„Problemkindern“ - Moderne
Medien?
Die Vielzahl an Beiträgen in der letzten Zeit zeigen, dass die „Problemkinder“
offenbar unser Problem geworden sind. Schon der Ausdruck „Problemkinder“ zeigt
die Hilflosigkeit, mit der wir meist an die Sache herangehen (müssen?).
„Wer anderen Probleme macht, hat meist welche…“ ein geflügeltes
Wort, das bei näherem Hinsehen das Dilemma offenbart. Haben wir (Erzieher) ein
Problem, oder sind wir längst Teil oder gar Ursache?
Es lässt sich trefflich theoretisieren, Ursachen Forschung
betreiben, warum sie denn gar so wenig das tun wollen, was wir gerne von
unseren „Kids“ hätten.
Beinahe jedes Seminar, jede Weiterbildung analysiert, warum die Kinder
so geworden sind, obwohl ein Blick in ihre oft erschreckenden Biographien alles
in Sekundenschnelle klären würde.
Jeder von uns, der mit Angst, Trennung, Gewalt, Armut,
Fremdenfeindlichkeit u.v.a.m. zu tun hätte, würde nicht viel anders reagieren.
Da sind unzählige akademische Literaturhinweise zwar eine
Erklärung, sie helfen leider meist keinen Deut weiter. Am nächsten
Morgen in der Klasse, wie so oft dieselben Auseinandersetzungen, derselbe
Frust.
Theoretiker schreiben mit hochtrabenden Ratschlägen („auch Ratschläge
sind Schläge“) ganze Bibliotheken voll, in der konkreten Tagesarbeit sieht man
sie halt nur in den allerseltensten Fällen. Wenn sie kommen, dann sehen sie
bald auch ein, dass Schreiben darüber die eine Sache ist, handeln und bestehen
können eine ganz andere Sache.
„Pädagogische Nebel“ (O-Ton, Dr. V.Ledl) wabern durch die
Schullandschaft oder gipfeln in Forderungen „Haltet die Probleme von der Schule
fern“, obwohl man genau weiß, dass es natürlich nie der Fall sein wird,
sondern, ganz im Gegenteil, wir werden immer mehr damit zu tun kommen. Lawinen
haben leider nicht die Gewohnheit, in der Mitte des Hanges stehen zu bleiben…
Wie oft wurden wir schon aufgefordert, „Widerstand zu leisten“!
Gegen wen eigentlich?
Wenn wir vielleicht selbst ein Teil des Problems sind (als Erzieher,
Lehrer, als Vater, Mutter usw.) Widerstand gegen uns selbst???
Oder ist der sozialromantische Widerstand gemeint, gegen „die da oben“?
Widerstand gegen den Bezirksschulrat, gegen den Landesschulrat, das
BMUKK oder gleich gegen den Kanzler, weil sie nicht mit einem Knopfdruck die
Verhaltensproblematik der Jugendlichen lösen?
Man kann die Überfrachtung mit Problemen, die mit der ursprünglichen
Rollenfunktion zu tun haben beklagen, deswegen muss mir am nächsten Tag auch
etwas einfallen, wie ich mit diesen Kindern umzugehen gedenke.
Aus dem berühmten Zielparagraphen der öst. Schule geht sehr eindeutig
auch der Erziehungsauftrag hervor, der sich ohnedies niemals vom Unterrichten
trennen lassen wird.
„Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung
der Anlagen der Jugend nach sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie
nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklung und
ihrem Bildungsgang entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend
mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können
auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.“
Dass die Schule immer mehr Aufgaben übernehmen soll, ist bekannt. Tut
sie das wirklich? Die Wirklichkeit zeigt doch deutlich, dass immer mehr den
Kürzungen zum Opfer fällt und nicht mehr gemacht werden kann. Dass immer mehr
SchülerInnen sich unseren Erläuterungen durch schlichtes Schuleschwänzen
entziehen, ist für uns, die wir mit ihnen in diesen belasteten Sozialfeldern
arbeiten. auch nichts Neues. Der Ruf nach mehr Härte und Durchgriffsmöglichkeiten
hat bis dato ja auch noch kaum Erfolge gezeitigt, selbst wenn man - wie
angeblich in Bayern - die Schüler von der Polizei einsammeln lässt.
