschwerpunkte angesprochen: 1) Die politische Situation und Entwicklungstendenzen der Frauenarbeit in immer mehr computerisierter Umgebung am Beispiel Krankenhausarbeit (Wagner 1994: 61), 2) Elektronische Vernetzung der Wissenschaftlerinnen als eine neue Möglichkeit zur Strukturierung der Geschlechterverhältnisse (Volst 1994a: 163).
In der Konferenz "Feminist Perspectives on Technology, Work and Ecology" 1994 wurden Ergebnisse empirischer Studien präsentiert, die in 84 österreichischen Industriefirmen durchgeführt wurden. Neben den Auswirkungen der Technik auf die Frauenarbeit wurden ebenfalls geeignete Einsatzmöglichkeiten der Netzwerke, insbesondere des Internets und der Datenfernübertragung, diskutiert. In diesem Zusammenhang bildet Telearbeit einen eher neueren Schwerpunkt für viele Untersuchungen, nicht nur als Begleitstudien für industrielle Firmen (Vgl. Birbaumer/Kompast/Steinhardt/Wagner 1997).
Ingenieurwissenschaftliche Forschungsthemen, die im Sinne feministischer Theorien behandelt werden können, sind begrenzt. Andere Wissenschaftsdisziplinen lassen sich leichter mit Frauenforschung verknüpfen als die Informatik, die nicht nur eine junge Wissenschaft ist, sondern vor allem auch keine hinreichenden Erklärungsmodelle für frauenspezifische Fragestellungen anbieten kann. Informatische Themenbereiche,die bisher behandelt wurden, beschäftigen sich mit Programmieren oder der Gestaltung von Benutzeroberflächen und ähnlichem. Gerade bei diesen Themen haben aber die ersten Versuche, sie unter frauenspezifischen Gesichtspunkten zu analysieren, kein hohes Interesse hervorgerufen. Schon die erste Beschäftigung mit geschlechtsspezifischen Programmierstilen wurde von anderen Ingenieurinnen heftig kritisiert (Turkle 1990). Dem Hineintragen dualistischer Weltinterpretationen in die Ingenieurswissenschaften waren von Technikerinnen selbst bald Grenzen gesetzt worden. Zudem lassen sich empirisch keine relevanten Unterschiede nachweisen, die für die Forschung weiterführende Impulse erwarten ließen. Die wenigen Untersuchungen weisen mehr Gemeinsamkeiten zwischen Männern und Frauen aus, als sie Unterschiede aufzeigen können (Pohl 1997).
Die Zwiespältigkeit solcher Forschungen zeigt sich aber vor allem in einem größeren Zusammenhang. Die Betonung geschlechtsspezifischer Unterschiede bringt immer die Gefahr mit sich, möglicherweise tatsächlich existierende Differenzen noch zu verstärken bzw. zu zementieren.
International gesehen hat sich die Tendenz von der Beschäftigung mit frauenspezifischen Zugangsweisen zur Technik hin zu einer Erforschung verschiedener Praxisfelder entwickelt. Frauen als Nutzerinnen von Informationstechnik werden immer mehr zum "Forschungsgegenstand". In der letzten Zeit erweitert sich das Spektrum um das Thema Internet, das möglicherweise einen neuen Impetus für die zukünftige Forschung darstellt.
Die Konsequenz aus der Analyse der informatischen Forschungsthemen und der Begrenztheit auch in methodischer Hinsicht sind interdisziplinäre Forschungszusammenhänge. Interessante Studien entstanden und entstehen dort, wo sich Sozial- oder Geisteswissenschaften mit Ingenieurswissenschaften verbinden lassen. Für den relativ jungen "Forschungsraum Internet" ergeben sich interessante Fragestellungen in Bezug auf frauenspezifische Zugangsweisen, Barrieren, Kommunikationsstile etc. ausschließlich aus der Kombination sozialwissenschaftlicher und technischer Grundlagen und Methoden. Dasselbe gilt für alle anderen Zugänge zu Praxisfeldern, in denen der Einsatz moderner Technologien in Hinblick auf deren Möglichkeiten, Auswirkungen und Risiken analysiert werden soll.
Frauenspezifische Gesichtspunkte in Wissenschaft und Arbeitsfeldern
Die existierenden frauenforscherischen Ansätze im Bereich der Informatik sind vor allem durch Vereinzelung gekennzeichnet. Die fehlende Institutionalisierung einerseits und die geringe Anzahl von Forscherinnen in der Technik andererseits hat zur Folge, dass genderspezifische Forschung vom Engagement einzelner Frauen abhängt, die versuchen müssen, frauenrelevante Forschung quasi nebenbei zu betreiben.
Den größeren Bereich, in den genderspezifische und frauenfördernde Konzepte einfließen, stellen diverse Praxisprojekte dar, für die technischen Felder sind das bspw. verschiedene Arten von EDV-Kursen, Computerschulungen, Internetcafés u.ä., die aber in den meisten Fällen losgelöst von jeglicher Forschung ins Leben gerufen werden.
Die machbare und realitätsangepaßte gegenwärtige Möglichkeit, frauenspezifische Betrachtungsweisen in die Ingenieurswissenschaften zu integrieren, ist die, bei jedem Forschungsprojekt, einen Genderschwerpunkt mitzudenken, frauenrelevante Perspektiven bei der Untersuchung einzelner Praxisbereiche speziell zu definieren etc.
