Informatik-Frauen

Britta Schinzel und Christine Zimmer

Auf dem Spielplan steht das Stück „Entwicklung der Informatik“ - eine Geschichte, deren Hauptrollen scheinbar nur an Männer, an „große Männer“, vergeben wurden: Charles Babbage, Alan Turing, Konrad Zuse, Noam Chomsky, Donald Knuth und viele andere formieren sich zu einer klangvollen Liste. Wenn Frauen in diesem Stück überhaupt vorkommen, werden sie meist auf die Neben- oder gar Statistinnenrollen verwiesen. Welche Rollen die Frauen tatsächlich eingenommen haben, wie sie die Geschichte der Informatik bevölkert und gestaltet haben, dafür soll hier ein erster Einstieg geboten werden.

Will man mehr über die informatischen Denkerinnen erfahren, so muß man schon etwas genauer hinsehen: Beispielsweise sind im aktuellen, 1995 erschienen Buch “Computer Pioneers” der IEEE Computing Society (Lee 1995) unter 240 Pionieren der Computergeschichte gerade einmal ein Dutzend Frauen erwähnt. Die allgemein geringe Präsenz von Frauen in den Lexika der Informatik läßt jedoch noch wenig Rückschlüsse über ihren tatsächlichen Anteil an der Entwicklung der Informatik zu. Frauen wie Gräfin Ada Lovelace, Edith Clarke, Rózsa Péter, Thelma Estrin, Grace Murray Hopper, Adele Goldberg, Jean Sammet, Dana Angluin, Dorothy Denning oder Nancy Lynch - um nur einige Namen zu nennen - müssen in ihrer  wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung neu eingeschätzt - und vor allem wahrgenommen werden. Im folgenden werden einige dieser Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart näher vorgestellt, außerdem wird in einem kurzen Rückblick die Position von Frauen in der Computer-Programmierung der 40er und frühen 50er Jahre beleuchtet.12

Ada Gräfin Lovelace (1815-1852) - die Ahnfrau der Informatik

Gräfin Ada Lovelace, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte, stieß zu dieser Zeit auf höchst widrige Bedingungen, was die Verwirklichung ihrer mathematischen bzw. frühen informatischen Ambitionen anging. Denn Frauen in der Wissenschaft konnten im Denken der frühbürgerlichen Zeitgenossen nur als eine ‘Entartung’ der Natur gewertet werden. Der Weg in Universitäten und Bibliotheken war für Frauen vollständig verschlossen. In dieser von den Männern hermetisch verriegelten Welt zu irgendwelchen akademischen Ehrungen oder Ämtern - und damit zu einer Wirksamkeit in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit - zu gelangen, war unmöglich. Andererseits war der Wissenschaftsbetrieb in dieser historischen Phase seiner ‘Selbstfindung’ noch so wenig formalisiert, daß auch noch andere, informelle Wege des Einstiegs in die Wissenschaft offenblieben: Als wissenschaftliche Ausbildung galt auch die private Lehre bei einem älteren Wissenschaftler - eine Möglichkeit, von der Frauen vergleichsweise oft Gebrauch machten.

Das Leben von Augusta Ada Byron King, Gräfin Lovelace, ihr Ringen um intellektuellen Aktionsraum, war deutlich von den gegebenen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen geprägt. Augusta Ada Byron kam am 10. Dezember 1815 als Tochter von Lady Byron und dem Dichter Lord Byron zur Welt. Nach der frühen Trennung der Eltern - diese erfolgte zwei Monate nach ihrer Geburt - wuchs sie zurückgezogen unter der Obhut ihrer Mutter auf. Ada wurde wie üblich in adligen Familien von einem privaten Hauslehrer unterrichtet - daß zu ihrem Repertoire auch die Fächer Mathematik und Astronomie gehörten, ist allerdings ungewöhnlich. Ihr Hauslehrer William Fend, ein ehemaliger Cambridge-Professor, blieb auch in späteren Jahren für sie ein wichtiger Mentor und Vertrauter.

Die zweite wichtige Persönlichkeit in Adas Leben, die ihr mathematisches Talent erkannte und förderte, war die junge Mathematikerin Mary Sommerville. Die beiden Frauen lernten sich Anfang der 30er Jahre in London kennen. Sommerville wurde einerseits zum wichtigen Vorbild für die achtzehnjährige Ada, verschaffte ihr andererseits den begehrten Zugang zu den wissenschaftlichen Zirkeln und den „scientific people“ in London. 1833 traf sie bei einer dieser gesellschaftlichen Veranstaltungen auf Charles Babbage, der als “eine der Hauptfiguren dieser ’Szene’” galt (Hoffmann 1987: 44). Ada verfolgte mit großem Interesse die Projekte von Babbage, sie suchte den Kontakt zu ihm. Vor allem mit seinem Konzept und Modell der difference engine, einer mechanischen Rechenmaschine, setzte sie sich in den folgenden zwei Jahren intensiv auseinander.

