Medienerziehung – Low Budget Productions

 

Lässt man sich darauf ein, ein Schulvideo zu produzieren, ist zu bedenken, dass ein derartiges Projekt mit viel Aufwand verbunden ist. Neben einem grundlegenden Gestaltungskonzept wie bei allen anderen PR-Medien sind auch Ideen zu Einsatzmöglichkeiten und Adressaten innerhalb und außerhalb der Schule erforderlich, damit sich der Einsatz lohnt. Am Bundesgymnasium GRG23 in Wien, Anton Baumgartnerstraße 123, wurde vor wenigen Jahren der Versuch gestartet, im Rahmen von Unterrichtsprojekten Videoclips zu planen und zu realisieren, die seitdem im lokalen TV-Sendebetrieb für ca. 4000 angeschlossene Haushalte im Wohnpark Alterlaa ausgestrahlt werden.

 

Es gab kein Team von Spezialisten, das sich um Exposee, Storyboard, Drehplan oder Kamera und Regie gekümmert hätte. Nachdem eine Kollegin aus der Lehrerschaft die Initiative ergriffen hatte, gemeinsam mit den SchülerInnen aus ihrer 4. Klasse ein Drehbuch für einen Musikvideoclip zu schreiben, gestaltete sich der Drehbeginn im April 1999 wie ein Sprung ins kalte Wasser.

Zwei Amateurfilmer – die Lehrer aus Musikerziehung und Bildnerische Erziehung – waren mit zwei Hi8 Camcordern und ihren 25 SchülerInnen drei Vormittage unterwegs, um im Playbackverfahren zur Musik von Falcos „Jeanny“ Szenen zu einer tragischen Liebesgeschichte zu drehen. Am Ende waren drei Stunden Videomaterial zu sichten und am Desktop-Computer mit Adobe Premiere zu schneiden. Die Basis bildete besagter Track von Falco, über dem die in engere Wahl gekommenen Videoschnipsel – streckenweise sogar halbwegs lippensynchron! – nebeneinander aufgebaut wurden. Das Ergebnis war für den Anfang nicht schlecht und wurde über das Wohnpark-TV-Kabel zwei Wochen hindurch täglich gesendet.

Aufgrund eines allgemein positiven Echos wurde schon bald danach ein weiteres Video in Angriff genommen und gleichzeitig an der Didaktik vorbereitender Unterrichtsstunden gefeilt. Die Nichtspezialisten wurden gelegentlich von Profis aus den Bereichen Schauspiel und Regie unterstützt und haben im Laufe der Zeit manches dazugelernt und sich inzwischen auch in die Theorie eingearbeitet.

 

Hilfsmittel der Gestaltung - Storyboard und Drehbuch: Für die Kriterien der grafischen Bildgestaltung am wichtigsten sind Storyboards. Storyboards legen die Eckpositionen eines Bewegungsablaufs dar, sie beschreiben mit zwei statischen Bildern eine Einstellung. Für Filme, Videoclips und Werbespots werden Storyboards in der Planungs- und Produktionsphase benötigt, zunächst als Diskussionsgrundlage für Auftraggeber und Produzenten, im weiteren als Anleitung für Regisseur und Kamera.

Ein Drehbuch ist nichts anderes als die in Text gefasste, beschreibende Form eines Storyboards, die zumindest einige der Eigenheiten des Storyboard-Rasters, etwa die Trennung der Inhalte nach Bild, Sprache und Ton übernimmt (auszugsweise und gekürzt aus: Anton Stankowski / Karl Duschek, Visuelle Kommunikation, ein Design-Handbuch, S 298 ff., 1994 Dietrich Reimer Verlag, Berlin, ISBN 3-496-01106-8).

 

Es bildete sich ein Team von SchülerInnen, die als ReporterInnen und Kameraleute bei besonderen Veranstaltungen (Tag der Offenen Tür, Open Air etc.) Interviews machten und Material für Dokumentationen in Eigenregie herstellten. Die Hi8-Aufnahmetechnik wurde bald durch einen DV-Camcorder ersetzt. Eine neue DV-Master-Karte mit Firewire-Schnittstelle schuf dann die Voraussetzung für eine verlustfreie digitale Bearbeitung und Videoausgabe.

 

Digitale Techniken drängen sich mehr und mehr in den Vordergrund, dies gilt vor allem für die zahlreichen Tricks und Effekte, die in Video-Produktionen einbezogen werden. Die Möglichkeiten gehen heute viel weiter, als nur das vorgegebene Signal zeitlich zu komprimieren oder zu dehnen – die Digitalisierung des ursprünglich analogen Bildsignals verbunden mit der schnellen Speicherung und Wiedergabe großer Informationsmengen auf dem computergesteuerten Trickmischpult erlaubt es, verschiedene Bildquellen zu kombinieren, und durch gezielten Schnitt die Reizerneuerungsgeschwindigkeit drastisch zu steigern. Man könnte solche digitalen Bewegungstricks deshalb als ästhetische Mittel der Aufmerksamkeitssteuerung betrachten...

