Frauen in den Ingenieurwissenschaften
Dr. Susanne Ihsen, VDI
Die Situation der Ingenieurinnen
Die Berufsaussichten für Ingenieure und Ingenieurinnen verbessern sich zurzeit. Der VDI prognostiziert die Nichtbesetzbarkeit von rund 20.000 Ingenieurstellen in den nächsten fünf Jahren wegen zu weniger Absolvent/innen. Wegen seiner generell guten Berufsaussichten und den kreativen Möglichkeiten, technische Lösungen mit zu entwickeln, hat der Ingenieurberuf – auch für Frauen – seinen besonderen Reiz. Jahrzehnte führten Studentinnen und Ingenieurinnen allerdings ein Exotendasein in den technischen Studiengängen und Berufen. Nun scheint sich eine Trendwende abzuzeichnen. Zum ersten Mal überhaupt liegt der Anteil ingenieurwissenschaftlicher Studentinnen bei rund 20%.
Allerdings müssen auch diese beim Übergang in das Berufsleben noch immer mit größeren Schwierigkeiten rechnen, als ihre männlichen Weggefährten: Die Bewerbungsmengen und -zeiten sind länger als bei Ingenieuren, der Aufstieg in verantwortungsvolle Positionen fällt schwerer und Ingenieurinnen in Führungspositionen sind rar. Damit verbunden liegt auch das Einkommen von Ingenieurinnen im Durchschnitt deutlich unter dem der Ingenieure, und zwar in fast allen technisch- naturwissenschaftlichen Studiengängen.
Warum sollten Frauen dennoch mutig ein ingenieurwissenschaftliches Studium aufnehmen? Weil viele der genannten Schwierigkeiten auch für andere Berufsfelder gelten. Für den Ingenieurberuf sprechen außerdem seine Vielschichtigkeit und seine interessanten Aktionsfelder. Das Anforderungsprofil hat sich weit über die fachliche Befähigung ausgeweitet. Veraltete Strukturen in Unternehmen sind von neuen Lösungen in der Organisation der Produktion sowie dem Management abgelöst worden. Ingenieure/Ingenieurinnen bearbeiten heute das ganze Spektrum eines Produktzykluses von der Entwicklung bis zum Vertrieb und dem Recyceln der Altprodukte. Der Ingenieurberuf hat also nicht mehr viel mit dem alten Image des Bauhelm und Sicherheitsschuhe tragenden Ingenieurs gemein. Die Qualifikationsanforderungen zielen ab auf fächerübergreifendes Denken unter Miteinbeziehung gesellschaftlicher Prozesse, die der Technik nicht immanent sind sowie auf innerbetriebliche Sozialkompetenz, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit. Mit zunehmender Internationalisierung wird auch die Anforderung an die „Kulturkompetenz“ von Ingenieuren/Ingenieurinnen erhoben, d.h. die Fähigkeit, mit Menschen aus anderen Kulturkreisen angemessen und gleichberechtigt kommunizieren zu können.
Das neue Berufsimage macht den Ingenieurberuf – nicht nur für Frauen – attraktiver.
Besondere Anforderungen an Ingenieurinnen?
Natürlich werden diese Anforderungen nicht öffentlich ausgewiesen. Für Frauen wie für Männer gelten formal die gleichen Anforderungen, die in den Stellenausschreibungen ausgewiesen sind: gute Fachkenntnis, Praxiserfahrungen, Auslandserfahrungen, Sprachkenntnisse etc. Doch insbesondere bei Frauen achten Unternehmen besonders auf die nachgewiesene berufliche Praxis. Mehr Praktika als die für das Studium erforderlichen Praktikazeiten können also gut investierte Zeit sein. Zusätzlich ergeben sich nützliche Kontakte, die während der Erwerbstätigkeit geknüpft werden, und die erfahrungsgemäß zu einem nicht unerheblichen Anteil in ein festes Arbeitsverhältnis führen können.
Der Bewerbungsweg von Ingenieurinnen kann deutlich länger sein als der von Ingenieuren. Hartnäckigkeit und Geduld beim Berufseinstieg, beim Wiedereinstieg und bei der Karriereentwicklung sind also dringend erforderlich.
Die Entdeckung der Kundin in Unternehmen führt zur Entdeckung der Fachfrau, die die spezielle Sicht von Frauen in die Produktentwicklung einbringen kann. „Diversity“, die Verknüpfung der Wahrnehmung verschiedener Sichtweisen zur besseren Produkt- und Imageentwicklung, führt in großen Unternehmen inzwischen zu speziellen Programmen, die jungen Frauen den Berufseinstieg erleichtern sollen, „Mentoring“, ein weiteres Schlagwort, vermittelt betriebsinterne Kontakte zu erfahrenen Kollegen/Kolleginnen, die in der ersten Berufsphase coachen.