Eine große Veränderung für Ada brachte 1835 ihre Heirat mit Lord King, dem späteren Earl of Lovelace. Die Zeit für ihre mathematischen Studien und die Kontaktpflege mit den wissenschaftlichen Kreisen wurde nun zur äußerst knappen Ressource: Sie hatte die Betreuung mehrerer Wohnsitze zu übernehmen, sie brachte in vier Jahren drei Kinder zur Welt und nach der Geburt ihrer Tochter erkrankte sie sehr schwer. Nach Aussagen ihrer Umgebung geriet sie in eine kaum lösbare Spannung zwischen ihren wissenschaftlichen Ambitionen und den durch ihre gesellschaftliche Position an sie herangetragenen Verpflichtungen, denen sie nur ‘ungenügend’ nachkam. Obwohl es Lovelace gelang, den Kontakt zu Charles Babbage einigermaßen aufrechtzuerhalten, litt sie sehr unter dem Verlust eines direkten wissenschaftlichen Austausches. William Fend war mittlerweile nicht mehr in der Lage, sie noch weiter zu unterrichten. Schließlich nahm sie 1840 eine ausgedehnte ‘mathematische’ Korrespondenz mit Fends Schwiegersohn Augustus de Morgan auf, der Professor für Mathematik an der Londoner Universität war. Dieser beurteilte ihre mathematischen Leistungen als außergewöhnlich gut. Daß er diese Tatsache ihr selbst verschwieg, geschah nach seinen eigenen Aussagen aus Angst um ihre schwache Gesundheit.

1842 übersetzte Ada Gräfin Lovelace den Bericht eines italienischen Militäringenieurs über die analytical engine ins Englische. Die analytical engine war das Nachfolgeprojekt von Babbages difference engine und sollte eine vielfältig einsetzbare, rudimentär programmierbare Rechenmaschine werden - der erste Computer. Ein Nachbau bewies erst vor wenigen Jahren die prinzipielle Funktionsfähigkeit der analytical engine, die allerdings zu Lebzeiten von Babbage und Lovelace nie realisiert wurde. Ursachen hierfür werden in den begrenzten Möglichkeiten der Feinmechanik des 19. Jahrhunderts gesehen. Zudem fehlte dem Projekt ganz simpel die finanzielle Unterstützung.

Ada schickte ihre Übersetzung an Babbage, der ihr dazu riet, diesen Bericht mit ihren eigenen Anmerkungen zu vervollständigen. Ihr Briefwechsel mit Babbage und ihre Anmerkungen zu der Übersetzung handeln von den verschiedenen Möglichkeiten der Programmierung der analytical engine. Lovelaces Kommentar ist schließlich dreimal so lang wie der ursprüngliche Bericht. Babbage sah in beidem zusammen eine umfassende Dokumentation der Möglichkeiten seines Modells. Die Arbeit wurde unter den Initialen A.A.L. veröffentlicht und stieß auf Anerkennung in der Fachwelt, die der Autorin allerdings weitgehend verborgen blieb. Nach dieser Episode lehnte Babbage eine weitere Zusammenarbeit mit ihr ab.

Ada Lovelaces nie ermüdende Versuche, in den folgenden Jahren wissenschaftlich Fuß zu fassen, blieben erfolglos. Sie betätigte sich als Übersetzerin wissenschaftlicher Artikel. Der Schwerpunkt ihres naturwissenschaftlichen Interesses verlagerte sich auf die Elektrizität. Ihr Angebot an Michael Faraday, an der Erforschung der Elektrizität mitzuarbeiten, wurde von diesem abgelehnt. Auch der Versuch einer Karriere als Musikerin scheiterte. Sie verschuldete sich zusehends und litt unter einer zunehmend schlechten Gesundheit. Im Alter von nur 36 Jahren starb Ada Lovelace in London.

Gegen Ende der 50er Jahre unseres Jahrhunderts wurde Ada Gräfin Lovelace wiederentdeckt. Spannend an dieser Wiederentdeckung bleibt das bis in die Gegenwart andauernde Oszillieren zwischen zwei Portraits, zwei Bildern von Ada: Den einen gilt sie ausschließlich als Übersetzerin und Vermittlerin von Charles Babbage, den anderen als „erste Programmiererin“.