Die Mittel des Mediendesigns unterscheiden sich bei Produktionen für unterschiedliche Medien vor allem im Darstellungsraster und in der Reizerneuerungsgeschwindigkeit (Dynamik). Es stellt sich die Frage, wieviele Bildelemente in einem bestimmten Zeitintervall sequentiell oder simultan miteinander kombiniert werden können, um eine Aussage für das Verständnis der jeweils nächst höheren Ebene aufzubauen, ohne die grundlegenden Wahrnehmungsmechanismen des Rezipienten zu verletzen. Die erzeugten Reizkomplexe sollten den Reizarrangements der natürlichen Welt adäquat sein, um eine Botschaft zu vermitteln zu können. Oder man verzichtet bewusst auf visuelle Konventionen und begibt sich auf experimentelles Terrain (vgl.: Anton Stankowski / Karl Duschek, Visuelle Kommunikation, ein Design-Handbuch, S 298 ff., 1994 Dietrich Reimer Verlag, Berlin, ISBN 3-496-01106-8).

 

Im Unterschied zur Notwendigkeit des logischen Aufbaus in Reportagen bot sich der Musikvideoclip als ideales Experimentierfeld für die Montage an: Ausgehend von Texten ausgewählter Titel aus Pop- und Rockmusik standen die mit dem Drehbuch befassten SchülerInnen zumeist vor einer beachtlichen Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten: an Beispielen wie Falcos „Coming Home“ oder „Ich will“ von Rammstein konnten wir feststellen, dass Lyrics in ihrer Aussage oft sehr diffus gehalten sind und für ihre inhaltliche Auslegung und szenische Umsetzung viel kreativen Spielraum lassen. „Coming Home“ wurde schließlich als abschreckendes Beispiel zum Thema Drogensucht konzipiert, die Hauptdarstellerin übernahm die Rolle einer Heroinabhängigen, die Handlung blieb fragmenthaft offen und der Ausgang der Story ungewiss. Als Beitrag zum „Point Of Music Award 2001“ wurde dieser Videoclip mit dem ersten Preis (ATS 100.000,-) ausgezeichnet.

 

Das Schulvideo ist ein geeignetes PR-Medium, die Schule audiovisuell zu präsentieren. Es kann mit den vielfältigen filmischen Gestaltungsmitteln den Zusehern Einblick in das Schulgeschehen gewähren, Atmosphäre vermitteln, Emotionen schaffen, Unsichtbares sichtbar machen. Es können Botschaften anschaulich umgesetzt und angepeilte Zielgruppen informiert, motiviert, interessiert und für den Schulbetrieb begeistert werden. (Vgl. Hopfgartner / Nessmann: Public Relations für Schulen, Seite 104, ISBN 3-209-03105-3)

 

Erfolge spornen an, und ab sofort liefen Videoproduktionen an der Schule unter dem Namen „Low Budget Productions“. Finanziell aufwendigere Projekte konnten mit Hilfe von Sponsoren (spark7.com part of die ERSTE, PERA Air & Tourismus, Österreichischer Kulturservice, Elternverein des GRG23 Alterlaa) verwirklicht werden: eine Karaokeversion von John Lennon’s „Imagine“ und zwei Eigenkompositionen von SchülerInnen wurden in Tonstudios professionell aufgenommen, arrangiert und gemastert.

 

Visualisierte Musik: Der Musikfilm als eigenständige filmische Kunstform entstand in den 60er Jahren, in denen Rock- und Popmusik zu einer starken sozialen Bewegung wurden, und stellte eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Tradition des Musicals der 40er und 50er Jahre dar. Die Erfindung des Magnetbandes zur Zeit des Rock’n’Roll erlaubte erstmals die gleichzeitige Speicherung von Bild und Ton und setzte den entscheidenden Schritt in der Entwicklung zum musikalischen Videoclip.

Videoclips stellen in der Jugendkultur der Gegenwart einen ständigen und allgegenwärtigen Begleiter des Alltags dar. Durch ihre schnellen, rhythmischen Schnitte, die das musikalische Geschehen untermauern, ziehen sie Betrachter und Zuhörer mit ihrer Reizüberflutung in ihren Bann. Sie sind aus der Notwendigkeit der fernsehgerechten Aufbereitung von Musikproduktionen entstanden und fördern in ihrer Funktion als Werbeaufnahmen die Identifikation mit dem Musikprodukt.