Die interdisziplinäre Frauenforschung in der Informatik könnte demzufolge eine ihrer zentralen Aufgaben darin sehen, Technik für die Verbesserung sozialer Bedingungen für Frauen einzusetzen und so wiederum die Technikentwicklung zu beeinflussen.
Die österreichische Situation ist gekennzeichnet durch eine Nicht-Tradition von Frauenforschung in den meisten Wissenschaftsdisziplinen. Es fehlen Orte der Ausbildung, es fehlen deklarierte wie legitimierte Universitätsinstitute, die Frauenforschung betreiben. Dies trifft in besonderem Maß auf technische Disziplinen zu, deren Bedingungen aus den genannten Gründen als erschwert zu bezeichnen sind, vor allem aber aufgrund der Voraussetzung einer interdisziplinären Herangehensweise, auf die die Informatik angewiesen ist.
Welche sind nun aber die Ressourcen, auf die aufzubauen lohnend wäre?
·einige Forscherinnen aus verschiedenen Disziplinen, die sich inhaltlich mit Frauenforschung beschäftigen, als Protagonistinnen
·ein interdisziplinäres Institut im Bereich Informatik als logischer Ort
·eine Anzahl schon seit einiger Zeit angebotener Lehrveranstaltungen an den technischen Universitäten als Instanzen der Vermittlung
·die Hartnäckigkeit einiger WissenschafterInnen, Frauengesichtspunkte in alle Forschungs- und Organisationszusammenhänge immer wieder einzubringen.
·die Versuche, Diplomarbeiten mit frauenspezifischen Fragestellungen anzuregen, zumindest aber einen frauenspezifischen Teil nahezulegen.
Vorhandene Ressourcen aufzuspüren, zu vernetzen und, darauf aufbauend, einen Schwerpunkt Frauenforschung in der Informatik einzurichten, erscheint nach dem Gesagten gar nicht mehr utopisch und würde bei entsprechender Institutionalisierung und Bereitstellung noch fehlender Ressourcen vermutlich innerhalb kürzester Zeit neue Impulse setzen.
Adam/Owen (Hg.), Women, Work and Computerization.
"Breaking Old Boundaries: Building New Forms", Proceedings of the 5th
IFIP International Conference, Manchester, UK, July 2 - 5 (1994)
Birbaumer, Women and IT. Approaches to the Internet,
European GASAT Conference (Gender & Science & Technology) "Where
are we now? What next?" Liverpool 5-8 January (1998)
Birbaumer/Kompast/Steinhardt/Wagner, TeleArbeit, Gutachten für das
Zukunftsforum im Bundeskanzleramt, Institut für Gestaltungs- und
Wirkungsforschung, Abteilung für CSCW, Technische Universität Wien (1997)
Eberhart/Wächter (Hg.), Feminist Perspectives on Technology,
Work and Ecology, Proceedings of the 2nd European Feminist Research
Conference, Graz University of Technology, Austria, July 5 - 9 (1994)
Egger, CSCW: A Trojan Horse of Feminism? in
Eberhart/Wächter (Hg.), Feminist Perspectives on Technology, Work and Ecology,
Proceedings of the 2nd European Feminist Research Conference, Graz
University of Technology, Austria, July 5 - 9 (1994)
Pohl, The Internet - a "feminine'
technology? in Lander/Adam (Hg.), Women in Computing, Intellect Books, Exeter,
England (1997)
Tijdens/Jennings/Wagner/Weggelaar (Hg.), Women, Work and Computerization.
"Forming New Alliances", Elsevier Science Publishers B.V.,
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Turkle, Style as Substance in Educational
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Volst, Computerised Scientific Communication as a
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Computerization. "Breaking Old Boundaries: Building New Forms",
Proceedings of the 5th IFIP International Conference, Manchester,
UK, July 2 - 5 (1994a)
Volst/Wagner, Polarized Patterns: Effects of
Computerization on Women's Career Opportunities, in
Tijdens/Jennings/Wagner/Weggelaar (Hg.), Women, Work and Computerization.
"Forming New Alliances", Elsevier Science Publishers B.V.,
North-Holland (1989)
Wagner, Technology and Its Consequences for Women
on the Labour Market, in International Alliance of Women and Pancyprian
Movement for Equal Rights & Equal Responsibilities, Report of the European
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Wagner, Women in the automated office.
Contradictory experiences - Individual and collective coping strategies, in
Olerup/Schneider/Monod (Hg.), Women,
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Proceedings of the IFIP WG 9.1 First Working Conference, Riva del Sole,
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Wagner, Hard Times. The Politics of Women's Work
in Computerised Environments, in Adam/Owen (Hg.), Women, Work and
Computerization. "Breaking Old Boundaries: Building New Forms",
Proceedings of the 5th IFIP International Conference, Manchester,
UK, July 2 - 5, IFIP Transactions, Elsevier Publishers, Amsterdam et al. (1994)
[1]Gekürzte Bearbeitung des Berichtes von Andrea Birbaumer und HildaTellioglu "Die Suche nach den Frauen. Die Situation der Frauenforschung in der Informatik: historische Entwicklung, Stand, Grenzen und Perspektiven", in: Materialien zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft 9/2, hg. vom Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, Wien 1999, S. 237–262.