Das Bild der Vermittlerin und Assistentin, die durch ihre Beschreibungen und Erläuterungen von Babbages Gedanken zur Beförderung seines Werkes beitrug, war zunächst das dominante. Es entspricht der überhaupt nur denkbaren komplementären und rezeptiven Rolle, die man gemäß dem ‘klassischen’ Geschlechterbild einer Frau im Wissenschaftsprozeß des 19. Jahrhunderts zubilligte. Daß man überhaupt auf sie aufmerksam geworden war, entsprang dem wachsenden Interesse für die konzeptionellen Wurzeln der Computertechnik, das sich unweigerlich mit Charles Babbage beschäftigte.

Das Motiv der „ersten Programmiererin“, das 1968 zum erstenmal auftauchte, spiegelt ebenfalls ein wissenschaftsgeschichtliches Erkenntnisinteresse wieder: Die Teildisziplin der Softwareentwicklung und Programmierung suchte sich durch ihre eigene Geschichte von der Hardwareentwicklung zu profilieren. Ada Lovelace wird nun, initiiert durch dieses neue Zentrum der wissenschaftsgeschichtlichen Tatsachenbildung, zur ‘Ahnfrau’ der Softwareentwicklung. Man feierte sie als Entdeckerin von Konzepten wie der „Schleife“, der „Subroutine“ und des „bedingten Sprungs“. Mitte der 70er Jahre benannte das amerikanische Verteidigungsministerium ihr zu Ehren eine neu entwickelte Programmiersprache mit dem Namen ADA und trug damit zur Etablierung von Lovelace als einer - bzw. der ersten - Programmiererin bei.

Die Karriere von Ada Lovelace in der Geschichte der Computerwissenschaften gibt sehr anschaulich Zeugnis von zwei allgemeingültigen Tendenzen: Zum einen sind Fakten nicht immer gleich Tatsachen, sondern sie werden erst in einem mehr oder minder komplexen diskursiven Prozeß zu geschichtlichen Tatsachen gemacht. Das Ergebnis dieses Prozesses sagt meist mindestens genausoviel über die Interessenlage (oder gar ideologischen Tendenzen) der Betrachtenden wie über die Taten der geschichtlichen Akteure aus. Zum anderen unterliegen Frauen in der Wissenschaftsgeschichte einer ganz spezifischen Blickrichtung: der Definition ihrer Person über ihr Geschlecht und ihre Rolle.

Heute kann man Ada Lovelace ohne Zögern als eine Ahnfrau der Informatik betrachten. In ihrem Bericht über die analytical engine und in ihrer Korrespondenz mit Charles Babbage hat sie vor über 150 Jahren heute gängige Einsatzgebiete des Computers visioniert, die damals als pure Spekulation gelten mußten. Ihre Ideen reichten von mathematischen Anwendungen, wie der Primzahlerzeugung und einem Programm zur Berechnung der Bernoulli-Zahlen, bis hin zu Fragen, die wir gegenwärtig dem Gebiet der KI-Forschung zurechnen. Ihre Vorstellungskraft reichte außergewöhnlich weit: Sie hielt die analytical engine potentiell dafür geeignet, eines Tages Grafiken zu erzeugen und selber Musikstücke zu komponieren - für uns nichts Ungewohntes mehr. (Freemann 1996)

Rózsa Péter (1905-1977) und die Theorie rekursiver Funktionen

Die am 17.2.1905 geborene Ungarin Rózsa Péter studierte an der Loránd-Eötvös-Universität Budapest. Ihr Fach war zunächst die Chemie, aber angeregt durch Vorlesungen des Mathematikers Lipót Fejér wechselte sie dann zur Mathematik. 1927 graduierte sie und war damit ausgebildete Lehrerin für Mathematik und Physik. Aufgrund der Stellenknappheit in diesem Bereich war sie gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt als Tutorin zu verdienen.

Ihr mathematisches Interesse lag damals im Bereich der Zahlentheorie. Enttäuscht darüber, daß einige von ihr gefundenen Theoreme sich als Wiederentdeckungen bereits vorhandener Ergebnisse erwiesen, wandte sie sich für einige Zeit von der Mathematik ab - und der Dichtung, einer weiteren ihrer Begabungen, zu. Anfang der 30er Jahre kehrte sie wieder zur Mathematik zurück. Durch László Kalmár, einem Freund aus Studienzeiten, stieß sie auf Gödels Arbeiten über Unvollständigkeit. Sie entwickelte ein von Gödel unabhängiges Beweisverfahren für die Richtigkeit seiner Behauptungen, gewann damit auch wieder Vertrauen in die eigene Profession als Mathematikerin.