Von den wenigen Möglichkeiten, konkret in der Sache etwas zu bewirken,
ist der Blick auf die Lebenswelten dieser Kinder.
Der Blick richtet sich vornehmlich auf desolate Elternhäuser, wo meist
Gewalt und offener Frust alle beherrschen. Fehlende Zuneigung und all die
Mankos, die uns Sozialpsychologen so oft zu schildern wissen.
Jetzt können wir das alles noch so bedauern, beschwören, es lassen sich
hier kaum Korrekturen erreichen, denn daneben sind die meisten Kinder (übrigens
auch Erwachsene) längst in die medialen Welten abgetaucht.
Das was dort funktioniert, wenn sonst nichts mehr funktioniert, ist der
Fernseher, das Videogerät, die Spielkonsole, der Computer und natürlich das
Handy, jedenfalls alles was eine rückwärtsgewandte Medienpädagogik
als den „Gott sei bei uns“ der Erziehung ausmacht. Der „Knopf zum
Abdrehen“ als der Kernpunkt der Mediensozialisation, die in diesen Bereichen
zur Gesamtsozialisation wurde, funktioniert nicht mehr.
Da nützt kein „Kopf in den Sand stecken“ im
Stil „haltet die Probleme von der Schule fern“ noch keine Schuldzuweisung. An
allem ist das Fernsehen schuld oder neuerdings die Computerspiele, die
Erfurter, Emsdettener Katastrophen und Blackburg Katastrophen verursacht haben.
Anstatt wieder einmal alles zu verdammen und abermals künstliche
Gegensätze zu schaffen zwischen Erziehern und zu Erziehenden, wäre es höchst an
der Zeit, einmal eine Pädagogik zu kreieren, die von diesen Medien ausgeht.
Damit ist nicht gemeint, den „Teufel mit dem Beelzebub austreiben“
sondern eine klare Sichtweise auf die Lebenswelten der Kinder.
Besonders Kinder aus sozial oft schwierigen Verhältnissen haben einen
enormen Medienkonsum, bei dem sie leider oft ganz allein sind, den sie
allein meist verarbeiten können und der ihnen von einer Erwachsenenwelt
ungeniert serviert wird.
So bewegt sich die durchschnittliche Dauer des täglichen TV Konsums bei
ca. 3 bis 4 Stunden pro Tag. Ein durchschnittliches Kind verbringt ca.
9000 Std. während der Pflichtschulzeit in der Schule und ca. 16.000 Stunden vor
dem TV Gerät. Die Frage, wer der wirkliche Erzieher geworden ist,
erübrigt sich damit. Internetkonsum, Handybedienung, Radiohören etc. sind hier
nicht eingerechnet.
Die Welt unserer Kinder ist eine Medienwelt geworden, eine Tatsache, die
aber von der Schule in den meisten Fällen ignoriert wird. Hier eine oft auf dem
letzten Stand gebrachte Hi Tech Anlage zuhause, die alle Stücke spielt, selbst
wenn das Familienbudget das gar nicht zulassen würde, in der Schule eine oft
mühsam zusammengebettelte Ausstattung von einigen antiquierten Geräten in der
Klasse. Was Skypen oder ein Ipod ist, ist vielen LehrerInnen fremd, geschweige
denn, dass man dies in den Unterricht einbinden könnte.
Elearning wäre also gerade bei diesen Problemkindern ein Gebot der
Stunde. Und wer hier den Artikel endgültig (voller Empörung) zur Seite legt,
den lade ich gerne an unsere Schule ein. www.asolangenstein.eduhi.at –
virtuell oder auch in reality, wo Kinder und Jugendliche aus schwierigsten
Verhältnissen mit diesen modernen Medien den Weg zurück zu finden, mit großer
Begeisterung und hoher Motivation.