Bei der Produktion von Videoclips wird eine Vielzahl von Medien miteinander verschmolzen. Dabei werden bei allen nur irgendwie verfügbaren Quellen Anleihen gemacht. Aus der Vermischung ergibt sich eine für jedermann verständliche Zeichensprache, die in erster Linie auf der Verwendung bekannter und wirksamer Klischees aufbaut. Anhand einer Art Kurzschrift entsteht daraus eine bunte, beschleunigte Welt, deren Bilder und Inhalte vorerst voneinander getrennt werden, um dann in einem neuen Zusammenhang eine neue Bedeutung zu erlangen. Dabei werden die entstehenden Bruchstücke in einer Collagetechnik zusammengefügt und mit Hilfe vielfältiger technischer Tricks effektvoll verarbeitet.

Die in den Clips verwendeten Bilder stehen in einer eindeutigen Beziehung zur jeweiligen Musik und sind für den Betrachter nach mehrmaliger Konfrontation unlösbar mit dieser verknüpft.

Parallel zur kommerziellen Videoerzeugung, die von eigenen Produktionsfirmen durchgeführt wird, existiert im Musikgeschäft ein schmaler Bereich, innerhalb dessen die jeweiligen Musiker ihre Clips selbst erzeugen. Das geschieht unabhängig von den Interessen der Musikindustrie und weitgehend losgelöst von der Notwendigkeit späterer Vermarktung.

So entsteht eine alternative Clip-Produktion, die sich sowohl in ihren inhaltlichen Aussagen als auch in ihrer Ästhetik deutlich von der vereinheitlichten Massenproduktion der Charts unterscheidet (gekürzt aus: Wilhelm Dabringer / Gernot Figlhuber, ?KUNST!, S 196 ff., 1994 Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung Ges.m.b.H., ISBN 3-7003-1055-2).

 

Im vergangenen Schuljahr wurde das Genre gewechselt und erstmals ein Kriminalfilm inszeniert - vom zeitlichen Aufwand bisher wohl das umfangreichste Videoprojekt. Die SchülerInnen einer 6.Klasse AHS führten Protokoll:

 

Tatort M.A.K. (Ketchup)

Ein Videoprojekt in Zusammenarbeit mit: M.A.K. - Museum für Angewandte Kunst, Akademie der Bildenden Künste Wien - Lehramt Bildnerische Erziehung, ÖKS Österreichischer Kulturservice

Initiative und Koordination: Mag. Sinan Gültekin

Gastreferent: Tayfun Pirselimoglu, Filmemacher, Drehbuchautor, Maler, Bildhauer, Schriftsteller (Istanbul)

Projektleitung: Mag. Sinan Gültekin, Mag. Werner Krause

 

1. Projekttag
Akademie der Bildenden Künste - Lehramt Bildnerische Erziehung

 

Wir lernten den Regisseur Tayfun Pirselimoglu kennen. Wir sahen Filme, bei welchen er Regie geführt hat. Er erklärte uns, was ein Drehbuch ist und wie man daraus einen Film macht. Zu Hause sollten wir uns eine Filmhandlung einfallen lassen. (Daniela Smetaczek)

Ein Drehbuch beinhaltet eine Geschichte, die verfilmt wird. Sie ist in Szenen aufgebaut. Daraus wird vor den Dreharbeiten ein detailliertes Storyboard gemacht. (Barbara Hacker)

Ein Film ist die Umsetzung einer Geschichte, wobei Emotionen und Charaktere in Bildern wiedergespiegelt werden. (Daniela Jiracek)

 

 

2. Projekttag

Seminarraum im Museum für Angewandte Kunst M.A.K

 

Die Vorgabe für unseren Film bestand darin, dass ein junger Mann und ein Mädchen im Kaffeehaus zusammensitzen. Er geht dann weg und kommt nicht mehr zurück...

Am 2. Projekttag suchten wir nach Ideen zur Weiterentwicklung der Handlung. Wir besprachen die verschiedensten Möglichkeiten und bestimmten den Filmtitel "Ketchup". (Manuela Kompatscher)

Tayfun kombinierte alle Vorschläge und machte eine Geschichte daraus. Alice meldete sich freiwillig, das Drehbuch am Computer zu schreiben. (Daniela Smetaczek)

 

 

3. Projekttag

Seminarraum im Museum für Angewandte Kunst M.A.K.

 

Der 3. Projekttag begann mit der Nachbesprechung zum Filminhalt. Es wurden die Rollen und Aufgaben verteilt. Tayfun erklärte uns den Aufbau eines Storyboards. Dann folgte eine Besichtigung der im Museum zur Verfügung stehenden Drehorte. (Daniela Smetaczek)

Unser Konzept war ein Kriminalfilm, ein Kurzkrimi. Im Storyboard werden die einzelnen Szenen des Drehbuchs in Bilder (Frames) umgesetzt und skizziert. (Barbara Hacker)

Jede Szene besteht aus mehreren Frames. Diese werden aufgezeichnet, aus dem Blickwinkel der Kamera. Die einzelnen Kameraeinstellungen werden genau besprochen. (Gudrun Eigelsreiter)

 

 

4. Projekttag

Museum für Angewandte Kunst M.A.K.