1932 wurde ihr erster Aufsatz zum Bereich der rekursiven Funktionen auf dem International Congress of Mathematicans in Zürich vorgestellt, noch unter dem Namen Politzer. Wenig später nahm sie den ungarischeren Namen Péter an, unter dem alle ihre weiteren Arbeiten erschienen sind. 1937 wurde sie Mitherausgeberin des Journal of Symbolic Logic. 1945 erreichte Péter eine feste Anstellung als Fakultätsmitglied am Budapest Teachers Training College. Ihr Buch Rekursive Funktionen, in dem sie den damaligen Kenntnisstand zu diesem Bereich mit ihren eigenen Arbeiten zusammenführte, erschien 1951.

Péter war 1952 die erste Frau Ungarns, die den Doktortitel der Mathematik erhielt. Ihre Arbeit wurde in ihrem Heimatland mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. 1955 erhielt sie eine Professur an der Loránd-Eötvös-Universität, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 1975 blieb. Mitte der 50er Jahre befaßte sie sich erstmals mit der Anwendung der Theorie rekursiver Funktionen in der Informatik. Daneben arbeitete sie an Lehrbüchern für den mathematischen Schulunterricht und schrieb Playing with Infinity, eine populäre Heranführung an die höhere Mathematik. 1973 wurde sie als erste Mathematikerin korrespondierendes Mitglied der ungarischen Akademie der Wissenschaften. Schließlich erschien 1976 ihr letztes Buch, das die Anwendung rekursiver Funktionen in der Informatik zum Thema hatte. Rózsa Péter starb am 16.2.1977.

Péters Arbeiten zu den primitiv-rekursiven Funktionen, die heute ein Teilgebiet der theoretischen Informatik sind, waren grundlegend. Der Begriff „primitiv-rekursiv” wurde von ihr 1934 geprägt, als sie sich mit Kurt Gödels Arbeiten über Berechenbarkeit beschäftigte. Rózsa Péter erkannte, daß primitiv-rekursive Funktionen weit mehr als nur ein Hilfsmittel beim Beweisen sein könnten: Sie sah darin ein eigenständiges Gebiet der Mathematik, das der Effizienz und Ausführbarkeit von Berechnungen (später Komplexitätstheorie) nahekommt. Von 1932 bis 1936 veröffentlichte sie mehrere Aufsätze zu diesem Themenfeld, mit denen sie die Grundsteine für die mathematische Theorie primitiv-rekursiver Funktionen legte. Péter blieb den primitiv-rekursiven Funktionen auch weiterhin treu: 1951 erschien das bereits erwähnte Buch Rekursive Funktionen, das sich als erstes Buch exklusiv mit diesem Thema befaßte. Es enthält ein Kompendium arithmetischer Funktionen und ihrer Zusammenhänge in den verschiedensten Darstellungen.

Seit Mitte der 50er Jahre untersuchte Péter die Bedeutung der Theorie rekursiver Funktionen für die Informatik. Aufgrund ihrer praktisch kombinatorischen Fähigkeiten und ihrer Praxis in der Behandlung arithmetischer Funktionen erkannte sie bereits zu dieser Zeit, daß die Gesamtheit der partiell rekursiven Funktionen IP die praktisch ausführbaren Algorithmen bei weitem überschreitet. Von dieser Position aus griff sie die Church These an, in der die prinzipielle Berechenbarkeit mit IP identifiziert wird. Ihr erschien IP als zu groß, die Klasse der von Gödel gefundenen primitiv rekursiven Funktionen eher angemessen. Die später entwickelte Komplexitätstheorie, die die praktisch ausführbaren Funktionen mit den (primitv-rekursiven) Polynomzeitfunktionen identifiziert, gibt ihr nachträglich Recht. In der Tat können wir diese Leistung Rósza Péters als Zwischenstufe in der Entwicklung der Komplexitätstheorie von Gödels Unvollständigkeitsresultaten und Turings Nichtentscheidbarkeit des Halteproblems zur heutigen Polynomzeitkomplexität betrachten. Ihr letztes Buch wurde 1976 veröffentlicht, auch dieses wieder zum Bereich rekursiver Funktionen: Recursive Functions in Computer Theory.