Insbesondere Frauen benötigen ein gerüttelt Maß an Durchsetzungsfähigkeit und Diplomatie gleichzeitig, nämlich bei Aufstiegs- und Gehaltsverhandlungen ebenso wie beim Aushandeln individueller Arbeitsplatzmodelle. Bei Gehaltsverhandlungen spätestens werden mühsam erworbene Schlüsselqualifikationen (z.B. Moderation) Frauen gerne als biologische Stärke, nicht aber als erlernte Fähigkeit bescheinigt. Da bei diesen Verhandlungen aber nur die erworbenen Fähigkeiten in Euro und Cent gemessen werden, sollten Frauen frühzeitig lernen, ihre erworbenen Kenntnisse auch entsprechend zu vermarkten.
Das Angebot an Veranstaltungen zur Verbesserung der Berufsperspektiven sollte ausgeschöpft werden. Gemeint sind universitäre, aber auch außeruniversitäre Angebote, die auf das neu angelegte Anforderungsprofil des Ingenieurs und der Ingenieurin abzielen. Geeignete Fortbildungsmaßnahmen sind Fremdsprachenkurse, Rhetorikseminare und Persönlichkeitstraining, aber auch der Erwerb bzw. die Erweiterung von Wirtschafts- und EDV-Kenntnissen. Einschlägige Auslandserfahrung verbessert in jedem Fall die Ausgangsposition der Absolventinnen.
Frauen sollten bereits während des Studiums vorhandene Netzwerke, die sich für die Interessen von Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen einsetzen, kontaktieren und in ihnen aktiv werden. So können – was bei Männern schon seit Jahrzehnten gang und gäbe ist – Netzwerke aufgebaut sowie studiums- und berufsrelevante Informationen abgefragt werden. Meist werden direkt Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten oder doch zumindest vermittelt. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist, dass durch das Aktivwerden in Frauennetzwerken das Gefühl der Vereinzelung, das in einem von Männern dominierten Studiengang nicht selten ist, aufgehoben wird. Dort finden sich Frauen, die von ähnlichen Interessen geleitet werden und Ingenieurinnen, die durch ihren Erfolg und ihre Berufszufriedenheit eine wichtige Vorbildfunktion ausüben. Interessenverbünde von Ingenieurinnen finden sich in den über 30 Arbeitskreisen der VDI Frauen im Ingenieurberuf bundesweit, im Deutschen Ingenieurinnen-Bund (dib) oder im Bündnis „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“.
Letztendlich geht es bei allen Tipps darum, selbstbewusst den eigenen Marktwert einschätzen zu können.
Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf
Seit dieses Thema auch von Männern entdeckt wurde, spricht man in Unternehmen und in der Politik auch gerne von der „Work-Life-Balance“. Dabei geht es, neben der klassischen Diskussion um Kindererziehungszeiten inzwischen auch um den Freizeitwert als Erholungsfaktor für Fach- und Führungskräfte, um diese für das Unternehmen möglichst lange gesund, kreativ und fit zu halten.
Der Wunsch nach einer Teilzeitbeschäftigung ist aber immer noch bei Frauen wesentlich stärker vorhanden, als bei den männlichen Kollegen.
Einige große Unternehmen versuchen, die fachlichen Fähigkeiten und die Integration ins Unternehmen durch Programme betriebsbezogener Weiterbildungsmöglichkeiten während der Familienphase zu erhalten und damit auch den stufenweisen Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit zu erleichtern.
Fazit
Technik interessierte Frauen sollten ihre Berufswahl vor allem nach ihrem Technikinteresse richten. Allerdings lohnt es sich, frühzeitig mögliche Schwierigkeiten zu kennen und Strategien dagegen zu entwickeln. Je mehr Frauen sich für den hoch qualifizierten, vielschichtigen Ingenieurberuf entscheiden, desto eher wird die Anerkennung weiblicher Kompetenz in technischen Bereichen zur Selbstverständlichkeit.
Zur Lösung unserer Zukunftsprobleme werden mehr Menschen in Technik und Naturwissenschaften gebraucht, die ihre verschiedenen Sichtweisen in die Problemlösung einfließen lassen können. Das ist eine Herausforderung, der sich Frauen wie Männer stellen können. Doch eine Garantie für gute Startchancen in den Beruf gibt es – wie in jedem anderen Erwerbsbereich – nicht.
//im unterlegten Feld: Informationen über den Beruf Ingenieurin finden Sie im Internet z.B. unter folgenden Adressen:
www.be-ing.de
Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
www.think-ing.de
Kampagne des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und verschiedenen Industrie- und Fachverbänden
www.frauen-technik-impulse.de
Website des Vereins „Frauen geben Technik neue Impulse e.V.“
www.vdi.de/fib
Frauen im Ingenieurberuf, Verein Deutscher Ingenieure
www.dibev.de
Deutscher Ingenieurinnenbund e.V.
www.uni-koblenz.de/~alp/
„Ada-Lovelace-Projekt“ – Mentorinnen-Netzwerk für Frauen in Technik und Naturwissenschaft
//