 

Am 4. Projekttag stellten wir das Storyboard fertig. Wir begannen mit den Dreharbeiten zur ersten Szene im Ausstellungsraum des Museums. (Daniela Smetaczek)

 

Szene 1:

Innen / Tag / Ausstellungshalle. Chiara und Constantin besichtigen Kunstwerke; lebensechte Skulpturen. Sie diskutieren:

Constantin: Was ist eigentlich los mit uns? Am Anfang war alles so schön. Können wir nicht versuchen, bei einem Abendessen das zu klären?

Chiara: Und wer zahlt es, wenn du dir nicht einmal den Mc Donalds leisten kannst? Wie wär's, wenn du mal lernst, mit Geld umzugehen?

Constantin: Ich hab es satt das du mich immer wie ein Kleinkind behandelst! Schau mal Schatz die Figuren... wie echt die aussehen.

 

 

5. Projekttag

Museum für Angewandte Kunst M.A.K.

 

Dreharbeiten zu den Szenen 2 bis 8 im M.A.K. Café, in der Herrentoilette, in der Aula, im Ausstellungsraum im Keller, in den Gängen des Museums.

 

Szene 2:

Innen / Tag / Kaffeehaus. Die beiden sitzen einander gegenüber an einem Tisch neben dem Fenster. Sie trinken Tee, streiten:

Chiara: Selbstverständlich komm ich wieder einmal für deine Kosten auf!

Constantin seufzt.

Constantin steht auf und geht.

 

Szene 3:

Innen / Tag / Herrentoilette. Constantin betritt die Herrentoilette. Gedankenversunken legt er sein Handy neben das Waschbecken, wobei er eine Ketchuptüte von Mc Donalds mitheraus zieht. Es hat ein Loch und ein Tropfen spritzt aufs Becken. Belanglos wirft er die Tüte in den Müll. Ohne zu wissen, was er hier eigentlich getan hat, verlässt er den Waschraum.

 

Szene 4:

Innen / Tag / Kaffeehaus. Chiara wartet nervös auf Constantin. Er kommt nicht. Die Zeit vergeht und sie verlässt das Café.

 

Szene 5:

Innen / Tag / Gang. Voller Besorgnis sucht Chiara nach Constantin.

 

Szene 6:

Innen / Tag / Herrentoilette. Chiara schaut in den Männerwaschraum und entdeckt Constantins Handy. Als sie es nehmen will, bemerkt sie den Ketchupfleck im Becken. Sie schreckt zurück im Glauben, der Fleck sei Blut ihres Freundes.

 

Szene 7:

Innen / Tag / Halle. Chiara irrt im M.A.K. herum, als sie plötzlich Füße am Boden über die Ecke schleifen sieht. Sie vermutet ihren Freund tot.

 

Szene 8:

Innen / Tag / Halle. Chiara rennt zu einer Aufsicht und bittet atemlos um Hilfe. Die lässt vor Schreck ihre Taschenlampe fallen. Zusammen laufen die beiden zum Ort des Geschehens.

Chiara: Bitte... helfen sie mir... das Blut... am Klo... mein Freund... kommen Sie schnell...

Aufsicht: Zeigen Sie mir den Weg!

 

 

 

6. Projekttag

Museum für Angewandte Kunst M.A.K.

 

Aufnahmen zur 9. Szene, Ende der Dreharbeiten.

 

Szene 9:

Innen / Tag / Raum. Chiara geht hinter der Securityfrau in Deckung. Mit einer Pistole bewaffnet öffnet sie die Türe, in der die hinterhergezogenen Beine zuvor verschwanden.

Eine Person über eine andere gebückt springt auf und hebt erschrocken die Hände in die Höhe. Die Aufsicht, die sich und Chiara in Lebensgefahr glaubt, feuert reflexartig eine Kugel ab, die die Person zu Boden reißt. Regungslos stehen sie da und stellen voller Erschrecken fest, dass der tot geglaubte Constantin nur eine Puppe ist. Constantin, der die Schüsse gehört hat, kommt angerannt und schreckt zurück. Der Künstler ist tot. (Drehbuch: Alice Stephan)

 

Eine komplette Dokumentation aller Low Budget Productions am GRG23 Alterlaa mit Beispielen im Real Media Format unter

www.grg23-alterlaa.ac.at >Projekte >Wohnpark TV

Für Fragen und Anregungen Kontakt per E-Mail: w.krause@chello.at