Immer mehr lichten sich auch die Nebel dafür:
Ø
Internet
und Computer bedienen können ist eine hohe Fertigkeit, die das Selbstbewußtsein
hebt, zumal viele andere, oft auch LehrerInnen nicht oder zumindest nicht so
gut können.
Ø
Interaktiv
lernen, heißt kommunikativ lernen, wo eine gute Software mit unendlicher Geduld
auf den einzelnen eingeht und immer wieder neue Hilfen bringt.
Ø
Unterschiedlichste
Zugangsweisen, ausgehend von den Lebenswelten der Kinder bringen gute Programme
Musik, Sprache, Tastsinn ins Spiel.
Ø
Das oft
bis zum Überdruß geforderte spielerische Lernen ist tagtägliche Wirklichkeit.
Ø
Immer
bessere Hard- und Software ermöglicht Lernerfolge, die dem herkömmlichen Lernen
um Welten voraus sind.
Ø
Es gibt
eine Fülle an Lernprogrammen, die Kinder meist mit Begeisterung akzeptieren,
die aber in den wenigsten Fällen eingesetzt werden. Gute Lernsoftware stellt
sich inzwischen längst auf den einzelne Schüler ein und verhindert damit Über-
bzw. Unterforderung, was ja oft ein Grund ist, das Kinder verhaltensauffällig
werden.
Ø
Der größte
Vorwurf der sozialen Isolierung zerfällt ins Nichts, wenn man sieht, wie
Jugendliche am Computer kommunizieren oder wie „SMS“ den Durchbruch nur über
die Jugendszene gefunden hat.
Ø
Eigene
Sprachen zeigen sehr wohl den Wunsch nach Kontakten untereinander und die hohe
Fertigkeit im Entwickeln neuer Zugänge, es muss ja nicht gleich www.secondlife.com sein…
Ø
So gibt es
eine Fülle von zu entdeckenden Features im Netz und man fragt sich, warum die
Schule so zaghaft oder oft gar nicht herangeht.
Ø
Wikipedia,
ein Lexikon von Internetusern für Internetuser ist das größte Lexikon seit es
Menschen gibt. Wäre es nicht eine Momentanaufgabe, das mit den Kindern zu
nützen. Ihnen zu zeigen, wie man damit umgeht.
Ø
Den
Kindern das Lernen zurückgeben, die Kinder müssen das Netz selbst entdecken,
trial and error, konstruktivistisches Lernen, kritischer Umgang mit den Medien
als Gebot der Stunde.
Ø
Podcasting
als neue Möglichkeit zum Sender zu werden, sich selbst artikulieren. www.podcast.de
Ø
Eine Fülle
an Lernplattformen erscheint gerade am Markt, und wird neue Perspektiven
eröffnen. Eine virtuelle Hauptschule für Schulverweigerer, Schulabbrecher wäre
damit möglich und ist als HS 2.0 bereits angedacht.
Ø
Vollkommen
neue Formen der Kommunikation entstehen, wenn Videos als Botschaften gesendet
werden www.youtube.com oder Bilder in
Sekundenschnelle Sachverhalte klären www.flickr.com
oder riesige Netze Jugendlicher wie etwa www.myspace.com
entstehen.
Wenn man Kinder und
Jugendliche dann beobachten kann, wie sie mit höchster Motivation und
Begeisterung elearning betreiben, ist man sehr schnell überzeugt, dass es
gerade für schwierige Kinder ein Weg ist, der vielleicht noch von wenigen
gegangen wird, der leider meist auch gleich die „Bedenkenträger“ auf den Plan
ruft, aber der höchst erfolgreich ist.
Es geht nicht darum,
möglichst viele (theoretische) Rezepte zu kennen, die leider oft kläglich an
der Wirklichkeit scheitern, sondern man sollte es mit Hippokrates halten: „Wer
heilt, hat recht“
SD Erich Pammer, MAS, MSC
Leiter der
Allgemeinen Sonderschule Langenstein
und des Päd. Zentrum Perg, OÖ