Trotz ihrer umfangreichen und bahnbrechenden Arbeiten hatte Péter innerhalb der Disziplin der theoretischen Informatik nur wenig Echo gefunden. Genauer gesagt wurde sie in der englischsprachigen Fachwelt kaum rezipiert. Eine englische Übersetzung ihres ersten Buches erschien erst 1967, 16 Jahre nach der Erstveröffentlichung: “[T]he English speaking world did not read her book but read, instead, Kleene’s book of 1952.” (W. Fletscher nach MacTutor 1996b). Der hier erwähnte Stephen Kleene ist dann auch derjenige, der in den Lehrbüchern der theoretischen Informatik als Referenz für die Theorie rekursiver Funktionen geführt wird. Sein Buch zum Thema erschien 1952 in den USA. Er allerdings bezeichnete im selben Jahr Rózsa Péter 1952 im Bulletin of the American Mathematical Society als “the leading contributor to the special theory of recursive functions.” (nach Morris and Harkleroad 1990).

Letztlich ist es auch heute noch eine offene Frage, wie der Tatbestand der sehr begrenzten Wahrnehmung dieser Wissenschaftlerin zu erklären ist. Sehen wir von der Möglichkeit des reinen Zufalls ab, könnte es sich um den national differierenden und konkurrierenden Entwicklungsweg einer Disziplin handeln, deren Vertreter sich zudem schwer taten, Frauen als Gleichgestellte in einer scheinbar extremen Männerdomäne zu akzeptieren. Oder aber Rózsa Péter war - wie manche Autoren heute vermuten - ein Opfer des kalten Krieges, hochgeehrt in Ungarn3, aber weitgehend ignoriert im “westlichen Ausland”. (Morris and Harkleroad 1990; MacTutor 1996b) Bleibt zu bemerken, daß ganz unabhängig von solchen Überlegungen ihre fachlichen Leistungen so bedeutend sind, daß Péter zumindest posthum die ihr gebührende Wertschätzung finden sollte.

Computing:
eine weibliche Tradition

Für einige Leser und Leserinnen mag es fast schon provozierend klingen, aber die erste Phase der Computerprogrammierung lag zum überwiegenden Teil in den Händen von Frauen. Dieser Satz bedarf einiger Erläuterungen.

Die ersten ‘echten’ Computer wurden in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts konzipiert und gebaut, also hundert Jahre nach den hochfliegenden Plänen von Babbage und Lovelace. Den größten Bedarf daran hatte damals das Militär: Die Berechnung der Flugbahnen von Geschossen, die bis dahin von Hand geleistet werden mußte, sollte dringend beschleunigt werden, ebenso die Entschlüsselung gegnerischer Funkcodes. Abgespielt hat sich diese Frühgeschichte nicht auf einer breiten Basis, sondern in Form einiger weniger universitärer und militärischer Forschungsprojekte. Obwohl Frauen in dieser Phase nur selten auf verantwortlichen Positionen zu finden sind, ergibt eine genauere Spurensuche, daß sie in großer Zahl in allen diesen Projekten präsent waren. (Hoffmann 1987: 80)

Die Arbeit des Programmierens in dieser Phase ist scharf zu trennen von dem heutigen Berufsbild des ‘Programmierers’, das sich erst in den 50er Jahren mit der Weiterentwicklung der Computertechnologie zu neuen (zunächst verwaltungstechnischen) Aufgabengebieten und einem vergrößerten Produktionsumfang herausbildete.4 ‘Programmieren’ der ersten Stunde ist ein Sammelbegriff für die Vielzahl verschiedener Arbeitsschritte (in tayloristischer Arbeitsteilung) in der Entwicklung und Umsetzung von Programmen für meist militärische Anwendungen. Subsumiert werden können darunter der eigentliche „Programmentwurf“ (Spezifizierung des zu lösenden Problems und das Finden des geeigneten Algorithmus), das „Codieren“ (Übersetzung des Programms in den jeweiligen Maschinen-Code des Rechners oder eine Programmiersprache) und die tatsächliche Umsetzung des Programmes in die Maschinensprache an der laufenden Rechenmaschine. Denn die ersten elektronischen Computer, wie z. B. die amerikanische ENIAC oder die britische COLOSSUS, waren raumfüllende Giganten aus vielen tausend Vakuumröhren und Schaltern. Programmieren hieß auf dieser letztgenannten Ebene, sämtliche Schalter entsprechend dem zuvor entworfenen Programm manuell auf „on“ oder „off“ zu stellen - eine heute kaum noch vorstellbare, mühselige Arbeit.

Die Entwicklung der Hardware der ersten Rechner war eindeutig männlich dominiert, hier tummelten sich Physiker und Ingenieure der Elektrotechnik - Sparten, zu denen Frauen kaum Zugang fanden. In allen anderen Bereichen, die sich an die Konzeption der Hardware anschlossen, gab es sehr viele Frauen, auf der ‘untersten’ Ebene der „Maschinen-Operatoren“ sind fast nur noch Frauen zu finden. Dies hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen hatten die Kriegsjahre zu einer Verknappung der männlichen Arbeitskräfte und deshalb zu einem Nachrücken von Frauen auch in stärker qualifizierte Tätigkeiten geführt. Zum anderen schloß sich diese Arbeit an das weibliche Berufsbild des „Computer“ an. Als Computer bezeichnete man vor den elektronischen Rechnern Menschen, die von Hand bzw. mit Hilfe mechanischer Rechenmaschinen komplexe Rechenoperationen im Militärbereich oder in der Astronomie durchführten. „Computing“ hatte als typische Frauenarbeit schon seit Ende des 19. Jahrhunderts Tradition. Zwar blieb diese Tätigkeit mit dem Stigma einer untergeordneten und unsichtbaren Funktion behaftet, stellte aber dennoch eine der seltenen Nischen zur qualifizierten Arbeit für Frauen im naturwissenschaftlichen Bereich dar.5 „Computer“ arbeiteten bspw. im Ballistischen Forschungslaboratorium der US-amerikanischen Armee in Aberdeen, das in Zusammenarbeit mit der Moore School of Electrical Engineering der Universität Pennsylvania den Rechner ENIAC baute. Aus ihren Reihen rekrutierten sich die „ENIAC-Girls“ (das feste Team zur Bedienung des Großrechners), ein Vorgang, der beispielhaft für die Einbeziehung von Frauen in das Feld der frühen Computerarbeit ist.

Die ENIAC-Girls waren keine Ausnahmeerscheinung: Die Mathematikerin Adele Goldstine, die Frau des Leiters des Ballistischen Forschungslaboratorium in Aberdeen, war seit 1943 Mitglied des 14-köpfigen Entwicklungsteams von ENIAC. Sie schrieb 1946 das Demonstrationsprogramm, mit dem ENIAC zum erstenmal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, außerdem stammte aus ihrer Feder das technische Handbuch zur ENIAC. Das Bedienungspersonal der britischen COLOSSUS wurde aus Kriegsfreiwilligen des “Women’s Royal Naval Service” zusammengestellt.6 Die berühmte Grace Murray Hopper (1906-1992), die in den 50er Jahren für die UNIVAC eines der ersten Compiler-Programme erarbeitete und später die Programmiersprache COBOL entwickelte, begann ihre Karriere 1944 als “Coder” für den Rechner Mark I der Harvard-University. Die amerikanische Ingenieurin Thelma Estrin trug maßgeblich zur Entwicklung des israelischen WEIZAC-Rechners bei, der 1955 fertiggestellt wurde. Jean Bartik entwarf das logische Design für  die UNIVAC und war später an der Erarbeitung der Programmiersprache FORTRAN beteiligt. Frauen arbeiteten weiterhin am Complex Number Computer, am MANIC-Projekt in Los Alamos und an John von Neumans Institute of Advanced Studies. (Hoffmann 1987: 75-103; Gürer 1995; TAP 1997)

Erst in den 50er Jahren verschwanden die Frauen zunehmend aus dem Bereich der Computer-Programmierung und aus dem Bewußtsein der Zeitgenossen als tragende Mitarbeiterinnen einer grundlegenden Entwicklung.

Frauen in der Informatik heute

Nach diesem exemplarischen Rückblick auf die Frauen in der Geschichte der Informatik bleibt noch die Frage nach der Gegenwart der Disziplin. Und auch hier zeigt sich, daß Informatikerinnen vieles leisten. Beispielhaft werden drei dieser derzeit tätigen Frauen mit ihren Arbeiten im folgenden vorgestellt.

Adele Goldberg war, nachdem sie 1973 ihr Studium der Informatik an der University of Chicago abgeschlossen hatte, 14 Jahre lang Mitarbeiterin am Xerox Palo Alto Research Center. Sie war in dieser Zeit vorrangig an der Entwicklung und Fortschreibung der Programmiersprache Smalltalk beteiligt. Das auch heute noch verwendete Smalltalk war eine der ersten objekt-orientierten Sprachen und verhalf dieser Form der Programmierung überhaupt erst zu einer gewissen Popularität.

Ende der 80er Jahre verließ Goldberg das Palo Alto Research Center und gründete die Firma ParcPlace, in der sie von 1988 bis 1991 als Präsidentin und Chief Executive Officer fungierte. ParcPlace gilt als eine der führenden Firmen auf dem Gebiet der kommerziellen Nutzung von Smalltalk. Seit der Mitte der 90er Jahre leitet Goldberg mit Neometron die zweite von ihr gegründete Firma. Hier werden Werkzeuge für das Projektmanagement von netzgestützter Teamarbeit entwickelt. Dieser Bereich des Projektmanagements und Software-Engineerings mit Hilfe objekt-orientierter Technologie bildet den zweiten Schwerpunkt von Goldbergs Arbeit. Eine echte Neuerung stellt die dabei von ihr entwickelte Trainingsumgebung LearningWorks dar: Das auf Smalltalk basierende LearningWorks ordnet als Lernziel das Arbeiten in Teams bei der Gestaltung von Softwaresystemen dem reinen Programmieren vor. Goldberg reagierte damit auf den Zwiespalt zwischen der theoretisch ausgerichteten informatischen Ausbildung, die die Systementwicklung eher vernachlässigt, und der Praxis, deren Schwerpunkt gerade auf der Gestaltung von Softwaresystemen liegt.

Adele Goldberg war und ist Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Gremien. Sie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet; unter anderem gewann sie 1987 den Software Systems Award der ACM und wurde 1990 vom PC Magazine für ihr Lebenswerk geehrt.

Die Computerwissenschaftlerin Dana Angluin, die 1976 ihr Studium an der University of California in Berkeley beendete, arbeitet seit 1979 an der Yale University als Senior Research Scientist auf dem Gebiet der Theorie algorithmischen Lernens. Sie beschäftigt sich also mit der Frage, ob und wie Algorithmen aus Beispielen allgemeine Regeln ableiten können (induktive Inferenz). Wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit ist die Untersuchung von Lernalgorithmen, wie sie etwa in Expertensystemen verwendet werden, mit Mitteln aus der Theoretischen Informatik. Sie konzipierte einen Lernalgorithmus, der auf der Grundlage eines frage-basierten Ansatzes in der Lage ist, endliche deterministische Automaten in polynomialer Zeit zu identifizieren - ein bis dahin ungelöstes Problem.

Die algorithmische Lerntheorie ist - im Unterschied zum praktisch-empirisch orientierten maschinellen Lernen - ein relativ junges Gebiet der Informatik, das enorm an Entwicklungstempo gewonnen hat. Potentielle praktische Anwendungsfelder der algorithmischen Lerntheorie reichen von der Sprachverarbeitung, der Robotik und anderen Teilbereichen der Kognitionswissenschaften und KI-Forschung bis hin zum data mining und zur verbesserten DNA-Analyse. (Angluin 1996) Dana Angluin hat mit ihrem Konzept fragebasierter Lernalgorithmen einen wesentlichen Beitrag zur Beförderung dieses Forschungsgebiets geleistet.

Die Informatikerin Nancy Lynch ist Professorin für Electrical Engineering und Computer Science am MIT (Massachusetts Institute of Technology). Sie leitet die dortige Theory of Distributed Computing-Gruppe, die sich mit formalen Modellen verteilter Systeme, den dazugehörigen Algorithmen und Datenstrukturen sowie mit der praktischen Anwendung dieser theoretischen Modelle befaßt. Lynch gilt als die führende Fachfrau auf dem Gebiet der Theorie Verteilter Systeme.

Sie veröffentlichte - neben vielen Aufsätzen in Zeitschriften und Sammelbänden - gemeinsam mit ihrer Arbeitsgruppe 1994 das Buch Atomic Transactions, in welchem die wichtigsten Kontrollalgorithmen für verteilte Datenbanksysteme in formaler Beschreibung (Korrektheitsbeweise, Spezifikationen, Datentypen) zusammengetragen sind. Ihr 1996 erschienenes zweites Buch Distributed Algorithms beinhaltet eine Zusammenfassung des aktuellen Stands im Bereich verteilter Algorithmen. Es eignet sich somit als Einführungslektüre für InformatikstudentInnen in diese Theorie, darüberhinaus aber auch als Nachschlagewerk für SoftwareentwicklerInnen und WissenschaftlerInnen, die im Feld der verteilten Algorithmen arbeiten.

Beide Bücher bauen auf dem formalen Modell der Input-Output-Automaten auf, das Nancy Lynch zusammen mit ihrem Schüler Mark Tuttle entwickelte. Es eignet sich sehr viel besser als die klassischen Modelle zur Beschreibung der Bestandteile konkurrierender asynchroner Systeme. I/O-Automaten können zudem als Basis für Korrektheitsbeweise und Komplexitätsuntersuchungen für verteilte Algorithmen dienen. Erfolgreich angewendet wurde das Modell bereits auf so die unterschiedliche Problemfelder wie die Allokation von Ressourcen in Netzwerken, der gemeinsame Zugriff auf Objekte, die Modellierung verteilter Datenbanksysteme sowie Kommunikationsalgorithmen und Datenflußarchitekturen. (Lynch and Tuttle 1989)

Zusammenfassung

Es ist eben nicht schon immer so gewesen, daß im Bereich der Informatik „naturgemäß“ kaum Frauen anzutreffen sind: Frauen sind und waren hier auch in der Vergangenheit gestalterisch tätig. Ziel des Herauspräparierens einzelner Frauenschicksale ist nicht allein die einfache Vervollständigung eines bisher gängigen, männerlastigen Geschichtsbildes; es soll darüberhinaus dazu beitragen, ein kritisches Bewußtsein für die Aussparungen, die fehlende Wahrnehmung und vor allem ihre Ursachen an die Oberfläche zu bringen. Solange Frauen in gesellschaftlich relevanten Wissenschaftssparten als Ausnahmen wahrgenommen werden, solange sie ihre Eignung in diesen Feldern durch besonders hervorragende Leistungen unter Beweis stellen müssen und vor allem, solange beide Geschlechter ganz insgeheim noch an die natürliche Gegebenheit dieses Umstandes glauben können, wird der Frauenanteil wahrscheinlich unverhältnismäßig niedrig bleiben. Das langsame Aufweichen ideologischer und mentaler Verkrustungen, durch die Männern und Frauen noch immer nicht nur verschiedene Rollen, sondern auch verschiedene Fähigkeiten und Eignungen zugeschrieben werden, muß durch bewußte Reflexion und bewußtes Fragen, aber auch durch aktives Handeln unterstützt werden.

Mit der Wahrnehmung der Frauen in der Geschichte der ‘Männerdisziplin’ Informatik und ihrer Darstellung eröffnet sich ein neuer und wichtiger Raum der Identifikation; denn gerade die jungen Frauen, die sich für die „harten“ Naturwissenschaften interessieren, benötigen ermutigende Impulse, um ihr Interesse in Lebensplanung und tatsächliche Erfahrungen umzusetzen.

Literatur

Angluin, Dana 1987: Learning regular sets from queries and counterexamples. In: Information and Computation 75, 1987.

Angluin, Dana 1996: A 1996 Snapshort of Computational Learning Theory. In: ACM Computing Surveys, 28, 1996.

Bois, Danuta 1997: Distinguished Women of Past and Present, Field of Activity: Computer Science. http://www.netsrq.com:80/~dbois/computer.html.

Freemann, Elisabeth 1996: Ada and the Analytical Engine. In: EducomReview, Vol. 31, No. 2. http://www.educom.edu/web/pubs/reviewArticles/31240.html

Gürer, Denise W. 1995: Pioneering Women in Computer Science. In: Communications of the ACM, 38, 1, 45-54, Januar 1995.

Hoffmann, Ute 1987: Computerfrauen. Welchen Anteil haben Frauen an Computergeschichte und -arbeit?  München: Rainer Hampp Verlag.

Lee, J.A.N. 1995: Computer Pioneers. Washington/Brüssel/Tokio: IEEE Computing Society Press.

Lynch, Nancy and Tuttle, Mark 1989: An Introduction to Input/output automata. In: CWI-Quarterly, 2 (3), 219-246, September 1989.

MacTutor 1996a: MacTutor History of Mathematics archive. http://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/history/Mathematicians/.

MacTutor 1996b: MacTutor History of Mathematics archive: Rósa Péter. http://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/history/Mathematicians/Peter.html.

Maurer, Margarete 1996: Weibliche Wissenschaft - Frauen als Mütter der Bombe? In PCNEWS, Nr. 50, Jg.11, Heft 5, S.15-18, November 1996.

Morris, Edie and Harkleroad, Leon 1990: Rózsa Péter: Recursive Function Theory’s Founding Mother. In: The Mathematical Intelligencer, Vol. 12, No. 1, p. 59-61.

TAP 1997: The Ada Project. http://www.cs.yale.edu/homes/tap/tap.html.

Woman Mathematicans 1997: Biographies of Woman Mathematicans Web Site. http://www.scottlan.edu/lriddle/women.